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Siebenzehntes Kapitel.

Hier ist ein Vater nun,
Der seine Tochter gegen Gut vertauschet,
Mit ihr 'nen alten, gift'gen Zwist verpflastert,
Ja sie im Sturm den Fischen vorwirft,
Die Wogen zu besänftigen.

Unbekannter.

 

Der Lord Keeper eröffnete das Gespräch mit einem Anschein von Unbefangenheit, wiewohl er aufmerksam auf den Eindruck achtete, den seine Mittheilung auf Ravenswood machen würde.

»Ihr wißt,« sagte er, »mein junger Freund, daß Argwohn das natürliche Laster unserer unruhigen Zeiten ist, und daß der Beste und Weiseste von uns dadurch den Künsten jedes Ränkeschmieds ausgesetzt wird. Wenn ich vor Kurzem auf einen solchen hätte hören wollen, oder wenn ich der verschmitzte Staatsmann wäre, für den man mich bei Euch ausgegeben hat, so würdet Ihr Euch, Herr von Ravenswood, statt in Freiheit zu sein, und statt gegen mich nach Belieben einzukommen und zu verfahren, um Eure Rechte, wie Ihr sie nennt, zu behaupten, jetzo in dem Schlosse von Edinburgh oder in irgend einem anderen Staatsgefängnisse, oder, wenn Ihr diesem Schicksale entgangen wäret, auf der Flucht in fremden Landen befinden, von einem Urtheil in contumaciam bedroht.«

»Mylord Keeper,« sagte Ravenswood, »ich glaube nicht, daß Ihr über diesen Gegenstand scherzen wollt – doch scheint es unmöglich, daß Ihr es ernstlich meint.«

»Unschuld,« sagte der Lord Keeper, »ist immer voll Zutrauen, und zuweilen, obwohl dies verzeihlich ist, ist sie es mit Vermessenheit.«

»Ich verstehe nicht,« sagte Ravenswood, »wie das Bewußtsein der Unschuld in irgend einem Falle vermessen genannt werden kann.«

»Wenigstens kann es für unklug gehalten werden,« sagte Sir William Ashton; »denn es kann uns zu dem Irrthum verleiten, als wenn das, dessen wir uns ganz allein bewußt sind, auch für alle Andere klar wäre. Ich habe erfahren, daß sich ein Schurke aus demselben Grunde besser vertheidigte, als es ein Unschuldiger unter dem nämlichen Verdacht gethan hätte. Da ihn das Bewußtsein der Unschuld nicht unterstützt, so hält sich ein solcher Kerl an jeden Vortheil, den ihm das Gesetz gewährt, und zuweilen (wenn seine Beistände Männer von Talent sind) gelingt es ihm, die Richter zu zwingen, ihn für unschuldig zu halten. Ich erinnere mich der bekannten Sache des Sir Coolie Condiddle von Condiddle, der wegen Veruntreuung angeklagt war, und der, obgleich seine Schuld aller Welt bekannt war, nicht nur freigesprochen wurde, sondern auch fortfuhr, über ehrlichere Leute zu Gericht zu sitzen.«

»Vergönnt mir, Euch zu bitten, zur Sache zu kommen,« sagte Ravenswood, »Ihr schienet zu sagen, daß ich im Verdacht gestanden hätte.«

»Im Verdachte, Herr? – ei, freilich – und ich kann Euch die Beweise davon zeigen, wenn ich sie bei mir habe. – Lockhard, kommt her – (der Diener kam) – Gebt mir das kleine Felleisen mit den Vorlegeschlößchen, das ich Euch besonders anempfohlen habe – hört Ihr?«

»Ja, Mylord.« Lockhard verschwand, und der Lord Keeper fuhr fort, halb wie zu sich selbst sprechend: »Ich glaube, die Papiere bei mir zu haben – ich glaube es, denn da ich in diese Gegend reisen wollte, so war es natürlich, sie mit mir zu nehmen. – Jedenfalls habe ich sie zu Ravenswood Castle, das weiß ich gewiß. – Solltet Ihr vielleicht so gut sein wollen –«

Hier trat Lockhard herein, und gab ihm das Felleisen in die Hand. Der Lord Keeper nahm einige Papiere heraus, welche den dem Geheimrath erstatteten Bericht über die Meuterei bei dem Begräbniß von Allan Lord Ravenswood und seinen Antheil an der Niederschlagung einer Untersuchung gegen Edgar Ravenswood enthielten. Diese Dokumente waren mit Fleiß so ausgewählt worden, daß sie die natürliche Neugier Ravenswoods in Bezug auf einen solchen Gegenstand stachelten, ohne sie zu befriedigen, aber doch zeigten, daß Sir William Ashton bei dieser bedenklichen Gelegenheit die Rolle eines Vermittlers zwischen ihm und den eifersüchtigen Behörden des Tags übernommen hatte. Als der Lord Keeper seinen Wirth mit diesen Gegenständen zur Prüfung versehen hatte, wandte er sich zu dem Frühstücke, und hier kehrte er seine leichte Unterhaltung theils gegen seine Tochter, theils gegen den alten Caleb, dessen Groll gegen den Usurpator von Ravenswood Castle durch diese Vertraulichkeit etwas besänftigt wurde.

Der Herr von Ravenswood blieb, nachdem er die Schriften durchlaufen hatte, die Hand an die Stirne gedrückt, einige Minuten in tiefes Nachdenken versunken. Hierauf überblickte er noch einmal in Eile die Papiere, gleich als wollte er in ihnen eine versteckte Absicht oder ein Merkmal von Verfälschung entdecken, das ihm beim ersten Durchlesen entgangen wäre. Dem Anschein nach bestärkte die zweite Durchlesung die Meinung, welche er durch die erste erhalten hatte, denn er sprang von seinem steinernen Sitze auf, ging auf den Lord Keeper zu, faßte seine Hand, und indem er dieselbe stark drückte, bat er ihn wiederholt um Verzeihung für die Ungerechtigkeit, die er ihm, dem Beschützer seiner Freiheit und dem Vertheidiger seiner Ehre, zugefügt habe.

Der Staatsmann empfing dies Bekenntniß zuerst mit einem wohlgespielten Erstaunen und dann mit der Miene herzlicher Offenheit. Die Thränen begannen bei diesem unverhofften und rührenden Auftritte aus Luciens blauen Augen hervorzudringen. Den vor Kurzem so stolzen und verschlossenen Ravenswood, den sie immer für den Beleidigten gehalten hatte, ihres Vaters Verzeihung erflehen zu sehen, war eine eben so unerwartete als schmeichelnde und rührende Veränderung.

»Trockne deine Augen Lucie,« sagte ihr Vater, »warum willst du weinen, daß man deinen Vater, obgleich er ein Jurist ist, für einen billigen und gerechten Mann erkennt? – Wollt Ihr mir für etwas danken, mein lieber Herr,« fuhr er, an Ravenswood sich wendend, fort, »das Ihr an meiner Stelle nicht gethan haben würdet? Suum cuique tribuito war der Rechtsgrundsatz der Römer, und ich lernte ihn, als ich Justinian studirte. Uebrigens, habt Ihr mir nicht Alles tausendfach dadurch vergolten, daß Ihr das Leben dieses theuren Kindes gerettet habt?«

»Ja,« antwortete Ravenswood in vollem Gefühl seiner Schuld, »aber dieser geringe Dienst war nur die Folge einer dunklen Aufwallung, während die Vertheidigung, die Ihr mir gewährtet, zu einer Zeit, wo Ihr nur zu gut wußtet, wie schlimm ich von Euch dachte, und wie feindselig ich gegen Euch gesinnt war, die Folge einer edlen, männlichen und überlegten Weisheit war.«

»Still,« sagte der Lord Keeper, »ein Jeder von uns hat auf seine Weise gehandelt; Ihr als braver Kriegsmann, ich als ein gerechter Richter und geheimer Rath. Wir hätten vielleicht unsere Rollen nicht vertauschen können – wenigstens hätte ich einen schlechten Stierkämpfer abgegeben, und Ihr, mein lieber Herr, hättet Eure Sache, obwohl sie gut ist, in eigener Person vielleicht schlechter vertheidigt, als ich es als Euer Stellvertreter vor dem Geheimrath gethan habe.«

»Mein großmüthiger Freund!« sagte Ravenswood, und mit diesem kurzen Wort, mit welchem der Lord Keeper sehr freigebig gewesen war, welches aber Ravenswood jetzt zum erstenmale aussprach, gab er seinem Familienfeinde ohne Rückhalt sein stolzes, aber edles Herz. Ravenswood war bei denen, die ihn kannten, eben so sehr wegen seines Gefühls als wegen seines zurückhaltenden, eigensinnigen und reizbaren Charakters bekannt. Folglich wichen seine Vorurtheile, wie eingewurzelt sie auch waren, vor Liebe und Dankbarkeit, und die Reize der Tochter in Verbindung mit den Diensten des Vaters löschten aus seinem Gedächtniß die Rachegelübde aus, die er bei seines Vaters Begräbniß so feierlich abgelegt. Aber sie waren vernommen und in's Buch des Schicksals verzeichnet worden.

Caleb war bei diesem seltsamen Auftritte zugegen, und er konnte sich das Außerordentliche desselben nicht anders erklären, als durch eine Heirath zwischen den Familien, wobei Ravenswood Castle die Brautgabe wäre. Was Lucie betrifft, so konnte sie, als ihr Ravenswood die feurigsten Entschuldigungen für seine undankbare Vernachlässigung machte, nur mit thränenden Augen lächeln, und, nachdem sie ihm ihre Hand gereicht hatte, in gestammelten Worten versichern, wie sehr sie über die Versöhnung ihres Vaters und ihres Retters erfreut sei. Selbst der Staatsmann war bewegt und gerührt durch die warme, rückhaltslose und edelmüthige Selbstverleugnung, womit der Herr von Ravenswood der Familienfeindschaft entsagte, und ohne Bedenken ihn um Verzeihung ansprach. Seine Augen glänzten, als er auf die beiden jungen Leute blickte, die sich ohne Zweifel liebgewinnen mußten, und die für einander geschaffen schienen. Er dachte daran, wie hoch Ravenswood mit seinem stolzen und ritterlichen Charakter unter Umständen steigen könne, unter denen er sich selbst durch seine geringe Abkunft und die Schüchternheit seines Gemüthes zurückgehalten fühlte. Dann seine Tochter – sein Liebling, seine beständige Begleiterin, schien dazu geschaffen, in einer Verbindung mit einem so gebietenden Charakter, wie der von Ravenswood, glücklich zu leben, ja die feine und zarte Gestalt von Lucie Ashton schien die männliche Stärke von Ravenswood als Stütze nöthig zu haben. Und es war nicht blos während einiger Minuten, daß Sir William Ashton diese Heirath als ein wahrscheinliches und selbst wünschenswerthes Ereigniß ansah, denn es verlief eine volle Stunde, bis seine Vorstellung durch den Gedanken an Ravenswoods Armuth, und an das Mißfallen von Lady Ashton gestört wurde. Es ist gewiß, daß der ungewöhnliche Zudrang schöner Gefühle, von denen sich der Lord Keeper also ergriffen fühlte, ein Umstand wurde, der die Liebe von Ravenswood und seiner Tochter sehr ermuthigte, und beide Liebenden zu dem Glauben verleitete, als wenn ihre Verbindung ihm höchst angenehm sein müsse. Er selbst schien diese Wahrheit gefühlt zu haben, denn, wenn er lange nach der unglücklichen Catastrophe seine Hörer warnte, den Gefühlen nicht die Oberhand zu lassen über das Urtheil, so versicherte er zugleich, daß er das größte Unglück seines Lebens einer sehr kurzen Schwärmerei, wobei er des eigenen Vortheils nicht gedacht habe, zuschreiben müsse. Wenn dieß der Fall war, so muß man gestehen, daß die Strafe für ein so kurzes Versehen lang und streng gewesen ist.

Nach einigem Schweigen nahm der Lord Keeper die Unterhaltung wieder auf. »Ueber Euerem Erstaunen, in mir einen ehrlicheren Mann zu finden, als Ihr erwartet habt, habt Ihr diesen Craigengelt ganz vergessen, mein lieber Herr, und doch wurde Eures Namens in dieser Sache gedacht.«

»Der Schuft!« sagte Ravenswood, »meine Verbindung mit ihm war so vorübergehend als möglich, freilich war es eine Thorheit, nur mit ihm in Verbindung zu kommen. – Was sagte er von mir?«

»Genug,« antwortete der Lord Keeper, »um einigen unserer Hochweisen, die auf bloßen Verdacht und auf besoldete Hinterbringung hin gegen die Leute verfahren, gegründeten Schrecken einzuflößen. – Einigen Unsinn über Euren Vorsatz, in französischen Dienst oder in den des Prätendenten, ich weiß nicht mehr in welchen, zu treten, worauf aber der Marquis von A– , einer Eurer besten Freunde und eine andere Person, die Einige einen Eurer schlimmsten und gefährlichsten Feinde nennen, schlechterdings nicht hören wollten.«

»Ich bin meinem edlen Freunde verbunden, aber mehr noch (er schüttelte die Hand des Lord Keepers) meinem edlen Feinde.«

» Inimicus amicissimus,« sagte der Lord Keeper, den Händedruck zurückgebend; »doch dieser Herr – dieser Mr. Hayston von Bucklaw – ich fürchte, der arme junge Mann – ich hörte den Kerl seines Namens erwähnen – steht unter schlechter Leitung.«

»Er ist alt genug, sich selbst zu leiten,« sagte Ravenswood.

»Alt genug vielleicht, aber kaum klug genug, wenn er diesen Schelm zu seinem fidus Achates ausersehen hat. Er hat eine Denunciation gegen ihn abgelegt; wenigstens wäre dieß eine Folge seines Verhörs gewesen, hätte man nicht mehr auf den Charakter des Zeugen, als auf den Inhalt seiner Aussage gesehen.«

»Mr. Hayston von Bucklaw,« sagte Ravenswood, »ist, scheint mir's, ein Ehrenmann, und keiner gemeinen und unedlen Handlung fähig.«

»Aber wohl einer unvernünftigen; Ihr müßt mir das zugeben,« antwortete der Lord Keeper. »Der Tod wird ihn bald in den Besitz einer schönen Herrschaft setzen, oder hat es bereits gethan; die alte Lady Girnington – eine vortreffliche Person, nur daß ihre eingewurzelte Bosheit sie aller Welt verhaßt machte – ist wahrscheinlich jetzt todt. Sechs Erben, die nach und nach starben, haben sie reich gemacht. Ich kenne die Herrschaft wohl, sie gränzt an meine eigene – ein reiches Land!«

»Ich freue mich darüber,« sagte Ravenswood, »und würde mich noch mehr freuen, wenn ich fände, daß Bucklaw mit dem Glücke auch seine Gewohnheiten und seine Freunde wechselte. Die Erscheinung von Craigengelt, der als ein Freund von ihm auftrat, ist von schlimmer Vorbedeutung für seine künftige Achtungswürdigkeit.«

»Das ist ein Vogel von schlimmer Vorbedeutung, ganz gewiß,« sagte Lord Keeper, »er krächzt von Gefängniß und Galgen. Doch ich sehe, Mr. Caleb wird ungeduldig, daß wir uns nicht zum Frühstücke wenden.«

 


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