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Einunddreißigstes Kapitel.

Worin 'ne Hexe wohnt in Lumpentracht
Und freiem Mangel, die mit Vorbedacht
Sich auserwählte diese Einsamkeit,
Um einzuhüllen wie in dunkle Nacht
Ihr höllisch Thun, und aus Verborgenheit
Nach ihrem Ziel zu senden Pein und Leid.

Feenkönigin.

 

Der Gesundheitszustand von Lucie Ashton machte bald den Beistand einer in der Krankenpflege erfahreneren Person nöthig, als es die Dienerinnen der Familie waren. Ailsie Gourlay, sonst die weiße Frau von Bowden genannt, war die Person, welche Lady Ashton aus starken Gründen zur Wärterin ihrer Tochter ausersah.

Diese Frau hatte sich durch vorgegebene Heilungen namentlich unerklärter Krankheiten, welche der Kunst des Arztes nicht weichen, bei den Unwissenden einen großen Ruf erworben. Ihre Apotheke bestand zum Theil aus Kräutern, die in planetarischen Stunden gesammelt waren, zum Theil aus Worten, Zeichen und anderen Zaubermitteln, die zuweilen einen wohlthätigen Einfluß auf die Einbildung ihrer Patienten haben mochten. Dies war das öffentliche Handwerk von Ailsie Gourlay, die, wie man sich denken kann, nicht nur von ihren Nachbarn, sondern selbst von der Geistlichkeit der Nachbarschaft mit Argwohn betrachtet wurde. Im Geheimen jedoch ging sie tiefer in die verborgenen Wissenschaften ein, denn ungeachtet der fürchterlichen Strafe, womit man die des Verbrechens der Zauberei Bezüchtigten verfolgte, fehlte es nicht an solchen, die aus Mangel oder aus Bosheit geneigt waren, jene gehässige und gefährliche Rolle zu spielen, weil sie dadurch einen furchtbaren Einfluß auf die Nachbarschaft ausüben konnten, oder weil sie durch die Ausübung ihrer Kunst einen elenden Lohn gewannen.

Ailsie Gourlay war keine so große Thörin, daß sie einen Bund mit dem Bösen bekannt, und sich so schnell auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. »Ihre Zauberei,« sagte sie, »sei eine unschuldige wie die von Caliban.« Doch sagte sie das gute Glück voraus, erklärte Träume, mischte Liebestränke, entdeckte gestohlene Sachen, und band und löste Heirathen mit einer Leichtigkeit, als wenn, wie die ganze Nachbarschaft glaubte, Beelzebub selbst ihr bei ihren Künsten beistehe. Das Schlimmste war, daß die Personen, welche auf diese Künste Anspruch machten, da sie sich Allgemein gehaßt sahen, keinen Anstand nahmen, den öffentlichen Haß zu verdienen. Oft wurden wirkliche Verbrechen unter dem Schein von magischem Betrug begangen, und der Widerwille, womit wir in den Criminalakten die Bekenntnisse dieser elenden Weiber lesen, wird einigermaßen dadurch begütigt, wenn wir bemerken, daß manche derselben als Giftmischerinnen, Betrügerinnen und Helferinnen bei häuslichen Verbrechen das strenge Schicksal verdient haben, wozu sie wegen einer nichtigen Beschuldigung von Zauberei verurtheilt wurden.

So war Ailsie Gourlay, welche Lady Ashton in die Nähe ihrer Tochter brachte, um das Gemüth derselben völlig zu unterwerfen. Ein Weib von geringerem Stande als Lady Ashton hätte einen solchen Schritt nicht gewagt; doch ihr hoher Rang und ihre Charakterstärke setzten sie über den Tadel der Welt hinaus, und man sagte von ihr, daß sie zur Pflege ihrer Tochter die beste und geschickteste Wärterin und Doktorin der Nachbarschaft gewählt habe, während eine geringere Person in den Verdacht gekommen sein würde, eine Gehülfin und Genossin des großen Feindes der Menschheit zum Beistand gerufen zu haben.

Die Hexe begriff ihre Rolle leicht; die Winke der Lady Ashton wurden ohne weitere Erläuterung verstanden. Sie war in mancher Beziehung für die Rolle geeignet, die sie spielte, und die ohne Kenntniß des menschlichen Herzens und menschlicher Schwächen mit Erfolg nicht gespielt werden konnte. Frau Gourlay bemerkte, daß Lucie bei ihrem Anblick, den wir bereits beschrieben haben, als wir sie in dem Sterbezimmer der blinden Alice fanden, zurückschaudere, und während sie innerlich das arme Mädchen wegen seines unwillkürlichen Abscheus, womit es sie betrachtete, haßte, fing sie ihr Werk damit an, daß sie sich bestrebte, die Vorurtheile zu überwinden, die sie in ihrem Herzen als tödtliche Beleidigungen empfand. Dies war leicht gethan, denn die äußere Häßlichkeit der Hexe wurde von einem Anschein von Güte und Theilnahme überwogen, woran Lucie in den letzten Zeiten wenig mehr gewöhnt gewesen war. Ihre aufmerksamen Dienste und wirkliche Geschicklichkeit erwarben ihr die Aufmerksamkeit, wenn nicht das Zutrauen ihrer Patientin, und unter dem Vorwand, die Einsamkeit des Krankenzimmers zu beleben, fesselte sie das Ohr derselben durch eine geschickte Erzählung von Mährchen, denen Lucie aus Neigung und Gewohnheit ein geneigtes Gehör schenkte. Die Erzählungen der Frau Gourlay waren zuerst von einer milden und ansprechenden Art:

Von Feen, die nächtlich auf der Haide tanzten,
Von Liebenden, die Leid und Trennung tragen,
Von Schlössern, wo verruchte Zaubrer plagen
Gefangne Sclaven.

Nach und nach nahmen sie jedoch einen dunkleren und unheimlicheren Charakter an, und wurden der Art, daß sie, bei der Nachtlampe erzählt, und von der zitternden Stimme, den zuckenden, bleichen Lippen, dem erhobenen dürren Zeigefinger und dem wackelnden Kopfe der blauäugigen Hexe begleitet, eine weniger gläubige Einbildungskraft in einem ungläubigeren Zeitalter erschreckt haben würden. Die alte Sycorax erkannte ihren Vortheil, und zog den magischen Kreis um das ersehene Opfer, dessen Gemüth sie bearbeitete, immer enger und enger. Ihre Mährchen begannen sich auf das Schicksal der Familie Ravenswood zu beziehen, deren ehemalige Größe und Macht der Aberglauben mit so manchen Sagen beehrt hatte. Die Geschichte der verhängnißvollen Quelle wurde weitläufig und mit schaudererregenden Zusätzen von der alten Sibylle erzählt. Die von Caleb angeführte Weissagung von der todten Braut, die von dem letzten Ravenswood gewonnen werden würde, erhielt eine eigene unheimliche Erklärung, und die wunderbare, von dem Herrn von Ravenswood im Park gesehene Erscheinung, die durch seine angelegentlichen Erkundigungen in der Hütte der alten Alice ruchbar geworden war, gab zu manchen Uebertreibungen Anlaß.

Lucie hätte diese Erzählungen verachten können, wenn sie eine andere Familie betroffen hätten, oder wenn ihre Lage weniger verzweifelt gewesen wäre. Aber in der Lage, worin sie sich befand, wurde der Gedanke bei ihr vorherrschend, daß ein widriges Schicksal über ihrer Liebe schwebe, und die Schrecken des Aberglaubens verfinsterten ein Gemüth, das durch Schmerz, Kummer, Unsicherheit und ein niederdrückendes Gefühl von Verlassenheit, nur zu sehr schon geschwächt war. Ihre Wärterin erzählte Geschichten, in welchen die Verhältnisse den ihrigen so sehr glichen, daß Lucie nach und nach veranlaßt wurde, sich über solch traurige und schauerliche Dinge mit der Hexe zu besprechen, und eine Art von Zutrauen auf die Sibylle zu setzen, auf welche sie immer noch mit unwillkürlichem Schauder sah. Frau Gourlay wußte dieses halbe Zutrauen wohl zu benutzen. Sie richtete Luciens Gedanken auf die Mittel, die Zukunft zu erforschen, was vielleicht der sicherste Weg ist, den Verstand zu erschüttern, und den Geist zu schwächen. Vorbedeutungen wurden erklärt, Träume wurden ausgelegt, und vielleicht wurden noch andere Taschenspielerkünste angewandt, durch welche die angeblichen Zauberer der Zeit ihre Zuschauer hintergingen. Ich finde in den Artikeln von Dittay gegen Ailsie Gourlay (denn es ist tröstlich, zu wissen, daß die alte Hexe vor Gericht gebracht, verurtheilt und verbrannt wurde zu North-Berwick Law, auf Entscheidung eines Ausschusses des geheimen Staatsraths) – ich finde, sage ich, daß sie unter andern schweren Klagepunkten beschuldigt worden ist, durch Hülfe und Vorspiegelung des Satans einer jungen Person von Stande in einem Spiegel einen damals in der Fremde befindlichen Herrn, mit dem die junge Person versprochen war, und der sich in dem Trugbilde mit einer anderen Dame zu vermählen schien, gezeigt zu haben. Doch dieser Theil der Akten scheint mit Fleiß, was Namen und Datum betrifft, unvollständig gelassen worden zu sein, was vermutlich aus Rücksicht auf die Ehre der betheiligten Familien geschah. Wenn Frau Gourlay wirklich fähig war, einen solchen Taschenspielerstreich zu spielen, so ist es klar, daß sie einen besseren Beistand zur Ausübung ihres Trugs gehabt haben müsse, als den ihrer eigenen Geschicklichkeit und Geldmittel. Das geheime Gaukelspiel that indeß seine Wirkung, indem es das Gemüth der Miß Ashton erschütterte. Ihre Stimmung wurde launisch, ihre Gesundheit schwand täglich mehr, ihr Betragen war träumerisch, niedergeschlagen und zerstreut. Ihr Vater, der die Ursache dieser Veränderung halb ahnete, und einmal gegen seine Gewohnheit seinen Willen zeigte, verbannte Frau Gourlay vom Schlosse, doch der Pfeil war abgeschossen, und stack brennend in der Brust des verwundeten Opfers.

Es war kurz nach der Entfernung dieses Weibes, daß Lucie Ashton, von ihren Eltern gedrängt, denselben mit einem Eifer, der sie in Erstaunen setzte, erklärte, daß sie überzeugt wäre, Himmel, Erde und Hölle hätten sich gegen ihre Verbindung mit Ravenswood verschworen, indeß ihr Vertrag bliebe immer verbindlich, und sie würde ihn ohne die Zustimmung von Ravenswood nicht aufgeben. »Verschafft mir Gewißheit,« schloß sie, »daß er mich meines Wortes entbinden will, und verfügt über mich, wie es euch gefällt, mir ist's gleichgültig. Sind die Diamanten hin, was liegt am Schmuckkästchen?«

Der feste Ton, womit dies gesagt war, die von ungewöhnlichem Lichte blitzenden Augen, und die festgeschlossenen Hände machten jede Einwendung überflüssig, und Alles, was Lady Ashton durch ihre Kunst erhalten konnte, war das Vorrecht, den Brief zu dictiren, in welchem ihre Tochter von Ravenswood zu wissen verlangte, ob er bei dem unseligen Versprechen, wie sie es nannte, verharren, oder ob er es aufgeben wolle. Lady Ashton bediente sich dieses Vortheils so geschickt, daß nach der Abfassung des Briefes der Leser hätte annehmen können, als wenn Lucie ihren Liebhaber auffordere, einem Vertrage zu entsagen, der dem Glück und der Neigung Beider zuwider wäre. Doch auch dieser List nicht trauend, entschloß sich Lady Ashton endlich, den Brief zu vernichten, in der Hoffnung, daß die Ungeduld Lucien verleiten würde, Ravenswood ungehört und abwesend zu verdammen. Hierin irrte sie sich. Die Zeit war längst verstrichen, worin die Antwort vom Kontinent hätte kommen können. Der schwache Hoffnungsstrahl, der noch in Luciens Seele glomm, war am Erlöschen. Doch verließ sie der Gedanke nimmer, daß der Brief nicht richtig besorgt worden sein möchte. Eine von ihrer Mutter neuen Unternehmungen lieferte ihr unerwartet das Mittel, über das, was sie so heiß zu wissen wünschte, Auskunft zu erhalten.

Nachdem die Dienerin der Hölle vom Schlosse entlassen worden war, entschloß sich Lady Ashton, die alle Mittel aufbot, um Luciens Gemüth für ihren Zweck zu bearbeiten, ein Werkzeug ganz anderer Art in Thätigkeit zu setzen. Es war dieß der ehrwürdige Mr. Bidethebent, ein presbyterianischer Geistlicher von der strengsten Gattung und der lautersten Rechtgläubigkeit, dessen wir schon gedacht haben, und dessen Beistand sie ansprach, indem sie den Grundsatz des Tyrannen in der Tragödie befolgte –

Ein Priester soll ihr von dem Glauben pred'gen,
Als Sünde ihr darstellen ihr Gelübde,
Das ich gebrochen haben will.

Aber Lady Ashton hatte sich in ihrem erlesenen Werkzeug verrechnet. Seine Vorurtheile waren ihr zwar günstig, und es war nicht schwer, ihm die Verbindung zwischen der Tochter einer gottesfürchtigen, gläubigen, presbyterianischen Familie von Stand mit dem Erben eines blutdürstigen Prälatisten und Verfolgers, dessen Väter die Hände bis an's Gelenk in das Blut der Heiligen Gottes getaucht hätten, als einen Gräuel darzustellen. In der Vorstellung des Geistlichen war dies so viel als die Verbindung eines unreinen Moabiters mit einer Tochter Zions. Aber bei den Vorurtheilen und strengen Grundsätzen seiner Sekte besaß Bidethebent ein gesundes Urtheil, und er hatte Mitgefühl erworben grade in der Schule der Verfolgung, in welcher das Herz so oft verhärtet. In einer geheimen Unterredung mit Miß Ashton ward er tief gerührt über ihre Noth, und er mußte ihr Verlangen, eine direkte Verbindung mit Ravenswood zur Auflösung ihres feierlichen Vertrages zu haben, durchaus billigen. Als sie ihm von der Ungewißheit sprach, unter welcher sie leide, ob ihr Brief je abgegangen sei, ging der Greis mit großen Schritten durch das Zimmer, schüttelte seine grauen Locken, blieb wiederholt stehen, gestützt auf seinen Stock mit elfenbeinernem Knopf, und bekannte nach einigem Zögern, daß er ihre Zweifel für gegründet achte, und daß er selbst behülflich sein wolle, dieselben zu zerstreuen.

»Ich muß muthmaßen, Miß Lucie,« sagte er, »daß Eure verehrte Mutter in dieser Sache einen Eifer zeigt, der, wiewohl er Zweifels ohne aus Liebe zu Eurem zeitlichen und ewigen Glück herstammt – denn der Mann ist von dem Blute der Verfolger, ein Feind und Spötter, der nicht erben kann in Jesse – aber demungeachtet ist uns befohlen, Gerechtigkeit zu üben gegen Alle, und unsere Pflicht und Schuldigkeit zu thun sowohl gegen den Fremden, als gegen den, der mit uns in der Brüderschaft ist. Darum will ich, ja ich selbst, behülflich sein zur Beförderung Eures Briefes an den Mann Edgar Ravenswood, indem ich hoffe, daß Eure Befreiung aus der Schlinge, worin er Euch sündlich verstrickt hat, die Folge davon sein werde. Und damit ich hierin weder mehr noch weniger thue, als von Euren geehrten Eltern vergönnt worden ist, so bitte ich Euch, ohne Zusatz und Wegnahme den Brief nochmals zu schreiben, den Euch Eure geehrte Mutter diktirt hat. Ich werde ihn einen Weg gehen lassen, auf dem er sicher ankommen soll, so daß Ihr, verehrte junge Dame, wenn Ihr keine Antwort erhalten sollt, den nothwendigen Schluß ziehen müsset, daß der Mann im Stillen auf diesen üblen Vertrag verzichtet, den er vielleicht nicht gerne direkt aufgeben mag.«

Lucie erfaßte begierig den Vorschlag des würdigen Geistlichen. Ein anderer Brief wurde geschrieben in denselben Worten wie der frühere, und Mr. Bidethebent beauftragte damit Saunders Mooshine, einen eifrigen Kirchenältesten zu Lande und einen eben so kühnen Schmuggler zur See. Auf die Empfehlung seines Pfarrers versprach es Saunders gerne, den Brief richtig an den Hof, wo sich der Herr von Ravenswood gerade befand, gelangen zu lassen.

Dieser Rückblick war nöthig, um die Zusammenkunft von Miß Ashton, ihrer Mutter und Bucklaw zu erläutern, die wir in einem früheren Kapitel beschrieben haben.

Lucie glich nun dem Segler, der, während er durch einen stürmischen Ocean getrieben wird, zu seiner Rettung ein Brett erfaßt; seine Kräfte nehmen mit jedem Augenblicke mehr ab, und das tiefe Dunkel wird nur von dem Schimmer der Blitze erhellt, die dem Schwimmer die schäumenden Wogen zeigen, unter denen er bald begraben sein wird.

Woche verging auf Woche und Tag auf Tag. St. Judä kam heran, die letzte Frist, die sich Lucie gesetzt hatte, und weder ein Brief noch eine Nachricht von Ravenswood war da.

 


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