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Neunzehntes Kapitel.

– – – Nicht gut ist hier mein Thun;
Ich sollt' bedenken, daß des Vaters Fluch
Des Himmels Strafgerichte auf das Haupt
Des Ungehorsamen herniedersendet.
Doch spricht Vernunft: man hört auf Eltern nicht,
Wenn sie zu straff und streng die Zügel halten,
Und alle Lieb' und Neigung hindern wollen,
Die in dem Herz des Kinds begeistert lebt.

Der Eber hat seine Perle verloren.

 

Das Gastmahl zu Ravenswood Castle machte sich in dem Grade durch Ueberfülle bemerklich, als das von Wolf's Crag durch schlechtverhüllten Mangel bemerklich gewesen war. Der Lord Keeper mochte bei diesem Kontrast einen innerlichen Stolz fühlen, aber er hatte zu viel Geschicklichkeit im Umgang, als daß er es hätte merken lassen. Im Gegentheil, er gedachte mit Vergnügen des Junggesellenmahles, wie er sich ausdrückte, von Mr. Balderstone, und er schien über die Fülle seiner eigenen Tafel eher verdrossen, als erfreut.

»Wir machen es so,« sagte er, »weil es Andere so machen; doch ich wuchs zum Manne heran an meines Vaters einfachem Tische, und es wäre mir lieb, wenn mein Weib und meine Familie mir es erlaubten, zu meinem sauren Haferbrei und meinem ›armen Manne‹ zurückzukehren« Das Schulterblatt eines Hammels wird in Schottland ein armer Mann genannt, wie es in einigen Gegenden von England ein armer Ritter von Windsor genannt wird, im Gegensatz, scheint es, zu dem Baron Sir Lion (Ochsenbraten). Man erzählt, daß ein alter, schottischer Pair des vergangenen Zeitalters, dessen Eigenthümlichkeit (nicht von der feinsten Art) sich in einer auffallenden und übertriebenen Kundgebung des hochländischen Charakters zeigte, während der Parlamentssitzungen in London von einer Unpäßlichkeit befallen wurde. Der Herr des Gasthofs, wo er wohnte, voll Eifer, seinem edlen Gaste alle Aufmerksamkeit zu schenken, zahlte ihm bei einem Besuche den ganzen Inhalt seiner wohlversehenen Speisekarte auf, in der Hoffnung, auf etwas zu treffen, was seine Eßlust reizen könne. Ich glaube, Herr Wirth, jagte Se. Herrlichkeit, sich auf dem Bette erhebend, und indem er seinen schottischen Mantel zurückschlug, sein schreckliches und wildes Gesicht zeigend – ich glaube, ich könnte ein Stück von einem armen Manne essen. Der Gastwirth floh voll Schrecken davon, und zweifelte nicht, daß sein Gast ein Menschenfresser sein müsse, der einen Schnitt von einem Unterthanen als leichte Kost aufzuspeisen pflege, wenn er auf Krankenkost verwiesen sei..

Das war ein wenig übertrieben. Ravenswood antwortete nur: »Verschiedenheit des Ranges – ich meine,« sagte er, sich verbessernd, »Verschiedenheit des Reichthums hat eine Verschiedenheit des Haushalts zur Folge.«

Diese trockene Bemerkung setzte dem Gespräche über diesen Gegenstand ein Ziel, und es ist unnöthig, die weitere Unterhaltung mitzutheilen. Der Abend wurde mit Ungezwungenheit, ja fast mit Herzlichkeit hingebracht, und Heinrich hatte seine erste Scheu so weit überwunden, daß er eine Hirschjagd mit dem lebendigen Ebenbilde des schrecklichen Sir Malise von Ravenswood, der Rächer genannt, verabredete. Der nächste Morgen wurde dazu bestimmt. Die Jäger waren frühe auf, und die Jagd war glücklich. Hierauf folgte das Gastmahl, und die dringende Einladung, noch einen Tag zu verweilen, ward gegeben und angenommen. Ravenswood hatte beschlossen, daß dies der letzte seines Aufenthaltes sein sollte, doch es fiel ihm ein, daß er die alte und ergebene Dienerin seines Hauses, die alte Alice, noch nicht besucht habe, und es war nur eine Artigkeit, einer so alten Anhängerin einen Morgen zu widmen.

Dem Besuche Alicens wurde folglich ein Tag geschenkt, und Lucie war Ravenswoods Führerin auf dem Wege. Wahr ist's, daß Heinrich sie begleitete, und ihrem Spaziergang den Anschein eines tête-á-tête benahm, was er in der That war, wenn man die verschiedenen Gegenstände in Erwägung zieht, die den Knaben abhielten, dem ihn begleitenden Paare die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Bald war es eine Krähe, die auf Schußweite auf einem Zweige saß, bald sprang ein Hase über den Weg und Heinrich und sein Windspiel seitab hinter drein, dann hielt er ein langes Gespräch mit dem Förster, so daß er eine Strecke hinter seinen Begleitern zurückblieb, und ein anderesmal ging er, einem Dachsbau nachzuspähen, was ihn ein gutes Stück voraus brachte.

Unterdessen nahm die Unterhaltung zwischen Ravenswood und Lucien eine anziehende und fast vertrauliche Wendung. Sie konnte sich nicht enthalten, ihr Mitgefühl über die Pein, die er beim Besuche so bekannter und jetzt so veränderter Orte fühlen müsse, zu erkennen zu geben, und ihre Theilnahme wurde so freundlich ausgedrückt, daß sich Ravenswood dadurch in diesem Momente für all sein Mißgeschick entschädigt fühlte. Eine solche Aeußerung entfiel ihm, und Lucie hörte darauf mit mehr Verlegenheit als Mißfallen, welche Unbedachtsamkeit man ihr verzeihen muß, wenn man bedenkt, daß die Lage, in welche sie von ihrem Vater zu Ravenswood gestellt war, den letzteren zu einer solchen Sprache berechtigen konnte. Doch machte sie den Versuch, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, und er gelang ihr, denn auch Ravenswood war weiter gegangen, als er gewollt hatte, und sein Gewissen hatte es ihm augenblicklich verwiesen, als er im Begriff stand, der Tochter von Sir William Ashton von Liebe zu reden.

Sie nahten sich nun Alicens Hütte, die jüngst ausgebessert worden war, und die vielleicht einen weniger malerischen aber weit netteren Anblick, als vordem gewährte. Das alte Weib war aus seinem gewöhnlichen Sitze unter der Hängebirke, sich mit der Sorglosigkeit des gebrechlichen Alters in den Strahlen der Herbstsonne wärmend. Bei der Ankunft der Besucher kehrte sie ihr Gesicht denselben zu. »Ich höre Eure Tritte, Miß Ashton,« sagte sie, »aber der Herr, der Euch begleitet, ist nicht Mylord, Euer Vater.«

»Und warum scheint euch das so, Alice?« sagte Lucie; »oder wie ist es Euch möglich, so richtig nach dem Schall der Tritte auf die bloße Erde und in freier Luft zu urtheilen?«

»Mein Gehör, Kind, ist durch meine Blindheit geschärft worden, und ich kann nun Schlüsse ziehen aus den geringsten Lauten, die vormals so unbeachtet zu meinen Ohren drangen, wie jetzt zu den Eurigen. Die Nothwendigkeit ist eine strenge aber vortreffliche Lehrerin, und wer sein Gesicht verloren hat, muß seine Wahrnehmungen aus anderen Quellen schöpfen.«

»Gut, Ihr hört den Tritt von einem Manne,« sagte Lucie; »aber warum, Alice, sollte es nicht der von meinem Vater sein?«

»Der Schritt des Alters, meine Liebe, ist scheu und behutsam – der Fuß hebt sich von der Erde langsam, und senket sich zu ihr zögernd; doch dies ist der schnelle entschlossene Tritt der Jugend, den ich nun höre, und – könnte ich einer so seltsamen Vermuthung trauen – so würde ich sagen, es sei der Tritt von einem Ravenswood.«

»Wahrhaftig,« sagte Ravenswood, »das ist eine Schärfe des Organs, an die ich nicht geglaubt haben würde, wäre ich nicht Zeuge davon. – In der That, ich bin der Herr von Ravenswood, Alice – der Sohn Eures alten Herrn.«

»Ihr?« sagte die Alte fast mit einem Schrei des Erstaunens – »Ihr der Herr von Ravenswood – hier – an diesem Orte und in dieser Gesellschaft? – Ich kann es nicht glauben! – Laßt mich mit meiner alten Hand Euer Gesicht befühlen, daß mein Tastsinn meinem Gehör Zeugniß gebe.«

Ravenswood setzte sich Neben die Alte auf den Rasensitz, und erlaubte ihr, mit ihrer zitternden Hand sein Gesicht zu befühlen.

»Wahrhaftig so ist's!« sagte sie, »es ist das Gesicht sowohl als die Stimme von Ravenswood – die stolzen Züge sowohl, als die freie und stolze Stimme. – Aber was macht Ihr in dem Bereiche Eures Feindes, und in der Gesellschaft seines Kindes?«

Während die alte Alice sprach, entflammte sich ihr Gesicht, wie sich wahrscheinlich das eines alten Untervasallen entflammt haben würde, in dessen Gegenwart ein junger Oberlehensherr Beweise von Entartung des Geschlechtes gegeben hätte.

»Der Herr von Ravenswood,« sagte Lucie, der dies Verhör nicht gefiel, und die es darum abkürzen wollte, »ist auf Besuch bei meinem Vater.«

»Wahrhaftig!« sagte die alte Blinde staunend.

»Ich wußte,« fuhr Lucie fort, »daß es ihm Vergnügen machen würde, wenn ich ihn nach Eurer Hütte führte.«

»Wo ich, die Wahrheit zu sagen, Alice,« sagte Ravenswood, »einen herzlicheren Empfang erwartete.«

»Das ist höchst sonderbar!« murmelte das alte Weib zu sich selbst; »aber die Wege des Himmels sind nicht unsere Wege, und seine Gerichte werden durch Mittel ausgerichtet, die wir nicht ergründen können. Hört, junger Mann,« sagte sie, »Eure Väter waren unversöhnlich, aber sie waren offene Feinde, sie suchten nicht ihre Gegner unter der Maske der Gastfreundschaft zu verderben. Was habt Ihr mit Lucie Ashton zu schaffen? – wie sollten Eure Füße auf demselben Pfade wandeln wie die ihrigen? – wie sollte Eure Stimme in demselben Accord und Tacte mit der von Sir William Ashtons Tochter erklingen? – Junger Mann, wer Rache erstrebt durch schändliche Mittel – –«

»Schweigt, Weib!« sagte Ravenswood strenge; »ist es der Teufel, der Euch die Stimme leiht? – Wißt, daß diese junge Lady auf Erden keinen Freund hat, der mehr für sie wagen würde, um sie vor Leid und Unrecht zu behüten.«

»Ah, ist es so?« sagte die Alte mit einer veränderten und klagenden Stimme – »Dann helfe Gott euch Beiden!«

»Amen! Alice,« sagte Lucie, die den Sinn dessen, was die alte Blinde andeutete, nicht verstanden hatte, »und Gott gebe Euch Eure Sinne, Alice, und Eure gute Laune. Wenn Ihr eine so geheimnißvolle Sprache führet, statt Eure Freunde zu bewillkommnen, so werden diese, wie andere Leute von euch denken.«

»Und was denken denn andere Leute?« sagte Ravenswood, denn auch er fing an zu glauben, die Alte spräche irr.

»Sie denken,« sagte Heinrich Ashton, der herbeigekommen war, Ravenswood in's Ohr flüsternd, »daß sie eine Hexe ist, die mit denen in Haddington hätte verbrannt werden sollen.«

»Was sagt Ihr da?« sagte Alice, indem sie ihr zornentflammtes blindes Gesicht gegen den Knaben kehrte; »daß ich eine Hexe bin, und daß ich mit den schwachen, alten Weibsbildern hätte leiden sollen, die man in Haddington gemordet hat?«

»Nun das zu hören!« flüsterte Heinrich wieder – »und ich habe leiser gesprochen, als ein Zaunkönig piept.«

»Wenn der Wucherer und der Unterdrücker, der Verleumder des Armen, der Verrücker alter Landmarken und der Zerstörer alter Geschlechter mit mir auf demselben Scheiterhaufen wären, dann könnte ich sprechen, zündet an in Gottes Namen!«

»Das ist schrecklich,« sagte Lucie, »ich habe nie die arme Frau in einem solchen Zustande gesehen, aber Alter und Armuth kann keine Vorwürfe vertragen. – Komm, Heinrich, wir wollen sie für jetzt verlassen – sie wünscht mit dem Herrn von Ravenswood allein zu sprechen. Wir wollen heimwärts gehen, und uns,« fügte sie auf Ravenswood blickend hinzu, »bei dem Nixenbrunnen ausruhen.«

»Und Alice,« sagte der Knabe, »wenn Ihr eine Häsin kennt, die sich unter die Hirschkühe mischt, und macht, daß diese ihre Jungen zur Unzeit werfen, so könnt Ihr derselben mit meinen Grüßen ausrichten, daß wenn Norman nicht schon eine silberne Kugel für sie bereit hat, ich ihm einen der Knöpfe meines Wammses dafür leihen will.«

Alice gab keine Antwort, bis sie gewahrte, daß Schwester und Bruder sie nicht mehr hören könnten. Dann sagte sie zu Ravenswood: »Und auch Ihr seid mir böse wegen meiner Liebe? – Es ist billig, daß sich Fremde beleidigt fühlen, aber daß auch Ihr böse seid!«

»Ich bin nicht böse, Alice,« sagte Ravenswood, »ich bin nur erstaunt, daß Ihr, deren Verstand ich so oft habe rühmen hören, so beleidigenden und ungegründeten Argwohn heget.«

»Beleidigend?« sagte Alice. – »Ja, die Wahrheit ist immer beleidigend – aber gewiß nicht ungegründet.«

»Ich sage Euch, Weib, höchst ungegründet,« versetzte Ravenswood.

»Dann hat die Welt ihren Gang verändert, und die Ravenswood ihren angestammten Charakter, und das geistige Auge der alten Alice ist noch blinder als ihr körperliches. Wann suchte je ein Ravenswood das Haus seines Feindes heim ohne einen Vorsatz zur Rache? – und Ihr seid hierhergekommen, Edgar Ravenswood, entweder mit verderblichem Groll oder noch verderblicherer Liebe.«

»Mit keinem von Beiden,« sagte Ravenswood, »auf mein Ehrenwort – glaub' ich, ich versichere Euch.«

Alice konnte seine erröthenden Wangen nicht sehen, aber sie bemerkte seine Unsicherheit, und daß er die Betheuerung zurücknahm, womit er zuerst seine Verneinung bekräftigen wollte.

»Ist es denn so,« sagte sie, »und darum will sie am Nixenbrunnen warten! Oft hat man diesen Ort verderblich genannt für das Geschlecht Ravenswood, oft hat sich derselbe als solcher ausgewiesen, doch schwerlich hat derselbe die Wahrheit alter Sage so deutlich je offenbart, als heute.«

»Ihr macht mich toll, Alice,« sagte Ravenswood, »Ihr seid alberner und abergläubischer als der alte Balderstone. Seid Ihr eine so schlechte Christin, daß Ihr mir zumuthet, die Familie Ashton heut zu Tage zu befehden, wie es in alten Zeiten der blutige Brauch war? oder haltet Ihr mich für einen Schwachkopf, dem es nicht möglich wäre, mit einer jungen Lady in Gesellschaft zu sein, ohne sich blindlings in sie zu verlieben?«

»Meine Gedanken,« versetzte Alice, »gehören mir an, und wenn mein leibliches Auge für die Gegenstände, die mich umgeben, geschlossen ist, so kann es sein, daß ich mit größerer Sicherheit in die Zukunft blicke. Seid Ihr dazu vorbereitet, den untersten Platz an der Tafel einzunehmen, die sonst Eures Vaters war, gegen Euren Willen, als ein Verwandter des stolzen Nachfolgers Eures Vaters? – Wollt Ihr von seiner Gnade leben – ihn auf dem Wege der Schliche und Ränke begleiten, die Euch Niemand besser ausdeuten kann – die Knochen seines Raubes nagen, wenn er den bessern Theil verzehrt hat? – Könnt Ihr sprechen wie Sir William Ashton spricht – denken, wie er denkt – urtheilen, wie er urtheilt – und könnt Ihr Eures Vaters Mörder Euren verehrungswürdigen Schwiegervater und geschätzten Beschützer nennen? – Herr von Ravenswood, ich bin die älteste Dienerin Eures Hauses und ich wollte Euch lieber im Leichentuch und im Sarge sehen!«

Die Unruhe in Ravenswoods Innerem war ungewöhnlich groß; die Alte schlug an eine Saite, die er eine Zeit lang mit Erfolg in Ruhe gelassen hatte. Hastig schritt er den kleinen Garten auf und ab, und als er endlich inne hielt, und sich Alicen gerade gegenüber stellte, rief er aus: »Weib, wagt Ihr es am Rande des Grabes, den Sohn Eures Herrn zu blutiger Rache anzuspornen?«

»Gott verhüte es!« sagte Alice feierlich, »und darum möchte ich, daß Ihr dieses verhängnißvolle Bereich verließet, wo Eure Liebe sowohl als Euer Haß Euch selbst und Andere mit Unheil, wenigstens mit Unehre bedroht. Vermöchte es diese dürre Hand, ich würde die Ashtons vor Euch und Euch vor ihnen und beide vor ihren eigenen Leidenschaften schützen. Ihr könnt und dürft nichts mit ihnen gemein haben. – Weg darum mit ihnen, und wenn Gott Rache verhängt hat über das Haus des Unterdrückers, seid Ihr wenigstens nicht das Werkzeug.«

»Ich will es nicht vergessen, was Ihr gesagt habt, Alice,« sagte Ravenswood gefaßter. »Ich glaube, daß Ihr es treu und redlich mit mir meinet, doch Ihr treibt die Freiheit einer ehemaligen Dienerin etwas zu weit. Indeß lebt wohl, und wenn mir der Himmel die Mittel verleiht, dann will ich's an Eurer Unterstützung nicht fehlen lassen.«

Er versuchte es, ihr ein Goldstück in die Hand zu drücken, doch sie weigerte sich, es anzunehmen, und als er sich bemühte, es ihr aufzudringen, fiel es zur Erde.

»Laßt es einen Augenblick auf dem Boden,« sagte Alice, als Ravenswood sich bückte, es aufzuheben, »und glaubet mir, daß dieses Goldstück ein Sinnbild von derjenigen ist, die Ihr liebet, sie hat Goldes Werth, ich gestehe es, doch Ihr müßt Euch erniedrigen, ehe Ihr sie gewinnen könnt. Was mich anbelangt, ich habe so wenig mit Gold wie mit irdischen Leidenschaften zu thun, und die beste Neuigkeit, welche die Welt für mich haben könnte, wäre die, Edgar Ravenswood auf hundert Meilen von dem Stammsitze seiner Ahnen entfernt zu wissen und entschlossen, nie mehr dahin zurückzukehren.«

»Alice,« sagte Ravenswood, der zu vermuthen begann, daß diesem Eifer der Alten eine Ursache zu Grunde liege, die von dem gegenwärtigen, zufälligen Besuche unabhängig sei, »ich habe Euch von meiner Mutter wegen Eures Herzens, Eurer Einsicht und Eurer Treue rühmen hören, Ihr schaudert nicht thöricht vor Schatten zusammen, und Ihr fürchtet nicht alte abergläubische Sagen wie Caleb Balderstone; erzählt mir deutlich, worin Gefahr für mich liegt, wenn Ihr es wisset, daß ich von solcher bedroht bin. So viel ich mich kenne, so bin ich frei von allen Absichten auf Miß Ashton, wie Ihr sie mir zuschreibt. Ich habe ein nothwendiges Geschäft mit Sir William zu ordnen – ist dies berichtigt, reise ich ab, und wünsche so wenig, wie Ihr leicht glauben werdet, an einen Ort zurückzukehren, der voll trauriger Erinnerungen für mich ist, als Ihr es wünschet, mich hier zu wissen.«

Alice neigte ihr blindes Gesicht zur Erde, und blieb einige Augenblicke in Gedanken versunken. »Ich will die Wahrheit sprechen,« sagte sie, ihr Haupt erhebend, »ich will Euch die Quelle meiner Besorgnisse entdecken, ob Gutes oder Böses daraus entspringe. – Lucie Ashton liebt Euch, Lord von Ravenswood!«

»Es ist unmöglich,« sagte Edgar.

»Tausend Umstände haben mir es bewiesen,« versetzte die Blinde. »Ihre Gedanken waren mit keinem Anderen beschäftigt, seit Ihr sie vom Tode gerettet habt, und mein erfahrenes Urtheil hat dies aus ihrer eigenen Unterhaltung entnommen. Das was ich Euch hier gesagt habe, wird, wenn Ihr wirklich ein Edelmann und Eures Vaters Sohn seid, ein Beweggrund für Euch werden, ihre Gegenwart zu fliehen. Ihre Leidenschaft wird erlöschen wie eine Lampe, welcher der nährende Stoff mangelt, aber wenn Ihr hier verweilt, so ist ihr Verderben oder das Eurige oder das von euch Beiden die unvermeidliche Folge ihrer übelangebrachten Neigung. Ich sage Euch dies Geheimniß ungern, doch Eurer eigenen Erfahrung hätte es nicht lange verborgen bleiben können, und es ist besser, Ihr erfahrt es von mir. Reis't fort von hier, Herr von Ravenswood – Ihr kennt mein Geheimniß. Wenn Ihr eine Stunde unter Sir William Ashton's Dach bleibet, ohne den Vorsatz, seine Tochter zu heirathen, so seid Ihr ein Bösewicht – wenn Ihr aber den Vorsatz habt, in Familienverbindung mit ihm zu treten, so seid Ihr ein erbärmlicher, unverbesserlicher Thor.«

Dies gesagt, stieg die Blinde auf, nahm ihren Stab, ging langsam nach der Hütte, verriegelte die Thür, als sie über die Schwelle getreten war, und überließ Ravenswood seinen eigenen Ueberlegungen.

 


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