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Achtzehntes Kapitel.

Sir, bleibt daheim, hört eines Greises Rath:
Nicht wärmet Euch an eines Fremden Herd;
Denn unser Rauch ist wärmer als sein Feuer.
Gesund ist Hausmannskost, sei sie auch roh,
Doch fremde Leckereien sind süß Gift.

Die französische Buhlerin.

 

Der Herr von Ravenswood verließ seine Gäste, die sich zur Abreise anschickten, um seinerseits die nöthigen Voranstalten zu treffen, Wolf's Crag auf ein Paar Tage zu verlassen. Er mußte darüber mit Caleb sprechen, und er fand diesen treuen Diener in seinem rußigen und zerfallenen Loche höchlich erfreut über die Abreise der Gäste, und berechnend, wie lange bei kluger Sparsamkeit der noch vorhandene Vorrath zur Versorgung des Tisches seines Herrn ausreichen könne. »Er ist kein Vielfraß, das ist ein Glück, und Bucklaw ist fort, der ein Pferd aufgefressen haben würde und den Sattel obenein. Kresse oder Wasserportulak und ein Stück Haferbrod genügen dem Herrn zum Frühstück so gut wie Caleb. Dann für's Mittagessen – es ist nicht mehr viel am Spulbein; aber es wird sich rösten lassen – es wird sich sehr gut rösten lassen.«

Seine siegreichen Berechnungen wurden durch Ravenswood unterbrochen, der ihm nicht ohne einiges Zögern seinen Vorsatz mittheilte, mit dem Lord Keeper nach Ravenswood Castle zu reiten, und daselbst einige Tage zuzubringen.

»Der Himmel behüte Euch davor;« sagte der alte Diener, und wurde bleich wie das Tischtuch, das er eben zusammenlegte.

»Und warum, Caleb?« sagte sein Herr, »warum soll mich der Himmel behüten, den Besuch des Lord Keepers zu erwidern?«

»Ach, Sir!« versetzte Caleb. – »Ach, Mr. Edgar! ich bin Euer Diener, und es kommt mir nicht zu, zu reden – doch ich bin ein alter Diener – ich habe Eurem Vater und Großvater gedient, und ich erinnere mich, Lord Randal, Euren Urgroßvater gesehen zu haben – doch damals war ich nur ein Kind.«

»Und was wollt Ihr mit diesem Allem, Balderstone?« sagte der Herr, »was hat es möglicher Weise damit zu thun, wenn ich einem Nachbar eine Höflichkeit erwidere?«

»O! Mr. Edgar, d. h. Mylord!« versetzte der Hausmeister, »Euer eigenes Gewissen sagt Euch, daß es Eures Vaters Sohn nicht zukommt, Nachbarschaft mit diesen Leuten zu halten – es verträgt sich nicht mit der Ehre der Familie. Wenn er hierher gekommen wäre, sich mit Euch zu vergleichen, und Euch Euer Eigenthum herauszugeben, ja wenn er daran dächte, sein Haus durch eine Heirath mit Euch zu ehren, dann wollte ich nicht nein sagen, denn die junge Lady ist ein freundliches, gutes Geschöpf. – Doch seht Euch vor mit ihnen. – Ich kenne diese Art Menschen wohl – sie werden dann größer von Euch denken.«

»Seht, nun geht Ihr weiter als ich selbst, Caleb,« sagte der Herr, indem er hinter einem erzwungenen Lachen eine gewisse Betroffenheit verbarg; »Ihr wollt mich in eine Familie verheirathen, die zu besuchen Ihr mir nicht erlaubt – was ist das? – und dabei seht Ihr bleich aus wie der Tod.«

»O Sir,« begann Caleb wieder, »Ihr würdet nur lachen, wenn ich es sagte, aber Thomas der Reimer, dessen Zunge nicht log, sprach das Wort auf Euer Haus, das in gewisse Erfüllung gehen wird, wenn Ihr heute nach Ravenswood geht. – Ach, wenn ich's erleben müßte, es erfüllt zu sehen!«

»Und was ist es denn, Caleb?« sagte Ravenswood, der die Furcht des alten Dieners zu lindern wünschte.

Caleb antwortete, daß er diese Verse nie einem Sterblichen gesagt hätte, daß ihm dieselben von einem alten Priester, dem Beichtvater von Lord Allans Vater, zur Zeit, als die Familie katholisch gewesen sei, mitgetheilt worden wären. »Aber oft,« sprach er, »hab' ich die dunklen Worte mir selbst wiederholt, und damals dachte ich nicht daran, daß sie heute eintreffen würden.«

»Schweigt mit Eurem Unsinn, und sagt mir die dummen Verse, die Euch denselben in den Kopf gesetzt haben,« sagte Ravenswood unwillig.

Mit zitternder Stimme und schreckensbleichen Wangen stotterte Caleb folgende Verse:

Wenn der letzte Laird Ravenswood zu Ravenswood reit't ein,
Und wenn ein todt Fräulein sein Bräutchen wird sein;
In Kelpies Fluth wird er dann stallen sein Pferd,
Und auf immer verschwindet sein Nam' von der Erd'.

»Ich kenne die Kelpies Fluth wohl genug,« sagte Ravenswood, »ich glaube wenigstens, daß Ihr den Triebsand zwischen dem Thurm und Wolf's Hope meinet, doch wie ein Mann, der bei Sinnen ist, sein Pferd dort stallen könnte –«

»O grübelt nicht darüber nach, Sir, – Gott verhüt' es, daß wir den Sinn der Weissagung erfahren – aber darum bleibt zu Hause, und laßt die Fremden allein nach Ravenswood reiten. Wir haben genug für sie gethan, und mehr zu thun, würde der Familie eher zum Schaden als zum Nutzen gereichen.«

»Gut, Caleb,« sagte sein Herr, »ich gebe Euch die beste Zusicherung für Euren guten Rath, da ich aber nicht nach Ravenswood gehe, eine todte oder lebendige Braut zu suchen, so hoffe ich einen bessern Stall für mein Pferd zu finden, als den Kelpies Triebsand, zumal da ich denselben immer gefürchtet habe, seit die Dragonerpatrouille vor zehn Jahren darin umgekommen ist. Mein Vater und ich sahen es vom Thurme, wie sie gegen die herankommende Fluth kämpften, aber sie waren verloren, ehe man ihnen Hülfe reichen konnte.«

»Und sie hatten's wohl verdient, die südlichen Bengel,« sagte Caleb, »was hatten sie nöthig, auf unserem Sand herumzustreifen und ehrliche Leute zu hindern, ein Fäßchen Branntwein an's Ufer zu bringen? Ich habe sie das thun sehen, und ich hätte die alte Feldschlange gegen sie losgebrannt, hätte ich nicht gefürchtet, daß sie bei dem Schuß zerplatzen möchte.«

Calebs Kopf war nun völlig mit den Gewaltthätigkeiten der englischen Soldaten und Mauthner beschäftigt, so daß sein Herr keine große Mühe hatte, von ihm loszukommen, und sich seinen Gästen wieder zuzugesellen. Alles war nun zu ihrer Abreise bereit, und da einer von den Reitknechten des Lord Keepers das Pferd von Ravenswood gesattelt hatte, so stiegen sie im Hofe auf.

Caleb hatte mit vieler Mühe die Flügel des äußeren Thores geöffnet, und daselbst Stand gefaßt, indem er sich bestrebte, durch eine ehrerbietige und zugleich wichtige Miene, die er sich gab, in seiner hageren, abgezehrten und dünnen Person die Abwesenheit einer ganzen adeligen Körperschaft von Thürstehern, Wächtern und Livreebedienten zu ersetzen.

Der Lord Keeper erwiderte seine tiefe Verbeugung mit einem herzlichen Lebewohl, indem er sich vom Pferde bückte, und dem Kellermeister das Trinkgeld zusteckte, das zu jener Zeit immer von den abreisenden Gästen an die Dienerschaft der Familie, die sie bewirthet hatte, verabreicht zu werden pflegte. Lucie lächelte dem alten Manne mit ihrer gewöhnlichen Huld zu, sagte ihm Adieu, und gab ihm ihr Trinkgeld mit einer Anmuth, in Wort und That, die nicht verfehlt haben würde, das Herz des wackeren Empfängers zu gewinnen, wäre nicht Thomas der Reimer gewesen, und der glückliche Prozeß gegen seinen Herrn. So aber hätte er vielleicht gerne die Sprache des Herzogs in »Wie es Euch gefällt« nachgeahmt:

Du hätt'st mit dieser That mir mehr gefallen,
Hätt'st einen andern Vater du genannt.

Ravenswood ritt dicht bei der Lady, indem er ihr Muth einsprach, und ihr Pferd sorgsam den Felsenpfad, der zum Moore führte, hinunterleitete, als einer von den Dienern hinten meldete, daß Caleb ihnen laut nachschrie, und mit seinem Herrn zu sprechen verlange. Ravenswood fühlte, es würde sonderbar erscheinen, wenn er diese Aufforderung verachtete, obgleich er innerlich die ungelegene Dienstfertigkeit Calebs verwünschte; er war also genöthigt, den angenehmen Dienst, der ihn beschäftigte, dem Mr. Lockhard zu überlassen, und nach dem Hofthore zurückzureiten. Hier war er im Begriff, Caleb etwas mürrisch nach der Ursache seines Geschreies zu fragen, als der gute alte Mann ausrief: »Still, Sir! still, und laßt mich ein Wort sprechen, das ich vor den Leuten nicht sagen konnte – Hier (er legte in die Hand seines Herrn das Geld, das er eben erhalten hatte) sind drei Goldstücke, und Ihr werdet Geld dort nöthig haben – Nehmt und seid still! (denn Ravenswood wollte sich mit Worten der Annahme erwehren) – sagt kein Wort, aber laßt sie im ersten Orte, durch den Ihr reitet, wechseln, denn sie kommen frisch aus der Münze, und man kennt sie ein wenig.«

»Ihr vergesset, Caleb,« sagte sein Herr, indem er ihn zwang, das Geld zurückzunehmen, und seine Hand von dem Zügel zu lassen, »Ihr vergesset, daß ich noch einige Goldstücke im Besitz habe. Behaltet das für Euch selbst, mein alter Freund, und noch einmal lebt wohl. Ich versichere Euch, ich habe genug. Ihr wißt, Ihr habt hausgehalten, daß uns unser Leben wenig oder nichts kosten konnte.«

»Gut,« sagte Caleb, »dies mag Euch ein andermal dienen, doch seht, ob Ihr genug habt, denn zu Ehren der Familie muß den Dienern dort einige Artigkeit angethan werden, und Ihr müsset Etwas haben, um Schau damit zu machen, wenn sie zu Euch sagen: »Herr, wollt Ihr einen Jakobus wetten?« Dann müßt Ihr Eure Börse herausziehen und sagen: »warum soll ich nicht wollen?« Aber sorgt dafür, die Bedingungen der Wette nicht anzunehmen, und steckt Euere Börse wieder zu Euch, und –«

»Das ist unerträglich, Caleb – ich sollte wahrhaftig schon davon sein.«

»Und Ihr wollt also gehen?« sagte Caleb, seines Herrn Mantel loslassend, und seine didaktische Weise mit einer pathetisch-klagenden wechselnd – »Und Ihr wollt also gehen, trotz Allem, was ich Euch von der Prophezeihung, und der todten Braut, und dem Kelpiestriebsand gesagt habe? – Wohlan! ein Mann, der will, muß seinen Weg haben. Aber schont Eures Lebens, wenn Ihr auf Vogelstellen oder auf der Jagd in den Park kommt – trinkt nicht aus dem Brunnen des Wasserweibchens – – Fort ist er! wie ein Pfeil fliegt er den Pfad hinunter hinter ihr drein! – Der Kopf ist heutiges Tages von der Familie Ravenswood so rein weggenommen, wie ich ihn von einer Zwiebel wegreiße!«

Der alte Kellermeister sah seinem Herrn lange nach, und wischte sich häufig das Wasser ab, das in seine Augen trat, damit er so lange als möglich die kräftige Gestalt desselben unter den Reitern herausfinden könnte. »Dicht bei dem Zügel ihres Pferdes – ganz dicht dabei! – O weislich sagt der heilige Mann: Daran auch sollt Ihr erkennen, daß das Weib Gewalt hat über alle Männer – ohne dies Weibsbild würde unser Verderben nicht erfüllt geworden sein.«

Mit einem Herzen, das voll solcher trüben Ahnungen war, kehrte Caleb zu seinen nothwendigen Geschäften zurück, sobald er den Gegenstand seiner Beklommenheit aus der Gruppe der Reiter, die immer undeutlicher wurde, nicht mehr herauszufinden vermochte.

Unterdessen setzte die Gesellschaft ihre Reise fröhlich fort. Der Herr von Ravenswood, nachdem er einmal seinen Vorsatz gefaßt hatte, war nicht von dem Charakter, darin zu zögern oder nachzulassen. Er überließ sich dem Vergnügen, das er in der Gesellschaft von Miß Ashton fühlte, und zeigte eine lebhafte Artigkeit, die so nahe an Fröhlichkeit gränzte, als seine Gemüthsart und seine Familienverhältnisse es erlaubten. Der Lord Keeper wurde von seinen gründlichen Beobachtungen, und von den aus seinen Studien geschöpften Bemerkungen überrascht. Sir William Ashton war vermöge seines Standes und seines Umgangs ein vortrefflicher Beurtheiler dieser hohen Eigenschaften; auch wußte er sehr wohl eine Eigenschaft zu schätzen, die ihm selbst gänzlich fehlte, nämlich die kurze und feste Entschlossenheit in dem Charakter des Herrn von Ravenswood, dem Zweifel sowohl als Furcht unbekannt waren. Er freute sich darum in seinem Herzen, einen so furchtbaren Gegner versöhnt zu haben, während er mit einer Mischung von Freude und Angst an die großen Dinge dachte, die sein junger Gefährte ausführen würde, wenn der Wind der Hofgunst einmal seine Segel schwellte.

»Was könnte sie wünschen,« dachte er, da seine Gedanken immer mit dem Widerstand beschäftigt waren, den Lady Ashton seinem jetzt vorherrschenden Wunsche entgegensetzen würde – »Was könnte ein Weib bei einer Heirath mehr wünschen, als die Niederschlagung eines sehr gefährlichen Anspruches und die Verwandtschaft mit einem edlen, braven, reichbegabten, hochbefreundeten Schwiegersohne, der gewiß flott werden muß, wenn die Fluth herankommt, der darin stark ist, worin wir schwach sind, nämlich an Abkunft und an kriegerischem Sinn? – Gewiß, kein vernünftiges Weib würde zögern. – Aber ach! – »Hier wurde seine Ueberlegung durch die Erwägung aufgehalten, daß Lady Ashton im wahren Sinne des Worts nicht immer vernünftig wäre. «Irgend einen bäuerischen Laird des Landes Merse dem glänzenden jungen Edelmanne, und dem durch gütlichen Vergleich gesicherten Besitze von Ravenswood vorzuziehen – es wäre die Handlung einer Närrin!«

Der alte Staatsmann stellte solche Ueberlegungen an, bis sie endlich Bittlebrains House erreichten, wo, wie es zum Voraus ausgemacht worden war, man zu Mittag essen und sich ausruhen wollte, um den Nachmittag die Reise weiter fortzusetzen.

Sie wurden auf die glänzendste Weise empfangen, und besonders war es der Herr von Ravenswood, der von den edlen Wirthen mit der größten Auszeichnung behandelt wurde. Der Grund davon war, daß Lord Bittlebrains die Pairwürde auf eine etwas zweideutige Art erhalten hatte, indem er sich durch eine abgenützte und gewöhnliche Beredsamkeit den Ruf eines verständigen Mannes verschaffte, den Wechselfällen der Zeit eine sorgfältige Beobachtung widmete, und gewisse politische Dienste denen leistete, von denen er die beste Wiedererstattung zu erhalten hoffte. Seine Gattin und er fühlten sich in ihrem neuen Range, an den sie nicht gewöhnt worden waren, nicht sehr heimisch, und darum bestrebten sie sich, ein freundliches Gesicht von denen zu gewinnen, die auf der Höhe geboren waren, zu der man sie selbst aus einem tieferen Kreise erhoben hatte. Die außerordentliche Aufmerksamkeit, die sie dem Herrn von Ravenswood schenkten, erhöhte die Wichtigkeit desselben in den Augen des Lord Keeper, der, obwohl er eine ziemlich geringe Meinung im Allgemeinen von Lord Bittlebrains hatte, die Richtigkeit seines Urtheils in Allem, was äußeren Vortheil betraf, auf's Höchste schätzte.

»Ich wünsche, Lady Ashton hätte das gesehen,« war seine stille Bemerkung; »kein Mensch weiß so gut, wie Bittlebrains, auf welcher Seite sein Brod mit Butter bestrichen ist, und er schmiegt sich vor Ravenswood, wie ein Bettler vor einem Koch. Und nun gar die Dame, die ihre kurzgestirnten Töchter am Clavier aufweiset und plärren läßt, als wollte sie sagen: Wähle und nimm! Sie können sich so wenig mit Lucien vergleichen, wie die Eule mit dem Schwan, und so mögen sie ihre dicken, schwarzen Augenbrauen anderswo zu Markte tragen.«

Nach Beendigung des Mahles stiegen unsere Reisenden, die den längeren Theil des Weges noch vor sich hatten, wieder zu Pferde, und als der Lord Keeper, Ravenswood und die Diener den Steigbügelbecher, der je nach dem Range des Trinkers ein anderes geistiges Getränk enthielt, genossen hatten, setzte sich die Reitergesellschaft wieder in Bewegung.

Es war schon dunkel, als sie die Allee von Ravenswood Castle erreichten, eine lange, gerade Straße, die zu der Vorderseite des Hauses führte, und rechts und links mit hohen Ulmen besetzt war, die in dem Nachtwinde seufzten, als wenn sie den Erben ihrer alten Eigenthümer beklagten, der jetzt in der Gesellschaft und fast im Gefolge ihres neuen Herrn in ihren Schatten zurückkehrte. Gefühle ähnlicher Art erfüllten die Seele von Ravenswood. Er wurde nach und nach stiller, und blieb hinter der Lady zurück, an deren Seite er bis jetzt so dienstbeflissen geritten war. Er erinnerte sich genau der Zeit, wo er zu derselben Abendstunde seinen Vater begleitet hatte, als dieser Edelmann die Wohnung, von der er Namen und Titel herleitete, verließ, um nie mehr dahin zurückzukehren. Die ansehnliche Vorderseite des alten Schlosses, auf das er, wie er sich erinnerte, oft zurückgeblickt hatte, war damals dunkel, wie ein Trauerkleid gewesen. Die nämliche Vorderseite schimmerte jetzt von einer Menge Lichter, von denen einige unverrückt ihre Strahlen in die dunkle Nacht hinaussandten, während andere von einem Fenster zum anderen eilten, und das Leben und die Geschäftigkeit ankündigten, welche die durch einen voraus geschickten Boten gemeldete Ankunft der Herrschaft verursachte. Dieser Contrast drückte so schwer auf das Herz von Ravenswood, daß er die härteren Gefühle, womit derselbe gewohnt war, den neuen Besitzer seines väterlichen Erbes zu betrachten, zum Theil wieder erweckte, und seinen Zügen den Ausdruck finsterer Strenge verlieh, als er, nachdem er vom Pferd gestiegen, in der Halle stand, die nicht mehr sein war, umgeben von den zahlreichen Dienern des jetzigen Besitzers.

Der Lord Keeper bemerkte diese Veränderung, als er gerade im Begriffe war, seinen Gast mit der Herzlichkeit zu begrüßen, die ihrem letzten guten Vernehmen angemessen schien; er hielt also in seinem Vorsatze inne, und empfing seinen Gast nur mit einer tiefen Verbeugung, indem er so die Gefühle desselben, die sich auf seiner Stirne ausdrückten, mit Zartheit zu theilen schien.

Zwei Oberbediente, von denen jeder ein Paar große, silberne Leuchter trug, führten nun die Gesellschaft in einen großen Saal oder Nebenzimmer, wo die neuen Veränderungen Ravenswood einen Begriff von dem Reichthum der jetzigen Bewohner des Schlosses gaben. Die modernde Tapete, die zu seines Vaters Zeit die Wände dieses ansehnlichen Zimmers halb bedeckte, und halb in Fetzen von denselben herabhing, war einem vollständigen Getäfel gewichen, dessen Kranzleisten sowohl als Einfassungen mit Blumenkränzen und Vögeln verziert waren, welche letztere mit solcher Kunst in Eichenholz geschnitzt waren, so daß es schien, als schwellten sie ihre Kehlen, und als schwängen sie ihre Flügel. Verschiedene alte Familienbilder gewappneter Helden des Hauses Ravenswood mit einigen alten Rüstungen und Kriegswaffen hatten den Bildern von König Wilhelm und Königin Maria, von Sir Thomas Hope und Lord Stair, zwei berühmten, schottischen Rechtsgelehrten, Platz gemacht. Auch sah man die Bilder von des Lord Keepers Vater und Mutter; die letztere sauer, zänkisch, steif, mit einer schwarzen Haube mit engen Flügeln, ein Gebetbuch in der Hand haltend – der erstere, unter einer schwarzseidenen Mönchskappe, die dicht an den Schädel schloß, als wäre derselbe geschoren gewesen, zeigte ein geiziges, mürrisches Puritanergesicht, das in einem dünnen, röthlichen Bart endigte, also daß das Ganze ein Gesicht darstellte, worin sich Scheinheiligkeit mit Geiz und Schurkerei stritten. Und um solchen Vogelscheuchen Raum zu machen, dachte Ravenswood, wurden meine Ahnen von den Wänden gerissen, die sie errichtet hatten! Er blickte noch einmal auf die Bilder, und, während er dies that, schien die Vorstellung von Lucie Ashton (denn sie war nicht mit in das Zimmer getreten) weniger Eindruck auf seine Einbildung zu machen. Auch waren zwei oder drei holländische Possen, wie man die Gemälde von Ostade und Teniers damals nannte, mit einem guten Bild der italienischen Schule zu sehen. Ueberdies waren noch da in Lebensgröße der Lord Keeper in seiner Amtstracht und daneben seine Gemahlin in Seide und Hermelin, eine stolze Schönheit, die in ihren Blicken den ganzen Stolz des Hauses Douglas, von dem sie abstammte, zeigte. Der Maler war, sei es, daß er der Wahrheit wich, oder daß er einer geheimen Laune nachgab, ungeachtet seiner Geschicklichkeit nicht fähig gewesen, auf der Leinwand dem Gemahl den würdevollen und gebietenden Ausdruck zu geben, der den vollen Besitz häuslicher Herrschaft bezeuget. Auf den ersten Blick fiel es in die Augen, daß der Lord Keeper trotz Ehrenzeichen und goldnen Quasten unter der Herrschaft seiner Frau stand. Der Fußboden dieses schönen Saals war mit reichen Teppichen belegt, ein großes Feuer brannte in zwei Kaminen, und zehn silberne Wandleuchter, die in ihren hellen Spiegeln das Licht, das sie trugen, zurückstrahlten, verbreiteten über das Ganze eine Tagesklarheit.

»Wollt Ihr irgend eine Erfrischung nehmen, Herr?« sagte Sir William Ashton zu Ravenswood, in der Absicht, das lästige Schweigen zu brechen.

Er erhielt keine Antwort, denn sein Gast war so eifrig mit der Betrachtung der Veränderungen, die der Raum erfahren hatte, beschäftigt, daß er die Anrede des Lord Keepers kaum hörte. Ein wiederholtes Anerbieten von Erfrischungen mit dem Zusatze, »daß das Familienmahl bald bereit sein würde,« brachte Ravenswood zur Besinnung, und erinnerte ihn, daß es schwach, vielleicht sogar lächerlich scheinen könne, wenn er sich von den Gegenständen, die ihn umgäben, hinreißen ließe. Er zwang sich darum, mit Sir William Ashton die Unterhaltung anzuknüpfen, indem er so viel Gleichmuth zeigte, als ihm zu Gebote stand.

»Es wird Euch nicht befremden, Sir William, daß ich an den Veränderungen Theil nehme, die Ihr zur Verschönerung dieses Saals gemacht habt. Zu meines Vaters Zeit, nachdem ihn unsere Unfälle gezwungen hatten, eingeschränkt zu leben, wurde er wenig gebraucht, und es war mein Spielplatz, wenn mir das Wetter nicht erlaubte, in's Freie zu gehen. In dieser Nische war meine kleine Werkstatt, wo ich die wenigen Zimmermannswerkzeuge verwahrte, die mir Caleb gab, indem er mich ihren Gebrauch lehrte – dort in jener Ecke waren meine Angelruthen, Jagdstangen, Bogen und Pfeile.«

»Ich habe einen jungen Springinsfeld,« sagte der Lord Keeper, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »der die nämliche Neigung hat – er ist nicht glücklich, außer im Freien – mich wunderts, daß er nicht hier ist – hier, Lockhard – schickt William Shaw nach Mr. Heinrich – er wird wohl, wie gewöhnlich, an Luciens Schürze hangen – das närrische Mädchen zieht die ganze Familie nach ihrem Belieben hinter sich drein.«

Selbst durch diese absichtlich gethane Erwähnung seiner Tochter, zog der Lord Keeper Ravenswood nicht von seiner eigenen Betrachtung ab.

»Wir mußten,« sagte er, »in diesem Gemache einige Rüstungen und Bilder zurücklassen – darf ich fragen, wohin sie gekommen sind?«

»Hm!« antwortete der Lord Keeper etwas zögernd, »das Zimmer wurde in unserer Abwesenheit ausgebessert, und cedant arma togae ist, wißt Ihr, der Grundsatz der Juristen, und derselbe ist hier, fürcht' ich, zu buchstäblich angewendet worden. Ich hoffe, ich glaube, daß sie erhalten sind. – Gewiß ist, daß ich Befehl gegeben habe. – Darf ich hoffen, daß, wenn man sie entdeckt, und in Ordnung gebracht haben wird, Ihr mir die Ehre anthun werdet, sie von mir als eine Vergütung ihrer zufälligen Verschleuderung anzunehmen?«

Ravenswood machte eine steife Verbeugung, und begann mit gekreuzten Armen von Neuem das Gemach zu prüfen.

Heinrich, ein verzogener Knabe von fünfzehn Jahren, sprang in das Zimmer, und lief auf seinen Vater zu. »Denk' einmal Lucie, Papa, sie ist nach Haus gekommen so mürrisch und verdrießlich, daß sie nicht einmal mit mir in den Stall hinunter will, mein neues Pferdchen zu sehen, das Bob Wilson mitgebracht hat von Galloway.«

»Ich denke, es war sehr unvernünftig von dir, es von ihr zu verlangen.«

»Dann seid Ihr so verdrießlich, wie sie,« antwortete der Knabe; »aber wenn die Mama zurückkommt, wird sie euch beiden auf die Finger klopfen.«

»Schweig' mit deinen Ungebührlichkeiten, naseweises Bürschchen!« sagte sein Vater; »wo ist dein Hofmeister?«

»Er ist nach Dunbar auf die Hochzeit gegangen – ich glaube, er wird eine Haggiswurst zum Mittagessen haben;« und er begann das alte schottische Lied zu fingen:

Es war eine Wurst in Dunbar.
Fall de ral u. s. w.

»Ich bin Mr. Cordery für seine Aufmerksamkeit verbunden,« sagte der Lord Keeper; »und wer hat während seiner Abwesenheit seine Stelle vertreten, Mr. Heinrich?«

»Norman und Bob Wilson – und ich selbst.«

»Ein Förster, ein Reitknecht und dein eigenes dummes Ich – fürwahr das sind geeignete Führer für einen jungen Advokaten! – Nun, du wirst nie andere Statuten kennen lernen, als die gegen das Schießen von Rothwild, das Tödten von Lachten und –«

»Um von Rothwild zu reden,« sagte der junge Wildfang, seinem Vater ohne Bedenken in's Wort fallend, »Norman hat einen Hirschbock geschossen, und ich habe Lucien das Geweih gezeigt, und sie sagte, es habe nur acht Enden, und sie sagt, gestern sei mit Lord Bittlebrains Hunden einer erlegt worden, der habe zehn Enden gehabt – ist es wahr?«

»Er kann zwanzig gehabt haben, Heinrich, was weiß ich; doch wenn du dich an diesen Herrn wendest, er kann dir Alles darüber sagen. – Geh, sprich mit ihm, Heinrich – es ist der Herr von Ravenswood.«

Während dieses Gesprächs standen der Vater und Sohn bei dem Feuer, und Ravenswood, der bis an's andere Ende des Saals gewandert war, kehrte ihnen den Rücken zu, und schien in die Betrachtung eines Gemäldes vertieft. Der Knabe sprang auf ihn zu, und sagte, indem er ihn mit der Freiheit eines verzogenen Kindes beim Saum seines Kleides zupfte: »Ich sage, Sir – wenn es Euch gefällt, mich anzuhören – –« Doch als sich Ravenswood umkehrte, und Heinrich sein Gesicht sah, wurde er auf einmal gänzlich verwirrt – er trat zwei, drei Schritte zurück, und sah auf Ravenswood mit einer Miene von Furcht und Staunen, die seinem Gesichte den gewöhnlichen Ausdruck von vorlauter Keckheit gänzlich benahm.

»Kommt zu mir, junger Herr,« sagte Ravenswood, »und ich will Euch Alles sagen, was ich von der Jagd weiß.«

»Geh' zu dem Herrn, Heinrich,« sagte sein Vater; »du bist ja sonst nicht so blöde.«

Doch weder die Einladung noch die Ermunterung wirkte auf den Knaben. Im Gegentheil, als er Ravenswood genug betrachtet hatte, drehte er sich um, und indem er so behutsam auftrat, als wenn er auf Eiern ginge, schlich er sich zu seinem Vater zurück, und drängte sich so nahe als möglich an denselben.

Ravenswood, um das Gespräch des Vaters und des verzogenen Knaben nicht zu hören, hielt es für's Anständigste, sein Gesicht noch einmal dem Gemälde zuzukehren, und ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken.

»Warum sprichst du nicht mit dem Herrn, alberner Knabe?« sagte der Lord Keeper.

»Ich fürchte mich,« sagte Heinrich leise.

»Fürchten, Hase!« sagte sein Vater, indem er ihn sanft beim Kragen schüttelte. – »Warum fürchtest du dich?«

»Warum gleicht er auch so dem Bilde von Sir Malise Ravenswood?« sagte der Knabe flüsternd.

»Welchem Bilde, Narr?« sagte sein Vater. »Bisher habe ich dich bloß für einen Wildfang gehalten; aber es scheint, du willst ein wahrer Einfaltspinsel werden.«

»Ich sage Euch, es ist das Bild von dem alten Malise von Ravenswood, und er sieht demselben so ähnlich, als wäre er aus der Leinwand herausgesprungen; es ist oben in der alten Baronenhalle, wo die Mägde die Tücher waschen, und es hat eine Rüstung und kein Kleid, wie der Herr – und er hat keinen Bart und Schnurrbart, wie das Bild – und es hat was Anderes um den Hals und kein Kragenband wie er – und – –«

»Und warum soll der Herr seinen Vorfahren nicht ähneln, alberner Junge?« sagte der Lord Keeper.

»Ja; aber wenn er gekommen ist, uns aus dem Schloß zu verjagen,« sagte der Knabe, »und wenn er zwanzig verkleidete Männer bei sich hat – und wenn er mit einer hohlen Stimme sagt: ich ersehe meine Zeit – und wenn er Euch am Herd todt schlägt, wie Malise es dem andern Mann gemacht hat, von dem man das Blut immer noch sieht!«

»Still! das ist Unsinn!« sagte der Lord Keeper, den es nicht sehr erlustigte, diese unangenehmen Zusammenstellungen anhören zu müssen. – »Herr von Ravenswood, hier kommt Lockhard, uns zu sagen, daß das Abendessen aufgetragen ist.«

Und in demselben Augenblicke trat Lucie, die seit ihrer Ankunft ihren Anzug gewechselt hatte, zu einer anderen Thüre herein. Die ausgezeichnet zarte Schönheit ihres Gesichtes, das jetzt nur von blonden Locken beschattet wurde, die sylphenartige Gestalt, die des schweren Reitkleids entledigt, nun in himmelblaue Seide gehüllt war, die Anmuth ihrer Bewegungen und ihres Lächelns verjagten mit einer Schnelligkeit, die den Herrn von Ravenswood selbst in Erstaunen setzte, alle düsteren und unfreundlichen Gedanken, die sein Inneres eine Zeit lang umwölkt hatten. In diesen einfachen, kindlichen Zügen konnte er keine Verwandtschaft lesen, weder mit dem Gesicht des filzigen, dünnbärtigen Puritaners und der steifen, verschrumpften Gemahlin desselben, noch mit dem des hochgelahrten Lord Keepers und dessen hochmüthiger Gemahlin; Lucie Ashton erschien ihm ein zur Erde herabgestiegener Engel, der nichts gemein hat mit den elenden Sterblichen, in deren Mitte er für einige Zeit seine Wohnstätte nimmt. Das ist die Macht der Schönheit über ein jugendliches, schwärmerisches Gemüth.

 


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