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Drittes Kapitel.

Verhüt' es Gott, der König sprach,
Daß du nach mir je zielest.

William Bell, Clim o'the Cleugh, etc.

 

Den Morgen nach dem Begräbniß beeilte sich der Beamte, dessen Ansehen unzureichend war, die Leichenfeierlichkeiten des Lords von Ravenswood zu verhindern, dem Keeper den Widerstand zu berichten, den er bei Ausübung seiner Pflicht gefunden habe.

Der Staatsmann saß in einer geräumigen Bibliothek, dem vormaligen Gelagsaal des alten Schlosses Ravenswood, wie man aus den Wappenbildern der geschnitzten Decke, aus den gemalten Fenstern, die ein mildes, doch helles Licht zuließen, und aus der langen Reihe von Bänken abnehmen konnte, die sich unter dem Gewicht juristischer Kommentatoren und mönchischer Historiker bogen, deren gewichtige Bände die größte und beste Sammlung für einen schottischen Historiker dieser Periode ausmachten. Auf einem starken Tische von Eichenholz und auf dem Schreibpult lagen eine Menge Briefe, Bittschriften und Pergamente durcheinander, unter denen zu arbeiten die Freude und die Plage von Sir William Ashtons Leben war. Seine Erscheinung war ernst, ja würdevoll, einem hohen Staatsbeamten wohl anstehend, und erst nach einer langen und vertrauten Unterhaltung mit ihm über dringende und ihn selbst angehende Sachen konnte ein Fremder etwas Ungewisses und Schwankendes in seinen Entschließungen entdecken; aber diese Willensschwäche, die in einem scheuen und schüchternen Gemüthe ihren Grund hatte, suchte er, obgleich er sich ihres inneren Einflusses bewußt war, aus Eitelkeit sowohl als Politik vor Anderen ängstlich zu verbergen.

Er hörte mit vieler äußerlichen Ruhe auf den übertriebenen Bericht von dem bei dem Begräbniß stattgehabten tumultuarischen Auftritt, wo seine eigene Autorität, so wie die der Kirche und des Staats mißkannt worden waren; auch schien er nicht betroffen über den getreuen Bericht der von Ravenswood und Anderen geführten beleidigenden, drohenden und offen gegen ihn gerichteten Reden. Eben so hörte er von den Toasten und Drohungen, die bei dem Leichenschmause ausgebracht waren, und die der Beamte, wie natürlich, entstellt und übertrieben erfahren hatte. Am Ende notirte er sorgsam alle diese Einzelheiten und die Namen der Personen, durch welche im vorkommenden Fall eine auf diese Tumultscene gestützte Anklage bekräftigt und gutgeheißen werden konnte, und er entließ seinen Berichterstatter, versichert, daß er nun Herr sei über den Rest der Glücksgüter, ja selbst über die persönliche Freiheit des jungen Ravenswood.

Als sich die Thüre hinter dem Beamten zugethan hatte, blieb Lord Keeper einen Augenblick im Nachsinnen versunken; dann sprang er von seinem Sitze auf, und durchschritt das Gemach wie Einer, der einen plötzlichen, energischen Entschluß ergriffen hat. Der junge Ravenswood, murmelte er, ist nun mein – er ist mein eigen – er hat sich selbst in meine Hand gegeben, und er soll sich biegen oder brechen. Ich habe das halsstarrige, hartnäckige Wesen nicht vergessen, womit sein Vater jeden Punkt bis zum letzten verfocht, jedem Versuch zum Vergleich widerstand, mich in Prozesse verwickelte, und meinen Charakter anzugreifen unternahm, nachdem er mein Recht nicht umstürzen konnte. Der Knabe, den er nachgelassen – dieser Edgar – dieser hitzköpfige, unbesonnene Thor – hat sein Schiff zerschmettert, ehe es den Hafen verlassen hat. Ich muß dafür sorgen, daß er keine günstige Veränderung benutze, um wieder flott zu werden. Diese Notizen, in einem geziemenden Bericht an den geheimen Rath gebracht, können nur einen erschwerten Aufstand darthun, durch welchen das Ansehen des Staats und der Kirche zugleich bedroht war. Eine schwere Strafe muß erfolgen; ein Befehl, ihn in Edinburghoder Blackneß Castle einzusperren, scheint nicht unangemessen; selbst eine Klage auf Hochverrath möchte auf diese Worte und Ausdrücke gegründet werden, doch Gott verhüte, daß ich die Sache so weit treibe. Nein, das will ich nicht; ich will sein Leben nicht antasten, stünde es auch in meiner Gewalt; und doch, wenn er die Veränderung des heutigen Zustandes erlebt, was ist die Folge? – Wiedererstattung, vielleicht Rache? Ich weiß, daß Athole dem alten Ravenswood seinen Schutz anbot, und hier ist sein Sohn, der durch seinen Einfluß schon Rotten und Verschwörungen in's Leben ruft. Was für ein bereitwilliges Werkzeug würde er für alle diejenigen sein, die auf den Sturz unserer Verwaltung harren!

Während diese Gedanken das Innere des verschmitzten Staatsmannes erfüllten, und während er sich überredete, daß sein eigenes Heil, so wie das seiner Freunde und seiner Partei davon abhinge, daß er den gegenwärtigen Vortheil ernstlich gegen den jungen Ravenswood benutze, setzte sich Lord Keeper an sein Pult, und begann für den geheimen Rath eine Berichterstattung über die Unordnungen, welche unter Verachtung seines Befehls bei dem Begräbniß von Lord Ravenswood stattgefunden hatten, zu entwerfen. Die Namen der meisten Betheiligten mußten, wie der Vorfall selbst, übel in dem Ohre seiner Collegen klingen, und, wie er leicht voraussah, dieselben aufgelegt machen, wenigstens in terrorem ein Exempel an dem jungen Ravenswood zu statuiren.

Es war indeß ein kitzlicher Punkt, solche Ausdrücke zu wählen, die des jungen Mannes Schuld andeuteten, ohne diese Absicht allzudeutlich zu verrathen, was von Seiten des Sir William Ashton, dem Feinde des alten Ravenswood, gehässig hätte erscheinen können. Während er mit der Abfassung beschäftigt war, und nach Worten suchte, Edgar Ravenswood als den hauptsächlichsten Aufruhrstifter zu bezeichnen, ohne ihn ausdrücklich also zu nennen, warf er in einer Zwischenpause zufällig den Blick nach oben, und sah da auf einem der Tragbalken, auf denen die gewölbte Decke ruhte, das geschnitzte Wappenbild der Familie, für deren Erben er seine Pfeile schnitzte und seine juristischen Netze stellte. Es war ein schwarzer Stierkopf mit dem Spruche: »ich erharre meine Zeit«, und der Vorfall, der seine Annahme veranlaßt hatte, vermischte sich seltsam und lebendig mit den gegenwärtigen Betrachtungen von Sir William.

Eine gangbare Sage erzählte, daß ein Malisius von Ravenswood im dreizehnten Jahrhundert durch einen mächtigen Eindringling seiner Burg und seines Landes beraubt worden sei, und daß der letztere sich eine Zeit lang ungestört seines Raubes erfreut habe. Am Ende, bei Gelegenheit eines Schmauses, stahl sich Ravenswood, der seinen Zeitpunkt ausersehen hatte, mit einer kleinen Anzahl getreuer Anhänger in das Schloß. Die Gäste erwarteten mit Ungeduld den Beginn des Mahles, und der derzeitige Herr des Schlosses forderte es mit lauter Stimme. Ravenswood, der bei dieser Gelegenheit die Rolle des Tafelmeisters übernommen hatte, antwortete mit rauher Stimme: »ich erharre meine Zeit,« und in dem nämlichen Augenblicke wurde ein Stierkopf, das alte Sinnbild des Todes, aufgetragen. Auf dies Zeichen brach die Verschwörung aus, und der unrechtmäßige Besitzer wurde nebst seinem Anhang niedergemacht. Vielleicht war etwas in dieser bekannten Sage, was das Gewissen des Lord Keeper scharf berührte: denn, nachdem er das Blatt, worauf er seinen Bericht angefangen, weggelegt, und die aufgenommenen Notizen in ein Schreibfach verschlossen hatte, verließ er das Zimmer, gleichsam als wolle er seine Gedanken sammeln, und die Folgen des Schrittes, den er unternehmen wolle, zuvor bedenken, ehe es zu spät wäre.

Als er das geräumige gothische Vorzimmer durchschritt, hörte er die Töne von seiner Tochter Laute. Die Musik, wenn wir die Spieler nicht sehen, erfüllt uns mit Freude und Staunen, und erinnert uns an das Concert der Vögel in grünen Gebüschen. Der Staatsmann, der sich so einfachen und natürlichen Gefühlen nicht hinzugeben pflegte, war doch immer Mann und Vater. Er blieb stehen, und horchte, während die Silberstimme von Lucie Ashton eine alte Weise begleitete, welcher ein Unbekannter folgende Worte unterlegt hatte:

Mußt dich nicht an Schönheit weiden, –
Ruhig bleib', wenn Kön'ge streiten,
Trink' nicht, perlt der Wein im Becher, –
Vor dem Volke sei kein Sprecher. –
Schließ' dein Ohr vor dem Gesange, –
Nicht nach Gold dein Finger lange, –
Halt' Herz, Aug' und Hände zu, –
Leb' gemach, und stirb in Ruh'.

Die Töne schwiegen, und Keeper trat in's Zimmer seiner Tochter.

Die von ihr gewählten Worte schienen sehr auf ihren Charakter zu passen; denn Luciens ausgezeichnet schöne, doch etwas zu weiche Züge waren gemacht, Seelenruhe, Heiterkeit und Verachtung des weltlichen Flitters auszudrücken. Ihre dunklen Goldlocken umzogen die glänzend weiße Stirne, wie gedämpfter Sonnenschein einen Schneehügel. Der Ausdruck ihres Gesichts war höchst freundlich, sanft, schüchtern und zärtlich, und schien ein fremdes Auge eher zu scheuen, als dessen Bewunderung zu suchen. Es war etwas Madonnenartiges darin, was vielleicht ihrer zarten Gesundheit und dem Aufenthalt in einer Familie zuzuschreiben war, deren Glieder stolzer, lebendiger und thatkräftiger waren als sie.

Indeß ihre Gemüthsruhe hatte nichts mit Gleichgültigkeit oder Gefühllosigkeit gemein. Ihrem eigenen Geschmacke überlassen, war Lucie Ashton besonders dem Romantischen geneigt. Ihr geheimer Genuß waren die alten Legenden, in denen sich heiße Liebe und unverbrüchliche Treue mit seltsamen Abenteuern und übernatürlichen Schrecknissen mischten. Dies war das Lieblingsreich ihrer Träume, und hier erbaute sie ihre Luftschlösser. Aber es war nur im Geheimen, daß sie dieser trüglichen und doch so beseligenden Schwärmerei nachhing. Im einsamen Kämmerlein oder in der grünen Laube, die sie sich ausersehen und nach ihrem Namen genannt hatte, vertheilte sie in der Einbildung die Turnierpreise, und winkte den wackern Kämpfern Beifall zu, oder sie irrte, von dem großmüthigen Löwen begleitet, mit Una in der Wüste, oder sie verglich sich mit der bescheidenen, doch hochgesinnten Miranda in der Zauber- und Wunderinsel.

In Bezug auf äußere Dinge stand Lucie unter dem Einfluß ihrer Umgebung. Sie leistete gern auf eigene Wahl Verzicht, und machte sich aus der Meinung ihrer Freunde einen Entscheidungsgrund, den sie, sich selbst überlassen, nie würde gefunden haben. Jeder Leser hat wohl in einer Familie ein solches sanftes und nachgiebiges Geschöpf bemerkt, das in Verbindung mit kräftigeren und feurigeren Gemüthern durch den Willen Anderer gelenkt wird, ohne mehr Widerstand leisten zu können als die Blume, welche der Strom dahinreißt. Gewöhnlich trifft es sich, daß ein so nachgiebiges Gemüth, das sich ohne Murren der Leitung Anderer überläßt, der Liebling derer wird, deren Neigungen es seine eigenen still und willig aufzuopfern scheint.

Dies war der Fall bei Lucie Ashton. Ihr Vater, ein kalter Staatsmann, fühlte für sie eine Zuneigung, deren Stärke ihn oft auf's Tiefste rührte. Ihr älterer Bruder, der auf dem Wege des Ehrgeizes mit stolzeren Schritten einher wandelte als sein Vater, hatte auch mehr Gemüth als derselbe. Wiewohl Soldat und in den Jahren des Leichtsinns, zog er doch seine Schwester Lucie den Vergnügungen und militärischer Auszeichnung vor. Ihr jüngerer Bruder, in einem Alter, wo Tändeleien vorzüglich den Geist beschäftigen, vertraute ihr seine Freuden und Befürchtungen, sein Waidmannsglück und seine Händel mit Hofmeister und Lehrern. Diesen nichtssagenden Mittheilungen schenkte Lucie ein geduldiges und nicht ungeneigtes Gehör. Waren sie doch vielbedeutend für Heinrich; genug, um Luciens Theilnahme zu fesseln.

Ihre Mutter allein theilte nicht die Vorliebe, womit der Rest der Familie Lucie betrachtete. Sie sah in der Geistesschwäche ihrer Tochter, wie sie sich ausdrückte, einen sicheren Beweis, daß das weniger adelige Blut ihres Vaters in den Adern der Tochter kreise, und sie pflegte dieselbe zum Spott die Schäferin von Lammermoor zu nennen. Ein so liebes, unschuldiges Geschöpf zu hassen, war unmöglich; aber Lady Ashton zog ihren ältesten Sohn, der einen großen Theil ihres kühnen Ehrgeizes geerbt hatte, einer Tochter vor, deren Gemüthsruhe an Geistesschwäche zu gränzen schien. Der älteste Sohn war um so eher der Liebling der Mutter, weil er, obwohl gegen die Gewohnheit vornehmer schottischer Familien, den Namen ihres Stammvaters führte.

»Mein Sholto,« sagte sie, »wird die Ehre seines mütterlichen Geschlechts bewahren, und die seines väterlichen erhöhen. Die arme Lucie taugt nicht für Höfe und belebte Hallen. Irgend ein Landlaird muß sie heirathen, der reich genug ist, ihr alles Glück zu versichern, ohne daß sie sich anzustrengen braucht, so daß sie keine Thräne zu vergießen hat, es sei denn aus Furcht, daß ihr Gemahl bei einer Fuchsjagd den Hals brechen möge. Freilich auf solche Art ist unser Geschlecht nicht gestiegen, und so kann es nicht gedeihen und wachsen. Die Würde des Lord Keeper ist noch neu; wir müssen zeigen, daß wir derselben gewachsen sind, und daß wir sie zu behaupten wissen. Vor alten, gewohnten, angestammten Autoritäten pflegt sich die Welt zu beugen; wenn wir nicht die Leute zwingen, sich niederzuwerfen, so werden sie aufrecht vor uns stehen bleiben. Eine Tochter, die zur Schäferin oder zur Nonne taugt, ist nicht gemacht, der Welt Achtung abzuzwingen, und da uns der Himmel einen dritten Sohn verweigert hat, so sollte Lucie durch einen angemessenen Charakter seine Stelle ersetzen. Das wird eine glückliche Stunde sein, wann sie ihre Hand einem Manne reichen wird, der thatkräftiger ist als sie selbst oder eben so wenig ehrgeizig.«

Dies waren die Betrachtungen einer Mutter, welcher die Liebe und das künftige Familienglück ihrer Kinder weniger theuer waren als der Rang und die weltliche Größe derselben. Aber wie so viele Aeltern von feurigem, lebhaftem Charakter, so betrog auch sie sich in der Beurtheilung des Gemüthes einer Tochter, die unter dem Anschein von Kälte den Keim jener Leidenschaften nährte, die gleich dem Kürbis des Propheten oft über Nacht hervorbrechen, und durch ihre große Wärme und Tiefe den Beobachter in Erstaunen setzen. In der That, Luciens Herz schien kalt, weil sich noch nichts gezeigt hatte, was es in Flammen gesetzt hätte. Bis hierher war ihr Leben einförmig und heiter dahingeflossen, und wohl ihr, wäre nicht diese Ruhe der des Stromes ähnlich gewesen, ehe sich derselbe brausend über die Felsen stürzt!

»So, Lucie,« sagte ihr Vater, der bei Beendigung des Gesangs hereintrat, »lehrt dich dein musikalischer Philosoph, die Welt zu verachten, ehe du sie kennst? – das ist fürwahr ein wenig zu früh. Oder sprichst du bloß nach der Weise schöner Kinder, welche die Freuden des Lebens immer gering schätzen, bis sie sich denselben hingeben auf den Rath eines stattlichen Ritters?«

Lucie erröthete, wehrte sich gegen jede Folgerung aus ihrem zufällig gewählten Gesang, und legte ihr Instrument willig bei Seite, als ihr Vater sie zu einem Spaziergang aufforderte.

Ein großer und holzreicher Park oder Gehege bedeckte den Hügel hinter dem Schlosse, das, wie gesagt, einen von der Ebene aufsteigenden Paß einnahm, und an dem Eingang desselben die Waldgegend vertheidigte, die sich im Hintergrunde majestätisch erhob. Nach dieser romantischen Gegend wandelten Vater und Tochter Arm in Arm durch einen schönen Ulmengang, unter dem man von Weitem Gruppen von Damen umherstreifen sah. Während sie langsam weiter gingen, und die schöne Natur bewunderten, für welche Sir William Ashton trotz seines Geschäftslebens viel Gefühl und Geschmack bezeigte, wurden sie von dem Förster eingeholt, der mit seiner Armbrust und einem Hund, den sein Bursch an der Leine führte, des Jagdvergnügens halber nach dem inneren Walde eilte.

»Wollt Ihr uns ein Stück Wild schießen, Norman?« sagte sein Herr, den Gruß des Försters erwidernd.

»Ja, Ew. Gnaden, das will ich. Gefällt es Euch, die Jagd mit anzusehen?«

»O nein,« sagte der Lord, nachdem er seine Tochter angeblickt, die bei dem Gedanken, ein Wild getroffen zu sehen, erblaßte, obgleich sie, hätte ihr Vater den Wunsch geäußert, Norman zu begleiten, wahrscheinlich kein Zeichen ihres Widerwillens gegeben haben würde.

Der Förster zuckte die Achsel. »Es wäre,« sagte er, »ein verzweifelt Ding, wenn Niemand von der Herrschaft herunterkäme, die Jagd zu sehen. Er hoffte, Kapitän Sholto würde bald heimkommen, oder sein Handwerk ganz an den Nagel hängen, denn Mr. Heinrich hätte so viel zu schaffen mit seinem dummen Latein, daß, obschon er guten Willen habe, vom Morgen bis zum Abend im Walde zu bleiben, dennoch kein guter Weidmann aus ihm zu machen sei. Zu Lord Ravenswoods Zeiten, habe er gehört, sei es nicht so gewesen – wenn ein Hirsch erlegt werden sollte, liefen Vater und Sohn, es zu sehen; und wenn das Wild zu Boden lag, wurde das Messer immer dem Ritter dargereicht, der für diese Ehre nie unter einem Thaler gab. Und da war Edgar Ravenswood – der heutige Herr von Ravenswood – wann er in den Wald hinauf ging – es gab da keinen besseren Schützen seit Tristrams Zeiten – wenn Sir Edgar seine Waffe zeigte, paff dich lag das Thier, meiner Seel'. Aber wir diesseits des Hügels sind in der Weidmannskunst rückwärts gegangen.«

In dieser Rede war mancherlei, was dem Lord Keeper gar sehr mißfiel; er konnte nicht umhin, zu bemerken, daß ihn sein Dienstmann offen herabsetze, weil er die Jagdliebhaberei nicht besitze, welche damals für das wahre Kennzeichen eines ächten Edelmanns galt. Aber der Wildmeister ist in jedem Landschloß ein Mann von vieler Bedeutung, der sich in seiner Sprache manche Freiheit herausnehmen darf. Sir William lächelte darum und versetzte, er habe heute an was Anderes als an die Jagd zu denken; einstweilen zog er seine Börse, und gab dem Förster zur Ermunterung einen Thaler. Der Mann empfing denselben, wie ein Kellner in einem glänzenden Gasthof ein doppeltes Trinkgeld von einem Landedelmann empfängt, d. h. mit einem Lächeln, worin sich Freude über das Geschenk mit Schadenfreude über die Dummheit des Gebers vermischte. »Ew. Gnaden ist ein schlechter Bezahler,« sagte er, »weil Ihr bezahlt, ehe das Werk gethan ist. Was wolltet Ihr machen, wenn ich den Bock verfehlte, nachdem ich das Trinkgeld im Sack habe?«

»Ich glaube,« sagte der Lord lächelnd, »Ihr würdet kaum verstehen, was ich meine, wenn ich Euch von einer condictio indebiti spräche.«

»Mein' Seel' nein – ich verstehe, daß es ein juristischer Brocken ist – aber verklag' einen Bettler und – Ew. Gnaden weiß den Rest. – Gut, aber ich will gerecht gegen Euch sein, und wenn Bogen und Brack nicht fehlen, sollt Ihr ein Wildpret haben mit zwei Finger dickem Fett auf der Brust.«

Als er weiter gehen wollte, rief ihn sein Herr zurück und fragte ihn, wie im Vorbeigehen, ob der Herr von Ravenswood wirklich ein so braver Mann und guter Schütze wäre, wie die Leute sagten.

»Brav! – brav genug, ich beschwör' es Euch,« versetzte Norman; »ich war in dem Wald zu Tyninghame mit meinem Lord, als daselbst eine Herrenjagd statthatte; mein Seel', da wurde ein Hirsch zum Stehen gebracht, der uns Allen Respect einflößte; es war ein stämmiger alter Kauz vom schönsten Geweih, mit zehnfachem Geäste und einer Stirn wie ein Büffel. Der stürzt sich gegen den alten Lord, und da würde es scheu ausgesehen haben um den Herrn, hätte sich nicht der Junker flugs eingemischt, und dem Hirsch mit dem Weidmesser die Knieflechsen zerschnitten. Er war damals nur sechszehn Jahre alt, Gott erhalt' ihn!«

»Und führt er die Flinte so gut, als das Weidmesser?« sagte Sir William.

»Er trifft diesen Silberthaler hier, wenn ich ihn zwischen Finger und Daumen halte, auf achtzig Gänge, und ich halte ihn für ein Goldstück; was wollt Ihr mehr von Aug', Hand, Schrot und Pulver?«

»Fürwahr, man kann nicht mehr verlangen,« sagte der Lord Keeper; »aber wir halten Euch von Eurer Jagd ab, Norman. Guten Morgen, lieber Norman.«

Und sein ländliches Leiblied anstimmend, ging der Jäger seines Weges, während die Töne seiner rauhen Stimme bei wachsender Entfernung immer schwächer wurden:

Der Mönch muß heraus, wenn die Frühglocke tönt,
Der Abt mag liegen und schlafen:
Der Jäger springt auf, wenn das Jagdhorn erdröhnt;
's ist Zeit, 's ist Zeit, ihr Braven.

Auf Bilhope gibt es wohl Hirsch' und Reh',
Auf Shortwood Shaw ganze Heerden;
Doch die Lilie, die ich im Garten seh',
Wär' mir lieber als Alles auf Erden.

»Hat der Kerl,« sagte der Lord Keeper, als der Gesang verhallt war, »immer der Familie Ravenswood gedient, weil er so viel Antheil an ihr zu nehmen scheint? Ich glaube, du weißt es, Lucie: denn du machst dir eine Gewissenssache daraus, die Lebensgeschichte eines jeden Beisaßen des Schlosses zu erfahren.«

»Ich bin kein so genauer Geschichtsforscher, lieber Vater, aber ich glaube, daß Norman als Junge hier gedient hat, ehe er nach Ledington kam, wo Ihr ihn gedingt habt. Aber wenn Ihr etwas von der vorigen Familie zu wissen begehrt, die alte Alice wäre die beste Gewährschaft.«

»Was hätte ich mit ihnen zu schaffen, Lucie,« sagte der Vater, »oder mit ihrer Geschichte und ihren Vorzügen?«

»Ich weiß es nicht – ich weiß nur, daß Ihr Norman wegen des jungen Ravenswood befragt habt.«

»Still, Kind!« versetzte der Vater; doch fuhr er alsbald fort: »Und wer ist denn die alte Alice? Es scheint, du kennst alle alten Weiber der Umgegend.«

»Das ist gewiß, wie könnte ich sonst den armen Geschöpfen in schweren Zeiten helfen? Was die alte Alice betrifft, sie ist die wahre Königin der alten Weiber, wie sie in den Legenden vorkommen. Die arme Alte ist blind; doch wenn sie mit Euch spricht, so solltet Ihr glauben, sie schaute in Euer innerstes Herz. Ich bin gewiß, daß ich oft das Gesicht bedecke oder es abwende, denn es scheint, daß sie es sieht, wenn man die Farbe wechselt, obgleich sie seit zwanzig Jahren blind ist. Sie ist eines Besuches werth, wäre es auch nur, damit Ihr sagen könntet, in einer blinden und lahmen Alten einen so scharfen Verstand und ein so edles Benehmen gefunden zu haben. Ich versichere Euch, sie könnte ihrer Sprache und ihrem Anstand nach für eine Gräfin gelten. – Kommt, Ihr müßt Alice sehen; wir sind keine Viertelmeile von ihrer Hütte entfernt.«

»All' das, meine Beste,« sagte der Lord Keeper, »ist keine Antwort auf meine Frage, wer dies Weib ist, und in welchem Verhältniß sie zu der vorigen Herrschaft steht?«

»O, das war eine Art von Ammenschaft, glaub' ich; und sie blieb hier, weil ihre zwei Enkel in Euren Diensten sind. Doch dies geschah, bild' ich mir ein, gegen ihren Willen, denn die arme Alte bedauert es immer, daß die Zeiten und die Herrschaft gewechselt haben.«

»Ich bin ihr sehr dankbar dafür,« versetzte der Lord Keeper. »Sie und die Ihrigen essen mein Brod und trinken meinen Trank, und bedauern es immer, daß sie nicht mehr unter einer Herrschaft stehen, die weder sich, noch Andern Gutes zu thun im Stande war!«

»Wahrhaftig,« versetzte Lucie, »Ihr thut der alten Alice Unrecht. Sie hat kein Gesinde um sich, und würde keinen Pfennig Almosen annehmen, müßte sie auch vor Hunger sterben. Sie ist nur redselig, wie alle Alten, wenn Ihr sie auf die Geschichten ihrer Jugend bringt, und sie spricht von der Familie Ravenswood, weil sie so manches Jahr bei derselben verlebte. Aber ich bin davon überzeugt, daß sie Euch für den Schutz dankbar ist, welchen Ihr ihr gewährt, und daß sie lieber mit Euch reden wird, als mit jeder andern Person in der Welt. Seid so gut, mein Vater, die alte Alice zu besuchen.«

Und mit der Vertraulichkeit einer geliebten Tochter zog sie den Lord Keeper nach der gewünschten Richtung.

 


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