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Vier und dreyssigstes und letztes Kapitel.

Kaum hatte die Frau Direktorn den Sinn des Pasquills gefaßt, als ihr die Wahrheit desselben, wie ein Blitz in die Augen leuchtete und eine so heftige und rasende Wuth in sie fuhr, die über alle Beschreibung geht. Es giebt eine Art von mütterlicher Wuth, die auch noch bey der grösten Ausschweifung Achtung und Ehrfurcht verdient. So ist die Wuth der Klaudia, der Gemahlin Odoardos! So die Wuth einer jeden zärtlichen Mutter, die an ihrer Tochter öffentlichen Schimpf erlebt! Aber die Wuth der Frau Direktorn floß aus keiner ehrwürdigen Quelle: Bloß stiefmütterlicher Haß und niedrige Rachsucht entflammten sie auf einen so hohen Grad. Ihr Mann hatte Israelchen, wie der geneigte Leser weis, hart gemishandelt und wäre er nicht so gefährlich krank geworden, so dürfte sie ihm leicht Kapital und Interessen zurückgegeben haben. So aber harschte während der zwey Monathe der Krankheit die Wunde leidlich zu, die itzt um desto fürchterlicher wieder aufbrach. Mit einer Stimme, die Fiekchen gleich alles verkündigte, rief die Mutter sie in des Vaters Stube. Du R**s, hub sie mit einem schrecklichen Gebrülle an, du Schandbalg, du **, du ** etc. und ein Schlag nach dem andern flog dem armen Fiekchen um Nase und Wangen, so daß ihr das helle Blut um das ganze Gesicht spritzte. Der Vater, vor Schrecken und Entsetzen ausser sich, flog zu Hülfe, aber sein Weib, die itzt Riesenkräfte hatte, stieß ihn zurück, daß er wie ein Ball an die Wand flog. »Nun will ich auch mein Müthchen kühlen, schrie sie, wie du deins an Israelchen gekühlt hast! Das infame Mensch ist eine Hure!« Und damit drasch sie immer wieder von neuem auf Fiekchen los, die sich nur sehr schwach mit ihren Armen schützte. Schon vermocht es der Vater nicht mehr, seiner Tochter zum zweytenmale zu Hülfe zu kommen; Ohnmächtig und kraftlos sank er auf einen Stuhl und sagte mit zitternder Stimme: Wüte nur, wüte! Ich will bald genug sterben, um es nicht mehr mit anzusehn! Dies Wort that denn doch einige Wirkung. Es fiel der Frau Direktorn itzt ein, was der Doktor vom Rückfalle der Krankheit ihres Mannes gesagt hatte und so ließ sie von Fiekchen ab, um ihrem Mann von ihrer Wuth Red und Antwort zu geben.

Mittlerweile gewann Fiekchen Zeit, davonzugehen und ihr erster Schritt war natürlich zu ihrem Grafen. Sie zeigte sich ihm wie sie war, mit blutiggeschlagenem und aufgelaufenem Gesichte, aber ihre Fassung hatte sie nicht verlohren. Liebster Feodor, sagte sie, kennst du mich wohl noch? Sieh, so hat mich meine Mutter zugerichtet. Meines Bleibens ist hier nicht länger. Ich fliehe mit dir bis ans Ende der Welt, es mag mir auch gehen, wie es will. Mach Anstalt, daß wir auf die Nacht fortkommen. Ich will mich schon davonschleichen. Ich kann itzt keinen Augenblick länger mir dir reden, aber ein Billet will ich dir bald in die Stube werfen: Wart nur!

Fort war sie und ließ ihren Liebhaber und respective Ehegemahl wie angedonnert stehen. Indessen erfuhr der Herr Direktor von seiner noch immer schnaubenden Gattin, was ihn vollends zu Boden gedrückt haben würde, wenn ers nicht schon gewesen wäre. Alle Anzeichen des rückkehrenden Gallenfiebers stellten sich bereits ein und als der Arzt erschien, weigerte sich der Kranke, die mindeste Arzney zu nehmen. Ich fühle meinen Tod, sagte er, und wünsche ihn, als die gröste Wohlthat des Himmels! Er verlangte einmal über das andre, seine liebe Fiekchen zu sprechen, nicht um ihr neue Vorwürfe zu machen, sondern ihr zu verzeihen: Allein der Arzt verbot es schlechterdings und drohte im Weigerungsfalle, sich sogleich zu entfernen.

Fiekchen hatte indeß schon ihr Billet fertig, worinn sie dem Grafen Anschläge gab, wie sie beyde glücklich entrinnen könnten. Er sollte nehmlich sogleich seine besten Sachen zusammenpacken und ausfahren; Zwischen 9 und 10 des Nachts aber zurückkommen und vor dem Thore bey einem gewissen Garten stillhalten: Da wollte sie ihn schon treffen. Wie gesagt, so geschehn! Es wurde Fiekchen nicht im mindesten schwer gemacht, ihren Plan auszuführen. Vor den Vater sollte sie nicht kommen und die Mutter gieng ihr von selbst aus dem Wege. So schloß sie also gegen Abend ihr Zimmer ab, als läge sie tief in den Federn; schlich sich aber heimlich aus dem Hause, nachdem sie noch einen sehr rührenden Abschiedsbrief an ihren Vater zurückgelassen, traf ihren Geliebten richtig an dem bestimmten Orte an und fuhr mit ihm über alle Berge. Noch sind von ihrem Aufenthalte und Schicksalen keine Nachrichten eingelaufen: Leser und Kunstrichter werden es mir also verzeihen, wenn ich nicht geben kan, was ich selbst nicht habe. Fiekchens Flucht, so lieb sie vielleicht der Mutter scheinen möchte, stand dennoch keinesweges in ihrem Plane. Das Verlangen des Vaters, sie zu sehen und zu sprechen, ward mit seiner Krankheit immer stärker und stärker und gieng zuletzt so weit, daß er mit Gewalt das Bette und Zimmer verlassen wollte, um zu ihr zu gehen. Hier nun halfen keine fernern Ausflüchte und es muste heraus, daß sie mit dem Grafen entflohen sey. Diese Nachricht und Fiekchens zurückgelassener Brief gaben dem unglücklichen Vater den letzten Todesstoß; Er fieng an heftig zu fantasiren und hörte nicht eher auf, bis er den letzten Athem von sich bließ.

Hier leg ich meine Feder nieder und lasse den für seine Thorheiten hartgezüchtigten Unglücklichen im Frieden ruhen! Gutherzigen Lesern zur Nachricht will ich blos noch dieses hinzusetzen, das Heineccius und Mirus gemeinschaftlich für Wittwe und Kind gesorgt haben. Jene genießt eine jährliche Pension von 100 Thalern und ist auf dem Wege, durch Mangel und Noth weise zu werden. Israelchen ist einem wackern Officier unter die Zucht gegeben, der nach aller Wahrscheinlichkeit einen guten und brauchbaren Soldaten aus ihm ziehen wird.


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