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Drey und dreyssigstes Kapitel.

Fiekchen hatte nun seit ihrem Aufenthalte in Arlesheim die süssen Freuden der Liebe gänzlich entbehrt. Es konnte also nicht fehlen, daß sie nach einem neuen Liebhaber nachgrade recht eigentlich heißhungrig geworden war! Nun führte ihr das Schicksal einen herrlichen, allerliebsten Jungen in den Wurf, der mit ihr in einem Hause wohnte, mit ihr an einem Tische aß und trank, auf dessen Zimmer sie den Tag über zwanzigmal, früh und spät, von Vater und Mutter geschickt wurde, um zu vernehmen, was dem Herrn Grafen gefällig wäre etc. Auch in einem Herzen, das der Liebe tausendmal weniger empfänglich gewesen wäre, hätte unter solchen Umständen ihr Feuer nothwendig auflodern müssen! Auf der andern Seite war der junge Graf itzt eben in dem kritischen Alter, worinn sich die Liebe nach den ewigen Gesetzen der Natur in alle Nerven, Adern und Gebeine ergießt. Der erste Anblick von Fiekchen brachte in seiner Seele jenes von den Dichtern so oft besungene Gefühl hervor: Es fühlt sich nur, es sagt sich nicht! Nun dieses Feuer und dieses Stroh tagtäglich beysammen: Was konnte daraus anders entstehen, als ein paar äußerst verliebter Seelen, fähig zu allen nur ersinnlichen Thorheiten und Ausschweifungen! Beyde Eltern merkten zwar, mehr am jungen Grafen als an Fiekchen, daß zwischen ihnen etwas mehr als gemeine Höflichkeit und Gefälligkeit obwaltete: Allein beyde rechneten auf nichts als unschuldige Neigung der Gemüther und so fiel es ihnen gar nicht einmal ein, sie in ihrem Vergnügen zu stören. Unterdessen stieg das junge Pärchen auf der Leiter der Liebe immer höher und höher! Anfangs nannten sie sich Bruder und Schwester und küßten sich, als solche; Dann schwuren sie sich ewige Liebe und Treue und hiengen einander Viertelstunden lang am Halse; Dann erzählte der Graf von seinem Vater, daß er ein alter Mann wäre und nicht lange mehr leben könnte, oder wenn er auch leben bliebe, so hätt er doch ihn, seinen einzigen Sohn, viel zu lieb, als daß er das Band der feurigsten Liebe zerreissen sollte; Dann brachte Fiekchen einige sehr schwache Zweifel vor, die sehr stark widerlegt wurden; Dann hatte Fiekchen einmal bis tief in die Nacht zu thun und konnte denn doch nicht umhin, ihrem Gräfchen Gute Nacht zu sagen: Dieser lag auf dem Bette und las Lenardo und Blandine, und weil Fiekchen kam, ward aus dem Lesen allmählich ein Duodrama, jedoch ohne tragischen Ausgang; Dann, zur Abwechselung, stattete wieder einmal der Graf Fiekchen den Nachtbesuch ab und so fort.

Ich habe leider zu wenig Geschick und Uebung, dergleichen Auftritte mit der Feinheit zu behandeln, wie unsre heutigen grossen Dichter. Ich bleibe also am besten zu Hause und erzähle bloß, was weiter geschah.

Mit einemmale ward Fiekchen, sie wuste selbst nicht wie, zu Muthe. So kerngesund sie sonst war und mit so gutem Appetite sie aß, so wollte ihr itzt kein Bissen mehr schmecken. Eine beständige Uebelkeit, eine Trägheit durch alle Glieder, nicht selten auch heftige Kopfschmerzen liessen sie das Vergnügen der Liebe nur noch halb schmecken; Die Mutter, die sehr leicht hinter die wahre Ursach dieser Zufälle hätte kommen können, war blind und blieb blind: Aber Fiekchen konnte gegen sich selbst nicht so blind seyn! Sie fühlte und glaubte es, daß sie schwanger wäre, und ohne darüber in Angst und Schrecken zu gerathen, ob ihr gleich eine traurige Zukunft ahndete, sagte sie einen Abend zu ihrem Amasius: Liebster Feodor, ich hab eine Bitte an dich! Du weist, was du angerichtet hast; Nun sage mir aufrichtig, willst Du mich wirklich heyrathen? Der Graf beschwor es hoch und theuer. »Nun wohl, sagte Fiekchen, so thu es: Wir wollen uns ganz insgeheim von einem Priester trauen lassen! Gesetzt denn auch, unsre Ehe würde zerrissen, so ist doch meine Schande hernach erträglicher, wenn ich niederkomme.« Der Graf war das von ganzem Herzen zufrieden und noch in derselben Woche ward eine Spatzierfahrt aufs Land gemacht, wo Fiekchen ihren Geliebten zu einem Priester führte, von dem sie wuste, daß er für Geld und gute Worte schon einmal eine Ausnahme von der Regel machte. Der Priester ließ sich auch wirklich durch 100 Rubel bewegen, und nach Ausstellung des Trauscheins und gegenseitigem Versprechen der Verschwiegenheit schieden sie auseinander.

Dieser seltsame Auftritt blieb nun wohl vor dem Arlesheimer Publikum verborgen: Aber Fiekchens Schwangerschaft ward gar bald das Getratsch der ganzen Stadt. Die erste Entdeckung machte eine Magd im Spitzbartischen Hause, die ehemals Amme gewesen war und folglich, mit allen Zeichen der Schwangerschaft vollkommen Bescheid wuste. Der Graf hatte zwar nicht ermangelt, diese Magd so gut, wie das übrige Gesinde zu bestechen: Aber das Geheimnis drückte sie gar zu schwer auf dem Herzen und sie muste es nothgedrungen ihrer vertrautesten Freundin, der Magd des Prorektors Fein, jedoch unter dem Siegel der festesten Verschwiegenheit, anvertrauen. Diese entdeckte es ebenfalls ganz insgeheim, ihrer Frau und die Frau ihrem Manne. Dieser, hocherfreut, neuen Stoff für seine Lästerzunge gefunden zu haben, brachte die Sache gleich auf den Katheder in Sekunda und von da verbreitete sie sich in wenig Stunden durch die ganze Stadt.

Gewöhnlich wissen diejenigen, die das Mährchen der ganzen Stadt sind, grade am allerwenigsten, daß sie es sind. In dieser glücklichen Unwissenheit würde sicherlich auch das Spitzbartische Haus geblieben seyn, wenn es nicht einem von den Scholaren des Gymnasiums eingefallen wäre, ein kleines Pasquillchen über diese Geschichte öffentlich anzuschlagen. Dieser Zettel fand sich an der Hausthüre des Herrn Direktors und an allen Klassenthüren und lautete also:

Sie essen nicht? Sie trinken nicht?
Und todtenblaß ist Ihr Gesicht?
Nichts ist, was Ihnen helfen kan,
Als, liebe Phyllis – als Frau Schwan.

Diese Frau Schwan war eine wohlbestellte und verordnete Hebamme des Orts und so wird der geneigte Leser hoffentlich einstimmen, daß es diesem Pasquillchen nicht am Stachel fehlte. Unglücklicherweise muste jemand diesen Zettel an der Hausthüre des Herrn Direktors finden, der nicht lesen konnte und ihn folglich in aller Unschuld abnahm und der Frau Direktorn zustellte. Was diese dazu gesagt und wie sie sich dabey geberdet, davon will ich im folgenden Kapitel handeln, wenn ich mich erst von dem Schauder, der mich selbst dabey überfällt, erholt haben werde.


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