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Dreyzehntes Kapitel.

Es ist ein gar hübsches, erfreuliches und tröstliches Reimlein, was dort in Lisuart und Dariolette das gute, alte Thier singt.

Oft kommt der Trost aus Winkeln her,
Wo man ihn nicht vermuthet.

Dieses Reimlein gieng endlich nach sauern acht Tagen an unserm Herrn Inspektor in Erfüllung. Diese Zeit über hatte er wenig vergnügte Augenblicke gezählt. Sein kranker und höchst gnurrigter Junge und sein gesundes und höchst gallsüchtiges Weib quälten ihn wechselsweise bis aufs Blut. Ueberdem befand er sich einer doppelten Stadtklatscherey ausgesetzt! Die Affäre mit Christöffeln war durch das Gerücht dahin abgeändert, Schmidt und die Frau Inspektorn hätten eine eigentliche Faustkollation zusammen gehabt und der Stadtschreiber hätte sie, wie verbißne Hunde, aus einander bringen müssen. Viele Leute schickten ordentlich auf die Pfarre, um zu erfahren, wie viel Löcher im Kopfe die Frau Inspektorin davon getragen hätte, und der Herr Gevatter Winter, der Israelchen noch immer besuchte, brachte seine Instrumente ungeheissen mit sich, weil er ganz sicher auf eine neue Amputation Rechnung machte. Auf der andern Seite hatte die obengedachte und angeführte Recension von dem Ideale des Herrn Inspektors die saubere Sage ausgeheckt, der gute Mann solle um seines Buchs willen von Amt und Brod gejagt werden. Beyde Gerüchte wurden unserm Inspektorpaare treulich zugeschleppt, und man kann leicht denken, daß es ohne heftige Alteration nicht abgieng! Glücklicher Weise mußte es sich fügen, daß das nächste Sonntagsevangelium vom Splitter im Auge handelte. Der Herr Inspektor ergriff also diese Gelegenheit, eine recht scharfe Buß- und Strafpredigt über die Verleumdung zu halten, und beyläufig ließ er auch ein und das andre Wort von ruchlosen Menschen, von der Verachtung des göttlichen Worts und der verordneten Diener desselben einfliessen, so daß ziemlich das ganze Städtlein mit Fingern auf Schmidten wies. Dadurch verschaffte er seinem gepreßten Herzen einige Erleichterung: Aber diese hielt nicht länger Stand, als er wieder seine vier Pfähle betrat! Hier war gleichsam ein immerwährendes Ungewitter, und ohne einen Deus ex machina schienen in langer Zeit keine heitern Tage nur Einmal möglich zu seyn.

Aber wie das hübsche, erfreuliche Reimlein sagt:

Oft kommt der Trost aus Winkeln her! etc.

Auf einmal erhielt der Herr Inspektor mit der Post einen Brief, wovon Hand und Siegel ihm völlig fremd waren. Er brach auf, sah nach der Unterschrift und fand Arlesheim und Stadtdirektor Heineccius: Alles noch böhmische Dörfer für ihn! Allein wie angenehm war seine Ueberraschung, wie groß seine Freude, als er folgendes las:

Höchstzuverehrender Herr
und (Gott gebe bald!)
Innigstgeliebtester Freund,

»Wie einem Wanderer zu Muthe ist, der nach langem Schmachten und Lechzen bey der Sonnengluth, endlich durch seinen guten Genius geleitet, an eine kühle Quelle kommt, in deren kristallenem Gewässer er seinen Durst löscht und in gierigen Strömen neue Kraft und neues Leben trinkt: So war mir zu Muthe, mein theurester Herr Inspektor, als mich mein guter Genius an die reizende Quelle Ihres Ideals einer vollkommenen Schule führte. Ich trank und trank: Aber anstatt daß mein Durst hätte abnehmen sollen, nahm er nur noch immer mehr zu! Tag und Nacht las ich in Ihrem vortrefflichen Werke und jede Minute, die ich mir von meinen Geschäften abstehlen konnte, war mir eben so kostbar, als dem liebewunden Jünglinge der Augenblick ist, da er seiner ihn erwartenden Geliebten in die Arme fliegen kann. Seyn Sie mir dann gegrüßt im Reiche der Genies, und wenn nach dem Ausspruche des drollichten Asmus das Genie ein Wallfisch ist, so erlauben Sie mir, daß ich Sie in den Rang der Kracken setze, die in den nordischen Meeren thronen! Fern sey von mir der Gedanke der Schmeicheley: Aber ich würde an der Wahrheit zum Verräther werden, wenn ich es Ihnen nicht sagen wollte, daß Sie Basedowen und Bahrdten Erddiameter weit hinter sich gelassen haben. Um deswillen würd es auch ein unauslöschlicher Schandfleck unsers Jahrhunderts seyn, wenn Sie bey Ihren Talenten und bey Ihren herrlichen Entwürfen nicht bald auf einen höhern Posten erhoben werden sollten, wo Sie Gelegenheit hätten, Ihr Ideal zu realisiren. Ich habe keinen heißern und angelegentlichern Wunsch, als den, das Werkzeug hierzu zu seyn, und ich schätze es nun für das erste Glück meines Lebens, daß ich bey meinen übrigen Aemtern auch Patronus des hiesigen Gymnasiums bin. Zwar bis itzt hat mir mein Patronat wenig Freude gemacht; Ein alter, abgelebter Greis, der als Direktor an der Spitze desselben steht und dessen Tod ich stündlich vom Himmel erflehe, verleidet mir auch nur den Gedanken an eine Verbesserung meiner Schule. Aber er wird nicht immer leben und wahrscheinlich ist sein Ziel nahe! Und dann, mein Theuerster, komm ich selbst in Person zu Ihnen, bringe Ihnen die Vokation zu diesem erledigten Posten, den ich vorher noch ansehnlich verbessern werde, um denselben Ihrer würdig zu machen, und dann biete ich Ihnen Trotz, mir mein Gesuch abzuschlagen! Nur die einzige Bitte vorläufig: Sollten, wie ich mir leicht vorstellen kann, binnen der Zeit ähnliche Rufe an Sie ergehen, so erweisen Sie mir die Freundschaft, mir sogleich Nachricht davon zu ertheilen, damit ich meine Maaßregeln darnach ergreifen kann. Da ich der erste gewesen bin, der Ihren ungemeinen Talenten Gerechtigkeit wiederfahren lassen, so muß ich auch billig der erste seyn, der dieselben in Anspruch nimmt. Welche Wonne, wenn ich von Ihren höhern Einsichten unterstützt, mit Ihnen den Plan zur völligen Umschaffung unsrer Schule ausarbeiten werde! Unser Arlesheim soll ein Eden werden und unsre Schule ein Elysium! O daß doch bald dieser glückliche Zeitpunkt eintreffen, daß ich bald das Glück schmecken möchte, Ihnen mündlich zu sagen, wie von ganzem Herzen und Seele ich sey etc.«

Wenn es wahr ist, was ich nicht zu beurtheilen vermag, daß die Freude einer Mutter, die ihr Kind glücklich zur Welt gebohren hat, die lebhafteste und grösseste aller Freuden ist, so möchte die Freude unsers Herrn Inspektors die nächste nach jener seyn. Er hüpfte und sprang, wie ein junges Füllen, fiel Fiekchen, die ihm zuerst in den Wurf kam, mit wahrer verliebter Inbrunst um den Hals; Mädel, sagte er zu ihr, in einem Vierteljahre schaff ich dir Stuckern zum Manne, bist dus zufrieden? Fiekchen schlug eine große Lache auf, aber eh sie zum Fragen kommen konnte, war ihr Vater schon fort, um seine Ehehälfte aufzusuchen, die er in der Speisekammer antraf.

Ach mein aller-allerliebster Schatz, sagte er, indem er die Arme nach ihr ausstreckte –

Geh, sagte sie, indem sie ihn etwas unsanft von sich stieß: So weit sind wir noch nicht, mein werthester Herr Inspektor! Solch einen Todesärger vergißt man nicht so bald!

Er. Ich sage dir aber, du mußt ihn vergessen und wirst ihn vergessen, und wenn du mir itzt nicht gleich auf der Stelle 20 Küsse giebst –

Sie. Nun wahrhaftig, ich glaube, Hundstagsanfang steht heute im Kalender!

Er. Nein, aber das steht im Kalender, daß du bald nicht mehr Frau Inspektorn, sondern Frau Direktorn seyn wirst, wenn ich anders deutsch lesen kann.

Sie. Ach geh, du willst mir was weiß machen!

Er. Verdient hättest dus, dafür, daß du mich so hart anfährst: Aber nach meiner angebohrnen Milde will ichs abermal gut seyn lassen. Ich kündige dir also hiermit an, daß du dich gefaßt machst! Unsers Bleibens ist hier am längsten gewesen. Ich hab schon so gut als die Vokation nach Arlesheim, mit einem Gehalte von mehr als 1000 Thaler. Komm nur, damit ich dir den Brief selbst vorlesen kann!

Der Brief ward unter manchem frohen Händeklatschen der Frau Inspektorn und mit vieler Würde und Grävitat des Herrn Inspektors verlesen, und als das Werk vollbracht war, setzte er sich gleich einem Könige auf den Großvaterstuhl, seinen Thron, um von seiner Frau die Huldigung einzunehmen. Sie brachte ihm dieselbe auch wirklich mit hundert zärtlichen Küssen und das sanfte Krabbeln ihrer Schmeicheleyen that seinem alten Felle überaus wohl. Ein liebes Männchen, bestes Männchen, scharmantes Männchen, unvergleichliches Männchen jagte das andre; Mit holdem Streicheln bat sie Ihn, alles Vergangenen zu vergessen und ließ ihn in der Zukunft nichts als Wonne und Entzücken sehen.

Der geneigte Leser beliebe es sich nun selbst auszuspinnen, wie die Frau Inspektorn ihr neues Glück in dem ganzen Städtlein Rübenhausen ausbreitete; wie sie mit Fiekchen schon im Voraus die Einrichtung ihrer künftigen Wohnung traf, wie sie von dem Tage an, auch im Hause, nicht anders als in Gala erschien und für Israelchen, der indeß wieder besser geworden war, einen Tressenhut und ein Kleid mit silbernen Schnüren bestellte. Diese Traits des weiblichen Herzens müssen wir itzt wichtigern Auftritten weihen, die sich in Arlesheim aufthun, als wohin wir uns ungesäumt begeben.


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