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Zwölftes Kapitel.

Ich hoffe, der geneigte Leser wird mir nun die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß ich alle Anlage habe, ein Lieblingsschriftsteller des laufenden Jahrhunderts zu werden. Noch hab ich immer gesehen, daß blos diejenigen Gewebe des Geistes allgemeinen Beyfall erhalten haben, deren Aufzug Wollust, der Einschlag aber Moral ist. Die letzte Scene zwischen Stucker und Fiekchen war ein Pröbchen von der Art, und ich denke mir dadurch Nachsicht und Verzeihung für die folgenden Kapitel zu bewirken, in denen wieder eine ganze Weile von süßkandirten Zoten nichts vorkommen wird.

Es war noch nicht acht Uhr des Morgens, als die Frau Inspektorn im Namen ihres Eheherrn zum Gastwirth Schmidt schickte, mit dem Befehle, sein Sohn sollte den Augenblick zum Herrn Inspektor kommen. Der Vater des Knaben, an den diese Order ergieng, ließ zur Antwort sagen, sein Sohn würde sogleich kommen. Nun merkte aber Herr Schmidt ohnschwer, worauf diese Zitation abzielte; Er wußte die ganze gestrige Geschichte, hatte auch bereits seinem Söhnlein mit dem Bullenfinken väterlich zugesprochen, aber dabey sollte es denn auch seyn Bewenden haben! Er machte sich also mit seinem Sohne zugleich auf den Weg, um ihn gegen alle weitern Strafen mächtig zu schützen.

Kein Donnerschlag hätte der Frau Inspektorn schrecklicher seyn können, als die Ankunft dieses Mannes. Das ganze Städtlein kannte und fürchtete ihn, als einen Räsonneur vom Range. Bey allen politischen Händeln war er Rädelsführer und schon mehr als einmal hatte er seinen Landesfürsten unmittelbar angetreten, so daß auch Burgemeister und Rath sich aufs äusserste hüteten, dem Manne nur das geringste in den Weg zu legen. Processiren und Appelliren war sein Leibwort und selten kam er oder sein Gegenpart ohne Sukkumbenzgelder davon.

Die Frau Inspektorn konnte leicht ermessen, in welcher Absicht er seinen Sohn begleitet hätte: Gleichwohl aber konnte sie das süsse Vergnügen der Selbstrache nicht so schlechthin aufgeben, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, wie weit sie sich treiben liesse! Sie lief also schleunigst in das Zimmer ihres Eheherrn. Stell dir nur vor, sagte sie, der Grobian, der Schmidt, hat noch die entsetzliche Verwegenheit und kommt mit seiner Höllenbrut von Jungen selbst her! Der Kerl wird gewiß noch groß Recht über haben wollen, denn sein gottloser Rachen wird ihm wohl nicht eher gestopft werden, bis er in die Karre kommt! Verdient wenigstens hätt ers lange schon; Aber das sag ich dir, daß du dich von ihm nicht ins Bockshorn jagen läßt! Beruf du dich nur darauf, daß du Inspektor der Schule bist und daß dich das gnädigste Konsistorium dazu gesetzt hat, daß du dergleichen Unfuge steuern sollst. Es müßte ja keine Gerechtigkeit im Lande seyn, wenn so eine entsetzliche Frevelthat an meinem Kinde nicht sollte bestraft werden.

Beruhige dich, mein Schatz, versetzte der Herr Inspektor: Ich weiß schon, was ich zu thun habe und ich werde mit dem Herrn Schmidt auf eine Art sprechen, daß er sich verwundern soll! Damit warf der Herr Inspektor seine Perücke über und verfügte sich hinunter ins Audienzzimmer; Seine Ehehälfte aber folgte ihm nach und vernahm zu nicht grosser Freude im Alkofen folgende Unterredung:

Schmidt. Ihr Diener, Herr Inspektor! Sie haben nach meinem Christoffel geschickt, ich hab ihn also nur selber herbringen wollen, um zu hören, was er bey Ihnen soll.

Insp. Was er soll? Seine Strafe haben soll er, und das zwar eine recht exemplarische Strafe, wie sie für solch einen gottlosen Buben gehört!

Schm. Hoho, sachte, sachte mein Herr Inspektor! Fangen Sie nicht in dem Tone an, oder ich werde bald auch in einem andern Tone reden. Mein Sohn, nicht mein Bube, Buben hab ich gar nicht! Also mein Sohn, sag ich, ist nicht um ein Haar gottloser wie andrer Leute Kinder. Er macht mitunter einmal einen nichtnutzigen Streich, wie er denn gestern einen gemacht hat, daß er da mit herausgezogen ist und hat sich in die Katzbalgerey mit eingelassen: Aber dafür hat er seine Strafe gekriegt und wenn Sies sehen wollen, der Rücken ist noch braun und blau!

Insp. Das ist nicht genug und ich bestehe schlechterdings darauf, er soll und muß nochmals öffentlich und exemplarisch bestraft werden! Ich hoffe doch, er wird es nicht erst zu Weitläuftigkeiten kommen lassen, sondern sich im Guten dazu verstehen.

Schm. Was? Meinen Jungen soll ich öffentlich prostituiren lassen! Und ich hab ihn doch schon selber hinlänglich bestraft? Nun und nimmermehr, und sollt ich heute noch vor den König gehn und sollt es mich meinen letzten Heller kosten.

Insp. Das sag er solchen Leuten, die sich vor seinem grossen Maule fürchten, aber nicht mir! Ihro Majestät der König ist so gut mein König, als seiner. Ueberdem braucht es hier gar keines Königs! Ich bin Inspektor der Schule, und als Inspektor bestraf ich hiermit die schändliche Ausschweifung, die sein Sohn gestern verübt hat. Meint er, es geschehe ihm Unrecht, so belange er mich, wo ich zu belangen bin, das ist, vor einem hochpreißlichen Landeskonsistorium.

Schm. Gut, das soll sich zu seiner Zeit schon alles finden! Aber mit Erlaubniß, mein Herr Inspektor, eine Frage steht doch frey, wenn Sie meinen Christoffel bestrafen, wer bestraft denn Ihren Israel für seine schönen Streiche?

Insp. Auf solche naseweise und impertinente Fragen bin ich nicht gewohnt eine Antwort zu ertheilen.

Schm. Mag wohl seyn! I nun, allenfalls kann ich auch die Antwort entbehren, denn sie steht schon in dem Sprichworte: Kleine Diebe henkt man auf, die grossen läßt man laufen!

Insp. Immer besser! Fahr er nur noch ein klein Weilchen in dem Tone fort: Mittlerweile wird er vollkommen reif zum Injurienprocesse.

Schm. O darüber lach ich! Denn ich weiß, was ich weiß, und ich sag es noch einmal: Wenn mein Christoffel wegen der gestrigen Affäre noch nicht Strafe genug hat, so muß Ihr Israel wenigstens 12 mal Spitzruthen laufen. Wer ist denn der Anfänger gewesen von dem ganzen Unglück als er selber?

Insp. Wer? Mein Israel? Das kann nicht seyn, das ist erlogen.

Schm. Nun es heißt doch sonst immer: Kinder und Narren reden die Wahrheit! Christöffelchen, erzähle doch einmal dem Herrn Inspektor, wies war gestern, weil das Werfen mit Steinen angieng! Na, fix!

Christ. I anfangs da schlugen wir uns bloß, weiter auf der Welt nichts: Aber weil Israelchen etlichemal niedergeschmissen wurde und mußte um Pardon bitten, da wurd er zuletzt tückisch, und da hub er einen Stein auf und schmiß nach mir, da sagte ich noch zu ihm: Pfui, Israelchen, laß das bleiben, das ist kein Spaß! Aber er kehrte sich nicht dran und schmiß doch wieder und traf mich akkurat hier ans rechte Schienbein. Da sagte ich zu ihm: Hör, Israelchen, nun pack ein oder du bist unglücklich! Ja, das half doch nichts und er schmiß zum drittenmale nach mir. Da wurd ich endlich auch hitzig und kriegte einen Stein von der Erde, und da hab ich ihn nun halt mit getroffen: Aber ich kann ja da nichts vor, denn wenn er mich nicht zuerst geschmissen hätte, vor mir wär er wohl sicher gewesen! Aber es ist immer so: Allemal wenn er wobey ist, passiren Stänkereyen und Händeleyen –

In demselben Augenblicke stürzte die Frau Inspektorn, wie eine Furie, aus ihrem Alkofen hervor und auf den kleinen Schmidt los. »Wie, was, schrie sie, so ein Patzbube, so ein Strassenbengel untersteht sich noch, auf meinen Israel zu räsonniren, nachdem er ihn ohnehin schon halb ums Leben gebracht hat! Da hast du das Trinkgeld davor, da! Und nun, Herr, geh er meinetwegen heute noch vor den König, wir wollen sehen, wer Recht behalten wird.« Und damit stürzte sie in eben der Attitüde wieder zur Thür heraus, wie sie gekommen war.

So ein entschlossener Mann auch Schmidt sonst war und so schwer er sich aus dem Sattel der Kontenance heben lies, so glatt hatt ihn doch für dismal die weibliche und mütterliche Wuth der Frau Inspektorn herausgeworfen. Er stand da, wie Squire Bramble lobesan, mit bebender Lippe und mit klappernden Zähnen, sah bald nach seinem Sohne, der sich mit weinenden Augen die Wangen rieb, die von den Ohrfeigen der Frau Inspektorn wie das helle Feuer glühten, bald warf er einen grimmigen Blick nach der Alkofenthüre, zu dem die Arie aus der Operette: Der Teufel ist los ganz vortreflich gepaßt haben würde:

Ja, hätt ich dich,
Wie wollt ich dich!

Der Herr Inspektor seiner Seits war auch nicht weit davon, mit den Lippen zu beben und mit den Zähnen zu klappern: Aber auf eine ganz andere Manier und aus ganz andern Bewegungsgründen. Er fühlte die Wahrheit in der Erzählung des kleinen Christoffels mehr als zu gut und war schon willens, die Saiten herabzuspannen, als seine Frau durch ihr Furioso aller Harmonie ein Ende machte. Nun sah er sich den Insülten des äusserst beleidigten und erzürnten Schmidts doppelt und allein ausgesetzt, und befürchtete mit Grunde, er werde mit allem Nachgeben und zum Kreuze kriechen das nicht wieder gut machen können, was sie böse gemacht hatte.

Unterdessen hatte sich Schmidt von seiner Falle aufgerafft, und anstatt zu lärmen und zu toben, faßte er seinen Knaben bey der Hand und sagte: Ich empfehle mich Ihnen, mein Herr Inspektor! Wir sprechen uns weiter!

Kein Donnerschlag hätte dem Herrn Inspektor schrecklicher seyn können, als dis Wort: Denn schon sah er Schmidten in Gedanken zum Advokaten gehn, Speciem Fakti aufsetzen und noch denselben Tag die Klage beym Konsistorium eingeben. Er trat ihm also mit Angst und Beben in den Weg und sagte mit zitternder Stimme: Wohin, wohin, mein lieber Herr Schmidt? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß er mir, seinem Beichtvater, das Herzeleid anthun wird und wird um einer solchen Läpperey willen einen Proceß anfangen?

Schm. Läpperey? Das nennen Sie Läpperey? Meinen armen Jungen so zu schlagen, daß ihm das Feuer aus den Augen springt, weil er die Wahrheit sagt?

Insp. Es thut mir herzlich leid, daß es geschehen ist: Aber ich kann nichts davor!

Schm. Nichts davor? Nun so verzeih mirs der liebe Gott: Denn wenn mein Weib sich so aufführte, den Hals dreht ich ihr um, wie einer Henne! Aber gedulden Sie sich nur, mein Herr Inspektor, ich will an Ihrer Frau ein gut Werk thun, wovor Sie mir noch obendrein danken sollen! Ich will ihr die Tollader anstreichen, daß sie zeitlebens an den Gastwirth Schmidt denken soll.

Insp. Mein lieber Herr Schmidt, besinne er sich! Des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. Wir müssen vergessen und vergeben. Er ist mein Beichtsohn und wird nun nächstens wieder das heilige Werk vornehmen. Bedenke er doch, wie will er würdig hinzutreten, wenn er Haß und Groll in seinem Herzen hat?

Schm. Nun das muß wahr seyn, die Geistlichen können andern ganz vortreflich predigen, was sie thun und lassen sollen, wenn sies nur hübsch selber zuerst thäten. Sagen Sie mir doch einmal, mein Herr Inspektor, warum liessen Sie denn meinen Christoffel rufen? Wars ums Vergebens und Vergessens willen, oder etwan deswegen, daß Sie und Ihre Frau Ihr Müthchen recht an ihm kühlen wollten, wenn ich ein Narr gewesen wäre und hätt ihn allein gehen lassen? Und warum predigen Sie denn das Ihrer Frau nicht zuerst vor: Des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist! Ich dächte, kein Mensch auf der Welt brauchte das so nöthig, wie Sie! Nein, nein, mein Herr Inspektor, und wenn Sie mit der ganzen Bibel gegen mich angezogen kämen, ich lasse mich nicht verblüffen! Es steht auch geschrieben: Mit dem Maaße, da ihr messet, wird man euch wieder messen! Sehn Sie, ich bin auch bibelfeste!

Hier flossen dem Herrn Inspektor die hellen Thränen aus den Augen. Nun, sagte er, wenn er denn so grausam seyn kann und kann es über sein Herz bringen, daß er mich und meine Familie vor der ganzen Stadt und vor dem Konsistorium prostituiert, so thu ers! Aber es wird ihm keinen Segen bringen. Meine Thränen und meine Seufzer werden ihn schwer auf der Seele drücken, und wenn ihn der liebe Gott einmal aufs Krankenbette wirft, dann wird es ihm zu Hause und zu Hofe kommen, denk er an mich!

Schm. O davor wollt ich ruhig und getrost sterben! Mein Gewissen beißt mich nicht! Ich habe kein Unrecht gethan noch thun wollen, sondern ich will bloß das Unrecht abwehren, was mir und meinem Christoffel geschieht. Indessen, weil ich sehe, daß Sie sich die Sache so sehr zu Herzen nehmen, so will ich Mitleiden mit Ihnen haben und kein Spektakel weiter anfangen. Aber Ihre Frau muß mir Abbitte und Ehrenerklärung thun, da ist bey Gott Gnade! Und da verliehren Sie nur weiter kein Wort. Ich will gleich zum Stadtschreiber gehen und ihn mitbringen. In dessen seiner Gegenwart soll das Werk vor sich gehen. Bleiben Sie, ich bin gleich wieder bey Ihnen!

Schmidt gieng wirklich und überließ es dem Herrn Inspektor, es seiner theuern Ehehälfte zu sagen oder nicht zu sagen, welche Demüthigung ihr bevorstünde. In weniger als einer Viertelstunde war er auch mit dem Stadtschreiber richtig da, und beyde begaben sich geradezu auf das Zimmer der Frau Inspektorn.

Ey, ey, rief ihr der Stadtschreiber gleich entgegen, denn Schmidt hatte ihn unterwegens schon von allem unterrichtet: Was haben Sie für einen dummen Streich gemacht! Gleich geben Sie Herr Schmidten die Hand und bittens ihm de- und wehmüthig ab, oder bey meiner höchsten Seele, Sie kriegen einen Proceß an den Hals, der Sie Ihr schweres Geld kosten soll und zuletzt müssen Sie gar die Abbitte und Ehrenerklärung öffentlich thun, die Sie itzt noch in aller Stille verrichten können! Also nur gleich zur Sache!

Blos diejenigen von meinen Lesern, die mit dem menschlichen Herzen aufs innigste bekannt sind, können im Voraus wissen, wie sich die Frau Inspektorn ihrem Charakter gemäß bey diesem garstigen Handel betrug und betragen muste. Für die andern aber dürfte vielleicht die Bemerkung nicht überflüssig oder wohl gar neu seyn, daß auf der ganzen Erde keine furchtsamere und verzagtere Kreatur ist, als ein böses Weib, sobald sie mit einem Mann, in der vollen Bedeutung des Worts zusammenstößt. Xantippen, wenigstens soweit meine Erfahrung reicht, xantippisiren bloß gegen ihre Ehemänner, die eo ipso keine Männer, sondern bloß zweybeinichte Thiere mit Hosen sind; Ausserdem etwa noch gegen Knecht, Magd, Vieh und alles, was von Natur oder durch Situation wehrlos ist. Aber noch nie hat ein Weib von der Art einem wahren, wirklichen Manne gegenüber gestanden, ohne daß es ihr durch alle Nerven, Adern und Gebeine gedröhnt, und ohne daß sie, bis ins innerste erschüttert, ihre angebohrene weibliche Schwachheit gefühlt und mit einem schweren Seufzer beklagt hätte. Gewöhnlich nehmen sie dann ihre Zuflucht zum Wasser, wenn das Feuer seine Dienste versagt, und leider! dringen da gar oft ein paar gesalzne Thränen durch, wo Stoß und Hieb wie von einem diamantenen Schilde zurückprallten: Aber wessen Herz auch gegen dieses Element fest ist, der ist der wahre Unüberwindliche! Gegen den sind Alexander und seines gleichen nur Kinder!

Unsre Frau Inspektorn schien vorhin bey ihrer raschen That über die Grenzen der gemeinen bösen Weiber hinaus zu gehen, da sie es sogar wagte, einem Manne, den sie selbst dafür erkannte, ins Angesicht Trotz zu bieten! Allein eh sie ihre Hand aufhob, machte sie bey sich selbst die Ueberlegung, Schmidt würde seinen Zorn mehr gegen ihren Mann, als gegen sie richten. Dieser möchte denn sehen, wie er mit ihm fertig würde: Das war seine Sorge! Und wenn es denn nun ja nicht anders geschehen könnte, als durch kriechendes Wegwerfen und niedriges Abbitten, so hatte doch indeß Christoffel seine Ohrfeigen weg und die mütterliche Rachsucht war gestillt! So lautete die Rechnung der Frau Inspektorn und mit dieser Aussicht stärkte sie sich zu ihrer kühnen That. Als sie aber bey fernerem Horchen vernahm, daß das Ding einen ganz andern Ausgang gewann; Als sie hörte, daß Schmidt ihren Mann aus Barmherzigkeit los ließ, um alle seine Unbarmherzigkeit gegen sie zusammen zu halten: Da schmolz mit einemmale ihre ganze Herzhaftigkeit in ächte weibliche Verzagtheit über. Wie ein angeschossenes Wild lief sie schleunig davon, als sie Schmidten sagen hörte, er wollte ihr ihre Tollader anstreichen, daß sie zeitlebens daran denken sollte. Darüber versäumte sie nun vollends noch das einzige Wort des Trostes, zu dem sich Schmidt durch des Herrn Inspektors Thränen erweichen ließ: Und da sie folglich nicht wußte, zu welchem Endzwecke Schmidt und der Stadtschreiber zu ihr kamen, so glaubte sie bey ihrem ersten Eintritte, es sey völlig um sie geschehen und beyde kämen, sie in das Stadtgefängniß abzuholen. Als aber der Stadtschreiber sogleich beyder Absicht erklärte, und sie vernahm, daß sie vor diesmal noch mit einem blauen Auge davon kommen sollte, wards ihr wieder merklich leichter ums Herz, und fast begann ihr Kamm sich abermal emporzusträuben!

So, sagte sie, das ist schön von Ihnen, Herr Stadtschreiber, daß Sie Herr Schmidten mehr beystehen wollen, als uns! Ich soll es also in aller Stille einstecken, daß Christöffel meinen Israel halb todt geschmissen hat, und daß ich ein 20, 30 Thaler für Barbier und Apotheker zum Fenster hinaus schmeissen muß, und das arme Kind kommt doch vielleicht kaum mit dem Leben davon, oder behält doch wenigstens einen Schaden auf Zeitlebens!

Frau, versetzte Schmidt mit einer donnernden Stimme, ziehn Sie Ihre Kinder besser, so haben Sie sie besser! Und wenn mein Junge Ihren Israel auf der Stelle todt geschlagen hätte, ich wollte einmal sehen, wer ihm unter den Umständen ein Haar krümmen sollte. Aber davon ist itzt nicht die Rede: Davon ist die Rede, daß Sie sich unterstehen und fallen mir, als Vater, ins Amt! Ich habe zu bestrafen, nicht Sie, und ich sag es Ihnen grade heraus, wäre Ihr Mann nicht ein Geistlicher, vor dem man seines Standes wegen einigermassen Respekt haben muß, Sie sollten, so wahr ich lebe, meine schwere Hand gefühlt haben!

Scht, Scht, Mann, sagte der Stadtschreiber, werdet nur nicht wieder hitzig: Und Sie, Frau Inspektorn, seyn Sie ums Himmels willen vernünftig und sehn Sie Ihr Unrecht ein! Erklären Sie hiermit kurz und gut, daß Sie sich an dem kleinen Christöffel auf eine unrechtmässige, gewaltsame Art vergriffen haben; daß das in der Hitze und Uebereilung geschehen ist, wie bey euch Weiberchen so manches geschieht, und daß es Ihnen leid ist! Versichern Sie das mit einem aufrichtigen und deutlichen: Ja!

Ja, sagte die Frau Inspektorn: Aber ein andrer als ich, versuche es, dem Leser von der Art, wie dieses Ja gesagt wurde, einen bestimmten und deutlichen Begriff zu geben!

»Nun so geben Sie Herr Schmidten die Patschhand!«

Ich mag keinen Handschlag, rief Schmidt trotzig: Genug, daß ich es in meiner Gewalt hätte, Sie und Ihren Mann aufs äusserste zu treiben, wenn ich wollte! Aber ich will nicht und mag nicht. Uebrigens hab ich heute Ihre Schwelle zum letztenmale betreten, leben Sie wohl!

Er gieng, und wie viel Heil und Segen ihm die Frau Inspektorn nachwünschte, mag der geneigte Leser von selbst ermessen. Der Stadtschreiber blieb noch ein Augenblickchen und verständigte der Frau Inspektorn, was ihr etwa noch dunkel schien. Niemand aber war bey der ganzen Sache so ganz unbefangen und völlig froh und heiter, als Fiekchen. Sie belachte sich den Vorfall in aller Stille herzlich, und so leichtsinnig dies scheinen mag, so steckte doch ein Entschluß dahinter, der, dünkt mich, nicht so ganz zu verachten war. Sie wollte nehmlich, wenn ja das schlimmste zum schlimmsten gekommen wäre, es lediglich auf sich nehmen, den beleidigten und erzürnten Schmidt wieder gut zu machen. Sie war ihrer Sache hierinn so gewiß, daß sie eine grosse Wette darauf wagen wollte; Und daraus zieh ich den Schluß, daß auch der festeste Mann doch noch irgendwo ein schwaches Fleckchen haben muß, was der Scharfsichtigkeit eines Mädchens nicht entgeht.


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