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Vier und zwanzigstes Kapitel.

Mit dem Schlage vier Uhr, um welche Zeit die ganze Arlesheimische Schuljugend wie ein Bienenschwarm aus den Klassen flog, stieß auch Lady Fama mächtiglich in ihre beyden Trompeten ( one before, and one behind; mit Butlern zu reden.) Wenzkys Schüler brachten nichts als die besten Nachrichten vom Herr Direktor nach Hause; Er hatte sie so viel gelobt, war mit den Proben ihres Fleißes und ihrer Geschicklichkeit so vollkommen zufrieden gewesen, daß sie sich selbst hätten feind seyn müssen, um ihn nicht wieder zu lobpreisen. Die Sextaner hingegen schalten auf ihn, was sie nur konnten, und je mehr ihnen das anfängliche Verbot des Stocks und die Einführung der Kuchenprämien behagt hatte, desto ärger tobten sie nun, daß beydes fast in einem Athem wieder war abgeschaft worden. Ein böses Gerücht läuft immer mit schnelleren Schritten als ein gutes, und so währte es keine Stunde, als Heineccius die ganze schöne Occiputs- und Stock- und Kuchen-Geschichte haarklein erfuhr. Er stutzte ein wenig: Aber noch war seine Freundschaft für Spitzbarten zu warm und sein Vertrauen auf die praktischen Kenntnisse des Verfassers vom Ideal einer vollkommenen Schule zu stark, als daß er einen solchen Schandfleck auf ihm hätte lassen sollen. Er läugnete also die ganze Historie glatt weg; Die unverständigen Schulknaben, sagte er, könnten sich in die neuen philantropinischen Einrichtungen nicht finden: Es wäre also natürlich, daß sie in ihren Erzählungen Carrikaturen daraus machten. Er wollte den Herrn Direktor selbst darüber sprechen und aus seinem Munde beydes, das Wahre und Falsche vernehmen.

Da kam er denn nun freylich vor die rechte Schmiede, wenn es ihm darum zu thun war, die Geschichte so zu hören, wie er sich ihrer am wenigsten zu schämen Ursach hatte. Spitzbart war itzt eben dabey, sie beym Abendpfeifchen dem Prorektor Fein mitzutheilen, und so wie er sie zu drehen und zu wenden wuste, bekam sie nicht nur kein schimpfliches, sondern sogar ein rühmliches Ansehn. Heute, sagte er, hab ich denn einen Anfang gemacht, die Bürde sowohl als die Freuden meines Amts zu schmecken. Die Freude macht mir Wenzky und das Leid der arme Sünder, der Mehlmann. Stellen Sie sich vor, ich komme in seine Klasse und finde ihn, wie einen Stockmeister, mit dem Prügel in der Hand. Natürlich untersag ich ihm denselben auf die Zukunft und führe dagegen die weit vernünftigere und menschlichere Methode der Prämien ein. Zu dem Ende laß ich sogleich für 9 Groschen Kuchen holen und theile selbst die erste Prämie aus. Es geht auch alles recht gut. Allein kaum hab ich den Rücken gewandt, so fallen die Buben wie Straßenräuber über den Kuchen her und verzehren ihn rein auf. Mehlmann kommt und klagts mir: Was konnt ich thun? Ich muste mich in die Zeit schicken und ihm den Stock wieder erlauben. Er mag ihn denn auch so lange behalten, bis ich die Reformation dieser Klasse von Grundauf unternehme! Doch ich mag itzt nicht mehr dran denken: Aber Wenzky, liebster Freund, Wenzky, das ist ein Mann, der mir mein ganzes Herz geraubt hat etc. Und nun erzählte der Herr Direktor der Länge nach den ganzen Hokuspokus, mit dem ihn Wenzky hintergangen hatte.

Fein hatte seine innigste Freude über die Einfalt und Leichtgläubigkeit unsers Mannes, und um es ihn denn doch fühlen zu machen, wie schändlich er sich in seinem Urtheile betrogen, fieng er allmählich an, seine Maschinen spielen zu lassen. Vorläufig legte er dem Herrn Direktor ein grosses Lob bey wegen der Güte seines Herzens, das, weil es selbst zu keinem Betruge fähig sey, auch bey andern keinen Betrug fürchtete. Dann kam er näher zur Sache, betheuerte höchlich, daß es ihm unendlich leid sey, dem Herrn Direktor unangenehme Dinge zu entdecken; indeß sey es Pflicht für ihn! Und nun folgte der ganze lange Roman, den Wenzky gespielt hatte, mit eignen Zusätzen und Verbesserungen von Fein. Spitzbart starrte und staunte über die unerhörte Nase, die ihm war gedreht worden: Aber Fein hatte daran noch nicht genug! Um ihn vollends gegen Wenzkyn aufzubringen, fuhr er also fort: Nicht wahr, mein würdigster Herr Direktor, Sie haben Wenzkyn mit Ihrem Ideale ein Geschenk gemacht? Als Spitzbart dis bejahte, sagte er weiter: Nun so ist es richtig, und so hat denn der elende Mensch die gröste Niederträchtigkeit begangen, deren nur ein Mensch fähig ist! Noch denselben Tag hat er Ihr kostbares Geschenk an einen meiner Freunde für 20 Groschen verkauft! »Verkauft, rief Spitzbart, und sprang mit der grösten Heftigkeit vom Stuhl auf: Verkauft?« Sie haben Recht zu erstaunen, versetzte Fein: Indeß ist es leider mehr als zu wahr und ich habe es aus dem Munde des Käufers selbst. Nun gieng Fein von neuem tief in die skandalöse Chronik von Wenzkyn, erzählte von seinen Betteleyen bey den Eltern seiner Schulknaben und von seinen poetischen Vorlesungen in der Klasse. Morgen, sagte er, wird ohne Zweifel alles wieder seinen gewöhnlichen Schlendrian gehen, und wenn das Glück gut ist, läßt sich Wenzky mit irgend einem poetischen Leichen- oder Hochzeitwische in der Klasse hören. Ich wollte viel drum geben, wenn Sie ihn einmal bey dieser edlen Beschäftigung überraschen könnten! Gott sey ihm gnädig, rief Spitzbart mit funkelnden Augen und zusammengebißnen Zähnen, wo ich ihn dabey attrapire! Mein Entschluß ist schon gefaßt, er ist ein Betrüger, und ein Betrüger verdient keine Schonung.

Auf diese Weise ward das Herz des Herrn Direktors mit neuer Leidenschaft angefüllt, die ihm eine ziemlich unruhige Nacht machte: Wie und auf was Art er sich ihrer aber am folgenden Morgen entschüttet, davon besehe der geneigte Leser das


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