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Vierzehntes Kapitel.

Die Tragödienschreiber, die nächst den s. t. Scharfrichtern die einzigen privilegirten Mörder im Staate sind, lassen oft ihre Helden, wenn eben kein Gift oder Dolch bey der Hand ist, gradehin aus heiler Haut sterben. Sie sterben am fünften Akte, sagte einmal ein witziger Kopf! Diese Todesart scheint mir unter allen die leichteste und sanfteste zu seyn und ich wünschte aus christlicher Liebe, daß der gute alte Stuppani auf diese unschmerzhafte Art aus der Welt gekommen wäre. Allein sein Tod war wirklich kein Theatertod! Es kam ihm etwas von dem Brief zu Ohren, den Heineccius an unsern Herrn Inspektor geschrieben hatte und es ward ihm sogar nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß wenn er noch länger als ein Jahr säumte, seinen Platz leer zu machen, so würde man ihn ohne Umstände für invalide erklären und ihm bey seinen Lebzeiten einen Nachfolger setzen. Das war ein Nagel zu seinem Sarge; Der Fieberschauer ergriff ihn und warf ihn noch den Tag aufs Krankenlager nieder. Bey seiner felsenfesten Natur dürfte vielleicht der Tod dennoch bey ihm vorübergegangen seyn, wenn er sich blos auf ihre Hülfe verlassen hätte: Aber so ließ er sich bereden, itzt zum erstenmale seine Zuflucht zum Doktor und zur Arzney zu nehmen. Nun führte ihm das Schicksal grade einen jungen, rüstigen Arzt zu, der ohne Rücksicht auf Alter und Konstitution des Körpers jede Krankheit mit Gewalt zu sprengen suchte. Dieser forcirte ihn dergestalt mit einer ganzen Sündfluth von Arzneyen, daß der arme, schwache Greis in weniger als vier Wochen das Zeitliche gesegnete.

So erschien denn endlich der glückliche Augenblick, dem Heineccius so lang entgegen geschmachtet hatte. Eben hatte er das ganze Kollegium der Senatoren bey sich, nicht ohne die geheime Absicht, ihre Wahlstimmen im Voraus in Beschlag zu nehmen. Zu dem Ende ließ er nicht nur den Wein viel reichlicher und köstlicher als gewöhnlich fliessen, sondern er hatte auch das Ideal unsers Herrn Inspektors, als ein neues Meßprodukt, einem edlen Senate vorgelegt, las die schönsten Stellen daraus mit einer hinreissenden Deklamation vor und erhielt für dieselben allgemeinen Beyfall. Die Wenigsten dieser Herren, an der Zahl sechse, hatten das Zeug, den Werth oder Unwerth eines Buchs richtig zu beurtheilen: Oder hätten sie es auch gehabt, so war itzt ihr Kriticismus im edlen Acht und Vierziger ersäuft! Mitten in dieser günstigen Konstellation für unsern Herrn Inspektor trat der Bote ins Zimmer, der den Tod des abgeschiedenen Stuppani verkündigte. Heineccius gerieth vor Freuden ganz ausser sich; Dem Himmel sei es gedankt, rief er, so ist denn endlich mein langer sehnlicher Wunsch erfüllt, und wir haben es nun in unsrer Gewalt, Wohlthäter unsrer Stadt auf diese und alle künftige Generationen zu werden, wenn wir an die Stelle des Verstorbenen einen Mann erwählen, der Kraft und Muth besitzt, unsre arme fast gänzlich zerrüttete Schule von Grund aus umzuschaffen. Ob der vortrefliche Verfasser des Ideals dieser Mann sey, ist wohl weiter keine Frage und ich seh es an aller Ihrer Mienen, daß Sie für keinen andern eine Stimme haben, als für ihn. Die Frage ist blos die, ob wir so glücklich seyn werden, ihn zu erhalten und ob nicht etwan andre, die sich auch auf Talente verstehen, ihn uns vor dem Munde wegkapern werden? Ich habe schon so etwas vernommen; deswegen wäre mein Rath, wir schrieben in der schleunigsten Eile an den Herrn Inspektor Spitzbart, trügen ihm die vakante Stelle an und suchten unterdeß einen kleinen Fond auszumitteln, um seinen Gehalt noch in etwas zu verbessern. Wenn Sie mir die Sorge dafür überlassen wollen, meine Herren und Freunde, so sollen Sie wenigstens nicht Ursach haben, sich über Saumseligkeit zu beschweren.

Eine Menge Reverenze und Scharrfüsse folgten auf diesen kurzen und bündigen Vortrag des Herrn Stadtdirektors. Fünfe von den Herren Senatoren überliessen die Sache blindlings seinem hohen Gutbefinden und ergriffen von neuem die Gläser, um den künftigen Nachfolger des Verstorbenen hoch leben zu lassen: Der sechste aber, der vielleicht wie Just in der Minna den Wein zwar als gut Ding passiren ließ, gleichwohl aber dafür hielt, die Wahrheit sey auch gut Ding, der sechste also nahm sich die Freyheit, replicando vorzustellen, daß es doch ein wenig gar zu rasch sey, schon an die Wahl eines Nachfolgers zu denken, eh der Vorfahr nur einmal erkaltet sey; Eine ernsthafte Berathschlagung über eine so wichtige Sache gehöre aufs Rathhaus, und überdem sey auch der Herr Prokonsul Mirus abwesend, ohne dessen Vorwissen doch nichts in der Sache unternommen werden könne.

Diese Replik war ganz und garnicht in dem Geschmacke des Herrn Direktors, um so weniger, da er merkte, daß sie bey einigen der Senatoren sichtbarlich wirkte, die sich halb und halb schämten, daß sie sich ihre Stimme so wohlfeilen Kaufs hatten ablocken lassen. Indeß machte er gute Miene zu bösem Spiele, sagte, daß er an eine eigentliche Wahl noch nicht gedacht hätte, die freylich in curia und in pleno geschehen müsse, sondern bloß an einen Schlag auf den Strauch, da es wie gesagt noch in weitem Felde stünde, ob der Herr Inspektor die Stelle annehmen würde! Allmählich kam die Rede ganz von Vorfahr und Nachfolger ab und lenkte sich auf andre Gegenstände, die den geneigten Leser nicht interessiren.

Dagegen dürfte es ihm ungleich angenehmer seyn, einen Mann kennen zu lernen, dessen Name von nun an in dieser Geschichte öfter vorkommen wird: Ich meine, den eben genannten Prokonsul Mirus. Er war dem Range nach der nächste nach dem Stadtdirektor und sonach bestand das ganze Corpus eines edlen Senats in Arlesheim aus 8 Mitgliedern, deren 3 Unstudirte waren, von denen aber jeder einer eine Stimme hatte; Natürlich war Heineccius Stimme die entscheidende. Der blosse Gedanke nun, daß er und Mirus die nächsten Kollegen waren, könnte allenfals schon hinreichen, es zu erklären, daß sie keine Freunde waren: Denn in der That wird man eher einen Engländer ohne Spleen, einen Franzosen ohne Nationalstolz, einen Dichter mit einem Rittergute oder einen Musikus, der Kourage hat, antreffen, als ein paar Kollegen, die Freunde sind! Aber zwischen diesen beyden war eine solche natürliche Antipathie der Charaktere und der Sitten, daß, wenn sie auch keine Kollegen gewesen wären, so mußten sie sich doch einander wechselweis, ich will nicht sagen hassen, aber doch äusserst gering schätzen und verachten. Beyde zusammen machten ein kompletes Principium contradictionis aus: Denn wenn der eine A war, so war der andre das schnurgrade non A und umgekehrt. Heineccius war ein junger Mann ohne Erfahrung, der durch eine lebhafte Phantasie hingerissen sich einbildete, die wirkliche Welt liesse sich eben so leicht umschmelzen, als sich der Entwurf dazu im Kopfe oder auf dem Papiere machen liesse. Was insbesondere das Schulwesen betrift, so hatten ihn Basedow und Bahrdt tief in den Irrthum herein geführt. Er glaubte steif und fest, es sey in ihren beyden Philanthropinen alles wirklich so, wie es in den Beschreibungen davon lautet, und namentlich bildete er sich ein, alle Lehrer in Marschlinz vom ersten bis zum letzten hielten in allen Lehrstunden solche herrliche Sokratische Gespräche, als das in dem Bahrdtischen Werke. Mirus hingegen, der gute zehn Jahr älter war und wohl dreyßig Jahre von Erfahrung vor Heineccius voraushatte, weil er von je an mehr unter Menschen als unter Büchern gelebt hatte, lachte herzlich über alle dergleichen überirdische Phantasien. Sein viel umfassender Verstand erblickte überall die vielen unübersteiglichen Hindernisse, die auch die besten Entwürfe zu Schanden machen. Er nannte die Philanthropine nie anders, als Sternschnuppen, die am hohen Firmamente recht hübsch lassen, aber nur leider eine gar kurze Existenz haben. Ueberhaupt verzweifelte er gänzlich an einer allgemeinen Schulverbesserung, weil diese, sagte er, eine allgemeine Verbesserung des menschlichen Geschlechts voraussetzte, die, so lange die Welt stünde, nie erfolgen würde! Sollte aber ja an Schulen gebessert und gefirmelt werden, so müsse es durchaus von gesetzten, kaltköpfigen und erfahrnen Leuten geschehen, die die Welt und das menschliche Herz kennten; Nicht aber von schwindelnden Enthusiasten, die die Nase immer nach dem Monde zu trügen und darüber mit den Füssen im Schlamme stecken blieben.

Einem Manne von dieser Denkungsart konnte unmöglich das Ideal unsers Herrn Inspektors Beyfall abgewinnen: Mit heftigem Unwillen warf er es von sich, als er kaum eine Seite darinn gelesen hatte und knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken, daß Heineccius gewiß Himmel und Erde bewegen würde, im Fall einer Vakanz diesen Idealenkrämer an die Spitze des Gymnasiums zu stellen. Er seiner Seits hatte einen ganz andern Mann auf dem Korne, den schon genannten Rektor Herz! Dieser Mann, dem selbst Heineccius seine Verdienste nicht absprechen konnte, hatte an dem Gymnasio bereits viele Jahre gestanden und besaß fast alle Eigenschaften, die man zu einem guten Schulmanne erfodert, in vorzüglichem Grade. Seine Sprachkenntniß war gründlich und er las mit gleicher Fertigkeit den Homer und Sophokles im Griechischen, und Ossian und Shakespear im Englischen. In der Mathematik, Physik und Philosophie hatte er tiefe und in den historischen Wissenschaften wenigstens mittelmäßige Kenntnisse. Sein Vortrag war klar und angenehm und sein Betragen gegen seine Untergebenen ein sanftes Gemisch von väterlichem Ernst und freundschaftlichem Wohlwollen. Er fühlte die Würde seines Standes und war stolz und kalt gegen diejenigen, die ihn als Schulmann geringschätzten. So weit entfernt er übrigens von aller Pedanterey und von orbilischer Strenge war, so hielt er doch schlechterdings darauf, daß das Studiren nicht Spielerey, sondern eigentliche Arbeit seyn müsse. In einem seiner Programmen hatte er mit vieler Schärfe den Basedowschen Grundsatz angegriffen, vermöge dessen er seinen Zöglingen erlaubt, in den Lehrstunden aufmerksam zu seyn oder nicht. Doch wir werden in der Folge noch Gelegenheit genug haben, den Charakter dieses Mannes kennen zu lernen: Itzt zurück zu unserm Mirus.

Er befand sich eben an dem Todestage des alten Stuppani auf seinem Landgütchen, eine Meile von der Stadt, wohin er sich so oft als möglich aus der Gesellschaft der Thoren wegzustehlen pflegte, weil er, wie jeder weiser Mann, die Einsamkeit und Stille über alles liebte. Kaum aber erhielt er durch einen Expressen die Nachricht, als er Knall und Fall anspannen ließ und nach der Stadt zurückfuhr. Er erfuhr sogleich, was ihm nicht unerwartet war, daß Heineccius bereits einen glücklichen Versuch gemacht hatte, die übrigen Senatoren zum Vortheil des Herrn Inspektors einzunehmen. Auch sah er schon im Voraus, daß es ihm schwerlich gelingen würde, mit seiner gerechten Sache das Vorurtheil nieder zu kämpfen; und Schleichwege zu gehen, war er zu edel und zu stolz! Dennoch wollte er einen Versuch wagen, ob sich nicht etwas für den Rektor Herz thun liesse, und er schrieb noch denselben Abend folgendes Billet an ihn:

 

Liebster Freund!

»Ich bin vielleicht der einzige, der bey Stuppanis Tode recht aufrichtig und herzlich betrübt ist. So selten ich ans Wünschen komme, so wünscht ich mir itzt einmal das Machtwort meines Königs, um sagen zu können: Herz sey der neue Direktor! Aber dafür ist diese Welt nun einmal eine verkehrte Welt, daß das, was handgreiflich das beste wäre, grade nicht geschieht, weil Hans oder Gürge mit sehenden Augen blind sind. Ich kenne Ihre Denkungsart zu gut, als daß ich nicht wissen sollte, wie Sie sich in gegenwärtigem Falle verhalten werden! Vielleicht ist es Ihnen sogar zuwider, wenn ich, ich will nicht einmal sagen aus Freundschaft für Sie, sondern lediglich aus alter Neigung für die Schule, die mir meine Bildung gegeben hat, alles versuche, was nur irgend in meinen Kräften steht, Ihnen den vakanten Posten zu verschaffen. Aber so wie ich Sie bey Ihrer Denkungsart nicht störe, so müssen Sie mich auch bey der meinigen in Ruhe lassen. Geschieht es, was Gott verhüten wolle! daß das Schiflein unsrer Schule den Händen eines unverständigen Steuermanns anvertraut wird und unter ihm elendiglich zu Trümmern geht, so sollen unsre Väter und Mütter, so soll die ganze Stadt wenigstens nicht über mich schreyen und ich will meine Hände in Unschuld waschen! Gott empfohlen für heute: Morgen, sag ich, mit Odoardo, werden Sie von mir hören!«


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