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Drey und zwanzigstes Kapitel.

Nun, mein Schatz, sagte der Herr Direktor zu seiner theuern Ehehälfte: Itzt mußt Du mich ansehen, wie einen Soldaten, der in die Trenscheen geht. Es ist ein schwer Stück Arbeit, was ich vor mir habe: Aber es soll schon gehen! I was sollt es nicht gehen, gab sie zur Antwort! Du bist ja Direktor, du darfst ja nur befehlen, wie dus haben willst! Setz dich nur gleich recht in Positur, damit sie sich alle vor dir fürchten: Aber dem kleinen runden Prorektorchen mußt du ja nichts thun, hörst du? Grüß ihn von mir und leb wohl, bis Wiedersehen! Der Herr Direktor gieng und Fiekchen schlich ihm ganz leise bis unten vor die Thüre nach. Lieber Papa, sagte sie, eine einzige Bitte! Werden Sie nur nicht hitzig, wenn Ihnen etwan was vorkommt, was nicht recht ist. Ich weiß nicht, es schwant mir so was, als ob Ihnen eine Verdrüßlichkeit bevorstünde! Wenns nur nicht eintrift! Gutes Närrchen, erwiederte ihr der Vater zärtlich, ich danke dir für deine Liebe und für deinen guten Willen, aber laß dir nur nicht bange seyn: Ich werde meine Sache schon machen, wie sichs gehört, darauf verlaß dich! Er gieng und unversehens stand er in der sechsten Klasse vor Meister Mehlmann.

Mehlmann hatte, wie immer, seinen Stock in der Hand; Dieser war in der langen Zeit, daß er an der Schule arbeitete, beynah ein Theil seines Wesens geworden und wenn ers auch gewußt hätte, daß itzt der Herr Direktor kommen würde, so hätt er ihn darum doch nicht aus der Hand gelegt. Aber damit kam er bey seiner neuen Herrschaft schön an! Spitzbart war ein für allemal ein geschworner Feind körperlicher Strafen, deren Untauglichkeit er in seinem Ideale erwiesen hatte. So wie er also nur den Stock erblickte, machte er ein finstres Gesicht und ohne zu bedenken, daß es eine der ersten Regeln der wahren Pädagogik sey, ja keinen Lehrer in Gegenwart seiner Schüler zu hofmeistern, las er dem guten Mehlmann vor der ganzen Klasse seinen derben Leviten. »Wie, sagte er, Sie hängen noch an der alten orbilischen Methode, Kinder mit diesem grausamen Instrumente zu erziehen? Weg damit! Keinen Stock weiter! Der Stock zeugt bloß sklavische und niederträchtige Seelen, die wollen wir von nun an in unsern Schulanstalten nicht haben.«

Mehlmann, der über diesen Anfang in nicht geringer Konsternation war, rafte sich dennoch so weit wieder zusammen, um in tiefster Ehrfurcht einige Gegenvorstellungen zu thun. Er sagte, es sey glatt unmöglich, mit einer so grossen Menge wilder Buben ohne Stock fertig zu werden; Die meisten waren gemeiner Leute Kinder, die nun einmal auf nichts achteten als auf Drohungen und Schläge; Uebrigens wär es ja ihre eigne Schuld, wenn sie sich für ihre Unarten Schlage zuzögen, denn sie wüsten ja ein für allemal, auf was für Verbrechen der Stock stünde; Auch könne er eben nicht finden, daß sie dadurch sklavisch würden, viel mehr schüttelten sie eine Tracht Prügel mir nichts dir nichts ab, und wären so muthwillig, wie vorher etc.

»Alles das sind leere Ausflüchte, fiel der Herr Direktor ein, und Sie sollten sich schämen, es selbst zu bekennen, daß ein Stück Holz mehr im Stande ist, Ihre Kinder in Ordnung zu halten, als Sie! Genug, von diesem Augenblicke an wird hiermit der Stock auf immer und ewige Zeiten aufgehoben! Ich will nicht, daß der grosse Basedow auch von meinen Schulanstalten sagen soll, daß sie vom Geschrey der Erschlagenen ertönen! Den Stock her!« Mehlmann überreichte ihn mit einer betrübten, kummervollen Miene. »Hiermit lieben Kinder, sagte der Herr Direktor, indem er sich an die Schüler wandte, befrey ich euch von eurem bisherigen Zuchtmeister! Ich kenne andere Mittel, euch zum Fleisse und zur Ordnung anzuspornen, die euch mehr gefallen werden! Sagt mir, Kinder, ist nicht hier in der Nähe ein Kuchenbecker?« O ja, riefen gleich 20 Stimmen rechterhand um die Ecke herum ist einer!

»Gut, so gehe einer hin und hole für 8 Groschen Kuchenwerk; Das soll heute Nachmittag als Prämie ausgetheilt werden für diejenigen, die sich am fleißigsten und artigsten betragen werden.« Der Herr Direktor zog seine Börse, einer von den Knaben gieng nach den Kuchen und auf den Gesichtern der ganzen Klasse sah man nichts als Freude und Vergnügen. »Sehen Sie, sagte der Herr Direktor mit einem triumphirenden Lächeln, hat Ihr Stock wohl jemals solche fröliche Gesichter hervorgebracht?« Mehlmann zuckte die Schultern. »Lernen Sie denn, fuhr jener fort, daß Belohnungen ein ungleich mächtigeres Triebrad in der Erziehung sind, als grobe körperliche Strafen. Billig hätten Sie das schon längst wissen sollen, doch es ist mehr die Schuld meines verstorbenen Vorfahren, als die Ihrige, und so will ich Ihnen nichts weiter drum sagen.« Mehlmann mit einer tiefen Verbeugung sagte, er unterstünde sich nicht, dem Herrn Direktor zu widersprechen; Nur bäte er sich Instruktion aus, von wem er alle Tage auf den Vor- und Nachmittag den Gulden zu Kuchen bekommen sollte? »Das wird sich schon finden, gab er zur Antwort, ich kann nicht alles mit einemmale überdenken!«

Indem kam der Knabe ganz ausser Othem, mit Schweiß auf der Stirne und den Kuchen unter dem Arme von seiner Ambassade zurück. In Ermangelung eines andern Platzes wurden sie ins Fenster gelegt; Und nun, sagte der Herr Direktor, lassen Sie Ihre Knaben einmal in ihrer Lektion fortfahren!

Es war eben Deklinirstunde; Mehlmann rief also einen muntern, dreisten Jungen auf, daß er Occiput, das Hinterhaupt, nach der Dritten machen sollte. Kaum hörte der Herr Direktor nur das Wort Dekliniren, so fuhr er auf Mehlmann noch verdrüßlicher, als das erstemal los. Gott, sagte er, auch der verwünschte alte grammatikalische Schlendrian herrscht noch hier! Welche Barbarey und Dunkelheit! Werd ich denn gar nichts taugliches finden, was ich beybehalten kann? Doch, weil es denn einmal leider ist, so mags vorerst bleiben, bis ich den ganzen Unrath mit einemmale ausfege. Deklinir er nur frisch los, mein Sohn! Wenn er seine Sache gut macht, soll er die erste Prämie haben.

Der Knabe fieng sogleich unerschrocken an:

Occiput, das Hinterhaupt,
Occip u tis , des Hinterhaupts,
Occip u ti, dem Hinterhaupte,
Occip u te m , das Hinterhaupt,
Occiput, o du Hinterhaupt,
Occip u te, von dem Hinterhaupte.

Bravo, bravo, rief der Herr Direktor: Das gieng rasch! So hab ichs gern! Wenn man hübsch rasch ist, das ist immer ein Beweis, daß man seiner Sache gewachsen ist! Da, mein Sohn, hat er die Prämie, und lasse er sich das einen neuen Bewegungsgrund zum Fleisse seyn, daß er in der ganzen Klasse der erste gewesen ist, der eine Prämie davon getragen hat.

Mehlmann wollte schier von seinen fünf Sinnen kommen, so erstaunt war er über die saubere Prämienaustheilung seines hochweisen Herrn Aristarchs. Und hätte es ihn Amt und Bart und Haare gekostet, so wäre er nicht im Stande gewesen, dazu still zu schweigen. Mein Herr Direktor, sagte er, nehmen Sie mirs nicht übel, ich muß es frey heraus sagen, der Bube, der Grundmann hat falsch dekliniert, grundfalsch! Occiput kommt ja her von Caput, wo hat denn das in aller Welt im Genitivo Cap u tis? Capitis und folglich auch Occip i tis , Occip i ti und so weiter. Denn hat der Lotterbube auch den Accusativus falsch gemacht. Es ist ja ein Neutrum, und beym Neutro ist ja der Nominativus, Accusativus und Vocativus gleich! Ich begreife nicht, Junge, wo du die Gedanken gehabt hast?

Es war ein grosses Glück für den Herrn Direktor, daß Mehlmann in einen solchen grammatikalischen Eifer gerieth: Denn hätt er kalt Blut behalten, so konnt er itzt den Herrn Direktor auf das allerempfindlichste kneipen. So aber war es umgekehrt und das kalte Blut blieb für den Herrn Direktor. Er konnte bey Zeiten den groben Vergiks inne werden, den er gemacht hatte und auf eine Wendung denken, ihm das gar zu Auffallende zu benehmen. Deswegen ließ er Mehlmannen sich immer erbosen, und nachdem dieser seine Galle los war, sagte er zu ihm in einem väterlich strafenden Tone: Pfui, pfui, wer wollte sich über solche kleine unbedeutende Fehler so erhitzen, oder wohl gar, wie Sie thun, mit Schimpfwörtern um sich werfen! Das ist nicht ein Haar besser, als der Stock, und ich untersag es Ihnen hiermit für die Zukunft allen Ernstes! Nehmen Sie dagegen ein Beyspiel an mir selbst! Ich bemerkte die kleinen Fehler, die der Knabe begieng, so gut wie Sie, und wären Sie mir nicht so ungestüm ins Wort gefallen, so hätt ich sie hinterher mit aller Sanftmuth verbessert. Nun für dismal mags gut seyn, Sie sehen nun ohngefähr, in wiefern Sie Ihre Methode abzuändern haben, wornach sich zu achten! Itzt muß ich meinen Gang weiter fortsetzen; Den Stock nehm ich mit! Mehlmann, der sich durch diesen Kniff wirklich hatte überlisten lassen, bat tausendmal um Vergebung und versprach, sich in allen Stücken nach den Vorschriften seines Vorgesetzten zu richten. Nur über den einzigen Punkt bat er sich noch Befehl aus: Ob der Grundmann, da er doch offenbar falsch deklinirt, den Kuchen behalten sollte oder nicht? Allerdings soll er ihn behalten, sagte der Herr Direktor, das versteht sich; Die paar Fehler ausgenommen, hat er sein Occiput recht gut gemacht! Damit wandte er den Rücken und begab sich nun weiter nach der Klasse des Wohlbelobten Herrn Wenzky.

Hier muß ich mir abermal die Erlaubniß nehmen, eine kleine Einleitung vorauszuschicken. Es ist eine alte bekannte Klage, daß Betrügereyen und X für U in allen Ständen herrschend sind: Aber niemand auf Erden wird wohl mehr betrogen als ein Aufseher, er habe Namen wie er wolle, sobald man seine Ankunft nur ein klein wenig voraus wittert. Es würde eine hübsche skandalöse Chronik geben, wenn man z. E. erzählen wollte, wie ganze Landeskollegia es machen, wenn sie die Recherche ihres Chefs vorherwissen; Wie fein sie alles in der grösten Geschwindigkeit über die Seite schaffen, was nichts taugt und bloß das sehen lassen, was löblich ist und wohl lautet. Kaum ist dann der Herr zum Thore hinaus, so hängt ein jeder säuberlich seinen Galarock wieder an den Nagel, und wirft sich in sein altes schmutziges Neglige, in dem ihm so wohl ist! Eben diesem Schicksale, auch bey der grösten Scharfsichtigkeit schändlich betrogen zu werden, sind die Aufseher der Schulen vor allen andern ausgesetzt. Um die Lehrer in ihrer wahren Gestalt kennen zu lernen, wie sie sich so recht selbstgelassen sind, müßten jene sich schlechterdings in Mäuschen verwandeln können: Denn sobald sie in sichtbarer Menschengestalt erscheinen, gleich tritt alles in Parade; Alle Segel werden aufgespannt und alle Ruder arbeiten, und es müßte schlimm seyn, wenn nicht das Schiff auf diese kurze Frist nach Herzenslust segeln sollte. Aber sobald denn auch das spähende Auge sich wieder weggewandt hat, gleich werden die Segel eingerefft, der Takt der Ruder wird immer langsamer und langsamer, und ein Glück, wenn er nur nicht gar einschläft. Dis alles gilt natürlich nur von solchen Lehrern, die einen Aufseher brauchen: Und was wirklich gute Lehrer sind, in der vollen Bedeutung des Worts, die brauchen keinen, sondern sind sich selbst Aufsehers genug! Ist aber vollends der Fall der, daß ein Lehrer lange Zeit gehabt hat sich auf die Ankunft seines Aufsehers anzuschicken, dann kan man hundert gegen eins setzen, daß er mit sehenden Augen betrogen wird! Und nun werden meine Leser ohnschwer die Applikation dieses Spruches von selbst machen: Derjenige, der betrogen wurde, war unser Herr Direktor, und der ihn betrog, war Sir Wenzky. Nicht etwan erst nach Spitzbarts Ankunft, sondern gleich nach seiner Wahl hatte er bereits angefangen, seine ganze Klasse auf diesen Besuch vorzubereiten. Tag vor Tag hatte er mit seinen Schülern die lieben Langens Colloquia durchgepeitscht und einige davon so unzählige mal, daß die allermeisten sie Wort für Wort auswendig konnten. Um aber noch mehr Figur und Respekt zu machen, hatten einige Knaben Fabeln aus dem Gellert auswendig lernen müssen, wobey sie nach Anweisung ihres Lehrers mit den Fäusten so grimmig rechts und links um sich herumschlugen, daß wer nur nahe genug stand, sie gewiß nicht ohne Empfindung anhören konnte. Die Schreibebücher, Exercitienbücher und all der Kram, den die Schulknaben in Riemen zu schnallen pflegen, war blank wie Spiegel und eben so reinlich und ordentlich waren die Schüler selbst, alle frisirt und gepudert und mit Manschetten. Ueberdem waren nun noch verschiedene Reglements ergangen, wie ein jeder sich gegen den Herrn Direktor selbst verhalten sollte! Erstlich, so lange er da wäre, auch nicht den allergeringsten Unfug bey Leib- und Lebensstrafe: Zweitens, wenn er fragte, dreist geantwortet, oder wenn einer gar nichts wüste, so sollte er sagen: Ich bitte unterthänigst um Verzeihung, das weiß ich nicht, oder das hab ich noch nicht gelernt! Ihn selbst, den Herrn Wenzky sollten die Knaben nicht anders anreden, als: Allerliebster Herr Wenzky, mein allerbester Lehrer; sollten ihm auch zu Zeiten die Hand küssen etc.

Nun war Wenzkys Klasse die nächste an Mehlmanns seiner. So wie er also den Herrn Direktor nur von ferne roch, wurden in der grösten Eil alle Vorschriften von neuem eingeschärft und alles vollends fertig gemacht, daß der Vorhang nur aufgezogen werden durfte. Er erschien. Im Augenblick erhoben sich alle Schüler von ihren Sitzen und machten eine tiefe ehrerbietige Verbeugung; Wenzky selbst aber, den Hut in der Hand, ganz in derselben Attitüde, die wir oben schon gesehen haben, hub in seinen gewöhnlichen zwölfsilbigen Reimen also an:

Gegrüsset seyst du uns, ehrwürdger Herr Direktor,
Der ganzen Schule Haupt und weisester Protektor!
Wie sehr erfreuet uns das Glück, das du uns schenkst,
Und an den Hörsaal auch der fünften Ordnung denkst.
O nimm vorlieb mit uns und unserm guten Willen
Und laß dein hohes Herz mit Beyfall sich erfüllen.
Ist aber wo ein Fehl, so deck ihn freundlich zu,
Dis sind ja Kinder nur, und ich ein Mensch dazu.
Ins künftige soll es schon immer besser gehen,
Wenn wir dich länger nur in unsern Mauern sehen.

Dixi.

Die ganze Klasse machte die Verbeugung mit, mit der Wenzky das Dixi begleitete, welches denn unserm Herrn Direktor so ungemein wohl gefiel, daß er Wenzky freundschaftlich die Hand drückte und zu ihm sagte: Ich dank Ihnen, ich dank Ihnen, lieber Mann, für Ihre abermal gehabte poetische Bemühung. Seyn Sie versichert, daß Sie an mir einen gelinden und billigen Censor finden werden, und sollte mir auch etwan wo ein Fehler aufstossen – Doch die schöne Ordnung, die ich an Ihren Scholaren bemerke, läßt mich das nicht einmal befürchten. Also schreiten wir nur gleich zur Sache, wenns gefällig ist.

Wenzky winkte, und einer der Knaben trat ehrerbietig hervor und überreichte dem Herrn Direktor Langens Colloquia. Völlig auf den nehmlichen Fuß, wie es auf dem berühmten philantropinischen Examen in Dessau geschah, foderte Wenzky den Herrn Direktor auf, ihm aus allen hundert Gesprächen das erste, das beste aufzugeben. Einen Mann von Erfahrung wie Mirus hätte eine solche Auffoderung schon mistrauisch gemacht und er hätte ringsumher auf alle Sträuche geklopft, um zu sehen, ob nicht irgendwo eine Hinterlist verborgen wäre: Unser Mann aber war davon weit entfernt, und was das Strauchklopfen anbetrift, so hatte er damit so seine eignen Schwierigkeiten. Ohne weiteres Suchen also wählte er das berühmte, ihm noch von Schulen her ein wenig bekannte Gespräch: Prosit tibi jentaculum tuum, Christiane! Dis war grade eins von denen, die Wenzky mit seinen Knaben am meisten durchgepeitscht hatte. Hier konnte er folglich mit seinem Tunkus Plemps und Schallaley noch einen guten Schritt weiter wagen. Er bat nehmlich den Herrn Direktor, er möchte sich aus der ganzen Klasse zwey Knaben aussuchen, die das Gespräch ordentlich gegen einander hielten. Mit einem huldreichen Lächeln hob dieser derselben zwey aus, einen von der ersten, den andern von der zweyten Bank; Diese klappten sogleich die Grammatik zu und hielten das Gespräch ganz aus dem Kopfe, ohne nur ein einzigesmal anzustossen, mit allen dazu gehörigen Gesten. Die Freude und Verwunderung des Herrn Direktors war unbeschreiblich und er bezeigte Lehrer und Schülern seine innigste Zufriedenheit. Wenzky aber foderte ihn nun weiter auf, sich zwey andere Knaben auszusuchen, die eben dasselbe Gespräch auf Deutsch mit einander hielten. Es geschah, und auch diese beyden legten mit ihrem Frühstück grosse Ehre ein. Hierauf schritt Wenzky zur grammatikalischen Auflösung des Gesprächs und als er herumfragte, welcher von den Knaben sich wohl daran wagen wollte, so rief fast die ganze Klasse, als ob alles voll von der feurigsten Lehrbegierde wäre: Ich, ich, mein allerliebster Herr Wenzky! Meine allerliebsten Kinder, erwiederte er, von Herzen gern wollt ich einem jeden von euch die Freude machen, daß ihr eure Geschicklichkeit vor unserm würdigsten Oberhaupte zeigen könntet: Aber es sind eurer gar zu viel, und ich kann nur einen auf einmal nehmen! Nach und nach sollt ihr alle zu diesem grossen Glücke kommen! Voritzt mag einer von der untersten Bank auftreten und das Gespräch durchgehen! Wenzky rief und der Gerufene löste, trotz dem grösten Chymiker, einen Theil des Gesprächs in alle seine grammatikalischen Elemente auf. Das gieng wie ein Lauffeuer: Prosit est tertia persona, singularis numera, praesentis temporis, coniuntivi modi, activae vocis, a verbo prosum, profui prodesse; Eigentlich sollte es heissen opto ut prosit tibi, aber opto ut ist hier ausgelassen etc. Hätte die Verwunderung des Herrn Direktors höher steigen können, so wäre sie gewiß gestiegen! Er überhäufte Wenzky mit den stärksten Lobsprüchen und sagte zu ihm, er würde künftig in seine Klasse wenig oder gar nicht kommen, denn die Gesunden bedürften des Arztes nicht, sondern die Kranken! Mittlerweile fuhr Wenzky mit seinen Künsten rüstig fort, ließ Fabeln aus dem Gellert deklamiren, gab Exempel zum Rechnen auf, producirte die Schreibebücher, und alles war und gieng vortreflich, so daß unser Mann mit seinen Sinnen nicht begreifen konnte, wie ein Lehrer von Wenzkys Geschicklichkeit und Talenten zur Zeit noch nicht öffentlich bekannt wäre; noch mehr aber, wie Heineccius diese Perle unter den Schulleuten so ganz und gar hätte übersehen können. Diese Nebenbetrachtung ward durch einen plötzlichen Lerm vor der Thür unterbrochen, der so schrecklich überhand nahm, daß der Herr Direktor sich genöthiget sah, sich in eigner Person ins Mittel zu stellen.

Welch ein Anblick! Welch ein Auftritt! Der Sextus Mehlmann, von einer ganzen Schaar seiner Schulknaben umringt, die ihn, wie die Ameisen einen todten Käfer, zurück zu zerren strebten, spannte alle seine Kräfte an, sich vorwärts zu reissen, und kaum ersah er den Herrn Direktor, so rief er ihm mit keuchender Stimme entgegen: »Mein Herr Direktor – helfen Sie mir – die gottlosen Buben – haben den ganzen Kuchen aufgefressen – ich hab es ihnen so viel verboten, aber es war alles umsonst – und nun ich sie bey Ihnen verklagen will – haben sie mir beynahe mein ganzes Zeug vom Leibe gerissen!« Während dieser Anklage machten sich alle Knaben schleunigst aus dem Staube und rannten wie toll und blind in ihre Klasse zurück. Der Herr Direktor aber, der kurz zuvor das kalte Blut mit so dringenden Vorstellungen angepriesen hatte, behielt itzt auch nicht einen einzigen armen Tropfen für sich selbst. Was ist da lange zu besinnen, rief er mit der grösten Heftigkeit aus? Schlagen Sie drunter, daß die Flecken stieben! Wo kann ich denn, erwiederte Mehlmann mit weinerlicher Stimme? Sie haben mir ja vorhin den Stock weggenommen, und mir das Schlagen öffentlich verboten! Diese Kontrabille traf zu voll, als daß sie den Aerger und Unmuth nicht aufs Auesserste hätte treiben sollen. Ohne eine Sylbe zu antworten, schritt der Herr Direktor hastig herum nach Sexta, und Mehlmann folgte traurig und trübselig nach. Ihr Schlangen und Otterngezücht, fuhr er sie an, ihr wäret werth, daß ich euch itzt alle vom Obersten zum untersten bis aufs Blut peitschen ließe. Wer ist der Rädelsführer gewesen? Heraus mit der Sprache! Die Knaben waren keine Narren, sondern schwiegen und muksten nicht. O ihr hartnäckigen, gottlosen Buben, fuhr er fort, an euch ist Hopfen und Malz verlohren! Ihr seyd der Wohlthaten nicht werth, die ich euch habe erweisen wollen. Statt Prämien sollt ihr künftig Prügel haben, und ich erlaube Ihnen hiermit von neuem, den Stock zu gebrauchen etc. In diesem Tone gieng es noch ein ganz Weilchen fort, bis die Lunge erschöpft war, und er sich zur grossen Freude der Knaben und auch Mehlmanns empfahl. Diesem war itzt ohngefehr zu Muthe wie einem Fische, der aus der Luft wieder in sein nasses Element kommt. Der Verlust des Schwanzes konnte einem Fuchse nicht so empfindlich seyn, noch die Beraubung des Bartes einem altgläubigen Russen, als ihm die Beraubung seines Stocks: Nun aber war ihm Schwanz und Bart wiedergegeben, und er freute sich deß höchlich, wie er denn auch ungezweifelt vom Amte hätte laufen müssen, wenn ihm die Führung des Stocks untersagt geblieben wäre.

Desto trauriger hingegen hiengen die armen Sextaner die Köpfe, nicht so wohl aus Furcht, sondern aus dem Gefühl, daß ihnen der Herr Direktor himmelschreyend Unrecht gethan hatte. Sie glaubten sich nichts Weniger als Schlangen und Otterngezüchte, denn der ganze Handel, den sich der Herr Direktor in der Hitze der Leidenschaft nicht die Zeit nahm, zu untersuchen, war bloß dieser: Der Knabe, der für sein falsch deklinirtes Occiput einen Kuchen zur Belohnung erhalten hatte, muste natürlich bey seinen Kameraden dafür büssen. Sie warfen ihm vor, er hätte den Kuchen mit Unrecht; Fingerknipse hätt er verdient und nicht Kuchen; Sie wollten nun auch falsch dekliniren, da sie sähen, daß man Prämien dafür kriegte. Mehlmann gebot einmal über das andre Stillschweigen, aber vergebens! Die Neckereyen wurden immer heftiger und giengen bald zu Thätlichkeiten über. So wie der Knabe einen Bissen zum Munde führte, ward er ihm aus der Hand geschlagen, und da er darüber empfindlich wurde, und auch wieder um sich schlug, mausten ihm unterdes die übrigen den ganzen Kuchen weg. Er, anstatt sich darüber in neue Händel einzulassen, faßte sogleich seinen Entschluß; gieng hin ans Fenster, nahm sich einen frischen Kuchen und sagte zu Mehlmann: Seyn Sie so gut, und erlauben Sie mir, daß ich den Kuchen hier bey Ihnen essen darf; den vorigen haben sie mir gestohlen und ich habe nicht einen Bissen davon in meinen Mund gekriegt. Was, was, schrien die andern: Er will gar zwey Kuchen haben, für einen? Dann wollen wir auch welche! So gut wie er, verdienen wir sie ebenfalls! Husch, schoß einer nach dem Fenster und nahm sich einen; Den Augenblick folgte ein zweyter, ein dritter: Weg war der Schatz! Der arme Mehlmann wollte vor Wuth und Aerger über diesen enormen Exceß schier mit dem Kopfe gegen die Wand rennen. O ihr gottlosem verruchten Höllenbrände, rief er aus – Wartet nur, wartet nur! Ich will euch bezahlen! Damit lief er sporenstreichs fort, um seine Klagen beym Herr Direktor anzubringen; Die Knaben konnten leicht deuten, daß ihnen ihr kühner Streich übel belohnt werden würde, deswegen suchten sie ihn, halb mit Bitten, halb mit Gewalt zurückzuhalten: Das weitere weis der geneigte Leser!

Dieses garstige Intermezzo machte denn auch einen Querstrich durch den erstgefaßten Vorsatz des Herrn Direktors. Er war gewillet, denselben Nachmittag alle Klassen durchzugehen: Allein er hatte an Sexta so volle Genüge bekommen, daß er mit herzlicher Sehnsucht seinen vier Pfählen entgegen eilte. Unterwegens begegnete ihm der Prorektor Fein, der eben aus seiner Klasse kam. Um sich zu zerstreuen, bat er ihn an den Abend zu sich, und dieser ergriff begierigst die Gelegenheit, die er bis itzt noch nicht hatte habhaft werden können, seinen Kasten voll scandalöser Anekdoten auszuleeren.


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