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Dreyßigstes Kapitel.

Ein Barbiergeselle aus Arlesheim gieng, den Gesetzen seiner Gilde gemäß, auf die Wanderschaft. Sein Weg führte ihn durch Rübenhausen, und da er hier keine Arbeit suchte und nicht nöthig hatte, das Handwerk zu grüssen, so ließ er sich gleich nach dem besten Gasthofe hinweisen, um dort die Nacht zu bleiben. Dis war nun kein andrer als Schmidts Gasthof, desselben Schmidts, der mit dem weiland Herrn Inspektor und Frau Inspektorn einen so merklichen Auftritt gehabt hatte. Es war Abend und eine Menge Gäste hatten sich in der Wirthsstube versamlet, um ihres Leibes mit Bier und Taback und ihrer Seele mit Schmidts Räsonnements und Schwänken zu pflegen. Der Barbiergeselle, nachdem er seinen Ränzel abgelegt, nahm unter der Gesellschaft Platz, und kaum hatte er gesagt, daß er aus Arlesheim komme, so bezeigte die ganze Gesellschaft ihre lebhafte Verwunderung und Freude, und fragte ihn mit Einem Munde nach dem Befinden ihres ehemaligen Seelenhirten? Der Mensch erzählte, was er wußte und das war nicht viel: Denn er war noch vor der Introduktion des Herrn Direktors abgereist. So viel er gehört hätte, sagte er, gienge es ihm sehr wohl und die ganze Stadt erzeigte ihm sehr viel Ehre. Bloß ein schweres Hauskreuz hätte er an seinem kleinen Sohne; Der hätte von einem Strassenjungen einen Schmiß mit einem Steine an den Kopf gekriegt und wäre einem Pfuscher in die Hände gefallen, der ihn schlecht kurirt hätte: Dafür müßt er nun itzt büssen und bekäme zu Zeiten ordentliche Schauer von Tollheit und Raserey, die denn freylich den guten Eltern viel Kummer und Herzeleid machen müßten!

Das spricht ein Hundsfott, rief eine Stimme aus der Gesellschaft und zugleich schlug der Mann, deß die Stimme war, so mächtig mit der Hand auf den Tisch, daß alle Gläser klangen! Der Barbiergeselle erschrak und ward blaß, wie eine Leiche. Mein Herr, stotterte er, nehmen Sie mirs nicht übel, ich weiß nicht, wer Sie sind: Aber ich erzähle, was ich gehört habe, was geht das Sie an? Was, rief der Mann wieder: Mich nichts an? Ich bin der Chirurgus Winter, wenn ers wissen will; Ich habe den Buben in der Kur gehabt, und das sagt mir ein Hundsfott, ein etc. nach, daß ich ihn nicht aus dem Grunde kurirt habe! Unterdessen verführten Schmidt und die andern einen Tumult von lärmendem Gelächter, daß man es in der halben Stadt hören konnte. Nein, rief Schmidt, bey meiner höchsten Seele, solch ein Spaß ist mir nicht vorgekommen, seit ich Gastwirth bin! Und weiß er denn wohl, Musieur, wer der Strassenjunge ist, von dem er redet? Das ist mein Sohn, hahahaha! Ob nun wohl Schmidt das Ding von der lächerlichen Seite nahm, so war doch dem Barbiergesellen ernstlich bange, es möchte von Worten zu Schlägen kommen. Er bat also um Erlaubniß, seine Vertheidigung führen zu dürfen, und die lief, wie man leicht denken kan, darauf hinaus: Daß damals, weil er von Arlesheim abgereist wäre, in der ganzen Stadt das angeführte Gerücht gegangen wäre: Der Herr und die Frau Direktorn hätten es selber in allen Gesellschaften erzählt, darauf wolle er einen körperlichen Eid ablegen, und weil ers zur Gesellschaft mitgeglaubt hatte, so hätte ers halt so nacherzählt etc. Bliz, rief Schmidt, mir fällt was ein: Wollt ihr wissen, wo der Hund begraben liegt? Das ist euch eine Hagelsfinte, die sie mit Fleiß ausgesprengt haben, um die gottlosen Streiche ihres Jungens zu bemänteln. Ich will mich hängen lassen, wenns nicht wahr ist! Aber dann wüßte ich wohl, was ich thäte, wenn ich an eurer Stelle wäre, Winter! Ich liesse gleich ein Memorial an den Magistrat aufsetzen und verklagt ihn, und alle Bader und Balbier in ganz Arlesheim müßten zusammen kommen und den Buben visitiren, und wenn sie den Spruch thäten, daß er frisch und gesund wäre, wie ers denn ganz gewiß ist, dann wollt ich den Pfaffen zwiebeln, daß er daran denken sollte!

Der Chirurgus Winter, der seine Ehre für höchlich gekränkt hielt, ergriff diesen Vorschlag mit beyden Händen und gieng den folgenden Tag richtig zum Stadtschreiber, daß er das Memorial aufsetzen sollte. Dieser, ohngeachtet der vielen Freundschaft, die er sonst in Spitzbarts Hause genossen hatte, trug dennoch kein Bedenken, itzt gegen ihn zu arbeiten. Er setzte eine scharfe Schrift auf, durchspickt mit einer Menge Anekdoten von Israelchens Leben und Sitten, um zu beweisen, daß er schon vorher, eh ihn Winter unter den Händen gehabt, nicht um ein Haar besser gewesen sey. Dieses saubere Stück Arbeit kam denn richtig und wohl in Arlesheim an und ward in voller Session auf dem Rathhause verlesen. Heineccius hörte kaum das Drittheil an und gieng weg; Dagegen hielt Mirus desto treulicher bis zu Ende aus und bedauerte nur, daß das theure Israelchen quaestionis nicht im Orte war, sonst wär es gewiß zur verlangten Okularinspektion gekommen. So aber ward bloß dem Chirurgus Winter zur Resolution ertheilt: Da der Herr Direktor für gut gefunden, seinen Sohn auswärts in Pension zu thun, so könne seinem Gesuche nicht gefügt werden. Beyde Schriften, Memorial sowohl als Resolution, wurden dem Herrn Direktor in Abschrift mitgetheilt, und wenn er darüber nicht auf der Stelle in Ohnmacht fiel, so kam es bloß daher, weil er von Natur nicht zu Ohnmachten geneigt war. Ohnmacht wäre indeß immer noch das kleinere Uebel gewesen: Ein weit ärgeres war der innere Gram und Verdruß, der seinen Nervensaft auftrocknete und, wie er es deutlich fühlte, die Grundpfeiler seines Lebens untergrub.


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