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Zehntes Kapitel.

Schon hatte die liebe, wohlthätige Zeit, die besser als Hippokrates und Boerhave alle Schmerzen der Seele und des Körpers heilt, das Gallengeschwür des Herrn und der Frau Inspektorn aus dem Grunde kurirt und Senft war wieder zu Gnaden an- und aufgenommen. Er seiner Seits hatte, wie ich bereits gesagt habe, das Ideal des Herrn Inspektors mit aller kritischen Langsamkeit und mit der Feder in der Hand mehr als einmal durchgelesen und die Materialien lagen nun da zu einer so bittern, beissenden und persifflirenden Recension, als diejenige war, mit der einst Voltärs Satyr den Herrn von Maupertuis geisselte, als er die Pyramiden in Egypten mit Pulver sprengen und einen Weg bis zum Mittelpunkte der Erde bahnen wollte. Als es aber zum Treffen selbst kommen sollte, zeigte es sich, daß Senft sein Herz für schlimmer gehalten hatte, als es wirklich war. Tausend Vorstellungen drängten sich in seiner Seele: »Wie, dachte er bey sich selbst, soll ich den armen Hiob, der an seinem Weibe und an seinem Kinde schon Kreuzes genug hat, vollends zu Boden schlagen? Soll ich wie Jago im Shakespear, ihm ganz heimlich im Dunkeln eins in die Beine versetzen und meinen Streich auf immer zu verbergen suchen? Das ist weder ehrlich noch großmüthig! Kein rechtschaffener Mann wird eine That thun, zu der er sich zu bekennen scheut: Und das möcht ich denn doch nicht öffentlich wissen lassen, daß ich der Verfasser dieser Recension wäre! Also weg mit ihr ins Feuer!« Wie gesagt, so gethan. Das ganze Manuskript loderte in hellen Flammen auf und Senften war so wohl dabey, wie einem, der sich mit seinem Bruder versöhnt hat. Zusammengekommen waren sie indeß seit der Zeit noch nicht, doch sehnten sie sich nach einander und es stieß sich blos daran, welcher von beyden den Anfang machen sollte! Der Etiquette nach war die Reihe an Senften und er war auch von Herzen bereit dazu: Allein zu einer eigentlichen Fete fehlte es in seiner Junggesellenwirthschaft noch an diesem und dem, und den Herrn Inspektor allein einzuladen, wollte er wenigstens erst einen guten Behelf abpassen. Dieser lief ihm endlich von selbst in die Hände; Ganz unverhoft erhielt er einen Besuch von seinem Bruder, den er in langen Jahren nicht gesehen hatte. Dieser zweyte Senft war ein Kaufmann aus Westphalen, ein lieber, scharmanter Mann, voll gesunden Verstandes und guten Herzens, der in Begleitung seines ältesten Sohnes, eines allerliebsten Knaben von 12 Jahren, von der Leipziger Messe aus die Seitentour nach Unsleben gemacht hatte, um sich mit seinem Bruder einige Tage zu letzen. Die Freude des Wiedersehens war von beyden Seiten sehr groß, und so wie Götz von Berlichingen und Weislingen einander mit ihren Jugendnamen Castor und Pollux nannten, so hiessen sich auch unsre beyden Brüder David und Jonathan. Diesen Namen hatten ihnen ihre Aeltern in frühern Jahren wegen ihrer beynahe unbeschreiblichen brüderlichen Liebe und Zärtlichkeit beygelegt. Seit der Zeit hatte sie das Schicksal von einander getrennt, und unser Senft oder vielmehr Jonathan war Prediger, David aber durch eine reiche Heyrath ein sehr wohlhabender Kaufmann geworden. Was aber Jonathans Freude vollends auf den höchsten Gipfel brachte, das war sein kleiner Neveu Eduard, ein Knabe, den man nur sehen durfte, um ihn zu lieben. Bey einer sehr glücklichen Gesichtsbildung vereinigte er die Tugenden seines Vaters und seiner Mutter in sich, und ohne je auf einem Philanthropin gewesen zu seyn, hatte er beydes, einen sehr gebildeten Verstand und ein edles gutes Herz. Unser Senft konnte es gar nicht satt werden mit diesem Kleinen zu schwatzen, zu schäckern, ihm zu erzählen und sich von ihm erzählen zu lassen. So kaltblütig er sonst gegen das Heyrathen war, so hätte er doch itzt auf der Stelle eine von den beyden Mamsell Meyern genommen, wenn ihm jemand Brief und Siegel gegeben hätte, daß er in Jahr und Tag mit ihr einen Jungen wie Eduard erzielen würde.

Als nun der erste Rausch der Freude vorüber war, dachte Senft darauf, wie er seinen Bruder durch eine unterhaltende Gesellschaft zerstreuen wollte. Hier mußte ihm nun natürlich der Herr Inspektor einfallen: Da er aber nur ihn allein haben wollte, ohne seinen Anhang von Frau und Kindern, so mußte die Einladung sehr künstlich abgefaßt werden, damit nicht etwan die Frau Inspektorn auf ihren Herrn Ehegemahl Beschlag machte! Für manchen andern dürfte dies eine sehr schwere Aufgabe gewesen seyn: er aber, ohne sich lange zu besinnen, setzte sich und schrieb:

»Sehr unverhoft hab ich das Vergnügen, meinen Bruder aus dem Schinken- und Pumpernickellande bey mir zu sehen. Seiner Müdigkeit ohngeachtet will er dennoch mit aller Gewalt heute noch seine Aufwartung bey Ihnen machen, weil er Ihr Ideal in meinem Bücherrück aufgestöbert hat: Allein ich sehe mich genöthiget, Einspruch zu thun, in Betracht, daß sein wohlgemästeter Bauch die Strapatze des Weges zu hart finden und dann Frau und Kinder über mich schreyen möchten. Wir andern, die wir unser Fett beym Studiren zugesetzt haben, machen uns aus einem Marsche von einer Stunde schon weniger, und so nehm ich mir denn die Freyheit, Sie auf diesen Nachmittag zu mir und meinem Bruder einzuladen. Ihrer Frau Gemahlin kann und darf ich eine solche Zumuthung nicht thun, und überhaupt hab ich bey mir ein Gelübde gethan, Ihr ganzes Haus nicht eher festlich bey mir zu bewirthen, bis ich Ihnen Kutsche und Pferde entgegenschicken kann. Dazu gehört nichts weiter, als eine reiche Frau, und da mein Bruder als ein unstudirtes rude pecus eine gefunden hat, so müßt es ja schlimm seyn, wenn mir mein ehrwürdiger Kragen und meine gelehrte Perücke nicht auch eine verschaffen sollten. In dieser angenehmen Hofnung, der reichen Frau sowohl, als der gütigen Erfüllung meiner Bitte, bin ich etc.«

Während daß Senft dies Billet schrieb, das denn wohl schwerlich seinen Endzweck verfehlen konnte, mußte der kleine Eduard im Namen seines Onkels oder vielmehr in seinem eignen Namen ein Dito an den Forstinspektor Topp schreiben. Ich denke, ich werde mich nicht irren, wenn ich annehme, daß meine Leser lieber aus Eduards Feder, als aus der meinigen wissen wollen, wer und was für ein Mann dieser Herr Topp war! Sie geruhen also nur zu lesen, wie folget:

 

Hochgeehrter Herr Forstinspektor,

»Mein Onkel hat mir aufgetragen, ich möchte Sie doch recht herzinniglich bitten, daß Sie doch diesen Nachmittag ganz gewiß zu uns kämen. Ich und mein Papa aus Westphalen sind da, und weil mir mein Onkel gesagt hat, daß Sie sein bester Freund wären und dabey wären Sie so lustig und so aufgeräumt, so verlangt uns alle zusammen recht sehr nach Ihnen. Wir sind zwar so schon vergnügt genug, aber wenn Sie noch dazu kommen, dann geht das Vergnügen über alles. Bringen Sie nur hübsch Ihren Anekdotenkasten mit: Mein Onkel hat mir gesagt, Sie hätten einen rechten grossen stattlichen. Aber wenn er auch noch so groß wäre, ich will ihn schon leer machen, denn hübsche Historien krieg ich in meinem Leben nicht genug. Nun Sie kommen doch gewiß! Topp? Doch still, Sie heissen ja Topp, also darf ich wohl das Wort nicht so gebrauchen! I nun, dafür mögen Sie sich wieder über meinen Namen lustig machen. Die gelehrten Zeitungen möchten Sie nur auch mitbringen, läßt Ihnen mein Onkel sagen und wenn Ihnen etwan ein Volk Rebhühner aufstiesse, so sollten Sie sie nur grade nach der Pfarre weisen. Nun ich werde recht auf Sie lauern, wenns drey schlägt! Ich komme Ihnen auch sicher eine Ecke entgegen: Aber wenn Sie mich dann noch vexiren und kommen nicht! Nein, nein, das geschieht nicht. Dazu haben Sie meinen Onkel viel zu lieb und uns auch mit. Also um drey, nach der Unsleber Uhr, die geht eine halbe Stunde früher.

Eduard Senft.«

 

Nun fehlte nur noch eine Einladung, die Eduard ebenfalls übernahm: Das war der Kantor loci! Ob er gleich kein Mann war, den Senft als Gesellschafter hätte benutzen können, denn seine Rede war im strengsten Verstande Ja, Ja, Nein, Nein, so hatte er sichs doch zum Gesetze gemacht, ihn bey jeder Gelegenheit vor allem Volke zu ehren. Er zog ihn jedesmal zu seinen kleinen freundschaftlichen Gelagen und erquickte ihn reichlich mit allem, was Ceres, Vertumnus und Bacchus bescherten. Um deswillen war es ihm auch herzlich lieb, daß Eduard, der zu allem flink war, gleich den Hut nahm, um ihn selber zu bitten. Er that es und hatte dabey das Vergnügen, zum ersten Mal in seinem Leben eine Dorfschule zu sehen: Allein der Herr Kantor, voll Ehrfurcht für den vornehmen Abgesandten, brach sogleich die Lektion ab und ließ die Schule auseinander gehen. Eduard, trotz alles Nöthigens, ließ sich nicht halten und eilte dem lärmenden Schwarme der Knaben und Mädchen nach. Kinder, Kinder, rief er, wartet doch, nehmt doch unser einen auch mit!

Die Kinder alle zusammen machten gewaltige Augen und wußten nicht ob sie verrathen oder verkauft wären. Eine von den Mädchen aber, ein kleines rundbäckichtes und schwarzäugigtes Ding, nahm das Wort: Ey ja, sagte sie, so ein vornehmes Herrchen wird sich auch mit uns schlechten Kindern abgeben!

Sogleich näherte sich Eduard dem Mädchen, nahm sie lächelnd bey der Hand und sagte zu ihr: Sieh mich einmal an, Mädchen! Seh ich denn wohl so hoffärtig aus?

Das Mädchen ward feuerroth im Gesichte und konnte sogleich keine Antwort finden.

Nein, nein, fuhr Eduard fort: Ich bin kein vornehmes Herrchen und ihr alle zusammen seyd keine schlechten Kinder. Wir sind eins so gut wies andre, und so lange ich hier bin, wollen wir rechte gute Freunde zusammen seyn. Thut mir nur den einzigen Gefallen und seyd nicht so schüchtern gegen mich! Du, sagte er zu einem gelbhaarigten Bauerknaben, der neben ihm stand: Wie heißt du?

Görgel, antwortete der Knabe.

Gut, mein lieber Görgel, erzähle mir doch einmal, was ihr so in eurer Schule lernt?

Diese Frage brachte den Diskours völlig in Gang. Görgel fieng an, seine eignen Studia her zu nennen: Die andern Knaben, die schon weiter waren, erzählten die ihrigen. Allmählich giengen sie schon in die skandalöse Chronik und vexirten diejenigen, die diese Woche Fingerknipse gekriegt oder auf Erbsen hatten knien müssen. Kurz, unser Eduard war mit seiner Gesellschaft hochvergnügt und bedauerte nichts mehr, als daß er nicht aus der Stadt einen recht grossen Korb voll Naschwerk mitgebracht hatte, um es unter die Kinder auszutheilen. Indessen fiel ihm doch ein andrer Gedanke ein; er bat die Kinder, sie sollten nur einen kleinen Augenblick auf ihn warten, er wollte ihnen was holen. Wie der Wind, war er im Pfarrhause und weil sein Vater eben nicht bey Wege war, wandte er sich an den Onkel und bat ihn um kleine Münze, Sechser und Dreyer. Senft gab ihm von jeder Sorte einen Thaler und Eduard sprang im Fluge zu seiner Gesellschaft zurück, die voll Verlangen auf ihn wartete. Heda, sagte er, nun stellt euch einmal alle in einen Kreis und schließt mich in die Mitte! Gesagt, gethan. Nun seht, lieben Kinder, sagte Eduard: Wäre ich wirklich ein vornehmes Herrchen, wie die Kleine da mich vorhin gescholten hat, so wollt ich itzt Dukaten oder doch wenigstens harte Thaler unter euch austheilen! Aber so reich bin ich nicht. Indessen will ich euch doch meinen guten Willen zeigen: Seyd so gut und nehmt vorlieb!

Und nun fieng er seine kleine Spende an; gab jedem Mädchen einen Sechser, der kleinen schwarzäugigten aber zwey, die Knaben hingegen erhielten einen Dreyer. Als er im ganzen Kreise herum war und noch einen kleinen Vorrath von Sechsern und Dreyern übrig hatte, rief er: Achtung! Ihr Mädchen stellt euch zur Rechten und ihr Knaben zur Linken! Husch warf er die noch übrigen Sechser nach der Rechten und die Dreyer nach der Linken, und Knaben und Mädchen flogen wie der Blitz nach der Stelle, wohin der Geldregen fiel. Das war ein Lärm und ein Geschrey, wie bey der Cucagna in Neapel! Alle stürzten und purzelten über einander her und es dürfte leicht zu Zänkereyen und wohl gar zu Kopfstössen gekommen seyn, wenn nicht Onkel Senft mit einem gebietenden Bischt! dazwischen gekommen, und dadurch dem frölichen Getümmel ein Ende gemacht hätte.

Die ganze Schule zog nun nach Hause und in einer halben Stunde war das ganze Dorf von Eduards Lobe voll. Männer und Weiber versamleten sich haufenweise vor der Pfarre, um Eduarden zu sehen: Die Mutter des schwarzäugigten Mädchens aber, die 2 Sechser gekriegt hatte, fand sich durch diesen Vorzug so sehr geschmeichelt, daß sie selbst auf die Pfarre kam und Eduarden mündlich ihren Dank abstattete.

Mittlerweile rückte der Nachmittag heran und schon schritt unser theurer Herr Inspektor rüstig nach Unsleben zu. Auf Senfts Billet hatte er von seiner werthen Ehehälfte mit den gnädigsten Ausdrücken Koncession erhalten und sie selbst gedachte, diesen Nachmittag einige Wochenvisiten abzuthun. Stucker sorgte, wie billig, dafür, daß Fiekchen in ihrer Einsamkeit die Zeit nicht lang wurde und Israelchen war, nach der Schule, auf eine grosse Schlägerey eingeladen, die zwischen den Primanern und Sekundanern des Orts vorgehen sollte.

Schlag halb 3 lief Eduard, wie er sichs vorgenommen hatte, hinaus vor das Dorf, um seinen lieben Forstinspektor Topp einzuholen: Allein statt seiner begegnete ihm der Inspektor des geistlichen Schafstalles. Eduard erkannte ihn gleich aus der Beschreibung, empfieng ihn überaus artig und sagte, sein Vater und sein Onkel erwarteten ihn schon mit grossem Verlangen. Daraus konnte denn der Herr Inspektor ohnschwer abnehmen, wen er vor sich hatte, denn in Senfts Billet stand keine Sylbe von Eduarden! Er begegnete ihm ebenfalls ausnehmend gütig, fragte ihn nach tausenderley und Eduard antwortete auf alles und jedes so dreist und doch zugleich so bescheiden, daß der Herr Inspektor nicht anders muthmassen konnte, als daß Eduard auf einem von den beyden Philanthropinen gebildet worden wäre. Allein wie erstaunte er, als er grade das Gegentheil hörte, daß Eduard fast ganz allein von seiner Mutter erzogen wäre, daß er nie einen Informator gehabt und in der öffentlichen Schule blos einzelne Stunden besucht hätte! Wider Willen entfuhr ihm ein tiefer Seufzer, den ihm der Kontrast zwischen Eduards und Israelchens Charakter und Erziehung auspreßte.

Unter diesen Gesprächen waren sie bis zum Pfarrhause gekommen und Eduard wollte nun zum zweytenmale heraus vor das Dorf, als ihm der Herr Inspektor sagte, Topp wäre heut nicht zu Hause und würde wohl schwerlich kommen. Das war für Eduarden ein harter Schlag; Seine Begierde nach Topps Anekdotenkasten war schon zu hoch gespannt, als daß ein totaler Riß dadurch ohne Schmerzen hätte abgehen können. Indeß beruhigte ihn sein Onkel bald durch die Versicherung, daß wenn Topp auch diesen Abend erst um acht nach Hause käme und das Billet läse, so setzte er sich doch noch auf seinen Gaul und jagte in finstrer Nacht nach Unsleben. Er schlenderte also mit ins Zimmer, und kaum waren die ersten Begrüssungen vorbei, als ihn der Herr Inspektor aufs freundlichste bey der Hand faßte, seinem Vater vorstellte und zu ihm sagte: Mein lieber Herr Senft, ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen zu Ihrem Sohne Glück! Ich bin auch Vater, aber solche Freude werd ich wohl nie an meinem Kinde erleben!

Ich bitte Sie, unterbrach ihn Senft: Ein Mann, wie Sie, der ein so schönes Buch über die öffentliche Erziehung geschrieben hat, wie sollte der nicht mit der Erziehung seiner eignen Kinder –

Ach, mein liebster Freund, versetzte der Herr Inspektor, hier möcht ich Ihnen schier mit der Schrift antworten: Das Wollen hab ich wohl; Auch das Können, denk ich: Aber das Vollbringen!

Senft schüttelte lächelnd den Kopf. Verzeihen Sie mir, sagte er, bey mir ist das anders! Was ich will und kan, das vollbring ich auch, oder es müßte mit übernatürlichen Dingen zugehen.

Dafür bist du auch ein Westphälinger, fiel ihm sein Bruder ein! Euer Schinken und euer Pumpernickel macht euch zu halben Herkulessen, daß ihr gleich mit der Keule dazwischenschlagt, wenn euch ein Hinderniß in die Quere kommt! Fragen Sie ihn nur einmal, mein lieber Herr Inspektor, wie er mit seiner Frau umgeht? Sie werden erstaunen!

Du bist heute sehr ausgelassen, Bruder, versetzte David! Wenn du nur eine halb so gute Frau kriegst, wie mir der Himmel beschert hat und wenn du gegen sie nur ein halb so guter Ehemann bist, wie ich, dann hast du von Glück zu sagen! Was meynst du, Eduard? Ist deine Mutter wohl ein gut Weib?

Im Augenblicke funkelten die hellen Thränen in Eduards Augen und mit einer Inbrunst, die keine Feder zu beschreiben vermag, rief er aus: Ach meine Mama ist die beste Mama auf Gottes Erdboden! Was wollt ich drum geben, wenn sie hier bey uns wäre!

Das kan niemand mehr wünschen wie ich, sagte der Herr Inspektor: Sie muß nicht nur eine Frau von vortreflichem Charakter, sondern zugleich von grossen und ausgebreiteten Kenntnissen seyn! Ohne Zweifel besitzt sie eine ganz auserlesene Bibliothek!

So ernsthaft auch der Herr Inspektor dis sagte, so herzlich fiel es doch Senften ins Lachen. Nein, sagte er, da erweisen Sie meiner Frau zuviel Ehre! Vor alten Zeiten, ja, da las sie wohl dann und wann ein hübsches Buch: Aber jezt behält sie dazu keine Zeit übrig. Ich würde mich auch herzlich für eine eigentliche Bücherleserin bedankt haben!

Aber um alles in der Welt, fragte der Herr Inspektor, wie ist es möglich, ein Kind so zu erziehen, ohne grosse theoretische Kenntnisse?

Senft. Mein liebster Herr Inspektor, ich habe alle Achtung für die Gelehrsamkeit: Aber so weit meine Erfahrung reicht, hab ich durchgängig die Bemerkung gemacht, daß man mit ein wenig gesundem Menschenverstande fast eben so weit, und mehrentheils noch weiter kommt. Es wäre auch ein grosses Unglück, wenn niemand seine Kinder vernünftig erziehen sollte, als wer zum eigentlichen Gelehrtenstande gehört.

Insp. Ey wer wollte das behaupten; Es läßt sich auch ohne grosse Theorie sehr gute Erziehung gedenken! Aber sie wird nie in dem hohen Grade gut seyn, wenn nicht die Theorie hinzukommt. Es mag seyn, daß Ihre liebe Frau wenig gelesen hat: Aber ich vermuthe, sie hat sich aus diesem Wenigen in aller Stille ihr eignes System geschaffen!

Senft. Nun Sie wollen doch mit aller Gewalt meine Frau zur Gelehrten machen und ich versichere Ihnen hoch und theuer, sie hat in ihrem Leben kein einziges Buch von der Erziehung gelesen.

Insp. (den Kopf schüttelnd) Das ist mir ein Räthsel! Es ist und bleibt doch ein ewiger Grundsatz: Aus Nichts wird nichts! Sagen Sie mir nur wenigstens, welches sind denn so die Hauptprincipia in ihrer Erziehungskunst?

Senft. Das ist eine schwere Frage! So viel kan ich Ihnen wohl ohngefähr sagen: Sie ist selbst in aller Absicht ein braves vortrefliches Weib, voll Tugend und Religion; Und was sie nun selbst ist, dazu bildet sie auch ihre Kinder! Ich weiß nicht, ob das vielleicht ein Hauptprincipium ist?

Insp. Allerdings, allerdings! Das ist dasselbe Principium, worauf ich in meinem Ideale so scharf gedrungen habe. Wenn Sie belieben nachzulesen, Seite 97 und so weiter, werden Sie es finden! Aber nun ferner, die Art und Weise? Wie macht es Ihre liebe Frau, um ihre Kinder eben so zu bilden, wie sie selbst ist? Hic haeret aqua!

Senft. Wie sie es macht? Ganz simpel! Erstlich muß ich Ihnen sagen, gewöhnt sie Ihre Kinder beynah von der Wiege an zum strengsten Gehorsam. Was sie sagt, ist wie ein Evangelium gesprochen: Es fällt den Kindern gar nicht ein, dagegen zu murren, weder mit dem Munde noch im Herzen. Dabey besitzt sie die Kunst, ihre Kinder ganz vertraulich und offenherzig zu machen, so daß sie ihr die geheimsten Gedanken des Herzens entdecken. Und dann gewöhnt sie sie in vielen Dingen ganz mechanisch! In der Reinlichkeit z. E. und in der Ordnung. Ich versichere Ihnen, wenn ich Eduarden sagte, er sollte sich einmal nicht waschen, das würde für ihn eine erschreckliche Strafe seyn! Nun sehn Sie, mein werthester Herr Inspektor, so geht das in einem Zuge fort! Und da braucht es keiner Ruthe und keines Stocks: Ein einziger zorniger Blick von Mama schlägt mehr an, als die empfindlichsten Leibesstrafen!

Insp. Und das nennen Sie kein System der Erziehung? Das ist mir ein Meisterstück von System! Alles greift da in einander ein, wie die Räder in einem Uhrwerke! Die Mutter sagt, was gut ist: Das Kind, zum Gehorsam gewöhnt, thut es: Allmählich wird die Gewohnheit zur andern Natur! Der Plan ist vortreflich und ich werde nicht ermangeln, gelegentlich Gebrauch davon zu machen. Bis jezt hab ich nur noch nicht zur Privaterziehung kommen können, weil ich mich lediglich mit Verbesserung der öffentlichen abgegeben habe.

Senft. Ich habe Ihr Buch meist gelesen und ich würde Ihnen mein Kompliment darüber machen, wenn Ihnen an dem Urtheil eines Mannes etwas gelegen seyn könnte, der von der Sache wenig oder gar nichts versteht. Aber eine Bemerkung erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, die aber durchaus für keine Kritik gelten soll! Sie haben, daß ich mich eines Gleichnisses bediene, vor das mittelste Stockwerk im Erziehungshause gesorgt; Das ist gut und lobenswürdig: Allein da die untere Etage zur Zeit noch so gar schlecht ist und die oberste nicht minder, so fürcht ich, ich will nicht sagen den völligen Einsturz, aber doch grosse, grosse Risse!

Der Herr Inspektor sah bey dieser Bemerkung ein wenig albern und verlegen aus. Wie so, wie so, fragte er? Ich bitte Sie, sich deutlicher zu erklären.

Senft. Mit Vergnügen, aber ich bevorworte es hiermit nochmals, daß ich bloß als ein einfältiger Laie meine unmaßgebliche Meinung sage! Ich für mein Theil glaube steif und fest, wir werden, so lang die Welt steht, keine ganz vollkommenen Schulen bekommen. Aber auch nur solche gute Schulen, als sie in dieser unvollkommenen Welt möglich sind, können wir vorizt noch nicht haben, weil es um die Privaterziehung grösstentheils noch so gar kläglich und elend aussieht. Hier, hier, mein werthester Herr Inspektor steckt der Knoten! Die Kinder sind grossentheils schon in der ersten Anlage verdorben, eh sie in die Schulen kommen, und die Schulen sollen nicht bloß das Gute, was die Natur beschert hat, entwickeln, sondern auch das Böse wegräumen, was die häusliche Erziehung gestiftet hat. Da hat mir mein Bruder unter andern von einer Frauenzimmerschule in Zürich erzählt, wo junge Mädchen zu ihrem künftigen Stande, als Hausmütter, gebildet werden. Das hat mir über alle massen wohl gefallen und ich halte eine solche Schule für tausendmal nützlicher und nothwendiger, als die Philanthropine, von denen izt so viel Wesens gemacht wird. Ich kann mich manchmal ordentlich ärgern, wenn ich sehe, daß auf die Erziehung der Knaben so unendlich viel Fleiß gewandt wird und hingegen auf die Erziehung der Mädchen gar keiner! Und gleichwohl, so bald ein Mädchen unter die Haube kommt, ist ihr die Erziehung der Kinder bis ins sechste Jahr wenigstens, fast ganz allein überlassen. Was will da kluges herauskommen, wenn ein solches unreifes Ding, das selbst noch Erziehung nöthig hätte, die sehr ernsthafte und wichtige Rolle einer Hausmutter spielen soll?

Insp. Sie haben recht, vollkommen recht! Aber das heißt nicht als ein Laie sprechen, sondern als ein Mann vom Metier.

Senft. Nichts weniger, mein werthester Herr Inspektor! Ich spreche blos als ein Mann von einiger Erfahrung. Ich kenne an meinem Orte fast alle Familien, aber es sind deren kaum dreye, wo eine gute und vernünftige Erziehung herrscht. Ist es denn wohl zu verwundern, wenn es mit der Verbesserung der Schulen gar nicht recht fort will?

Insp. Gut, gut das war die untere Etage! Aber wie denn nun die obere?

Senft. Die obere? Ganz natürlich meyn ich damit die liebe Erziehung auf Universitäten! Gottlob, daß ich nicht nöthig habe, meinen Eduard dahin zu schicken: Frey heraus, hätte ich auch keine andern Gründe, ihn vom Studiren abzuhalten, das allein wäre Grund genug!

Insp. O Sie sind wohl ein wenig zu streng. Wir haben doch auf unsern Akademien Männer von der stupendesten Gelehrsamkeit und von dem vortreflichsten Charakter!

Senft. Ich habe nichts dawider: Aber was hilft das den jungen Leuten auf Akademien? Leben sie da nicht völlig wie die Wilden, ohne Zucht und Ordnung, ohne Gesetze, ohne Aufsicht? Wird nicht überall das schändliche Ungeheuer, die sogenannte akademische Freyheit, geduldet und wohl gar geschützt? Was hilft alle Privat- und Schul-Erziehung, wenn die guten Früchte derselben mit einemmale auf einer lüderlichen Akademie dahingehen?

Insp. Sie haben nicht ganz unrecht, und wenn Gott Leben und Gesundheit schenkt, könnt ich leicht noch auf den Einfall gerathen, auch ein Ideal einer vollkommenen Akademie zu schreiben. Aber darinn irren Sie sich, daß die jungen Leute auf Akademien so ganz ohne Aufsicht und ohne Gesetze leben! Sie haben ihre strengen Gesetze und Verordnungen.

Senft. Ey freylich, ja! Das sind strenge Gesetze, die man mit dem Geldbeutel in der Hand stumm machen kan! Strenge Gesetze, die der junge Mensch überschreiten kan, wie er will, wenn er es nur ein klein wenig pfiffig anfängt! Doch ich mag nicht spotten, die Sache ist zu ernsthaft. Aber ich will einen jeden tugendhaften Vater eines tugendhaften Sohnes auffodern und ihn fragen, ob ihm nicht das Herz gezittert hat, weil er ihn nach der Universität schickte! Schade was für alle Gelehrsamkeit, wenn das Herz in Gefahr ist, auf dieses und jenes Leben verderbt zu werden!

Senft wäre vielleicht noch lange in diesem Tone fortgefahren, wenn nicht eben der Herr Kantor loci angekommen wäre. Der Diskours lenkte sich nun auf die Dorfschulen und der Herr Inspektor unterließ nicht, auch hierüber gewaltig zu idealisiren. Gegen Abend endlich erschien der von Eduarden so sehnlich erwartete Forstinspektor Topp. Das war eine Freude, die nicht ihres gleichen hatte! Wirklich war auch Topp ein Mann, um dessen Umgang die ganze umliegende Gegend, Adliche sowohl als Bürgerliche, um die Wette buhlten. Ausserdem daß er die Landwirthschaft in ihrem weitesten Umfange auf das gründlichste verstand und über alles, was dahin einschlug, den nützlichsten Rath ertheilen konnte, war er, bloß als Gesellschafter betrachtet, der angenehmste und unterhaltendste Mann von der Welt. Er war reich an eignem Witze und hatte dabey ein unverwüstliches, eisernes Gedächtniß für fremden Witz, den er hörte oder las. Es mochte auf der Welt erzählt werden, was da wollte, allemal wußte er einen Pendant dazu, der mehrentheils die vorhergegangene Geschichte an innerem Gehalt übertraf! Dabey verstand er, als ein kluger Kopf, immer den Bissen so zu schneiden, wie er für jedes Maul gerecht war. Nie warf er die Perlen vor die, mit Ehren zu melden, aber auch nie kramte er vor Kennerohren unächte und schofle Waare aus. Eben so weit war er von dem gewöhnlichen Fehler der Anekdotenkrämer entfernt, die oft eine und eben dieselbe Geschichte bis zum Ekel wiederkauen. Er war und blieb stets neu und interessant, und der genaue Umgang mit Senften, der ihn fleissig mit Büchern versorgte, die in dies Fach einschlugen, trug nicht wenig dazu bey.

Kaum hatten Topp und Eduard einander recht ins Auge gefaßt, so flogen sie sich mit der größten Zärtlichkeit in die Arme und, mein liebster Herr Topp! Mein Herzenseduard! war immer das dritte Wort. Senft fragte ihn, ob er die gelehrten Zeitungen zu sich gesteckt hätte: Er zog ihn heimlich auf die Seite, steckte ihm ein einzelnes Blatt in die Hand und indem er auf den Herrn Inspektor wies, sagte er: »Der ist artig parforcegejagt! Lesen Sie nur Wunders halben!« Im Augenblick schoß Senft zur Thüre hinaus, schloß sich in seine Studirstube ein und lief geschwind das Blatt durch. Es war denn, wie der geneigte Leser ohnschwer errathen wird, eine wohlgepfefferte und gesalzene Recension von dem Ideale unsers Herrn Inspektors. Der Ton derselben war äusserst muthwillig, und da das Packet Zeitungen in einem grossen Zirkel gieng, so stand dem Herrn Inspektor bey seinem kleinen Publikum auf eine unvermeidliche Art eine gar grosse und empfindliche Herzkränkung bevor. Senft hielt es für Christen- und Menschenpflicht, ihn so gut als möglich darauf vorzubereiten, und da er auf Topps Verstand gewisse Rechnung machen konnte, gieng er mit dem Blatte in der Hand gleich wieder zur Gesellschaft; Vorher aber gab er noch seinem Bruder einen Wink, den Kantor über die Seite zu schaffen. Es ward also ein Spaziergang in den Garten vorgeschlagen und Eduard gieng ebenfalls mit. Der gute Inspektor, der zur Zeit noch nicht wußte, was für eine schwere Geissel über seinem Rücken schwebte, lief die übrigen gelehrten Blätter durch, und da er ebenfalls auf eine scharfe Recension stieß, worinn dem Verfasser aller Menschenverstand abgesprochen wurde, sagte er zu Senften: Aber es ist doch auch wirklich traurig, wenn Leute sich mit Bücherschreiben einlassen, die sich von Thieren in nichts unterscheiden, als daß sie aufrechts gehen!

Scht, Scht, sagte Senft, ums Himmels willen sprechen Sie ja keinem Recensenten nach! Sobald man selbst Autor wird, muß das das erste seyn, daß man das Ansehn der Kunstrichter mit Füssen tritt. Die meisten von denen Herren sind gar zu grobe Gäste: Ihnen Ehre lassen, heißt sich selbst die seinige rauben. Ich habe zwar noch nicht den Versuch gemacht, aber ich stelle mir doch vor, daß es ein kleiner Unterschied ist, zusehen, wenn Püffe ausgetheilt werden oder selber welche bekommen!

Sehr wohl, versetzte der Herr Inspektor, ich bin bereits auf alles gefaßt! Jedes vernünftige Urtheil soll mir willkommen seyn: Jedes unvernünftige aber werd ich als solches betrachten und ne flocci quidem pendere!

Recht so, mein Herr Inspektor, sagte Topp: Machen Sie es wie Epiktet, weil ihm sein Herr das Bein entzwey prügelte! Hab ichs nicht gesagt, daß es so kommen würde?

Der Herr Inspektor schüttelte mit dem Kopfe. Nein, erwiederte er: So gar kaltblütig hat mich der Himmel nicht gebohren werden lassen! Wenn mir ein Recensent so käme, wie ich da eben gelesen habe und unterstünde sich, mir den gesunden Menschenverstand abzusprechen, ich fühle es, ich würde Feuer und Flamme speyen!

Topp. Und ich würde, mit Ihrer Erlaubniß, mich auf Ihre Unkosten herzlich zerlachen! Kein Recensent auf der Welt kann mir geben, was ich nicht habe, oder mir nehmen, was ich habe. Ueberdem, wenn sich jemand mit einem ungenannten Recensenten in einen Streit einlassen wollte, das wäre ja eben so albern, als wollte man in einem behexten Schlosse mit einem unsichtbaren Kobolt fechten, der da mit Steinen und Schollen um sich wirft. Aus dem Wege gegangen, das ist der beste Rath!

Senft. Oder den Kobolt gebannt, das ist denk ich, noch besser! Das Schmeissen sey ihm unverwehrt, nur treffen muß er mich nicht! Es ist nach ganz andern Leuten geschmissen worden, als wir alle zusammen sind, aber so viel ich weiß, sind sie noch bis auf den heutigen Abend alle ganz und unversehrt!

Insp. Ich glaub es von ganzem Herzen: Aber, meine Herren, bald kommts mir vor, als wollten Sie mich auf eine Recension vorbereiten, die mich näher angeht! Ist etwa mein Ideal irgendwo gemißhandelt?

Senft. Und wenn ich nun sagte: Ja, aufs alleräußerste gemishandelt?

Im Augenblicke ward der Herr Inspektor blaß, wie der Kalk an der Wand, legte die Pfeife weg, nahm sie aber gleich wieder, um nicht zu scheinen, als hätt er alle Contenance verlohren. Topp und Senft, beyde ergriffen ihn freundlich bei der Hand! Glauben Sie nicht, mein werthester Herr Inspektor, sagte Senft, daß eine Ader von Schadenfreude in meinem Herzen schlägt. Vielmehr ist es wahre Achtung und Freundschaft für Sie, die mich antreibt, Ihnen hier in unserm vertraulichen Zirkel gleich frisch weg die Portion Album graecum einzugeben, die Sie doch einmal kosten müssen. An uns soll es nicht fehlen, daß Sie den Bissen mit Lachen hinunter schlucken, der Ihnen vielleicht, wenn Sie ihn allein nähmen, viel Würgen verursachte. Da, lieber Topp, lesen Sie, und Sie, mein Herr Inspektor, halten Sie nur die Augen fest zu!

Topp, nach einem possirlichen Husten und Räuspern, fieng mit einem noch possirlichern Ton, den er dem Küster zu Rübenhausen nachmachte, also zu lesen an: »Es ist zwar in unserm schreibseligen und projektreichen Jahrhunderte schon so manches liebe Hirngespinst ausgeheckt worden, zur Verbesserung der Staaten, der Kirchen, der Schulen und des ganzen weiten Erdenrunds: Aber solch ein originales, über alle Begriffe tolles Projekt, als das Ideal einer vollkommenen Schule, entworfen von Matthias Theophilus Spitzbart etc. ist uns noch nicht vorgekommen. Wir sagen dies keinesweges mit dem Horazischen difficili bile, wovon uns sonst wohl zuweilen die Leber schwillt, wenn wir Amts halber einem elenden Schriftsteller das Wasser besehen müssen: Sondern vielmehr mit aller möglichen guten Laune, in die uns die Lektür des Spitzbartischen Werks versetzt hat. Unser Zwerchfell war vom Anfang bis zu Ende in einer sehr sanften, angenehmen Bewegung und wir danken dem uns unbekannten Verfasser herzlich für die Stärkung der Gesundheit, die er uns dadurch gewährt hat. Auch sind wir weit entfernt, seinem Buche sehr mannichfaltige und nicht geringe Verdienste abzusprechen. Die Schreibart ist für einen Neuling in der Schriftstellerey sehr gut und zeugt von Fleis und Geschmack. Die Sachen sind zum Theil gänzlich non prius auditae, und wenn Erfindung den Künstler groß und bey der Nachwelt unvergessen macht, so wird gewiß der Name Spitzbart noch in den spätesten Jahrhunderten genannt werden. Auch würden wir, mit einer kleinen Veränderung, das Buch gradehin ein Meisterstück in seiner Art nennen. Hätte der Verfasser zu dem Titel seines Werks Ideal einer vollkommenen Schule nur die einzigen paar Worte hinzu gesetzt: im Monde, oder im Orion, oder auf einem von den Sternen, deren Strahlen nach Lamberts Meynung schon seit 6000 Jahren unterwegens und doch noch nicht bey uns angelangt sind, dann bravo, bravo! Herr Spitzbart behauptete dann seinen Platz neben Lavater, dem Seher der Ewigkeiten und man setzte ihn in die Klasse der gutmüthigen Träumer und Visionisten, die unter dem Schriftstellervolke immer noch zur bessern Hälfte gehören. Aber, guter Mann mit dem spitzen Barte, daß du dir es nur im Traume einfallen lassen kannst, eine Schule, wie die deinige, sey auf dieser Erd, unter diesem Menschengeschlechte möglich; Daß du in allem Ernste glauben kannst, die Grossen der Erde würden um des Besten der Schulen willen nur ein Haar von einem Soldaten, von einem Packpferde nur aufopfern, und das auf die dringende Vorstellung Sr. Hochwohlehrwürden, des Pfarrherrens zu Rübenhausen? Das, das, lieber Mann, macht mich glauben, daß dein Rübenhausen, welches ich ohnedem in meinem Büsching nicht finden kann, ein behexter Ort, und du selbst auf eine Zeitlang unter der Herrschaft eines bösen Dämons zu stehen verbannt bist. Der Himmel helfe dir bald wieder zu rechte; Bist übrigens ein guter Mann, und wenn du die Pflichten deines Inspektorats und deines Pfarramts sonst treu und redlich erfüllt und blos beyher dein schriftstellerisches Mondkälbchen abgelegt hast, so hab ich vor dir und deinem spitzen Barte alle nur mögliche Hochachtung.«

Ich müßte mehr als Poet, Redner, Mahler und Zeichner zugleich seyn, um die verschiednen abwechselnden Leidenschaften auf dem Gesichte des Herrn Inspektors nachzubilden, die sich während des Lesens darauf abprägten. Die Hauptmiene war dieselbe, die Clavigo in jener Meisterscene macht, da ihm Beaumarchais durch seine Erzählung das ganze Herz zermalmt. Zorn, Angst, Verzweifelung, mit dem Bestreben, alles dreyes in unterdrücken oder doch nicht merken zu lassen, waren aufs allerdeutlichste zu lesen. Dazwischen aber brach zuweilen ein unwillkührliches, nur halb reifes Gelächter hervor, das Topp durch seinen Küsterton und durch seine dazu passende Geste erregte und dessen sich auch selbst ein Sterbender schwerlich hätte enthalten können: Daß man aber ja deswegen von meinem Topp keine geringere, niedrigere Meinung hege! Er war nichts weniger als ein Possenmacher von Profession, eine schlechte Art Leute, die ich von Herzen verachte: Aber er besaß das nicht gemeine und nicht verächtliche Talent, Leute von einer gewissen sie auszeichnenden Thorheit oder kleinem moralischen Flecken, nach Seel und Leib wie aus dem Spiegel zu stehlen! Dieses Talents bediente er sich zuweilen, wenn er eben bey guter Laune war oder wenn er einen seiner Freunde in gute Laune setzen wollte: Aber alle Schätze der Erden hätten ihn nicht vermocht, einer Gesellschaft von Lachern seine Künste vorzumachen. Die adelichen Herren auf der Nachbarschaft hatten es ihm einigemal zugemuthet, er möchte doch ihnen zu gefallen diesen und jenen kopiren; aber er hatte sie so kurz und derb abgefertiget, daß sie des Weges nicht wieder kamen. Seine Freunde hingegen, worunter Senft der vornehmste war, hatten das Recht, alles von ihm zu verlangen und die Pfarre zu Unsleben oder vielmehr Senfts Studirstube erschallte oft von brausendem Gelächter, wenn Topp, wie er es selbst nannte, das Sprüchelchen spielte: Der Affe gar possirlich ist etc. Dies beyläufig, und nun zurück zu unserm Helden!

Kaum war die Lektür des Album graecum völlig beendiget, als er sich mit einem Male männlich zusammen raffte. Ich nehme mein Wort zurück, sagte er. Vorhin erklärt ich mich, ich würde über eine solche Recension Feuer und Flamme speyen: Aber nein! Denn wie der Dichter sagt:

Was von mir ein Esel spricht,
Des acht ich nicht.

Bravo, bravo, rief Topp, so philosophisch ruhig hab ich Sie mir gewünscht! Und wissen Sie was, damit wir doch das Publikum ein wenig auf unsre Seite ziehen, wenn der Wisch morgen nach Rübenhausen kommt, so will ich hier an die Seite einen Eselskopf zeichnen und dabey schreiben: Senft inv. Topp sculps. Das müßte schlimm seyn, wenn unser Urtheil nicht mehr gelten sollte, als das Urtheil so eines Buttenminsches, der, verzeih mirs Gott, wohl gar unehrlich sein könnte!

Nun unhöflich gewiß, fiel der Herr Inspektor ein und spukte bey jedem Querstriche, der nun folgt: Grob, im höchsten Grade – Kein Bauer könnte es gröber machen –

O doch, doch, unterbrach ihn Topp!

Nimmermehr, erwiederte der Herr Inspektor! Mit Mondskälbern um sich zu schmeissen –

Topp. Sie haben Recht: Aber ich habe auch Recht, denn sehn Sie, ich stelle mir die Sache so vor! Die Gelehrten recensiren mit Federn und die Bauern mit Fäusten: Jene schlagen auf die Seele, diese auf den Körper los. Weil aber Leib und Seele, wie Sie wissen, auf das genaueste mit einander zusammenhängen, so –

Insp. (lachend) Ach Sie sind ein, ich weiß selbst nicht, wie ich Sie nennen soll, ein Tausendkünstler! Aber ich hoff es noch einmal zu erleben, wenn Sie auch in die gelehrte Welt kommen –

Topp. O darinn bin ich schon, seit lieber langer Zeit!

Insp. Was? Sie wären Autor? Und das wäre bis itzt verschwiegen geblieben?

Topp. Nein, nein, ich habe kek meinen Namen genannt. Es sind keine 8 Tage her, da hab ich noch ein Manuscript in die Druckerey geschickt. Es wird bald öffentlich zu lesen seyn: »Aus der Unslebischen Forst sind so und so viel Eichen aus freyer Hand zu verkaufen, Topp, Forstinspektor.«

Der Herr Inspektor lachte, daß ihm der Bauch schütterte; Schon schmerzte ihn seine schwere Recensentenwunde auch nicht ein Bischen mehr, und da eben zu Tische gerufen ward, brach der Diskours vorerst gänzlich ab. Bloß Senft und Topp flüsterten sich, während daß der Herr Inspektor für die einzunehmende Mahlzeit leeren Raum machte, einander ins Ohr: »Gelt, das Schauspiel war sehenswerth! Und zehn Thaler wollt ich auf der Stelle drum geben, wenn ich den herrlichen Kerl von Recensenten herbeyzaubern könnte! Das heiß ich recensiren!«

Mittlerweile war die Gesellschaft im Eßzimmer beysammen und es ist wohl beynahe überflüssig zu melden, daß sich Eduard fein sein Plätzchen neben Toppen ersahe. Noch war die Zeit zu kurz gewesen, an seinen Anekdotenkasten anzuklopfen: Auch hatte Eduard bereits ein zu richtiges Gefühl von Schicklichkeit und Unschicklichkeit, um Toppen gleich damit auf den Hals zu fallen, daß er ihm was erzählen sollte. So wie aber der erste Hunger gestillt war und der Mund schon einige Muße hatte, zu reden, schmiegte sich Eduard mit einem unwiderstehlichen Schmeicheln an Toppen an. Nun, lieber Herr Topp, bitte, bitte! – »Was denn, mein liebster Eduard!« – O Sie wissen ja wohl, was ich Ihnen geschrieben habe! – »Sie haben mir geschrieben, daß ich kommen soll: Bin ich denn nicht da?« – Ja, aber Sie sollten auch was mitbringen, Sie wissen wohl! – »Den Kasten meynen Sie?« – Ja, ja, ja, den, den! – »Mein liebster Eduard, den hab ich heut nicht mit! Ich konnt ihn auf dem Pferde nicht fortkriegen, er war zu schwer.« – O doch, den haben Sie immer bey sich: Hier steckt er, hier in ihrem Kopfe! –

Hör, Eduard, sagte der Onkel: Wenn du mir ein gut Wort giebst, ich habe den Schlüssel zum Kasten!

O, rief Eduard, wohl zehn, wohl hundert will ich Ihnen geben! Schliessen Sie ihn nur auf. Gut, sagte Senft, gib Achtung! Es war einmal –

Indem Senft dis sagte, wußte er noch mit keiner Sylbe, was er erzählen wollte: Indeß war er auch so leicht nicht verlegen, eine Schnurre aus seinem Gedächtnisse hervorzulangen, oder allenfalls selbst eine zu machen. Er warf also das erste, beste Histörchen hin, was ihm einfiel! Sogleich erschien Topp mit einem Pendant, und nun giengs mit verhängtem Zügel, Schlag auf Schlag, Einfall auf Einfall! Eduard war vor Freude und Vergnügen ganz ausser sich: Denn da er in seinem Westphalen ausser seinem väterlichen Hause wenig Umgang gehabt und noch weniger Anekdotensammlungen gelesen hatte, so war ihm alles neu. Ueberdem vermied Topp nicht nur sorgfältig alles, was der kindischen Unerfahrenheit zu hoch oder der kindischen Unschuld verführerisch gewesen wäre, sondern ein groß Theil seiner Geschichten waren ganz aus der Kinderwelt und es schien, als ob sie recht eigentlich für Eduarden gemacht wären. Ein Paar unter andern gefielen ihm über alle massen! In Florenz war einmal ein Kind von fünf Jahren, welches in diesem frühen Alter schon so viel Geist und Verstand zeigte, daß es wie ein Wunderthier in allen vornehmen Familien herumgeführt wurde. Selbst der Großherzog ließ dis Kind öfter vor sich kommen und zeigte es einst einem auswärtigen Gesandten, als eine Seltenheit der Natur. Der Gesandte sah es mit Verwunderung an und sagte: Es ist nur Jammer und Schade, daß dergleichen kluge Kinder in spätern Jahren gern dumm werden! Ey, versetzte das Kind, denn sind Sie gewiß in Ihren jüngern Jahren auch ein so kluges Kind gewesen! Ein andres Kind, ein sehr muntrer und lebhafter Knabe hatte das Unglück, einen sehr strengen und beynahe unmenschlichen Menschen zum Lehrer zu haben. Alles, was er that, war nicht recht gethan und er bekam Tag vor Tag Schelte und nach Gelegenheit auch wohl Schläge. Einmal gieng dieser Mensch mit seinem Kleinen auf dem Felde spatzieren und tobte nach seiner Gewohnheit auf ihn los. Du bist und bleibst doch ewig ein rechtes ungeschicktes Thier, sagte er zu ihm, als sie eben auf einem schmalen Raine zwischen den Aehrenfeldern einer nach dem andern durchgiengen! Ich glaube wahrhaftig, du kannst nicht einmal die paar Worte ins Deutsche übersetzen: Je suis un Ane! O warum nicht, war die Antwort? Je suis un ane heißt auf Deutsch: Ich folge einem Esel!

Eine andre Anekdote war ein grosses Fest für den Herrn Inspektor, der nur zu gern einen lateinischen Brocken hören und noch lieber anbringen mochte. Der berühmte Erasmus von Rotterdam hatte, da er noch Professor in Basel war, einen Knaben bey sich, der ihm aufwartete. So wie aber die Gelehrten gern ihre Weisheit andern aufdringen mögen, so zwang auch Erasmus diesen armen Jungen zur Gelehrsamkeit, und allemal, wenn er ihn auf den Markt oder sonst wohin schickte, sagte er ihm erst einen lateinischen Vers vor, den er unterwegens so lange in den Bart murmeln mußte, bis er ihn vollkommen auswendig konnte, und wenn er denn zurückkam, mußte er seine Lektion aufsagen. Einmal nun gieng der gute Junge auch mit seinem Verse im Maule nach dem Markte, um Aepfel zu holen: Weil aber der Vers vielleicht schwerer, als gewöhnlich war, oder weil er ihn von Anfang nicht recht vernommen hatte, entfiel er ihm auf den ersten hundert Schritten aus dem Gedächtnisse. Das war für den armen Schelm ein grosses Leiden! Er fieng an bitterlich zu weinen und getraute sich gar nicht, wieder nach Hause zu kommen, aus Furcht vor Schlägen. In dieser grossen Noth und Betrübniß begegnete ihm der Buchdrucker Frobenius, ein ebenfals nicht minder berühmter Mann der damaligen Zeit und grosser Freund vom Erasmus. Dieser fragte ihn, was ihm fehlte, und der Knabe erzählte ihm sein Unglück mit dem verlohrnen Verse. I wenn es weiter nichts ist, sagte Froben, ich will dir einen andern Vers sagen, den du gewiß nicht wieder vergessen wirst!

Orto de scorto, pede torto, poma reporto.

Diesen Vers, der mit einem so hübschen Reimgeklingele versehen war, behielt der Knabe den Augenblick, dankte dem ihm unbekannten Manne tausendmal, daß er ihm aus der Noth geholfen, und eilte mit seinen Aepfeln voller Freude nach Hause. Aber wie groß war das Erstaunen des Erasmus, als er statt des ausgegebenen Verses einen ganz andern zu hören bekam, noch dazu einen, der ihn selbst betraf und es ihm so höchst unerwartet vorwarf, was freylich die Wahrheit war: Denn Erasmus war wirklich ein Hurkind und hatte wirklich keine graden sondern schiefe Beine! Voll Zorn und Unwillen fragte er den Knaben, wer ihm den Vers gesagt hätte: Der Knabe erzählte sein Abentheuer; den Verfasser des Verses aber konnte er nicht anders bezeichnen, als nach seiner Kleidung und nach Physiognomie. Das war genug für Erasmus, den rechten Mann daraus zu errathen; Statt aber, wie man es von einem so grossen Manne erwarten sollte, die Schnurre als Schnurre aufzunehmen, ließ er die Sonne über seinem Zorne auf den Frobenius länger als ein Jahr untergehen, bis es ihm die Natur versagte, länger zu zürnen.

Ich übergehe alle die pommerschen und schwäbischen Stückchen, die Gaskonnaden, Geschichten von Hofnarren, Dieben, Gelehrten, Geistlichen und Weltlichen, die hier vorfielen, und bemerke nur blos noch, daß sie zur Verdauung ganz vortreflich wirkten und daß der Gesellschaft die drey Stunden am Tische nur eben so viele Minuten zu seyn dünkten. Mit Schrecken vernahm endlich der Herr Inspektor, zehen sey schon vorbey; Sogleich brach er auf, um sich in geflügelter Eile nach Hause zu begeben, denn auf den Schlag zehne hatte ihm die Frau Inspektorn geboten, da zu seyn. Senft hatte schon eine Kalesche anspannen lassen; Es ward also nur holterpolter Abschied genommen und der Herr Inspektor verließ die Gesellschaft mit der Versicherung, daß er den heutigen Tag stets unter die angenehmsten seines Lebens zählen werde.


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