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Viertes Kapitel.

Während der Zeit, daß der Herr Inspektor sein Ideal las, der Burgemeister und Stucker es bewunderten, der Stadtschreiber es in Gedanken mit einem Solotout und 9 Matador in der Vorhand verglich, Senft aber es als die abgeschmackteste Fratze verachtete und verlachte, ließ sich in dem weiblichen Zimmer ein wirkliches, leibhaftes Ideal in seiner Art sehen, dem, trotz aller Unglaublichkeit und Unwahrscheinlichkeit, kein Mensch die Existenz absprechen konnte, und das war unser theures, werthes Israelchen! Meine Leser haben bereits von seinem Charakter und Sitten einen vorläufigen Wink erhalten: Itzt aber soll ihnen von seinem Wesen und Wandel voll und zur Genüge aufgetischt werden!

Israelchen war seines Alters 8 Jahr; von Statur das, was man einen kleinen dicken Knirps nennt, mit einem kugelrunden Kopfe, ein paar hübschen, schwarzen Augen, die aber nie gradaus, sondern immer nach der Seite schielten, mit einer Stirn, die so auszeichnend war, daß sie schon einen eignen Perioden verdient. Von der Nasenwurzel an bis zu den Wurzeln des Haupthaars formirte sie einen kleinen runden Bauch, der aber nicht wie ein Bauch, sondern wie ein Stein so fest, anzufühlen war. Eine Menge Runzeln waren bereits darauf gezogen, die vom Gesichterschneiden herrührten, worinn Israelchen in seiner so zarten Jugend ein vollkommener Meister war. Einer seiner liebsten Manöver war das Zähneblecken und er bediente sich dessen gewöhnlich als einer Replik, wenn sein Vater oder seine Mutter ihm eine Vermahnung gaben. Als ein Sohn des Herrn Inspektors kannte und durfte er in keine niedrigere Klasse gehen als beym Rektor des Orts in Prima, und daß er diesem armen, geplagten Manne seine dornenvolle Stelle noch mehr verkümmert, läßt sich leicht gedenken. Eben deswegen gieng er auch gern in die Schule, weil er dort in der vollen Weide seines Muthwillens war und selbst heute ließ er sich nicht davon abhalten, und kam erst nach Hause, als der Kaffee bereits genossen und der Herr Inspektor bereits in vollem Lesen begriffen war. Schon wollte er ins Zimmer einbrechen und das Wenigste, was er gethan hätte, wäre gewesen, ein paar Exemplare des Ideals mit Bier zu begiessen oder Blätter herauszureissen oder sie mit Tabakasche zu bemalen: Allein seine Schwester, Fiekchen, schreckte ihn mit einem einzigen Worte von alle diesem Unfuge ab! Der Herr Stadtschreiber ist da, sagte sie! Das war für Israelchen ein schrecklicherer Name als der Teufel selbst. Es war noch nicht lange her, daß er mit diesem Manne einen Seel und Leib erschütternden Auftritt gehabt hatte. Israelchen hatte unter andern auch die Gewohnheit, daß er in Gesellschaften gern unter den Tischen herumkroch und die Leute in die Waden zwickte. Nun fiel es ihm ein, dies saubere Spielchen auch einmal mit unserm Herrn Stadtschreiber zu probiren! Das erstemal litt ers: Das zweytemal drohte er, er sollte die dummen Streiche bleiben lassen. Weil er aber gleichwohl zum drittenmale wiederkam, so packte ihn der Stadtschreiber beym Felle, schleppte ihn zur Thüre heraus, schütteln ihn bey der Brust, daß ihm Hören und Sehen vergieng und sagte zu ihm: Infamer Junge, ich schlage Dich zu Kreuzmillionen Stücken, wenn du dich unterstehst und rührst mich nur noch einmal an! Nimm dich in Acht: Ich sage dirs! Diese Sprache, mit den gehörigen Gesten begleitet, hatte ihre volle Wirkung gethan, und seit der Zeit floh Israelchen vorm Stadtschreiber, wie vor einem Bäre. Diesem Auftritte, der damals von der Frau Inspektorn sehr übel aufgenommen wurde, über den aber nun schon Gras gewachsen war, hatte es der Herr Inspektor zu verdanken, daß er sein Ideal ruhig und ungestört vorlesen konnte: Die Damen hingegen genossen in vollem Maase seine ganze erfindungsreiche Laune. Gleich bey seinem Eintritte, unter dem Händeküssen, spuckte er, jedoch mit Respekt zu melden, der ältesten Meyern auf die Hand. Das gute Mädchen war es schon gewohnt, das Ziel seiner Ausgelassenheit zu seyn; Da es also nichts mehr war, als ein Bißchen Nasses, so nahm sie es ruhig und gelassen hin, gickerte sich eins und sagte mit aller möglichen Freundlichkeit: Das liebe Israelchen ist doch noch immer so lose, wie sonsten!

Ach leider mehr als zu lose, erwiederte die Frau Inspektorn! Ich habe meine liebe Noth mit ihm!

Hier begann Israelchen zum erstenmale sein Zähnefletschen und wiederholte die Worte: Ich habe meine liebe Noth mit ihm! Ich habe meine liebe Noth mit ihm!

Pfui, sagte die Frau Inspektorn: Weist du wohl, was ich dir gesagt habe? Wenn du heut unartig bist, so kriegst du auf den Abend keinen Bissen von deinem Leibgerichte!

Israelchen fletschte die Zähne vor wie nach und sagte: Du mußt mir doch was geben! Ich will dich schon kriegen!

Die Frau Inspektorn lachte herzlich. Ey womit denn, sagte sie? Das möcht ich wohl wissen!

I da reiß ich dir das Kopfzeug ab, versetzte er, und schmeiß es auf den Kirchhof.

Das solltest du dich einmal unterstehen, gab sie zur Antwort: Es sollte dir übel bekommen!

I so will ich dirs gleich abreissen, versetzte Israelchen und damit machte er wirklich Miene, über seine Mutter herzufallen. Die Damen aber schlugen sogleich eine Wagenburg um sie und hielten den muthwilligen Schäker ab; Weil er nun sahe, daß er nicht durchdringen würde, kehrte er gleich das Blatt um und sagte zu seiner Mutter: Ich thue dir nichts, es ist nur mein Spaß! Damit schmiegte er sich an sie, machte ihr einige Karessen und im Augenblick war alle Sache wieder gut.

Nun da sehn Sie einmal, sagte die Frau Inspektorn zur Gesellschaft, was soll man nun mit so einer kleinen Schmeichelkatze anfangen? Die Damen lächelten ihren Beyfall und somit war die erste Scene zu Ende.

In einem Weilchen gieng Israel aus dem Zimmer, kam nach einigen Minuten wieder, schlich wie eine Katze immer um die Damen herum, die nicht das mindeste Arge befürchteten, und setzte sich dann still nieder. Mit einemmale that die jüngste Meyern einen entsetzlichen Schrey, als ob sie den Kroaten in die Hände fiele und fuhr sich mit der Hand in den Nacken! Sogleich faßte sie auch das Ding, was ihr den Schrey abgenöthigt hatte, und das war ein Maykäfer, den Monsieur Israel die Geschicklichkeit gehabt hatte, ihr in den Kapuchon zu setzen, und der dann zu seinem Vergnügen eine kleine Promenade nach dem Nacken gemacht hatte. Im Vorbeygehen, Israel hielt sich alle Jahre ein ordentliches Maykäfermagazin zu 1000 und mehr Stück, die er des Abends von den Bäumen schüttelte und in einen grossen Topf that, aus dem er sie denn, wo es Noth war, bloß hervorzulangen brauchte. Die stärkste Ausfuhr gieng nach der Schule; Hier gebrauchte sie Israel, theils des Rektors Perücke damit zu zieren, theils seine Mitschüler damit zu hohnecken, theils sie in der Klasse schnurren zu lassen; Das einemal hatte er sogar seinem Vater einen in der Perücke mit auf die Kanzel gegeben, der ihn aber dafür, weil die Frau Inspektorn eben nicht zu Hause war, übel bezahlte. Mit den übrigen wurden mehrentheils Experimente gemacht; Entweder schnitt er sie mit der Scheere mitten von einander, oder er bratete sie langsam am Feuer, oder er band sie mit einem Faden an ein Holz und ließ sie sich todtfliegen. Von allen diesen kleinen Teufeleyen erfuhr der Vater keine Sylbe, und die Mutter, die sie wußte, freute sich herzlich drüber und entdeckte darinn die deutlichsten Spuren eines grossen Genies.

Unsre jüngste Meyern nun hatte wirklich nach Weiberart, einen ganz artigen Schreck davon getragen, so daß ihr ein rothes Pulver sehr dienlich gewesen wäre: Indeß verbiß sie ihren Verdruß, so gut sie konnte, und drohte Israelchen bloß mit dem Finger! Dieser stellte sich, als ob er von nichts wüßte und so gieng die zweyte Scene nicht minder glücklich vorüber.

Ohne Zweifel würden solcher Auftritte noch viel mehrere und stärkere paßirt seyn, und obgleich die Frau Burgemeistern ein noch so strenges Air gegen Israeln annahm, so würde er sie doch eben so wenig geschont haben, wie die beyden Meyern, wenn nicht zum guten Glück eine Kutsche voll Fremder vor den Fenstern vorbeygefahren wäre. Wie der Blitz schoß Israel zur Thür heraus, um sich hinten aufzuhängen. Er fuhr mit bis vors Thor, und da ihm auf dem Rückwege einige seiner Vertrauten von den Strassenjungen aufstiessen, so fieng er mit ihnen an Sau zu treiben und das dauerte ziemlich hin bis zum Abendessen. Eben wollte die Frau Inspektorn nach ihm schicken, als er von Schweiß und Staub bedeckt, mit zerstreuten Haaren und schmutzigen Hosen von selbst erschien. O du böses, gottloses Kind, rief sie ihm entgegen: Wie siehst du wieder einmal aus? Wo hast du gesteckt? Itzt solls nun gleich zu Tische gehen und es wäre Noth, daß ich dich erst vom Kopf bis auf die Füsse rein machte.

Ich mag aber nicht zu Tische gehen erwiederte Israel, ich will allein essen.

Du sollst aber, gebot die Frau Inspektorn, absolut, ich wills haben!

Ich will nun aber nicht, schrie der Bube, indem er seiner Mutter einen derben Schupp gab! Wenn der Stadtschreiber mitißt, mag ich nicht mitessen.

Ach du armer Schelm, sagte sie, schon wieder ganz besänftiget? Ist das die Ursach? Ja, ja, du hast Recht, der Stadtschreiber ist ein grober, garstiger Mensch: Aber heut soll er dir nichts thun, ganz gewiß nichts, das versichere ich dich!

Wenn schon, ich mag doch nicht mit essen, fuhr Israel noch immer trotzig fort.

Mein Himmel, sagte die Mutter, und schlug voller Herzensangst in die Hände; Das ist ja ein wahres Unglück! Wie machen wir das? Weist du was, Kind? Bleib nur ein Augenblickchen hier! Ich will es schon so einrichten, daß der Stadtschreiber selbst kommen muß und muß dich bitten! Dann kommst du doch, liebes Israelchen, nicht wahr?

Israelchen überlegte bey sich selber, ob das wohl Satisfaktion genug für ihn wäre? Da er also nur keine positiv abschlägliche Antwort gegeben hatte, so lief die Frau Inspektorn gleich ins Zimmer, um ihren Plan auszuführen.

Schon war die Tafel durch Fiekchens rüstige Hände in völliger Bereitschaft; Jeder stand schon hinter seinem Stuhle und wartete sehnlich der noch fehlenden Frau Inspektorn und ihres Söhnleins. Sie kam, fragte, obs gefällig wäre und faltete ihre Hände zum Gebet? Nun mein Schatz, fragte der Herr Inspektor ganz verwundert, bringst du denn Israelchen nicht mit?

Er will nicht kommen, sagte sie: Er fürchtet sich vor jemand in der Gesellschaft.

Aus der spitzigen Miene, mit welcher das jemand gesagt wurde, konnte der Stadtschreiber leicht merken, daß er der gefürchtete Knecht Ruprecht wäre. Ich will doch nimmermehr hoffen, sagte er, daß er sich vor mir fürchtet? Ha ha ha ha, ich dachte, wir wären lange wieder gute Freunde! Sagen Sie ihm doch nur, meine Frau Inspektorn, wenn er mich nur ungeschoren liesse, vor mir sollte er guten Frieden haben.

Mir glaubt er das nicht, war die Antwort: Wenn Sies ihm selber sagen wollten –

I Narrenspossen, sagte der Stadtschreiber: Er soll den Augenblick kommen, ich will ihn holen!

Die Frau Inspektorn lief gleich nach, aus Furcht, der Stadtschreiber möchte dem armen Kinde mit Gewalt zusetzen! Er machte auch wirklich nicht lange Federlesens, faßte ihn unter den Arm und damit zum Zimmer herein. Da, Monsieur, sagte er, wenn er sich vor mir fürchtet, da soll er sitzen, und da oben will ich sitzen, so sind wir weit genug auseinander.

Israelchen, dem der Hunger weidlich zusetzte, ließ es sich denn für diesmal gefallen, schnatterte nach Gewohnheit das Tischgebet her und die ganze Gesellschaft setzte sich nieder, zu essen und zu trinken.


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