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Neuntes Kapitel.

Während aller dieser Geschichten, die sich im May des Jahres 1777 im Hause des Herrn Inspektor Spitzbarts zu Rübenhausen zutrugen, war sein Ideal einer vollkommenen Schule auf der Leipziger Jubilatemesse bereits aus der Hand des Verlegers in tausend andere Hände übergegangen. Die Recensenten standen schon alle auf ihren Posten, ein Theil Victoria zu schiessen und ein Theil Bresche. Das junge müssige Volk in der deutschen Gelehrtenrepublik fiel begierig über die neue Waare her, beschnüffelte sie hinten und vorn, pries sie vortreflich und hüpfte dann zu einem andern Stück. Unter den Schulleuten, für die doch das Ideal zu allernächst bestimmt zu seyn schien, fand es gerade die wenigsten Leser. Der denkende Theil derselben vermuthete gleich aus dem Titel ein glänzendes Gewebe überirdischer Projecte und hielt die Zeit für verlohren, die man mit Lesung derselben verschwendete: Der Nichtdenkende erfuhr auch nicht einmal den Titel! Unter den Weltleuten aber machte das Ideal sein größtes Glück: Die hinreissende Schreibart; die funkelnagelneuen Luftschlösser, die noch in keines Menschen Sinn gekommen waren; die entzückende Aussicht, seine Kinder auf solch einer vollkommenen Schule zu Engeln und Halbgöttern gebildet zu sehen, erwarben dem Herrn Inspektor den stärksten Beyfall! Selbst diejenigen, die sein Werk für eine bloß reizende Schimäre erkannten, liebten doch den Werkmeister derselben und bedauerten, daß die Welt für seine hohe Kunst zu schlecht sey!

Unter allen Lesern aber hatte der Herr Inspektor keinen, der sein Werk mit solchem Enthusiasmus las und wiederlas und jedermann, der ihm in den Wurf kam, peitschte und spornte, es ja zu lesen, als den Herrn Stadtdirektor Heineccius, in dem berühmten Arlesheim, an einem der 6 grossen deutschen Flüsse, Donau, Rhein, Mayn, Elbe, Weser, Oder, belegen. Ich habe bemerkt und ich sehe mich gedrungen, meine Bemerkung hier mitzutheilen, daß jedes Buch, gut oder elend, allemal unfehlbar einen Leser findet, dem es fast Wort für Wort aus der Seele geschrieben ist und der folglich durch Harmonie des Geistes hingerissen den Autor desselben beynahe vergöttert. Dieser Vergötterer war nun unser Heineccius, ein junger, feuriger Mann, der durch Geschicklichkeit in seinem Fache, durch grosse und mächtige Gönner und insbesondere durch die Gunst der noch mächtigern Frau Fortuna, sehr früh zu dem ansehnlichen Posten eines Stadtdirektors gelangt war, der ihn nicht bloß zum Präsidenten im Magistratscollegium, sondern auch zum ersten Scholarchen der Stadt machte. Und so wie jeder Mensch seine Lieblingsneigung oder Beschäftigung hat, z. E. Herr Blum in Ratenow das Spazierengehen, Herr Hofrath Beireiß in Helmstädt das Vorzeigen seiner Wunderuhr, so hatte sich unser Heineccius die Theorey der Erziehung zu seinem Leibfache ausersehen und seit er Scholarch geworden war, trieb er sie eifriger, als jemals. Anfangs war Basedow sein grosses Muster; Er las und kaufte nicht nur alle seine Erziehungsschriften, sondern er unterstützte auch das Dessauische Philanthropin thätig durch einige nicht ganz unbeträchtliche Summen, die er in seiner Vaterstadt im Schweiß seiner Arbeit erpreßte. Als aber Herr D. Bahrdt mit seinem Erziehungsplane des Philanthropins zu Marschlin hervortrat, mußte Basedow weichen; Ganz begeistert von dieser neuen, himmlischen Erscheinung, hielt er bey seinen Obern um Erlaubniß an, die Reise nach der Schweiz zu thun, um in diesem irdischen Paradiese persönlich zu lustwandeln: Allein wie erstaunte er, als ihm die gesuchte Permission in Gnaden abgeschlagen wurde! In der ersten Hitze wollte er sich gradehin gegen seine Obern empören, und ihnen und aller Welt zum Trotze die Reise gleichwohl antreten, als zu seinem Glücke die Nachricht ankam, daß das gute Philanthropin das Schicksal der gar zu klugen Kinder gehabt und in seiner schönsten Blüthe den Weg alles Fleisches gegangen sey. Seine Betrübniß darüber war unbeschreiblich und er zog sich diesen unersetzlichen Verlust so sehr zu Herzen, daß selbst seine Lektür darunter litt und ihm aller Muth vergieng, weiter an Erziehung zu denken. Als er aber das Ideal unsers Herrn Inspektors zu Gesichte bekam, da war ihm mit einemmale zu Muthe als führ ihm ein elektrischer Schlag durch Nerven, Adern und Gebein! Alle Traurigkeit ward mit Stamm und Wurzel ausgerissen; Neuer und noch höherer Enthusiasmus flammte auf, denn hier war mehr als Bahrdt! Mehr als einmal sprang er mitten im Lesen vom Stuhl auf und rief, gleich einem Entzückten: Das ist vortreflich! Der Mann ist ein Urgenie! Und niemand kennt ihn! Aber ich will ihn aus seinem Winkel hervorziehen und noch heute will ich an ihn schreiben! O daß doch der alte, elende Stuppani jezt gleich die Augen zudrückte!

Dieser alte, elende Stuppani war der zeitige Direktor des grossen Stadtgymnasiums, ein steinalter Mann aus dem vorigen Jahrhunderte und nicht minder steinhart, der allen Wünschern seines Todes zum Possen immer ein Jahr nach dem andern fortlebte, oder eigentlicher zu reden fortvegetirte. Ohngeachtet der geistigen und körperlichen Schwachheit seines Alters, lehrte und regierte er auf seiner Schule vor wie nach, theils aus einer fast 50 jährigen Gewohnheit, theils und noch mehr, um durch eine angenommene jugendliche Munterkeit und Rüstigkeit dem Tode eine Nase zu drehn, damit er ihn nicht etwan bei seinen alten, schlohweissen Haaren packte. Das Alter soll man ehren! Kein Wort also von seinem gegenwärtigen Leben und Wandel: Aber von seinen Meinungen und Thaten in frühern Jahren will es fast Noth seyn, etwas zu erwähnen. Damals nun war er das, was man zu unsern Zeiten ein wenig plump, aber doch passend einen lateinischen Michel nennt! Ein wahrer Abgötter und Unchrist, den Calvin eben sowohl Ursach gehabt hätte, verbrennen zu lassen, als den gottlosen Servet. Eine Rede, ein Brief vom Cicero war ihm mehr wehrt, als die ganze Bibel, und wenn er die Namen Cäsar, Sueton, Sallust, Livius, Tacitus etc. nennen hörte, dann fühlte er ganz andre und höhere Regungen, als wenn ihm in der Kirche die unlateinischen Namen Moses, Abraham, David, Salomo etc. vorkamen. Dieser Denkungsart zufolge, kam auch kein anderes Wort über seine Lippen und aus seiner Feder, als Latein; In allen Klassen des Gymnasiums ward vom Morgen bis zum Abend nichts getrieben, als Lateinisch, und als im Jahre 1760 der neue Rektor Herz ankam und auf Befehl der Obern Mathematik und Physik und Historie und Geographie zu lehren anfieng, schrieb unser Stuppani ein sehr heftiges und bitteres Programm über die einreissende Barbarey und über den Verfall der gründlichen Gelehrsamkeit auf Schulen. Eine noch grössere Herzkränkung aber hatte er im Jahre 1772, weil Heineccius ans Ruder des Senats und der Schule kam. Stuppani nehmlich hielt mit seinem Kollegen, dem wohlbekannten Schulmeister Wenceslaus, die Schulen für das, was sie eigentlich seyn sollten, für Werkstätten des heiligen Geistes! Nun tritt man aber in einen Tempel mit einem Anstande und in einer Kleidung, die sich zur Heiligkeit und Ehrwürdigkeit desselben schikt! Ergo, schloß Stuppani, sollen alle meine Schüler schwarz gehen, denn das allein ist die Farbe der Andacht, und alle sollen runde Perücken tragen, denn diese haben die auffallendste Aehnlichkeit mit dem Scheine der Heiligen um den Kopf! Dieser Befehl war denn auch wirklich in Erfüllung gegangen und vom Jahre 1738 an bis 1772 war das Arlesheimische Gymnasium eine sehr ergiebige Goldgrube für die edle Perückenmachergilde, die unsern Stuppani ungleich mehr in Ehren hielt, als Burgemeister und Rath. Kaum aber bestieg unser Heineccius seinen Posten, als Scholarch, so erschien gleich eine Verordnung gegen diese, wie es hieß, ganz unnatürliche und höchstalberne Pedanterey und es ward nicht nur einem jeden freygegeben, sein eigen Haar zu tragen, sondern die runde Perücke ward auf immer und ewige Zeiten förmlich abgeschafft. Hätte unser Stuppani nicht eine so gar felsenfeste und eiserne Natur gehabt, so würd ihm dieser schreckliche Streich den Tod zugezogen haben: So aber begnügte er sich, seinen Aerger und Verdruß in einem abermaligen Programm auszulassen, daß Heineccius in der Censur unterdrückte, weil es ein offenbares Pasquill auf ihn war! Noch tausendmal ärger aber tobte und wütete die ganze edle Perückenmachergilde, und drohte nichts weniger, als das Rathhaus zu stürmen, und den Tyrannen und Perückenmörder Heineccius zum Fenster hinabzustürzen.

Heineccius war bey allen diesen Drohungen ganz ruhig, wohl wissend, daß es in einer Stadt, wo ein Regiment Preussen liegt, mit einem bürgerlichen Aufruhr nichts zu sagen hat. Die Rädelsführer, die sich mit Reden am unnützesten gemacht hatten, ließ er in aller Geschwindigkeit aufgreifen und hinbringen, wo sie vor Sonnen- und Mondenscheine völlig gesichert waren: Den übrigen aber ließ er freundlich zu wissen thun, sie möchten sich ruhig verhalten, sonst würd er sich gemüßigt sehen, das Militare gegen sie zu requiriren. Dies gute Wort fand eine gute Statt und noch denselben Tag war Ruhe und Friede allgemein wieder hergestellt. Seit dieser grossen Begebenheit hoffte und wünschte Heineccius täglich und stündlich, Stuppani möchte doch endlich einmal die Schuld der Natur bezahlen: Dann wollte er die Stelle einem der ersten Köpfe deutscher Nation geben und mit ihm gemeinschaftlich die Reformation des Gymnasiums von Grund aus unternehmen. Dieser Kopf, über den er bis itzt noch nicht hatte eins werden können, war nun auf die unverhofteste Art von der Welt gefunden: Kein andrer auf Erden, als unser Herr Inspektor Spitzbart sollte und mußte Direktor des Gymnasiums werden! Das einzige ärgerte ihn nur, daß er ihm nicht gleich die Vokation zuschicken konnte: Da das nun aber nicht angieng, so wollte er ihn doch wenigstens so fesseln, daß er ihm auf den entstehenden Fall gewiß wäre. Er schrieb also einen langen, enthusiastischen Brief an ihn, den ich nicht ermangeln werde, dem geneigten Leser im Originale zu produciren, so bald er durch den Weg der ordinären Post von Arlesheim nach Rübenhausen richtig angelangt seyn wird.


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