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Acht und zwanzigstes Kapitel.

Leider konnte nur Fiekchen ihren Vater nicht überall hinbegleiten! Und hätte sie auch gekonnt, so gerieth er doch zu Zeiten in Verlegenheiten von der Art, aus denen keine Weiberlist, sondern einzig und allein Männerverstand retten kann. Der geneigte Leser erinnert sich vielleicht noch des oben entworfenen Plans zu einer pädagogischen Versammlung, deren ehrwürdiger Präses unser Spitzbart seyn sollte. Gern hätt er sie noch einen Monath aufgeschoben, und am allerliebsten hätte er es gesehen, es wäre gar nichts daraus geworden: Aber Heineccius drang in ihn, sie mit der nächsten Woche zu eröfnen und so half denn kein Zittern vors Frieren! Die sämmtlichen Lehrer des Gymnasiums wurden dazu schriftlich eingeladen und wiewohl es ihnen nicht zur eigentlichen Zwangspflicht gemacht werden konnte, darinn zu erscheinen, so konnten sie doch nicht füglich wegbleiben, weil das Beste des Gymnasiums in allgemeine Berathschlagung genommen werden sollte. Sie erschienen alle, mehr durch Neugier als pädagogischen Enthusiasmus herbey geführt, bis auf den einzigen Wenzky, der sich mit Unpäßlichkeit entschuldigen ließ; Eigentlich aber fürchtete er sich bloß, in dieser öffentlichen Versammlung von seinen Obern coramirt zu werden. Auch Heineccius kam und brachte noch einige seiner Freunde mit. Mit eben der wichtigen, von hohen Dingen schwangern Miene, mit der sonst Spitzbart die Kanzel bestiegen hatte, bestieg er itzt den Katheder und eröfnete die Feyerlichkeit mit einer kurzen, aber desto geistreichern Rede, worinn er wie ein Sanct Johannes von dato an bis zum Untergange der Welt alle die großen Revolutionen vorherverkündigte, die diese Versamlung anrichten würde. Drauf schritt er zur Sache selbst, zog sein Ideal aus der Tasche, legte es vor sich auf den Katheder und that nun der Versammlung kund, daß vorheute über die Einführung der Prämien grosser Rath gehalten werden sollte. Dem zufolge las er die dahin gehörigen Stellen über die Untauglichkeit und Schädlichkeit der körperlichen Strafen, über die grosse Kraft und Wirkung der Prämien, und worinn sie bestehen sollten etc. sehr pathetisch vor, und beschloß damit, daß nun weiter nichts fehle, als einen kleinen Fond auszumitteln, von dem man die Prämien für alle Klassen bestreiten könne, welches er der Weisheit und Einsicht seines hohen Gönners Heineccius lediglich überlassen wolle!

Heineccius machte wie billig seine gnädige Verbeugung: Da er aber bemerkt hatte, daß der Rektor Herz die ganze Zeit über heimlich bey sich gelächelt, so vermuthete er bey ihm einige Einwürfe gegen den geschehenen Vortrag. Um nun diese herauszuholen, wandte er sich an das ganze Kollegium der Lehrer und verlangte von ihnen ihr Gutachten; Und Sie, mein Herr Rektor, fuhr er fort, sind der erste, reden Sie frey und unverholen, was Ihnen Theorie und Erfahrung über diesen Punkt eingiebt und wenn Sie andrer Meynung sind, so rechnen Sie fest darauf, daß Sie uns nur zu überzeugen brauchen, um sogleich auf Ihre Seite zu treten!

Diese sehr vernünftige Auffoderung, die aber dem Herrn Direktor ein Aergerniß und eine Thorheit war, bewog den Rektor Herz, sich also und folgendergestalt vernehmen zu lassen: »Durch Ihren Befehl aufgefodert wage ich es dann, mein unvorgreifliches Urtheil über das Prämienwesen vorzutragen. Von einem gänzlich Unvorbereiteten erwartet man keinen strengen Zusammenhang der Gedanken, noch Zierlichkeit des Vortrages: Bloß einzelne zerstreute Bemerkungen, in das einfache Gewand der Wahrheit gehüllt.

Nach meiner besten Einsicht und Erfahrung kann ich nicht anders, als die Prämien von dem bisher gewöhnlichen Schlage nicht nur als untauglich, sondern selbst als höchst schädlich und verderblich verwerfen. Daß sie ein kleiner Sporn zur Thätigkeit sind, will ich ihnen nicht absprechen: Aber für das Bißchen Gute, was sie auf der einen Seite bewirken, zerstören sie auf der andern doppelt so viel! Entweder laufen sie auf einen Kitzel des Gaumens oder auf einen Kitzel der Eigenliebe und des Ehrgeizes hinaus. Jene, als bloß sinnliche Belohnungen schicken sich natürlich auch nur für bloß sinnliche Geschöpfe: So lange also das Kind noch Thier ist, behandle man es als solches, und so wie man einen Hund durch einen vorgehaltenen Knochen oder durch ein Stück Fleisch zu allerhand Künsten anlernt, so mag man meinetwegen ein solches Thierkind mit einem Rosinchen oder Aepfelchen zum Thun und Lassen antreiben. Aber so wie das Kind anfängt, Menschheit zu zeigen, so wie die Morgendämmerung des Verstandes und der Vernunft bey ihm anbricht, dann weg mit diesen bloß thierischen Motiven! Müssen sie nicht auf eine nothwendige Art die Kinder zu niedrigen Sklaven des Bauches machen, die kein höheres Vergnügen kennen, als einen Leckerbissen, nach nichts so eifrig ringen und streben, als nach einem Leckerbissen und umgekehrt wie todte Klötzer sind, wo kein Leckerbissen passirt? Ich kenne mehrere solcher elenden Geschöpfchen, die diesen Prämien eine eigennützige, alles Edlen und Grossen unfähige Seele und obendrein einen verdorbenen und gebrechlichen Körper zu verdanken haben! Noch weiter aber greifen die schlimmen Folgen davon um sich, wenn man sich dieselben in öffentliche und zahlreiche Schulen eingeführt vorstellt. Neid und Misgunst, Zank und Streit werden dadurch allgemein ausgebrütet werden! Unter zehnen, die gekrönt werden, arten gewiß neune in eitle Närrchen aus, die sich ihres Vorzugs überheben und stolz auf ihre nicht gekrönten Schulkameraden herabsehen! Nur bey einigen wird die Thätigkeit stärker werden, bey dem größten Haufen aber wird sie erschlaffen, weil die Lockspeise viel zu hoch hängt, als daß sie sich Hofnung machen könnten, sie zu erhaschen! Was die Prämien für die schon erwachsenere Jugend anbetrift, so muß ich gestehen, daß es mir unbegreiflich ist, wie die Pädagogen neuerer Zeit sich so handgreiflich und augenscheinlich widersprechen können. Auf der einen Seite empfehlen sie uns die größte Behutsamkeit und Klugheit bey Austheilung des Lobes an unsre Schüler: und doch verlangen sie auf der andern Seite, daß wir das Lob mit vollen Händen unter sie verschwenden und ihnen, mit Lessing zu reden, das Rauchfaß an die Ohren schlagen sollen! Ich setze mich in die Stelle eines mit Ordensband und Stern behangenen Schulknaben und versinke entweder vor Scham oder berste vor Hochmuth! Wer würde es nicht als eine Erzposse belachen, wenn man einen Wettläufer, der seinen Mitbuhlern einen kleinen Vorsprung abgewonnen, eh er noch einmal die Hälfte des Ziels erreicht, mit einemmale anhalten wollte, um öffentlich unter Trompeten- und Paukenschall bekannt zu machen: Der und der ist nun halb am Ziele! Erst vollende er seine Bahn ganz, erst erreiche er das Ziel selbst: Dann ertöne, wenn es denn einmal seyn soll, die Trommete! Ich für mein Theil bedarf Gottlob, bey meinen Schülern keinen solchen stumpfen Sporn, um ihren Fleiß und ihre Thätigkeit anzuregen. Der Reiz der Wissenschaften ist für sie allein schon Sporns genug! Sie sind fleißig, weil ihnen ihr Fleiß Vergnügen macht; Weil sie wissen, daß Gott sie nicht zum Müßiggange, sondern zur Arbeit erschaffen hat; Weil nur allein ihr Fleiß sie in den Stand setzen kann, einst nützlich und brauchbar für die Welt zu seyn! So wie ich selbst nach meinem besondern Geschmacke das stille Verdienst bey weitem dem rauschenden vorziehe, so suche ich auch meinen Schülern gleiche Grundsätze einzuflössen. Ich lehre sie, das Gute mehr um sein selbst willen zu thun, als um der zeitlichen Ehre und Vortheile willen, die daraus entspringen. Ich suche sie so viel möglich auf den Fall vorzubereiten, daß sie für alle ihre Mühe und Anstrengung vielleicht nicht den verdienten, geschweige den erwarteten Lohn einerndten und auf diese Weise lehre ich sie die Kunst, Prämien, nicht zu verdienen, sondern zu entbehren; eine ungleich grössere, denk ich, als die erste! Das sind einige meiner Gründe, die mir eben so einfallen, weswegen ich mit dem Herrn Direktor über die Prämien auf Schulen nicht einerley Meynung seyn kann. Weit entfernt, mich der Einführung derselben zu widersetzen, bitt ich mir bloß die Wohlthat aus, bey meiner bisher beobachteten Methode zu bleiben und meinen Beyfall und meine Liebe die höchste Prämie seyn zu lassen, die ich meinen Schülern zutheile.«

So wie von Davids Steine der grosse Goliath zu Boden fiel, so fiel auch der grosse Spitzbart durch die Hand eines seiner Meynung nach sehr schwachen und ohnmächtigen Gegners. Der Fall hatte ihn so dußlicht gemacht, daß er in den ersten Minuten gar kein Zeichen des Lebens von sich gab und als er sich endlich wieder erholte, brachte er nichts als unzusammenhängende und abgebrochne Thöne vor. Heineccius kriegte auch zur Gesellschaft einen derben Puff ab oder, ohne Allegorie zu sprechen, Heineccius fühlte itzt zum erstenmale die grosse Ueberlegenheit des Geistes, die der von ihm zurückgesetzte Herz über den von ihm vergötterten Spitzbart zeigte. Es fiel ihm von seinen Augen wie Schuppen und er sah nun klärlich ein, daß das so hochgepriesene Ideal ein feines Spinnegewebe sey, das ein erfahrner Schulmann mit einem einzigen Hauche in alle Lüfte blasen könne. Das Stottern und Stammeln vollends, was der Herr Direktor betrieb, um etwas zusammenzubringen, was einer Widerlegung ähnlich wäre, hob ihn noch weiter aus der Affektion seines Beförderers! Mit sichtbarem Verdrusse stand er auf und sagte, es möchte vor heute genug seyn; Eine Widerlegung der vom Rektor Herz gemachten Einwendungen wäre keine Sache, die sich so leicht übers Knie brechen ließe; Der Herr Direktor sollte erst reiflich darüber nachdenken und dann reden. Wie vom Donner gerührt, verließ Spitzbart den Katheder und die Versammlung gieng auseinander. Ganz schachmatt und lendenlahm kam er nach Hause, und wer ihm itzt auf der Stelle sein verlaßnes Inspectorat in Rübenhausen wiedergegeben hätte, wär ihm ein Engel vom Himmel gewesen!


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