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Sechzehntes Kapitel.

Unterdessen kam der Begräbnißtag des alten Stuppani herbey und machte vorerst unter den streitenden Partheien einen kleinen Waffenstillstand. Herz hielt die Parentation, ein Geschäft, dessen er gern überhoben gewesen wäre: Aber es war einmal so Sitte und er mußte also zusehen, wo er ein paar gute Seiten des Alten erwischte, die zur Noth eine kleine Lobrede aushielten. Heineccius machte sich fein säuberlich krank, setzte sich aber dabey frisch und gesund hin und schrieb an seinen Herrn Inspektor. Er hatte in der Geschwindigkeit einen Einfall bekommen, mit welchem, wie er glaubte, nicht zu säumen wäre. Entweder, schloß er, giebt Herz eine Bittschrift ein oder nicht. Giebt er sie nicht ein, so gilt das für einen neuen Beweis seines Stolzes und er erhält auch nicht eine einzige Stimme. Giebt er sie ein, so muß der gute Eindruck, den sie etwa machen könnte, vernichtet werden, und das kann nicht besser geschehen, als wenn der Herr Inspektor ebenfalls supplicando erscheint, aber auf eine so neue und originale Art, daß die Senatoren sogleich wie von der Erscheinung eines höhern Wesens betäubt werden und in der ersten Hitze ihre Stimmen geben. Er instruirte ihn also, wie er diese Bittschrift abfassen sollte; versicherte ihn übrigens, daß die Sache schon so gut als richtig wäre und daß die Vokation höchstens in einem Monat anlangen würde.

Mirus seiner Seits gieng viel zaghafter und muthloser zu Werke. Er fühlte es, daß er an des Rektor Herz Stelle eben so wenig suppliciren würde: Und doch wünschte er aus allen Kräften, Herz möchte sich nur ein einzigesmal Gewalt anthun und in einen sauren Apfel beissen. Er sparte deswegen keine Vorstellungen und Bitten, aber alles, was er endlich mit vieler Mühe von ihm erpreßte, war folgendes Billet:

»Wohlan denn es sey! Ich will der Freundschaft die Ehre aufopfern und auch einmal ein kriechendes Thier werden. Es giebt ja deren so viele, daß man mich wenig bemerken wird. Aber ich halt es für Pflicht, Freund, Ihnen zu sagen, ich setze die ganze Ruhe und Zufriedenheit meines Lebens aufs Spiel! Werd ich verworfen, so rechnen Sie auf mich, als den Timon von Arlesheim. Vorwürfe werden Sie darum nie von mir hören, aber ich wünschte auch gewiß zu seyn, daß Sie sich selbst keine machen. Also überlegen Sie erst noch und dann nie wieder eine Sylbe von der Sache!«

Das war ein trauriger Trost für Mirus. Er konnte den Gedanken nicht aushalten, auch nur vielleicht seinen Freund Herz zum Misanthropen zu machen und so abstrahirte er von dem Augenblicke an mit einemmale von der ganzen Affäre. Da nun aus dieser Bittschrift nichts ward, so hätte die andre auch unbeschadet ausbleiben können: Aber sie war einmal bestellt und langte in kurzer Zeit richtig, zum Erstaunen aller Postmeister und Posthalter, durch deren Hände sie gieng, in Arlesheim an.

Die Aufschrift war:

An. Die.
Edlen. Weisen. Verehrungswuerdigen.
Vaeter. Vorsorger. Und. Archonten.
Der. Stadt. Und. Des. Gymnasiums.
Zu. Arlesheim.

Und der Inhalt selbst lautete also:

Ehrwuerdige Vaeter der Stadt,
Zum Wohl der Schule berufne Vorsorger,

Getrieben von einem feurigen Verlangen, der Menschheit zu nuetzen, wend ich mich an Euch, die ihr von gleichem Verlangen beseelt, schon laengst in den Annalen eurer Stadt als ihre Wohlthaeter glaenzt. Mir ist kund worden, dass eine grosse und wichtige Sorge auf Euern Herzen liegt, wie ihr das verweiste Ruder eurer Schule wuerdigen Haenden anvertrauen wollt! Meine Absicht geht dahin, dieser Sorge ein Ziel zu setzen und eurer pruefenden Weisheit einen Mann vorzuschlagen, der es kuehnlich wagen will, die Leitung und Lenkung des Ruders zu uebernehmen. Ich kenne diesen Mann von Grundaus und vermag es allein, ihn genau und unparteiisch zu schildern. Er ist izt in der Reife seines Alters und seines Verstandes. Obzwar zunaechst dem Dienste der Kirche gewidmet, hat er doch von je an flammende Neigung fuer ihre Schwester, die Schule getragen. Er wohnte dem grossen Cosmopolitenkongress in Dessau bey und stieg auf Basedows Schultern ganz hinauf bis zum Ideale einer vollkommenen Schule. Seit dieser Zeit ist ihm seine Sphaere zu eng; Seine thaetige Kraft schmachtet nach Raum zu wirken und zu schaffen; Er kan nicht ruhn noch rasten, bis er den Riss seines Gebaeues in Wirklichkeit dargestellt hat. Dieser Mann, Ich ist sein Name, bietet alles, was in ihm ist, Euerm Dienste dar; Von Euch berufen will er Eurer verfallnen Schule aufhelfen und aus ihr ein Gebaeu aufführen, nach dem bald auch die Cosmopoliten wallfahrten und ihre Kinder von Ost und West herbringen werden. Erwaegt nun, weise Vaeter, was ihr zu beschliessen habt; Erwaegt es schleunig, denn es sind der Schulen mehrere, die Maenner brauchen. Euch erfleht zu weisem Entschlusse des Himmels Beystand

Euer
Freund und Verehrer &c.

 

Es ist nicht jedermanns Sache, die wahre oder nachgeahmte Sprache der Genies richtig auszulegen und zu deuten! Der Postsekretär in Arlesheim, dem dieses originale Geistesprodukt unsers Herrn Inspektors zuerst in die Hände fiel, wuste schlechterdings nicht, was er draus machen sollte. Die Archonten hatte er ganz und gar nicht die Ehre zu kennen, weder die Griechischen noch die in Arlesheim! Väter, in dem physikalischen Sinne des Worts, wuste er zwar gnug: Aber welchem von ihnen sollte er nun den Brief zuschicken, daß er das Porto bezahlte? Endlich half ihm das Wort Gymnasium aus der Verlegenheit und er wies den Briefträger nach dem Rektor Herz. Dieser entzifferte sogleich das dunkle Räthsel und wies den Briefträger weiter an den Senat und namentlich an den Stadtdirektor Heineccius, dem die Erbrechung aller an die Senatoren einlaufenden Schreiben zukam. Ein lautes Bravo über das andre erscholl aus dem Munde des hocherfreuten Heineccius und er fand den Aufsatz völlig so, wie er ihn gewünscht hatte und wie er grade die meiste Wirkung thun muste. Auch eilte er damit sporenstreichs in die Session aufs Rathhaus und nach einer kurzen vorangeschickten Einleitung las er ihn selbst vor und ersuchte dann seine Herren Kollegen um ihr Urtheil! Sehr selten hat eine wohlangebrachte Dosis Weihrauch ihre Wirkung verfehlt. Die meisten Senatoren bliesen ihre Paußbacken und Bäuche noch einmal so groß auf, da sie sich Väter, Vorsorger und Archonten der Stadt schelten hörten und da sie vernahmen, was sie sich nimmer hätten träumen lassen, daß ihrer sogar in den Annalen der Stadt gedacht seyn sollte. Einige nahmen das Ding mehr von der ökonomischen Seite und ihnen leuchteten besonders die verheissenen Wallfahrten der Kosmopoliten ein. Sie berechneten bey sich, was das der Stadt jährlich einbringen müsse, wenn Eltern ihre Kinder von Ost und West, und warum nicht eben so gut von Süd und Nord herbrächten. Mirus allein saß ernsthaft und feyerlich da und sprach kein Wort. Einer der Herren näherte sich ihm unvermerkt und raunte ihm ins Ohr: Nun wie stehts denn mit dem Rektor Herz? Werden wir nicht auch von ihm was zu lesen bekommen? Nein, gab Mirus laut zur Antwort: Er verschmäht beydes, das Kriechen und das Großthun! Ha Sie sprechen vom Rektor Herz, fiel Heineccius geschwind ein, um der Pille ihre Bitterkeit zu benehmen: Allerdings ist das ein Mann, der ebenfalls auf den vakanten Posten Anspruch machen könnte! Aber es wäre wirklich Schade, wenn wir ihn dem Katheder auch nur zum Theil entziehen wollten! Dieser ist seine Sphäre, in der er ganz Herr und Meister ist, und der neue Direktor hat dann viel leichter Spiel, wenn er einen so wackern Mann zum Gehülfen hat. Also, meine Herren, wenns gefällig ist, setzten wir, dächt ich, einen Tag zur Wahl an!

Heineccius schlug den Tag vor und er ward beliebt. Die Zwischenzeit verstrich ohne weitere Kabalen und so rückte denn der Augenblick herbey, da unser Herr Inspektor mit sieben Stimmen gegen eine zum Haupte und Direktor des Gymnasiums in Arlesheim erwählt wurde. Von Vermehrung des Gehalts, der ohnehin schon sehr artig war, ließ sich Heineccius itzt weislich noch nichts merken, weil er von Mirus Seite gar zu hitzigen Widerspruch befürchten muste; Indeß hofte er, wenn der Neuerwählte erst in Person da wäre und nur erst einen kleinen Anfang mit Realisirung seines Ideals gemacht hätte, würde sich das von selbst finden: Die Vokation ward noch denselben Tag ausgefertigt und Heineccius begleitete sie mit einer Gratulation in Versen, die nachmals einem von den Mitarbeitern an dem Taschenbuche für Dichter und Dichterfreunde in die Hände fiel und darinn mit grosser Freuden aufgenommen wurde.


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