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Drittes Kapitel.

Die Zeit würde zu kurz seyn, hub er an, meinen ganzen Plan weitläuftig zu entwickeln. Ich will Ihnen blos das Skelet vorlegen, und dann einige Stellen ausheben, die mir am interessantesten zu seyn scheinen.

Da die Vollkommenheit einer Schule hauptsächlich von der Güte der Lehrer abhängt, die Lehrer aber von dazu gesetzten Personen ordentlich erwählt und berufen zu werden pflegen, so hab ich mich gleich über diesen Punkt zuerst hergemacht. Ach, meine Herren, da ist viel, viel zu verbessern! Nun, ich habe, denk ich, einige Vorschläge gethan, die in Jahr und Tag dem Unwesen steuern werden. Erstlich, es muß in jeder Provinz ein eigner Mann seyn, ein Mann von seltnen und ungemeinen Geistesgaben, der nichts weiter zu thun hat, als daß er beständig umherreist, es versteht sich auf Unkosten des Staats, und gute Köpfe zu Schulleuten aussucht. Der Mann muß unumschränkte Vollmacht haben, zu nehmen, wen er will, und wenn ihm der Sohn eines Ministers aufstiesse und er fände an ihm Talente, so müßten sichs Ihro Excellenz ohne Umstände gefallen lassen, Konrektor oder was es wäre zu werden. (Schon verzog sich Senfts Mund ganz sanft zum Lächeln, aber noch schwieg er still, um ein so schönes Projekt nicht zu unterbrechen.) Vorzüglich, fuhr der Herr Inspektor fort, müßte dieser Mann die Physiognomik in dem Grunde und aus dem Grunde verstehen, damit, weil er doch nicht überall seyn kann, er sogleich aus der Silhouette beurtheilen könnte, ob jemand zum Schulmanne taugt oder nicht. Zu dem Ende wär es nicht übel, wenn er vorher eine kleine Reise nach der Schweiz zu dem berühmten Lavater thäte: Doch sollte die gute Sache dadurch zu lange aufgehalten werden, so könnt es auch allenfalls so bleiben; er müßte denn nur die gedruckte Physiognomik desto fleissiger studiren, fleissig in die Tollhäuser gehen, kurz in allen Stücken auf das genaueste in die Fußstapfen seines grossen Vorgängers treten. Dabey hab ich ihm denn ein schönes und rares Werk empfohlen, das aus dem Spanischen übersetzt ist: Huarts Prüfung der Köpfe, ich weis nicht, Herr Pastor, ob Sie das Werk kennen?

O ich habe die Ehre, versetzte Senft, der sich nun nicht länger halten konnte und in ein lautes Gelächter ausbrach: Aus dem Huart ist was zu lernen, da haben Sie vollkommen recht! Noch mehr, wenn Ihr Mann nur treulich nach Huarts Vorschriften verfährt, dann braucht es gar nicht einmal der Physiognomik! Er kann nur gleich eine eigne Fabrik von Genies und guten Köpfen anlegen.

Bey diesen Worten verzog der Herr Inspektor seine Stirn in finstre Falten, der Herr Burgemeister that desgleichen, der Stadtschreiber und Stucker aber sahen bloß ein wenig verlegen aus und gukten bald den einen, bald den andern an.

Senft unterbrach dies Mienenspiel auf der Stelle. Wie, sagte er, Sie wollen den Huart gelesen haben und erinnern sich nicht des Kapitels, worinnen er den Vätern Unterricht giebt, wie sie kluge Kinder zeugen sollen? Ich habe das närrische Zeug meist wieder ausgeschwitzt, aber so viel erinnere ich mich noch, daß Huart einen ganzen, langen Küchenzettel giebt, von dem der Verstand oder die Dummheit des zu zeugenden Kindes abhängt. Lachs z. E. Lampreten und Aal giebt Kinder mit einem guten Gedächtnisse; Zwiebeln, Rettich, Honig und Gewürz giebt Kinder mit einer guten Einbildungskraft; wer aber, 6 oder 7 Tage vorher, recht tüchtig Ziegenmilch ißt, der zeugt aufs allerwenigste einen Klopstock. Hier sind die Stellen aus dem Werke selbst, S. 427 etc. der italienischen Übersetzung: Per generar dunque i figliuoli di grande intelletto, fa di bisogno, che i padri usino questi cibi: Prima pan bianco fatto di fior di farina, ex impastato con sale.E desiderando di havere qualche figliuolo di memoria profonda, usino di mangiare trute, salmoni, lamprede e angville. – Il seme si genera di parti delicatissime mangiando colombe, capretti, aglio, cipolle, porri, ravani, pepe, aceto, vin bianco, mele e ogni sorte di specierie. Il figliuolo, che di simili alimenti sarà generato abondarà d'immaginativa. – Ma se veramente i padri desiderassero di generare un figlio gentil'huomo, savio, e di buoni costumi dovrebbono sei, ò sette giorni prima della generatione mangiare latte di capra assai bene. Guter Huart, eh du andrer Köpfe prüftest, warum liessest du nicht zuvor den deinigen ein wenig durch den Trepan prüfen! Also, mein werthester Herr Inspektor, sorgen Sie nur für einen rechten Stall voll Ziegen, das ist das Vornehmste!

O Sie sind ein bitterböser Kritikus, unterbrach ihn der Herr Inspektor, halb böse und halb lachend.

Nur gegen Huart, nicht gegen Sie, versetzte Senft, indem er den Herrn Inspektor freundschaftlich bey der Hand faßte. Ich bitte Sie, fahren Sie fort!

Den Augenblick war der Herr Inspektor wieder bey guter Laune und fuhr fort, wie folget:

Dieser Mann nun, dem ich den Charakter eines Oberedukationsraths zugedacht habe, ist für seine Provinz – ich habe oben schon erinnert, daß in jeder Provinz einer seyn muß – ist für seine Provinz, sag ich, das allgemeine Orakel bey der Wahl eines Lehrers. Alle Magisträte, Patronen, geistliche Collegia, Klöster und so weiter, die Schulstellen zu vergeben haben, müssen entweder ein Subjekt aus seinen Händen annehmen, oder, wenn sie selbst eins vorschlagen, es vorher seiner Prüfung unterwerfen. Was dünkt Ihnen nun, meine Herren, wenn dieser Vorschlag erst allgemein im Gange ist, wird nicht das ganze Schulwesen dadurch einen neuen Schwung kriegen?

O einen ganz herrlichen Schwung, rief Stucker im höchsten Enthusiasmus.

Jammerschade, sagte der Burgemeister, daß diese schöne Einrichtung nicht damals schon war, weil wir die Rektorstelle bey unsrer Schule besetzten. Wir hätten dann doch wohl einen ganz andern Mann gekriegt!

Ey was wollten wir gekriegt haben, schrie der Stadtschreiber! Es ist ja eine Lumpenstelle von 80 oder 90 Rthlr. wenns hoch kommt. Nicht einmal freye Luft ist dabey, denn der arme Teufel ist ja ringsherum von Viehställen und Mistpfützen eingeschlossen, und was reine Luft ist, kommt das ganze Jahr über nicht vor seine Nase. Nein, nein, mein Herr Inspektor, ich gebe Ihnen für Ihr ganzes schönes Projekt nicht einen Pfifferling, wenn Sie kein Geld schaffen, daß wir das arme Schuldpack besser salariren können.

Ein triumphirendes Lächeln verbreitete sich über das Gesicht des Herrn Inspektors und das war für Freund Senft ein völlig unerklärbares Phänomen. Geduld, sagte er: Ich will Ihnen die Abbitte und Ehrenerklärung schenken, bis wir auf das Kapitel vom Schulfond kommen, aber noch sind wir nicht so weit!

Wie, was, rief Senft und riß die Augen noch einmal so weit auf: Sie wollen Geld schaffen? O dann beug ich mich im Voraus vor der Stärke Ihrer Erfindungskraft, dann sind Sie mir mehr, als Baco und Gericke und Newton. Ich hatte vorhin noch einiges gegen Ihre Oberedukationsräthe auf dem Herzen. Es wären so weit ganz hübsche Leute, in der Idee nemlich, da werden sie auch wohl ewig bleiben, dacht ich. Aber, wie gesagt, wer eins kann, kann auch das andre! Ich traue Ihnen nun alles zu und warte nur begierigst auf das goldne Kapitel vom Schulfonds.

Das Lächeln des Herrn Inspektors hielt noch immer an. Es wird kommen, sagte er: Ich werde Sie nicht darum bringen! Vorher müssen wir aber noch noch einige andre Kapitel durchgehen, das z. E. von den Eigenschaften eines Lehrers. Hier muß ich selbst gestehen, meine Foderungen sind groß: Aber ich kann mir nicht helfen; Entweder was rechtes oder gar nichts. Urtheilen Sie selbst, meine Herren, ich will Ihnen die Stelle vorlesen.

Sogleich schlug er auf und las:

»Meine Lehrer alle, ohne Unterschied, müssen weder unter 24 noch über 48 Jahre alt seyn. Dies ist der Zeitraum der Kraft und der Thätigkeit! So bald sie diesen überschritten, gebe man ihnen einen guten Gnadengehalt und lasse sie ruhig sterben. Ihren Körper anbetreffend, so verlange ich, daß er, wo nicht schön, so doch wenigstens nicht übelgestaltet sey. Nur in schönen Körpern können schöne Seelen wohnen: Und ein häßlicher Schulmann ist eo ipso ein elender Schulmann.«

O du armer Kantor Hartmann, rief Senft mit einemmale sehr andächtig und gerührt aus und schlug die Hände zusammen! Doch, fuhr er fort, lesen Sie nur weiter, ich will es Ihnen hernach sagen.

Was Senft eigentlich auf dem Herzen hatte, war dies: In seiner frühen Jugend hatte er einen Kantor dieses Namens zum Lehrer gehabt, einen Mann, bey dem es beynahe unmöglich auszumachen war, welches von beyden das andre übertraf, die Häßlichkeit des Körpers die Schönheit der Seele, oder die Schönheit der Seele die Häßlichkeit des Körpers. Senft hegte für die Asche dieses Mannes die ungemessenste Hochachtung und gieng heimlich damit um, sein Bild in Kupfer stechen zu lassen, es mit einem kleinen Entwurfe seines Lebens und Charakters in die Welt zu schicken und Lavatern zuzueignen. Da ihm nun der Herr Inspektor so unerwartet mit seiner Schönheitstheorie auf den Hals fuhr, so schoß ihm ganz natürlich sein alter Kantor aufs Herz, dessen Name allein die vollständigste Widerlegung war.

Nach diesem kleinen Intermezzo fuhr der Herr Inspektor also fort:

»Ihr äusserer Anstand sey angenehm, ihre Manieren reizend: Die Stimme weder zu stark, noch zu schwach, und die Aussprache deutlich und von allen Fehlern des Lispelns, Schnarrens, Stotterns, Sprechens durch die Nase etc. gänzlich frey. Um deswillen würd ichs auch nicht gern sehen, wenn meine Schulleute sich des Schnupftabaks bedienten, dessen häufiger Gebrauch auf eine nothwendige Art das Reden durch die Nase nach sich zieht. Vor allen Dingen aber müssen sie in der Deklamation ausgemachte Meister seyn, als welche mit gewaltiger Kraft auf das menschliche Herz überhaupt und insbesondre auf das Herz der Jugend wirkt. Der größte itzt lebende Deklamator ist der berühmte Dichter Ramler in Berlin: Wer nur irgend Gelegenheit hat, versäume ja nicht, zu hören und von ihm zu lernen.«

Während dieser kurzen Vorlesung hatte Senft schon etlichemal kleine Anstösse von Husten bekommen: Als aber der Herr Inspektor Ramlers erwähnte, wurden seine Bewegungen so merklich unruhig, daß die ganze übrige Gesellschaft auf ihn sahe. Er kannte Ramlern von Person, hatte ihn oft deklamiren hören, und hielt seine Deklamation für einen zwar hinreissenden und bezaubernden, aber doch ganz unnatürlichen Halbgesang, der höchstens nur zur Ode paßte, in allen andern Arten der Dichtkunst aber schlechterdings unaushaltbar wäre. Dieser Halbgesang nun vollends auf den Schulkatheder versetzt war für Senften eine abscheuliche Idee, und es brannte ihn, wie Feuer, dies dem Herrn Inspektor ins Gesicht zu sagen: Allein dieser ließ ihn nicht dazu kommen und las ununterbrochen weiter:

»Noch höher und grösser aber sind die Eigenschaften des Geistes und des Herzens, die ich von meinen Lehrern fodre. Verstand und Witz, Einbildungskraft und Gedächtniß seyn zu gleichen Graden in ihnen vereinigt! Thatkraft und Feuer gatte sich mit philosophischer Kälte; Kenntniß des menschlichen Herzens und insbesondere der Jugend, Kenntniß der alten und neuen Sprachen, gründliche Einsicht in jede gemeinnützige Wissenschaft, Fluß der Beredsamkeit und Fertigkeit im Sokratischen Gespräch, eine fruchtbare Einbildungskraft und Gegenwart des Geistes, eine stets muntre und fröliche Laune, die allem Einflusse des Wetters und der menschlichen Zufälle trotzt, eine unermüdete Geduld und Beharrlichkeit, und nun, von Seiten des Herzens Tugend und Religion, die minder spricht als handelt, das, das macht das Ideal eines vollkommenen Lehrers aus.«

Bravo, bravo, vortreflich, rief Senft und klopfte in die Hände. Die übrigen folgten ihm blindlings nach und der Herr Inspektor kützelte sich bereits nicht wenig, einen so schwer zu befriedigenden Aristarch zum Beyfall gezwungen zu haben: Aber der hinkende Bothe kam bald nach!

Ich hoffe doch, fuhr Senft fort, wir verstehn uns recht! Mein Beyfall nemlich gilt Ihrem Ideale, als Ideal; Aber wenn Sie meynen, daß jemals ein solcher Schulmann existirt hat oder durch Ihr Buch gezeugt existieren wird, so muß ich mir mit Ihrer gütigen Erlaubniß meinen Beyfall wieder zurück erbitten.

Anstatt böse zu werden, beliebte es diesmal dem Herrn Inspektor, Senften ein Bonmot von seiner Art in den Bart zu werfen. Wie ist mir denn, sagte er, Sie sind ja wohl ein Bruder vom ungläubigen Thomas?

Der Einfall war zu lahm, als daß sich Senft hätte die Mühe nehmen sollen, ihn zu beantworten. Nein, sagte er: Aber ich wäre werth, ein Bruder vom dummen Thomas zu seyn, wenn ich mir weiß machen liesse, daß aus 2 mal 2 fünfe werden könne! In Ihrem Ideale, mein Herr Inspektor, sind wahre wirkliche Widersprüche; Eigenschaften, von denen eine die andre ausschließt. Ich wäre begierig, das Menschenkind von muntrer Laune zu sehn, das bey Sonnenschein und Regen, bey siberischer Kälte und Hundstagshitze, beym Glück und Unglück sich immer gleich bliebe. Ich setze mich heut noch auf die Post und reise hundert Meilen, wenn Sie mir einen Menschen nachweisen können, bey dem Verstand und Witz, Gedächtnis und Phantasie zu gleichen Graden gemischt sind.

Senft wollte weiter reden, aber der Herr Burgemeister legte sich mit einem sanftmüthigen und freundlichen Bscht! ins Mittel. Mein Herr Pastor, sagte er, lassen Sie uns das bis auf ein andermal versparen und itzund weiter hören!

Sie haben Recht, sagte Senft: Kein Wort mehr! Machen Sie nur, mein Herr Inspektor, daß Sie bald auf das Kapitel vom Schulfond kommen: Da werden unsre Meynungen hoffentlich besser zusammenstimmen.

Wir wollens erwarten, sagte der Herr Inspektor! Was nun folgt, meine Herren, betrift die Methode und insbesondre die Sokratische. Darüber hab ich nichts neues sagen können, es ist schon genug darüber geschrieben. Dann folgt eine Abhandlung von der Disciplin, von Belohnungen und Strafen und was dahin einschlägt, auch diese übergeh ich. Bey Gelegenheit der Lehrbücher habe ich einen etwas kühnen Gedanken hingeworfen, der einige Aufmerksamkeit erregen dürfte.

Nun, fragte Senft sehr neugierig? Haben Sie vielleicht Vorschläge gethan, wie sie am nützlichsten eingerichtet werden müssen?

Nichts, nichts, sagte der Herr Inspektor: Es braucht gar keiner Lehrbücher mehr; Ich habe sie alle gänzlich abgeschaft. Sie wundern sich? Hm, wenn Sie nur ein klein wenig nachdenken wollten, so würden Sie sogleich die Ursach entdecken. Glauben Sie denn, daß solche Lehrer, wie die meinigen, eines so armseligen Hülfsmittels bedürfen, als ein Lehrbuch ist? Ein jeder ist sich selbst Lehrbuch und alles! Jeder hat den Faden aller Wissenschaften, der Mathematik, Physik, Naturhistorie, Geschichte, Geographie etc. im Kopfe, darnach lehrt er, was brauchts denn sonst noch?

Ja wenns so ist, sagte Senft mit einer erkünstelten einfältigen Miene: Freylich wohl, wer den Oel hat, der läßt ihn denn so brennen, spricht Asmus!

Ueberdem, fuhr der Herr Inspektor fort, sind meine Schulen, ich rede itzt von den Häusern und Gebäuden, so angethan, daß sie den Unterricht in allem menschlichen Wissen auf eine unglaubliche Art befördern.

O das wird gewiß wieder eine recht herrliche Stelle seyn, rief Stucker aus, die lesen Sie uns doch aus dem Buche selbst vor!

Gern, gern, sagte der Herr Inspektor, schlug auf und las:

»Die alten, finstern Schulgebäude, die sich eher für Missethäter als für eine muntere, lehrbegierige Jugend schicken, müssen alle von Grundaus niedergerissen werden. An deren Stelle setz ich neue, in dem besten italienischen Geschmack und wo möglich, mit allen fünf Säulenordnungen zugleich versehen, damit die Jugend, die etwa die Baukunst lernen soll, sogleich von diesem Theile derselben anschauende Begriffe bekomme. Die Zimmer müssen hoch, wohlerleuchtet und geräumig seyn, um alle den gelehrten Vorrath zu fassen, den ich für sie bestimme. Die Wände von obenan bis untenaus hängen ganz voll von Landcharten, Grundrissen von Städten, Prospekten von schönen Gegenden, Lustschlössern, Pallästen, Kirchen und tausend andern Merkwürdigkeiten der Natur und der Kunst. Hier erhebt der rauchende Aetna sein stolzes Haupt über die Wolken; Dort steigt der edle Tempel des heiligen Petrus in Rom mit seiner herrlichen Cuppola empor. Hier präsentiert sich der Sankt Markusplatz zu Venedig: Dort die neue Brücke in der Hauptstadt des leichtsinnigen Franzmanns. Welch eine Erleichterung für die Geographie, wenn beynahe der ganze Erdkreis an die Wand hingezaubert dasteht! Auf eben diese Weise sorg ich auch für die Erleichterung des historischen Studiums. Alle berühmten Männer und Frauen aus allen Zeiten und Völkern, Könige und Helden und Gelehrte und Erfinder und Künstler, Wohlthäter und Geisseln des Vaterlandes stehen vor uns in den schönsten Gemälden und Kupferstichen. Nicht allein aber ihre Gesichter, sondern auch ihre Thaten! Hier zeigt sich die fürchterliche Bluthochzeit in Paris: Dort wird der König der Britten, Karl I. mit dem Beil hingerichtet. Hier ist die Schlacht bey Narva, dort ihr Revers, die Schlacht bey Pultawa. Hier nimmt Sokrates den Giftbecher und dort sinkt Wilhelm von Oranien, von dem tödtlichen Bley des unglücklichen Balthasar Gerhard erschossen. Doch diese Hülfsmittel der Gelehrsamkeit sind bey weitem noch nicht alles, was ich den künftigen Schulen zugedacht habe! Aus den Hauptzimmern, worinn der Unterricht ertheilt wird, tritt man in verschiedne Nebenzimmer. Das erste enthält das Naturalienkabinet, das sich bloß auf das Thier- und Mineralreich erstreckt, denn das Pflanzenreich muß in einem botanischen Garten studirt werden, für den bereits gesorgt ist. Im zweyten Zimmer ist das Kabinet für die Physik und in dem dritten für die Mathematik, zu dem noch besonders eine Sternwarte kommt, die auf einem kleinen Seitenthurme angelegt und mit den besten Instrumenten versehen ist. In dem vierten und letzten Zimmer ist die Bibliothek, aus der meine Lehrer, wie die Bienen aus der Blume, den Honig der Wissenschaft und des Unterrichts zusammentragen. Und nun, ihr Kenner des Nützlichen und Schönen, tretet auf und sagt, ob solch eine Anstalt nicht mit Recht das Ideal einer vollkommenen Schule genannt zu werden verdient?«

O das müßte ein Unmensch seyn, rief Stucker aus, der das leugnen wollte. Das ist eine ganz herrliche Stelle, sie hat mich ganz hingerissen! Was sagen Sie, mein Herr Burgemeister?

Ich sag es mit Ihnen, versetzte er: Der liebe Gott gebe nur sein Gedeihen dazu, daß solche schönen Schulen bald überall in unserm lieben werthen Vaterlande seyn mögen.

Es hat sich was, sagte der Stadtschreiber und schlug eine grosse Lache auf! Wenn Sie nicht zu einem Dukatenregen Anstalt machen, mein Herr Inspektor, so ist alles in den Wind geschrieben. So eine Schule muß ja meiner Seel an ein 50000 Thaler kommen!

Hm, versetzte der Herr Inspektor ganz kalt, wenns nicht mehr wäre! Es muß zu ganz andern Summen Rath werden, als zu kahlen 50000 Thalern. Meine Projekte, wie Sie gleich hören werden, gehen in die Millionen!

Schwerelast noch einmal, rief der Stadtschreiber, das ist alles möglich! Aber Sie wollen doch nimmermehr das Geld zusammen betteln, wie der in Dessau – wie heißt er doch nun gleich? –

O nein, erwiederte der Herr Inspektor: Mein Fond muß sicher seyn und nicht vom ungewissen Erfolge des Bettelns abhängen!

Nun so bitt ich Sie um alles in der Welt, fiel Senft ein, lassen Sie endlich einmal hören, was es mit Ihrem Schulfond für eine Bewandniß hat! Die ganze Reputation Ihres Buches beruht darauf: Denn wenn es mit Ihren Geldprojekten ebenfalls auf ein Windey hinausläuft, so –

Das Uebrige drückte Senft durch ein mitleidiges Achselzucken aus.

Ich bin meiner Sache gewiß, versetzte der Herr Inspektor mit einem zuversichtlichen Tone. Hören Sie, aber ununterbrochen, und dann richten Sie!

Senft machte seine Verbeugung und der Herr Inspektor las:

»Thätige Hülfe für das Schulwesen, die nur einigermaßen ins Grosse gehen soll, kann nirgend als vom Throne herkommen. Zum Glück sind die itztlebenden Grossen der Erden von der Nothwendigkeit der Schulverbesserung überzeugt und man darf Ihnen nur Mittel und Weg anzeigen, so werden sie nicht ermangeln, sogleich Hand ans Werk zu legen. Das erste, was in dieser Absicht zu thun ist, ist ein Schritt, der, wenn es auch auf keine Schulverbesserung abgezielt wäre, dennoch für das Wohl der Menschheit äusserst ersprießlich seyn würde. Was ist wohl seit dem vorigen Jahrhundert die Ursach so unzählicher drückender Auflagen, von denen gleichwohl zur Beförderung gemeinnütziger Anstalten kein Heller im Schatze überbleibt? Der Luxus der Regenten etwa? Zum Theil: Aber die eigentliche, wahre Hyäne, die das Mark des Landes auffrißt, ist die stehende Armee! Sollte man eine Berechnung der Kosten anstellen, die der Artikel Soldat in dem einzigen Europa verursacht, es würde eine Summe von mehr als 100 Millionen Thaler herauskommen! Nur die Hälfte davon, nur das Viertel, welche gesegnete Revolutionen im Schulwesen ließen sich damit bewirken! Weg also mit euern Hunderttausenden, ihr Regenten und Regentinnen Europas! Bedenkt, daß nicht bloß die Pflicht der Vertheidigung, sondern auch der Aufklärung des Vaterlandes auf euch ruht! Schaft eure kolossalischen Heere ab und behaltet davon das Viertel, höchstens das Drittel! Den daraus entspringenden Ueberfluß der Landeseinkünfte erlaßt zur Hälfte euren Unterthanen, die andre Hälfte sey der öffentlichen Erziehung gewidmet! Welches Frohlocken des Landes, welcher Segen der künftigen Zeit, welcher Ruhm der Unsterblichkeit erwartet euer! Nein, ihr werdet, ihr könnt dieser reizenden Aussicht nicht widerstehen: Und dann wohl euch, ihr Schüler! Eurer Noth ist ein Ende.«

Hier fieng Stucker abermal ein schallendes Händegeklatsche an, in welches sogleich der Burgemeister aus Ueberzeugung und der Stadtschreiber zur Gesellschaft mit einstimmten. Senft, wiewohl er einen ganzen Sack voll Spöttereyen und beissende Kritiken aufgesammelt hatte, spielte gleichwohl den Stummen und behielt alles bey sich. Auch ward es ihm diesmal ganz und gar nicht schwer: Denn schon war der Entschluß reif, dies Ideal aller Ideale in einer eignen Schrift öffentlich in die Pfanne zu hauen, und folglich gieng ihm von allen seinen itztgemachten Bemerkungen keine einzige verloren.

Der Herr Inspektor kannte Senften zu gut, um nicht zu wissen, was in diesem oder jenem Falle sein Stillschweigen bedeutete. Ueber Erwarten aber nahm er es diesmal ganz und gar nicht ungnädig auf, sondern mit einem sehr sanften Tone sagte er: So sehr ich Ihnen für Ihren Beyfall verbunden bin, meine Herren, so nehm ich ihn doch mehr um der Schreibart willen an, die mir vielleicht grade in dieser Stelle ein wenig vorzüglich gelungen ist, als um der Sache selbst willen. Ich weis sehr wohl, mein Herr Pastor, daß die Grossen ganz und gar nicht geneigt sind, ihre übermässigen Heere abzuschaffen oder nur zu vermindern; Auch rechne ich in den ersten hundert Jahren noch auf nichts: Indeß wenn man einmal im Projektiren ist, so nimmt man doch gern alles zusammen, das höchst praktikable und auch das bloß mögliche. Wer weis, ob nicht das Wort, was ich hier sage, wenigstens ein fruchtbares Samenkorn auf die Zukunft ist! Oder wer weis, ob nicht einer von den kleinen grossen Herren, durch die Macht der Wahrheit überwunden, einen glücklichen Anfang macht, und das Geld, was er an Soldaten gewandt hat, nun an Schulen wendet! Schon um dieses möglichen Falles willen lohnte es immer der Mühe, meinen Einfall wenigstens als eine verlorne Schildwache hinzustellen. Uebrigens werden Sie sogleich ganz andre Vorschläge hören, wobey die Grossen nichts verlieren und doch für das Schulwesen ungeheure Summen gewonnen werden.

Eine fliegende Röthe stieg Senften bey diesen Worten ins Gesicht. Es ärgerte ihn und zugleich schämte er sich, daß er den Herrn Inspektor in Gedanken für einen noch weit grössern Narrn gehalten hatte, als er sich itzt zeigte. Ich bitte herzlich um Verzeihung, sagte er: Ich glaubte wirklich und ich konnte anfangs nicht anders glauben, als daß es Ihnen mit Ihrem Vorschlage völliger Ernst sey. Als ein Schuß in das weite Blaue kann er immer passiren: Ja ich muß ihm sogar das Zeugniß geben, er knallt recht schön! Aber, aber – wenn nur die Kernschüsse nicht fehlen!

Nun so geben Sie wohl Achtung, sagte der Herr Inspektor: Eben kommt einer! Er nahm das Buch und las:

»Es können aber auch noch von einer andern Seite her die ansehnlichsten Summen zur Vervollkommung des Schulwesens gewonnen werden. Seit dem Westphälischen Frieden sind eine Menge reicher Stifter säkularisirt –«

Ha, sagte Senft und holte einen kräftigen Erquickungsseufzer, denn er sah nun schon, wo es hinaus wollte und kützelte sich höchlich, daß er sich doch in unserm Herrn Inspektor nicht geirrt hatte. Dieser, ohne etwas zu merken, fuhr fort:

– »die, statt daß sie ehemals eine Anzahl geistlicher Müssiggänger nährten, itzt eben so viel Weltliche nähren. Was könnte doch irgend den Regenten des Landes abhalten, die Präbenden dieser Stifter gradezu einzuziehen und damit die Schulen zu bedenken? Man gebe mir nur die Einkünfte der drey Dome, in Brandenburg, Halberstadt und Magdeburg, und ich will damit die eben genannten Provinzen von Grund aus umschaffen.«

Diese neue Idee brachte Senften wieder auf gute Laune. Ja das laß ich gelten, sagte er: Das nenn ich doch einen Schuß ins Schwarze! Aber, mein werthester Herr Inspektor, einen Gefallen müssen Sie mir thun! Den Domherrn von Rochow und dann den Domherrn von Spiegel in Halberstadt, die beyden lassen Sie doch wenigstens bey Ehre und Würden!

Das dependirt nicht von mir, sagte der Herr Inspektor mit einem vornehmen Achselzucken; Das kommt lediglich auf die Gnade Ihro Majestät des Königs an! Meine Sache ist bloß, die Maschine in Gang zu bringen: Das Uebrige geht mich nichts an!

Aber wissen Sie denn auch wohl, mein Herr Inspektor, fiel der Stadtschreiber ein, der König von Preussen liest keine deutschen Bücher!

Sehr wohl, war die Antwort, so liest sie doch der Kronprinz und ich habe denn so meine Kanäle –

Nun, nun, sagte der Burgemeister mit einem bedenklichen Fingerzeig, geben Sie einmal Achtung, es geht kein Jahr ins Land, so verlieren wir unsern Herrn Inspektor. Denken Sie an mich! Das Buch wird gar zu viel Aufsehn in der Welt zu machen!

O Sie sind gar zu freundschaftlich, erwiederte der Herr Inspektor! Ich habe ja nichts gethan, als meine Schuldigkeit: Denn wozu hat einem der liebe Gott sonst den Kopf gegeben, als zum Denken? Einen Gedanken muß ich Ihnen aber doch noch mittheilen, der fast unter allen mein Favorit ist.

»Ausserdem aber sind für die Schulen noch Hülfsquellen genug, wenn nur diejenigen, die an dem Ruder der Erziehung stehen, Augen hätten, sie zu entdecken! Manufakturen und Fabriken sind in allen kultivirten Staaten die Quellen des Reichthums und der Macht: Warum denken denn nun die Vorsteher der Schulen nicht auf Anlegung einer einträglichen Fabrik oder Manufaktur, deren Ueberschuß zum Besten der Schule verwandt werde? So ist mancher oft arm, weil er die Kunst, reich zu werden, nicht versteht!«

Tausend, was das wieder für ein herrlicher Gedanke ist, rief Stucker.

Bscht, sagte der Herr Inspektor und fuhr fort:

»Diese Fabriken müßten nicht von der gewöhnlichen Art seyn, die man in allen Städten und in allen Ländern antrift, sondern sie müßten sich lediglich darauf einschränken, Produkte zu liefern, die stark gesucht, gut bezahlt werden und doch nur an wenig Orten zu haben sind. Ich will einige vorschlagen, wie sie mir eben einfallen! Eine Fabrik von mathematischen Instrumenten und Modellen; Eine Fabrik gedruckter Landcharten; (Da die Erfindung derselben noch neu ist, so wäre diese Fabrik die erste in ihrer Art und würde in kurzer Zeit die Homannische Officin in Nürnberg stürzen) Eine, daß ich mich so ausdrücke, Fabrik von kleinen Naturalienkabinetern; Eine andre von geschnittenen Steinen etc.«

Das ist allerliebst, sagte Senft. Wie wärs, wenn Sie auch eine Nachdruckfabrik mit in Vorschlag brächten, oder eine Wagenschmierfabrik, dergleichen Herr D. Bahrdt in Dürkheim angelegt hat?

Nun war der Herr Inspektor aus hundert Ursachen kein Freund vom D. Bahrdt. Nichts auf der Welt hätte ihm folglich empfindlicher seyn können, als sich mit ihm, besonders aber im Fabrikwesen, in Parallel gesetzt zu sehen! Er stand also plötzlich auf und sagte: Es ist genug!

Es ist auch wahr, sagte der Stadtschreiber: Man kann ja nicht ewig lesen und auch nicht ewig zuhören! Wir wollen ein Bißchen in den Garten gehen und auch einmal nach den Weibsen sehen!

Der Vorschlag ward beliebt und die ganze Mannsgesellschaft brach auf.


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