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* Sechstes Kapitel. *

Obgleich dieses Kapitel mit dem vorigen auf das genaueste zusammenhängt, so hab ich es doch für nöthig gefunden, es davon zu trennen. Unter den vielen oder wenigen Lesern, die dies Werk haben wird, dürften sich vielleicht einige extradelikate Leute finden, die zwar, eben so, wie wir andern alle, ohne Scham die Gesetze der Natur befolgen, die es nicht für gut befand, alles Essen und Trinken, was der Mensch genießt, in Nahrungssaft zu verwandeln; die aber gleichwohl von diesen körperlichen Operationen nicht können sprechen hören, ohne sich Nasen und Ohren zuzuhalten. Solche Leutchen will ich hiermit ein für allemal ernstlich vermahnt haben, dieses sechste, mit 2 Sternen bezeichnete Kapitel ja zu überschlagen! Es enthält eine für ihre zarten Nerven und Faserchen äusserst gefährliche Geschichte, besonders für das schöne Geschlecht, die ich noch dazu, als wahrhafter und treuer Geschichtschreiber, ohne Schleyer und Flor, in ihrer ganzen Nacktheit erzählen muß! Wornach sich also zu achten und für Schaden und Nachtheil zu hüten! Sollte übrigens, wie es wohl manchmal zu geschehen pflegt, die leidige Neugier dennoch ihr Spiel haben, sollte meine wohlgemeynte Warnungsanzeige eher anlocken, als abschrecken, so wasch ich meine Hände in Unschuld und hülle mich in den Mantel meines guten Gewissens.

Israelchen hatte noch nicht lange neben Senften gestanden; Die Frau Inspektorn hoffte jeden Augenblick, daß die feyerliche Versöhnung vor sich gehen sollte, als Senft mit einemmale an seiner linken Wade eine ungewöhnliche Wärme spürte. Er fuhr mit der Hand darnach, und fühlte sogleich, daß die warme Stelle auch naß sey, und indem er die Hand zurückzog, duftete ihm ein gewisser Geruch in die Nase, der ihm zwar so weit nicht unbekannt war, den er aber bey Tische und noch dazu an seiner Wade etwas ungewöhnlich fand. Ein schneller Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, dessen Wahrheit oder Falschheit er auf der Stelle entdecken mußte! Er schob also seinen Stuhl zurück, hielt Israelchen fest, und da er sah, daß dieser in seiner Hand etwas verbarg, was weder Maykäfer noch Knippkugel, aber doch sonst ein ganz neues Instrument zur Rache war, so sprang er, wie eine Furie auf und gab ihm, doch nur mit der flachen Hand, eine so volle, derbe Ohrfeige, daß Israelchen unter einem gräßlichen Schrey zu torkeln anfieng und ihm das helle Blut aus der Nase strömte. Da, rief er, höllischer Bube, da hast du deinen Lohn!

Im Augenblick entstand in der Gesellschaft ein so allgemeiner, schrecklicher Tumult, den auszudrücken nur Chodowieckis Zauberpinsel vermag. Alles stürzte sich mit sehr mannigfaltigen Geberden des Schreckens, der Angst, des Mitleidens, des Verdrusses nach dem armen Israelchen. Seine Mutter schloß ihn in die Arme und weinte und schrie: Mein allerliebstes Israelchen! Ach, mein Gott, mein Gott! Daß sich das arme Kind nur nicht verblutet! Einen seidnen Faden, einen seidnen Faden!

Indeß hatte Senft in geflügelter Eil schon seinen Chorrock angezogen und stand mit dem Hute in der Hand, völlig marschfertig. Mein Herr Inspektor, sagte er, ich verlasse Ihr Haus auf immer! Es thut mir herzlich leid, daß es auf eine solche Art geschehn muß, aber ich bin bereit, mich vor den strengsten Richterstuhl zu stellen und meine Ohrfeige zu verantworten! Der Bube wird nicht sterben, davor steh ich: Uebrigens gereut es mich keinen Augenblick, daß ich ihm für meine vollgep***te Wade einen Schmiß gegeben habe, den er ein Weilchen fühlen wird! Wenn Sie und die Frau Inspektorn zu kälterem Blute kommen werden, dann können wir uns weiter sprechen! Voritzt empfehl ich mich Ihnen und der ganzen Gesellschaft.

Mit diesen Worten machte er eine kurze Verbeugung und ohne eine Antwort zu erwarten, auf und davon!

O der Barbar, der Unmensch! rief ihm die Frau Inspektor nach: Wenn ihm das arme Kind auch was zu Leide thut, muß er ihm darum gleich Maul und Nase blutig schlagen? Er wirds wohl in den Jahren auch nicht besser gemacht haben: Jugend hat nun einmal nicht Tugend!

Ey es ist Hundsvötterey mit der ganzen Sache, rief der Stadtschreiber! Da steht nun das liebe Essen und der liebe Wein, und es kommt keinem zu Gute! Man weiß wahrhaftig nicht einmal, ob mans wagen darf, auf solch einen Schreck eins zu trinken! Dieser Ungewißheit ohngeachtet wagte er es doch und schüttete ein Glas nach dem andern hinter.

Der Herr Inspektor war völlig das, was man nennt: Tiefgebeugt zur Erden! Die Infamie, die sein kleiner Galgenstrick von Israel, wiewohl halb besoffen, begangen hatte, ließ ihn einen traurigen Blick in die Zukunft thun. Im Herzen gab er Senften völlig Recht: Allein vor seiner Frau durfte er das um alles nicht merken lassen! Ueberdem ahndete ihm schon im Voraus auf Morgen eine traurige Scene für sein liebes Fiekchen und so spatzierte er denn mit seinem Tröster, dem Herrn Burgemeister, seufzend und stöhnend im Zimmer auf und ab.

Niemand fuhr bey diesem Vorfalle besser, als Stucker und Fiekchen. Gleich schelmischen Zigeunern, die bey einem brennenden Dorfe vorüberreisen und während des allgemeinen Jammers unbemerkt rauben und stehlen, machten auch sie sich den gegenwärtigen Jammer zu Nutze und verdankten Israelchens blutiger Nase manchen warmen Kuß und manche heisse Umarmung. Selbst Fiekchens Halstuch war das einemal häßlich verschoben: Doch was war jezt nicht verschoben, also wurde so eine Kleinigkeit gar nicht einmal bemerkt!

Unterdessen hatte Israelchens Nase aufgehört zu bluten, und er verlangte sogleich schlafen zu gehen. Die Frau Inspektorn nahm das kleine Bengelchen selbst auf den Arm und trollte mit ihm ab.

Nunmehr fiengen die unruhigen Lebensgeister an, ein wenig stille zu werden! Fiekchen deckte ab und Stucker half: Der Stadtschreiber aber holte Tabak und Pfeifen herbey, weil wirklich der arme Herr Inspektor zu kapot war, den Wirth zu machen, wie sichs gehörte!

Hätte ich Lust, diese Geschichte zu zerren und zu dehnen, oder schrieb ich ein Werk im Geschmacke der Reise nach R — n, so würd ich nicht ermangeln, meinen Lesern den ganzen Diskours mitzutheilen, der beym Abend- und Verdauungspfeifchen vorfiel! Da ich aber diese Lust nicht habe, so überlaß ich es ihnen, sich aus der gegebnen Situation und Charakteren den Dialog selbst zu abstrahiren, der nothwendig vorfallen mußte. Ich aber, der ich die Last und Hitze dieses Tages bereits durch 6 Kapitel getragen habe und doch noch eins für die Nacht in Petto habe, ich schreite sogleich zum Aufbruche, lasse meine Damen ihre Handschuhe und die Herren ihre Hüte und Stöcke ergreifen und ohne weiters, gute Nacht und Dank für alles!


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