Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24

Nach Beginn der Verhandlung wurde der Eröffnungsbeschluß verlesen. Am siebzehnten November ist der Assistenzarzt Doktor Eggebrecht vor seiner Wohnung durch einen Schuß getötet worden. Die Täterin ist nach ihrem eigenen Geständnis in der Voruntersuchung die Pflegerin Magdalene Irma Fromann aus Frankfurt. Sie hat sich dadurch der Tötung eines Menschen schuldig gemacht, nach Paragraph soundso des Strafgesetzbuches.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird hiermit vor dem Schwurgericht das Hauptverfahren gegen sie eingeleitet.

Der Aufruf der Zeugen ergab deren lückenlose Anwesenheit. Man staunte: ein Herr aus Hamburg! Was hatte das zu bedeuten?

Magda Fromann beantwortete die Fragen nach ihren Personalien in ruhiger Weise. Sie gab nach Aufforderung des Vorsitzenden einen Bericht über ihren Entwicklungsgang und ihre bisherige Tätigkeit.

»Gut, in Hamburg. Dort lernten Sie Doktor Eggebrecht kennen?«

»Ja.«

»Wie kam das? Nach den Akten waren Sie in der Männerabteilung beschäftigt; Doktor Eggebrecht war Frauenarzt.«

»Es geschah durch die gemeinsame Pflege des Herrn Thiessen.«

Über diesen Punkt wurde der Zeuge Thiessen selber vernommen. Er sagte unter Eid aus. Sein Bericht deckte sich mit dem seiner zweiten kommissarischen Vernehmung in Hamburg. Es bestand ja auch ohne den Zwang des Eides keine Veranlassung mehr, Eggebrechts Anteil an dem Unglück zu beschönigen.

»Machten Sie Beobachtungen darüber, daß zwischen Doktor Eggebrecht und der Angeklagten ein Liebesverhältnis bestanden hat?«

»Nein.«

»Sprach er Ihnen jemals darüber?«

»Nein.«

»Sie standen nach Ihrer Aussage zu ihm in sehr enger freundschaftlicher Beziehung. Ist es nicht auffallend, daß er Ihnen keinerlei Andeutungen machte?«

Der Zeuge schwieg.

»Wie erklären Sie sich das?« fragte der Vorsitzende hartnäckig weiter.

»Man könnte schließen, daß es überhaupt nicht der Fall gewesen wäre.«

»Sie meinen, daß ein solches Verhältnis nicht bestand? Dem widersprechen die nachfolgenden Ereignisse.«

Er wandte sich von dem Zeugen ab. »Ich ersuche die Angeklagte, sich darüber zu äußern.«

Der Verteidiger erhob sich. »Meine Mandantin erklärt, daß sie sich seelisch außerstande fühlt, darüber zu sprechen. Die Angelegenheit ist innerstes Erleben einer ernsten Frau, mit dem sie selber sich noch nicht zu der Klarheit durchgerungen hat, daß sie vor der Oeffentlichkeit frei darüber Rechenschaft ablegen könnte. Zudem dürfte auch rein physisch ihre Kraft nicht ausreichen.«

»Der Anstaltsarzt hat die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten festgestellt«, sagte der Richter verweisend. »Ich muß erneut dringend ersuchen, die nötigen Erklärungen abzugeben.«

Magda stand nicht auf; ihr Kopf sank auf die Brust, und sie sagte, von Tränen erstickt und doch allen vernehmlich: »Ich kann nicht!«

Im Publikum reckten sich Hälse. Die Szene gewann entschieden an Dramatik.

»Unerhört!« murmelte der Staatsanwalt an seinem Platz.

»Die Angeklagte hat durch Verweigerung ihrer Aussage schon die Voruntersuchung erschwert«, nahm der Vorsitzende, jetzt in schärferem Tone, wieder das Wort. »Wenn sie bei ihrem Schweigen verharrt, wird das Gericht gezwungen sein, von sich aus auf Grund der Zeugenaussagen eine Klarstellung vorzunehmen. Wenn die Angeklagte der Meinung ist, durch dieses Verhalten eine Verschleierung ihrer Strafwürdigkeit und damit Vorteile für ihre Person zu erreichen, so dürfte sie sich im Irrtum befinden. Die Verteidigung möge das gebührend in Rücksicht ziehen.«

Wieder nahm Doktor Hiller das Wort:

»Meine Mandantin denkt weder an Verschleierung der Tatsachen noch an Erschwerung des Verfahrens. Sie bittet, das aus dem Umstande zu erkennen, daß sie sich zum Gericht begab, um ein freiwilliges Geständnis abzulegen, bevor ihr bekannt war, daß ihr der Besitz einer Schußwaffe nachgewiesen werden konnte. Soweit es sich für sie überhaupt um Schuld handelt, wird sie deren Nachweis nicht erschweren. Die Verteidigung ist im Besitz einer schriftlichen Darlegung, die vollständig den Wert einer persönlichen Aussage hat, ohne Anforderungen an sie zu stellen, denen sie sich seelisch wie körperlich nicht gewachsen fühlt. Sie wird dem Gericht nicht vorenthalten werden.«

Doktor Hiller setzte sich und deutete damit an, daß er jetzt nicht weiter darüber zu sprechen gedenke. Der Vorsitzende ging darauf ein.

»Befassen wir uns jetzt mit den Ereignissen am siebzehnten November«, sagte er in ruhigem, sachlichem Ton und blätterte in dem Aktenstück, in dem Protokolle, Personalbogen, Gutachten, Beschlüsse, Vorladungen in bunter Folge aneinandergereiht waren. Hier lagen verschiedene Zeugenaussagen schon vor, ohne daß freilich ein klares Bild der Einzelheiten daraus hervorgegangen wäre.

Als Zeugen hierfür standen zur Verfügung Professor Althoff, die Pflegeschwester Anna Hofer und die Haushälterin des Doktors.

Der Chefarzt wurde zuerst aufgerufen.

Er gab einen kurzen Bericht seiner Wahrnehmungen an diesem Tage, wie er sich schon dem Untersuchungsrichter gegenüber geäußert hatte. Doktor Eggebrecht und die Pflegerin waren beide von sechs Uhr an frei gewesen, wie der Dienstplan aufwies. Sie wurden um diese Zeit von anderen Kräften abgelöst. Dienstfreie pflegten die Krankenräume zu verlassen; sie begaben sich in ihre Wohnungen oder gingen nach der Stadt. Er hat die beiden an jenem Abend nicht gesehen, da er sich in einer entfernteren Abteilung aufhielt. Kurz vor sieben Uhr ging er in geschäftlichen Angelegenheiten ins Büro; da erfolgte der Anruf der Haushälterin. An der Pflegerin Fromann hat er keine Veränderung wahrgenommen. Mit Spannung erwartete man seine Antwort auf die Frage des Vorsitzenden, ob er der Angeklagten einen vorbedachten Mord zutraue. Es war ein entschiedenes Nein.

Dieser Zeuge wurde entlassen, ohne daß durch seine Aussage die tatsächlichen Feststellungen irgendwie weitergekommen wären.

»Die Pflegerin Anna Hofer.«

Anna Hofer trat selbstbewußt ein, im Gefühl ihrer Wichtigkeit als Zeugin in einem Mordprozeß, geschmeichelt durch den Blick Hunderter von Augen, die prüfend zu ihr hinüberflogen. Sie hatte das vorausgesehen und sich gebührend hergerichtet.

Nach Feststellung der Personalien fragte der Vorsitzende:

»Besinnen Sie sich auf die Vorgänge am Abend des siebzehnten November vorigen Jahres?«

»Jawohl, sehr genau. Es war doch der Tag, wo –«

»Das wissen wir. Sie lösten um sechs Uhr abends die Pflegerin Fromann vom Dienst ab. Fiel Ihnen dabei etwas an Ihrer Kollegin auf?«

»Ich wüßte nicht.«

»War sie aufgeregt oder auch das Gegenteil: niedergeschlagen – kurzum anders als sonst?«

»Nein. Ich habe nichts bemerkt.«

»Oder machte sie sonst den Eindruck, daß sich etwas vorbereitete? Sie wissen, was geschah: deutete in ihrem Wesen oder Benehmen etwas darauf hin?«

»Ich könnte es nicht behaupten.«

»Überlegen Sie genau, Zeugin; jetzt mit dem Wissen der nachfolgenden Tat erscheint Ihnen vielleicht manches in anderem Licht. Sie sehen vielleicht deutlicher, was Ihnen damals nicht auffiel. Sie beurteilen es nachträglich anders?«

Anna Hofer war etwas betreten durch die Eindringlichkeit der Fragen. Sie verlor um einiges ihre Sicherheit, aber sie sagte dann doch bestimmt, wenn auch leiser und zurückhaltender als bisher:

»Wirklich nicht.«

Doktor Hiller machte sich eine Notiz. Die Fragen zielten ganz offensichtlich darauf hin, einen Anhalt für die Vorsätzlichkeit der Tat zu gewinnen oder eben diese Vorsätzlichkeit auszuschalten. Ihr Erfolg mußte genützt werden.

Der Vorsitzende wertete die Antwort noch nicht als endgültigen Bescheid. Er forschte weiter:

»Haben Sie zusammen gesprochen?«

»Wenig, und nur Dienstliches.«

»War die Angeklagte dabei auffällig schweigsam?«

»Nein. Schwester Magda spricht niemals viel, ich habe mich manchmal darüber geärgert.«

»Das wollen wir nicht wissen, das ist Ihre persönliche Angelegenheit.«

Die Zeugin warf gekränkt den Kopf in die Höhe; der Richter schien es nicht zu bemerken.

»Nun sagen Sie noch: Sie überbrachten der Fromann die Nachricht vom Tode Doktor Eggebrechts. Wie nahm sie die Nachricht auf?«

»Sie erschrak und schlug die Hände vors Gesicht und weinte laut. Wir haben alle geweint.«

»Sprach sie etwas?«

»Sie mag gesagt haben: O mein Gott! oder dergleichen. Wir haben alle so etwas gesagt.«

»Und die folgenden Tage?«

»Da war sie noch stiller als sonst.«

»Und nun merken Sie auf: Wenn Ihnen nun damals jemand gesagt hätte, die Fromann hat es getan – was hätten Sie dazu gesagt?«

»Daß es eine Lüge ist. Ich hätte es niemals geglaubt.«

»Sie sehen, daß Sie sich doch getäuscht haben.«

»Ich kann es auch heute noch nicht glauben.«

Auch dieses Verhör verlief im Hinblick auf das Ziel, neue Tatsachen zutage zu fördern, ziemlich ergebnislos. Der Verteidiger war mit ihm zufrieden.

Es ließ sich nicht feststellen, wann und wie die Angeklagte das Haus verlassen und wieder betreten hatte.

Sie war von niemand gesehen worden. Das war an sich nicht verwunderlich; das Personal hatte seinen Sonderausgang, der abseits vom öffentlichen Verkehr lag und wenig benutzt wurde. Und außerhalb der Gebäude war es an jenem Novemberabend ziemlich dunkel und zum Aufenthalt im Freien wenig einladend gewesen.

Auch Frau Milans Aussagen brachten nichts Bemerkenswertes. Sie hatte ja nicht einmal den Schuß gehört, da sie sich in der Küche aufhielt, die zu den abgelegenen Räumen des Hauses gehörte. Befragt, sagte sie noch aus, daß die Schwester, soviel sie wußte, das Haus des Doktors nie betreten hatte.

Die Zeugenvernehmung war damit beendet. Es folgten die Gutachten der beiden Sachverständigen.

Das Haus war der Verhandlung bisher schweigend und wohlerzogen gefolgt. Es hatte keine Störung gegeben. Es war nie Beifall oder Abwehr geäußert worden, und der Vorsitzende war nie genötigt gewesen, verwarnend einzugreifen

Der Gefängnisarzt ergriff das Wort zu seinem Gutachten.

Er habe die Angeklagte, so führte er aus, Wochen hindurch behandelt und ärztlich beobachtet. Er habe sie als einen Menschen erkannt, der unter starker seelischer Depression stehe. Dabei sei sie von krankhaft gesteigerter Empfindlichkeit. Sie sei Psychopatin auf Grund erblicher Belastung. Der Vater sei ein verdüsterter Mann gewesen, die Mutter seelisch gedrückt und unfrei. Ein einziger Bruder habe die Bahn des normalen Entwicklungsganges verlassen. Im allgemeinen normal, reagiere die Angeklagte auf sogenannte Gelegenheitsursachen, wie tiefe Gemütserschütterungen, Schreck oder dergleichen, und stehe dann unter ausgeschalteter oder doch stark beeinträchtigter Verantwortlichkeit.

»Wünscht die Verteidigung noch eine Frage an den Sachverständigen zu stellen?«

»Ich danke«, antwortete Doktor Hiller.

Ein Ingenieur aus der staatlichen Waffenfabrik war der Sachverständige in Schießangelegenheiten. Wie in der Voruntersuchung sprach er von der Möglichkeit eines sogenannten automatischen Schusses, abgegeben ohne subjektive Willenseinwirkung und begünstigt durch den eigenartigen Bau der Waffe, die einen auffallend leichten Druckpunkt aufweise.

»Sie sprechen von der Möglichkeit; lassen also damit offen, daß es auch anders zugegangen sein kann?« fragte der Vorsitzende.

»Selbstverständlich.«

»Also auch vorbedachte Tat?«

»Gewiß.«

»Und welchen Fall halten Sie nach den vorliegenden äußeren Gründen für den Nächstliegenden?«

»Die Antwort ist nicht leicht zu geben, ich würde mich aber für den ersteren Fall entscheiden. Ich habe dafür besondere Gründe. Es handelt sich um die Lage der Schußverletzung. Der Schuß traf in den Kopf, ein Ziel, nicht allzu groß und außerdem durch die Kopfbedeckung in seinen Umrissen undeutlich gemacht. Der Laie wählt das größere Ziel, er schießt nach der Brust. Er läuft dabei nicht so leicht Gefahr, das Ziel zu fehlen. Ist der Schuß dem Kopf zugedacht, so kommt nur die Stirn in Frage. Dieses Ziel ist im Hinblick auf den gesamten Menschen klein. Denn niemand schießt blindlings nach dem Gesicht. Dem Schuß fehlt die Zweckmäßigkeit, die Überlegung; er wäre, wenn er vorbedacht war, für den Ungeübten ein Wagnis, fast eine Torheit gewesen. Denn es war kaum anzunehmen, daß das Opfer im Falle eines Fehlschusses es bei der Kürze der Entfernung zu einem zweiten hätte kommen lassen.«

Jetzt machte sich der Staatsanwalt eine Notiz. Doktor Hiller nickte befriedigt. Der Vorsitzende blieb unbewegt. Auf seine Frage, ob jemand, insbesondere von den Geschworenen, noch eine Aufklärung wünsche, bat Doktor Hiller ums Wort.

»Bitte, Herr Verteidiger.«

»Ich möchte an den Herrn Sachverständigen die Frage richten, ob auch die Möglichkeit besteht, daß sich der Schuß bei einer leichten Erschütterung der Waffe, etwa einem Stoß an den Arm, von selbst gelöst haben könnte.«

»Diese Möglichkeit besteht allerdings«, sagte der Ingenieur ohne langes Besinnen. »Der Unglücksfall des Zeugen Thiessen, der aus den Akten hervorgeht, deutet auf eine außerordentlich leichte Entladung dieser Art Waffen hin. Es ist doch wohl nicht anzunehmen, daß Doktor Eggebrecht dabei mit kindhafter Unwissenheit vorgegangen ist.«

Doktor Hiller nickte mit offensichtlicher Befriedigung: »Ich danke dem Herrn Sachverständigen.«

Es meldete sich weiter niemand zum Wort, und der Vorsitzende schloß die Beweisaufnahme.

Alle Blicke wandten sich jetzt dem Staatsanwalt zu. Dieser rüstete sich offensichtlich zu großer Rede. Er griff unwillkürlich noch einmal nach dem Taschentuch, nahm den Kneifer ab und fuhr mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Man hörte ein kurzes Räuspern; dann stand er auf.

Er sprach im Anfang sehr langsam, ließ seine Worte wie Tropfen fallen. Es sei nicht selten die Meinung vorhanden, begann er, daß das Motiv die Tat entschuldige. Bei dem Verbrechen gegen das menschliche Leben sei dies ein besonders verhängnisvoller Irrtum. Das gehe deutlich daraus hervor, daß das Gesetz bei Mord keine mildernden Umstände kenne. Ein Menschenleben sei heilig; wer es vernichte, für den gebe es keine Beschönigung, den müsse die Strafe ohne Milderung treffen. Unter diesen Gesichtspunkt sei der vorliegende Fall einzureihen.

»Lassen Sie mich kurz die Vorgeschichte streifen, ehe ich auf die Tat selbst eingehe. Die Angeklagte hat vorgezogen, das Gericht über gewisse Vorgänge im Dunkel zu lassen, doch sie vermochte dadurch nicht zu verhindern, daß über die Tat selbst genügende Klarheit herrscht.«

Er setzte mit dem Hamburger Aufenthalt ein. Es war nicht schwer, den Junggesellen, den Einsamen, der vor kurzem die Mutter verloren hatte, zu gewinnen. Es kommt zu einem Liebesverhältnis, es kommt zu tieferen Beziehungen. Die Frau, in bürgerlicher Enge unter strengen Eltern ausgewachsen, empfindet sie als unbedingt dauernde Bindung; der Mann, der das Leben unter einem anderen Sehwinkel betrachtet, prüft, erwägt, fühlt eine Kluft, sieht sie wachsen und ringt sich durch zum Entschluß der Loslösung, ehe die Bindung durch lange Dauer allzu fest und ihre Trennung schmerzhafter geworden wäre. Das ist ein schwerer Schritt, und in der ewigen Tragödie zwischen Mann und Frau gibt es keinen, der schwerer ist. Aber ihn zu tun, ist sein gutes Recht, und eine Vergeltung für ihn steht außerhalb gesunden Rechtsempfindens. Er macht ihn der Frau leicht, er legt Hunderte von Kilometern zwischen sie beide, die vergessen lehren sollen. Seine Absicht wird verkannt, sein Plan zum Guten durchkreuzt. Denn »verlassen« ist für die Frau gleichbedeutend mit »verraten«, und auf Verrat steht der Tod.

Aber vielleicht ist er noch nicht beschlossen, obgleich sie mit sechsschüssiger, geladener Waffe dem Entflohenen nachreist. Vielleicht ist bis jetzt nur ein Keim dieses Entschlusses zur Tat vorhanden; aber dieser Keim wächst sich riesengroß aus, als dann die andere Frau auf den Plan tritt und die Pfade von den erträumten Höhen dieses Lebens anfangen abwärts zu führen in die Niederungen der Entsagung. Der Keim ist zur Frucht gereift, und diese Frucht ist der – Mord.

Ein Ton wie von klingendem Stahl hatte in diesem Wort gelegen, ihm antwortete ein dumpfer Schrei vom Sitz der Angeklagten her. »Mein Gott!« hatte Magda gerufen, hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und war dann plötzlich wie leblos auf dem Stuhl zusammengesunken.

Im Raum des Publikums entstand leise Unruhe; der Vorsitzende tippte auf die Glocke. Er sprach mit den Augen eine stumme Bitte zum Anstaltsarzt hinüber, der sich noch im Saale befand.

Der Arzt stand auf und bemühte sich um die fast Ohnmächtige; er sprach mit dem Verteidiger und dem Vorsitzenden ein paar leise Worte.

Der Richter hatte keine Bedenken, sie aus dem Saal führen zu lassen. Die Beweisaufnahme war beendet; es waren nur noch die Darlegungen des Staatsanwalts und der Verteidigung zu erwarten. Ihre Abwesenheit war für den weiteren Gang des Verfahrens unbedenklich.

Doktor Hiller und der Arzt führten sie hinaus. Im Publikum erhob sich eine große, schwarzgekleidete Dame und verließ gleichzeitig den Saal. Draußen trat sie an die Gruppe heran:

»Verzeihen Sie. Mein Name ist Thiessen. Wollen mir die Herren gestatten, zu helfen? Die Angeklagte ist meiner Familie eng befreundet. Ich wäre Ihnen aufrichtig dankbar.«

»Aber von Herzen gern, gnädige Frau«, antwortete der Verteidiger. »Ich muß ohnehin sofort in den Saal zurück.«

Der Arzt führte die beiden Damen in ein Zimmer, wo eine bequeme Sitzgelegenheit vorhanden war. »Ich hoffe, es wird bald vorübergehen. Lassen Sie sie, bitte, ruhen.«

Er ließ sie allein. Draußen auf dem Gang hielt sich unauffällig ein Justizwachtmeister auf.

Im Saal war der Zwischenfall schnell überwunden, denn der Staatsanwalt nahm nach kurzer Pause mit juristischer Sachlichkeit das Wort wieder auf.


 << zurück weiter >>