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7

Magda Fromann erschien am nächsten Tag zur gleichen Stunde.

Sie kam nicht in Schwesterntracht, sondern in einem schlichten, dunkeln Kleid und schmucklos.

Sie war eine schlanke Erscheinung, beinahe ein wenig zu mager. Sie war vierunddreißig Jahre alt.

Der Richter streifte sie mit dem Blick des Menschenkenners. Ein herbes Gesicht mit schweigsam bitterem Mund, von einem Schleier der Entsagung beschattet, dunkel-brünettes, reiches Haar, schmucklos geknotet. In allem lag ein betontes reiferes Frauentum, darüber unverkennbare Abwehr.

Das ist Magda Fromann.

»Sie sind, wie Ihnen mitgeteilt worden ist, vom Gericht in Sachen Doktor Eggebrecht vorgeladen worden, weil Sie mit Doktor Eggebrecht in seinen letzten Lebensstunden zusammen und auch sonst beruflich mit ihm verbunden waren. Wollen Sie sich, bitte, über dieses berufliche Verhältnis und was damit im Zusammenhang stand, äußern.«

Magda Fromann hat ihn mit vollem Blick angesehen, ruhig, aber unverkennbar in gespannter Erwartung. Ihre Stimme ist leise, aber fest und ohne Ängstlichkeit, und doch von Erregung umflort, als sie antwortet:

»Er war mein Vorgesetzter.«

»Gewiß. Das ist uns bekannt. Aber in diesem Verhältnis gibt es verschiedene Nuancen. Wie standen Sie zu ihm? Vor allem: hatten Sie Gelegenheit zu näherer Bekanntschaft, zu Gesprächen und gelegentlichem Austausch, die über den rein dienstlichen Verkehr hinausgingen?«

»Nein.«

»Es liegt dem Gericht daran, festzustellen, in welchen Gedankenkreisen etwa sich Doktor Eggebrecht in letzter Zeit bewegte, ob er von gewissen Schwierigkeiten sprach, irgendwelche Besorgnisse äußerte – haben Sie darüber eine Beobachtung gemacht?«

»Nein.«

»Sie sollen ihm, allerdings nur im Dienste, näher verbunden gewesen sein, er hat offenbar Vertrauen zu Ihnen gehabt – das müssen Sie doch bemerkt haben?«

»Ich habe nichts dergleichen bemerkt.«

»Sie sind ihm vielleicht auch dafür besonders dankbar gewesen, haben, sagen wir vorsichtig, viel auf ihn gehalten, um nicht zu sagen: ihn verehrt?«

»Nicht über das dienstliche Verhältnis hinaus.«

»Wie erklären Sie es dann, daß ein in seiner Schönheit auffallender Schmuck auf seinem Sarge von Ihrer Hand stammte?«

»Ich erkläre das aus meinem dienstlichen Verhältnis zu ihm.«

»Nun freilich, das ist Gefühlssache. Andere haben das allerdings nicht getan. Warum taten gerade Sie es? Glaubten Sie sich besonders berechtigt?«

»Berechtigt nicht, ich glaubte mich verpflichtet.«

»Welche Inschrift trug der Kranz?«

»Ich weiß nicht.«

Karsten sah sie überrascht an. Doch es war nicht die beinahe verletzende Kühle ihrer Antworten, über die er erstaunt war, er empfand vielmehr fast eine Anerkennung ihrer klugen, jede Schwatzhaftigkeit weit von sich weisenden Art. Man hörte das aus Frauenmund nicht alle Tage. Er fragte erstaunt:

»Sie wissen es nicht, und der Kranz stammte von Ihnen? Die Inschrift war doch in Ihrem Auftrag angebracht worden?«

»Das ist richtig, aber ich habe den Kranz nicht gesehen. Ich ließ ihn vom Geschäft aus besorgen. An der Totenfeier konnte ich nicht teilnehmen, weil ich seelisch zu tief erschüttert war.«

Der Untersuchungsrichter griff nach Papieren, die vor ihm lagen. Er tat es zum Schein; er suchte nach Worten, die ihn dieser klugen Frau gegenüber bestehen lassen sollten. Dann fuhr er fort:

»Doktor Eggebrecht hat Ihnen vorübergehend den Posten einer Privatpflege in einer hiesigen Familie verschafft. Wollen Sie sich dazu äußern?«

»Anfang August wurde eine schwerkranke Patientin bei uns eingeliefert, eine Frau Hedwig Herwegh, die Gattin des bekannten Industriellen. Sie lag mehrere Wochen in Lebensgefahr. Doktor Eggebrecht rettete sie durch eine Operation. Als die größte Gefahr vorüber war, wollte sie nach Hause gebracht werden. Sie erbat mich als Pflegerin. Die Familie hatte mich bei ihren täglichen Besuchen in der Klinik kennengelernt und schloß sich der Bitte an. Ich willigte ein. Doktor Eggebrecht setzte es durch, daß ich auf einige Wochen vom Dienste beurlaubt wurde und die Pflege im Hause Herwegh übernehmen konnte. Ich wurde unterdessen im Krankenhause von einer Hilfsschwester vertreten.«

»Wurde Frau Herwegh von Doktor Eggebrecht weiter behandelt?«

»Jawohl.«

»Ihre gemeinsame Pflege im engeren Kreise brachte es doch mit sich, daß Sie mit dem Doktor häufig zusammenkamen. Wie gestaltete sich Ihr Verhältnis jetzt?«

»In derselben Weise wie der dienstliche Verkehr im Krankenhause.«

»Besuchte Doktor Eggebrecht die Familie Herwegh des öfteren?«

»Jawohl.«

»Häufiger, als es seine Krankenbesuche nötig machten?«

Ein fast unmerkliches Zögern, das dem Richter auffiel. Dann kam die Antwort, zurückhaltender als die vorigen, die schnell und ohne Besinnen gegeben worden waren:

»Vielleicht.«

»Vielleicht«, sagte Karsten trocken, »das heißt also, er kam öfter. Welches Urteil hatten Sie über die Familie Herwegh?«

»Es war eine gepflegte Häuslichkeit auf dem sicheren Grunde wirtschaftlicher Unabhängigkeit.«

»Wer gehörte zur engeren Familie?«

»Außer unserer Patientin ihr Gatte und die Tochter Irene. Ferner zwei Dienstboten.«

Dem Landgerichtsrat schoß es durch den Kopf: wieder eine Frau! Laut und wie in Fortsetzung seiner Gedanken fragte er unvermittelt:

»Weshalb kam Doktor Eggebrecht öfter?«

»Er liebte Irene.«

Die Antwort kam fast zwangsläufig, und ebenso zwangsläufig wiederholte Karsten:

»Er liebte Irene. Woher wissen Sie das? Hat er es Ihnen gesagt?«

»Nein. Er hat es mir nicht gesagt.«

»Hat Ihnen Fräulein Herwegh davon gesprochen?«

»Nein.«

»Woher wissen Sie es dann?«

»Ich weiß es.«

Eine Frauenantwort, denkt der Richter. Er kennt diese Antworten aus Hunderten von Verhören, sie haben ihn schon oft zur Verzweiflung gebracht. Sie haben den Aufbau logischer Meisterschaft wie ein Kartenhaus gestürzt und seine Mühe oft genug zur Sisyphusarbeit gemacht. Er kennt diese Antwort, und doch überrascht sie ihn. Sie überrascht ihn, weil er von dieser Frau nie erwartet hatte, daß sie dem Allzumenschlichen so schnell erliegen werde, weil er bei ihrer Verschanzung niemals so schnell die Blöße zu entdecken vermuten konnte.

Magdalene Fromann hatte also Doktor Eggebrecht geliebt. Das war klar, das bedurfte keiner Bestätigung mehr und keines weiteren Beweises. Nur über diese Brücke hinweg führte der Weg zu seinem Mörder.

Der Untersuchungsrichter war mit dem Erreichten zufrieden. Aber er durfte seinen Erfolg nicht in Frage stellen oder gefährden, durfte sich nicht in die Karten sehen lassen und keinesfalls verraten, wie sicher er dieser Feststellung war und für wie wertvoll er sie hielt. Wollte er mehr darüber erfahren, so brauchte es nicht die letzte Vernehmung dieser Schwester zu sein.

Klug wechselte er das Thema: »Kommen wir auf die Ereignisse des siebzehnten November«, sagte er ganz sachlich in seinem freundlichen, unbewegten Ton. »Wollen Sie den Verlauf dieses Abends schildern, wie Sie ihn erlebt haben?«

Sie begann sofort zu sprechen, erzählte ohne Umschweife, ruhig, klar, in wohltuendem Gegensatz, wie Karsten befriedigt feststellte, zu Anna Hofer. Sachlich war es dasselbe und wenig genug.

»Bemerkten Sie eine Veränderung an dem Doktor, als er fortging?«

»Nein.«

»Sprach er mit Ihnen?«

»Nein. Er verabschiedete sich nur.«

»Sie ersahen daraus, daß er das Haus verlassen wollte?«

»Gewiß. Was sollte er sonst tun?«

»Was taten Sie?«

»Ich ging in mein Zimmer.«

»Wo befindet sich das?«

»Es liegt im dritten Stock unseres Gebäudes, neben den Zimmern der anderen Schwestern und der weiblichen Bediensteten.«

»Hat Sie jemand dabei gesehen?«

Sie warf den Kopf empor. Eine Blutwelle flog über ihr Gesicht; ihre Augen wurden hart.

»Weshalb fragen Sie mich das? Sagen Sie doch gleich, wenn Sie mich für die Täterin halten.«

Der Richter ließ sich nicht von seinem Wege drängen. Er sah sie ruhig an und sagte nur leicht verweisend:

»Warum ich Sie frage, darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Für Ihre Schlüsse aus meinen Worten trage ich keine Verantwortung.«

Nein, er hatte noch nicht daran gedacht – warum eilte sie ihm voran?

Ein wenig dringend wiederholte er seine Frage:

»Wer hat Sie gesehen?«

»Niemand.«

»Ist das nicht seltsam?«

»Ich finde es nicht.«

»Nicht? Ist in einem so großen Hause nicht immer Bewegung auf den Treppen?«

»Ich begab mich die Nebentreppe hinauf, eine schmale Stiege für das Personal nach den oberen Räumen. Sie liegt abseits vom allgemeinen Verkehr.«

Sie schwieg und legte die Lippen fest aufeinander. Er schien diese Betonung nicht zu sehen, sondern forschte unerbittlich weiter:

»Wann erfuhren Sie den Tod des Doktors?«

Sie hatte sich beruhigt; mit müdem Ton, dem man anhörte, daß das Verhör sie zu foltern begann, antwortete sie:

»Ich wollte in der neunten Stunde schlafen gehen. Da kam Schwester Anna zu mir hereingestürzt und schluchzte, unseren guten Doktor Eggebrecht habe man eben erschossen.«

»Wie nahmen Sie das auf?«

»Ich konnte nichts mehr denken.«

Landgerichtsrat Karsten hatte in eine Seele voll Leid gesehen. Er konnte nicht umhin: ganz gegen den Gebrauch des Hauses reichte er der Schwester beim Abschied die Hand und gab ihr ein gütiges Wort mit auf den Weg.


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