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4

Landgerichtsrat Karsten hatte der Villa Eggebrecht einen Besuch abgestattet. Er hatte den Schauplatz des Mordes besichtigt und sich mit Frau Milan lange unterhalten. Von einer offiziellen Vorladung hatte er zunächst abgesehen, er versprach sich von einem zwanglosen Gespräch mehr für seine Untersuchung. Zu protokollarischer Vernehmung war noch immer Zeit.

In der Wohnung war vorläufig ein Kriminalposten verblieben. Frau Milan hatte darum gebeten, weil es ihr an der Stätte der Untat noch immer unheimlich war. Er war ihr bewilligt worden, und der Untersuchungsrichter hatte zugestimmt. Er glaubte zwar nicht an die magische Gewalt, die den Verbrecher an den Ort seiner Tat ziehen soll, und es bestand seiner Meinung nach auch keine Notwendigkeit, die Beseitigung zurückgelassener Spuren zu befürchten. Fußabdrücke und andere Spuren der Tat hatte man nicht gefunden, sie waren also auch nicht vorhanden, da konnte er sich auf die polizeilichen Ermittelungen verlassen. Aber die Haushälterin war von Doktor Eggebrecht auf Monate vorausbezahlt worden und mochte ihren Dienst ruhig weiter verrichten; es konnte überdies in der Wohnung abgewartet werden, ob sich Verwandte zur Uebernahme der Erbschaft einstellen würden.

Karsten erfuhr von Frau Milan, was sie schon dem Kriminalrat berichtet hatte. Sie machte in ihrer natürlichen, wahrheitliebenden Art auf den erfahrenen Menschenkenner den besten Eindruck. Es gab keinen Grund, ihre Angaben irgendwie zu bezweifeln; sie waren übrigens weniger bedeutungsvoll, als man den Verhältnissen nach hätte erwarten können. Von hier aus wies keine Spur auf den Täter.

Mit diesem Wissen bereichert, begab sich Landgerichtsrat Karsten nach dem Krankenhaus, um eine ebenso ungezwungene Unterhaltung mit dem Chefarzt herbeizuführen. Darauf sollte das Pflegepersonal, mit dem der Doktor in täglicher Berührung gestanden hatte, vernommen werden.

Professor Althoff empfing den Untersuchungsrichter mit der Achtung, die dessen Stellung gebührte, und mit der selbstverständlichen Liebenswürdigkeit, die dem gleichgestellten Akademiker zukam.

»Es ist mir sehr erwünscht«, begann Karsten, »mich mit Ihnen, Herr Professor, über unseren Fall auszusprechen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch ohne amtliche Vorladung dafür ein paar Minuten frei hätten.«

Der Professor verneigte sich lächelnd. »Wenn ich Sie recht verstehe, dürfte der Austausch ziemlich einseitig verlaufen und mir der größere Teil zugedacht sein. Ich schätze, daß Sie bisher, natürlich bei völliger Unantastbarkeit Ihrer juristischen Tüchtigkeit, recht wenig wissen. Es ist mir aber selbstverständlich eine Freude, Ihnen dienen zu können, und ich wünsche nur, daß es in höherem Maße der Fall sein kann, als ich selbst glaube.«

»Das würde mich nicht enttäuschen. Sie haben leider recht, der Fall verwöhnt einen schon im Anfang nicht. Wer kennt Doktor Eggebrecht? Außer seinen Kranken und denen, die mit ihm arbeiteten, wie ich bisher feststellen konnte, kaum jemand. Verwandte scheint er auch nicht zu haben. Ein seltsam alleinstehender Mensch. Und da soll man seinen Mörder auffinden! Darf ich mich erkundigen, was Sie von ihm wissen?«

»Wenig genug«, sagte der Professor nachsinnend. »Zunächst meine amtlichen Kenntnisse: Doktor Eggebrecht trat am ersten Januar dieses Jahres bei uns ein. Er kam von Hamburg. Er hatte nach seinen Zeugnissen eine gediegene gynäkologische Ausbildung, und wir brauchten in unserer Frauenabteilung einen Assistenzarzt. Er erhielt auf seine Bewerbung hin die Stelle. Was ihn veranlaßt hat, seine frühere aufzugeben, ist mir nicht bekannt; er hat sich nie darüber geäußert. Er stand, wenn ich mich nicht irre, im achtunddreißigsten Lebensjahr. Ich darf wohl das Urteil aussprechen, daß er ein kenntnisreicher Arzt und, was für seinen Spezialberuf von großem Werte ist, ein guter Seelenkenner war, dazu klar in der Diagnose und von sicherer Hand. Er hatte bei uns recht gute Erfolge zu verzeichnen.«

»Das kann die Schuld des Täters nur vergrößern«, warf der Untersuchungsrichter ein.

»Was fragt schon so ein Mörder nach dem Schaden, den er der Wissenschaft verursacht!«

Die Herren schwiegen eine kurze Zeit. In dem vornehm, aber sachlich eingerichteten Zimmer war das Schweigen hörbar; die Luft roch nach Desinfiziermitteln. Auch von den Korridoren drang kein Laut ins Zimmer. Alles war eingestimmt auf Hilfsbereitschaft und schonende Menschenliebe.

»Sie sprachen von amtlichen Kenntnissen«, nahm Karsten das Gespräch wieder auf. »Das berechtigt mich zu der Annahme, daß Sie auch, sagen wir, private besitzen?«

»Von sehr bescheidenem Umfang«, antwortete Professor Althoff. »Doktor Eggebrecht war unverheiratet. Ich habe eine Familie, die mich in der knappen Zeit, in der ich nicht dienstlich gebunden bin, voll in Anspruch nimmt. Ich muß gestehen, daß ich recht wenig außerdienstlichen Verkehr mit dem Amtsgenossen gehabt habe. Nicht aus mangelnder Zuneigung oder aus anderen Gründen – nein, durchaus nicht. Ich fand einfach keine Zeit dazu. Doktor Eggebrecht wäre mir ein lieber Gefährte gewesen, wenn ich überhaupt das Bedürfnis zu persönlichem Verkehr mit einem anderen gehabt hätte. Ich lud ihn einmal ein; wir unterhielten uns ausgezeichnet, meine Frau war entzückt von ihm. Wir hatten auch sonst nie die geringste Differenz; ich wüßte auch keine erwähnenswerte Meinungsverschiedenheit, die uns je getrennt hätte. Zudem hatte ich den Eindruck, daß er sich wohl bei uns fühlte; ich glaube mich auch gelegentlicher Äußerungen erinnern zu können.«

»Ist Ihnen bekannt, ob er sonst Verkehr hatte?«

Der Professor lehnte sich behaglich in seinen Stuhl zurück, und er hatte einen Unterton von Selbstgefälligkeit, als er antwortete:

»Wir Ärzte vom Krankenhaus sind durch den Dienst außerordentlich in Anspruch genommen, und wer diesen Dienst ernst nimmt, was Doktor Eggebrecht doch wohl tat, hat weder Zeit noch Stimmung, irgendwelchen Zerstreuungen nachzugehen. Vollständig für sich bleiben konnte er als Junggeselle natürlich nicht. Sein Beruf als Frauenarzt gab ihm hin und wieder Gelegenheit zu persönlichem Verkehr. Ich bin zufällig im Bilde: er behandelte vor einigen Monaten die Gattin eines hiesigen Industriellen. Es war ein komplizierter, bedenklicher Fall, und es glückte ihm, sie zu heilen. Er veranlaßte dann auch, daß eine unserer Pflegerinnen die weitere häusliche Betreuung der Dame übernahm und während dieser Zeit hier durch eine Hilfskraft ersetzt wurde. Die Dankbarkeit der Geretteten führte, wie er mir selbst bei Gelegenheit andeutete, zu einem recht freundschaftlichen Verkehr zwischen ihm und der betreffenden Familie, über dessen weiteren Verlauf mir allerdings nichts bekannt ist. Wenn es Sie interessiert und Ihnen für die Erörterungen nutzbringend erscheint, kann Ihnen jene Schwester nähere Auskunft geben.«

»Wie heißt die Schwester?«

»Schwester Magda, mit ihrem bürgerlichen Namen Magdalene Fromann.«

Der Untersuchungsrichter stutzte, nur einen kurzen Augenblick und unmerklich für den anderen. Hatte er den Namen nicht schon gehört? Er besann sich: es war der Name der Pflegerin, die auf dem Sarg des Toten den großen Kranz hatte niederlegen lassen. Er notierte sich den Namen: immerhin interessant, wenn auch zunächst unerheblich. Jedenfalls würde die Schwester vernommen werden.

Auf dem Schreibtisch des Chefarztes klingelte der Fernsprecher. Der Professor entschuldigte sich und sprach ein paar kurze Worte, es schien nichts von Bedeutung. »Was den geselligen Verkehr Eggebrechts betrifft«, nahm er wieder das Wort, »so scheint er ihm im ganzen keine besondere Pflege zugedacht zu haben, denn, wie ich mich jetzt einer Andeutung aus der letzten Zeit entsinne, hatte er die Absicht, seine hiesige Stelle bei nächster Gelegenheit aufzugeben – ich glaubte wenigstens, eine seiner Bemerkungen in diesem Sinne auffassen zu müssen.«

Wieder horchte der Untersuchungsrichter auf.

»Entschuldigen Sie, Herr Professor«, sagte er, »ist das nicht ein Widerspruch? Erwähnten Sie nicht, den Eindruck gewonnen zu haben, daß es ihm in seinem hiesigen Wirkungskreis gefiel? Ich habe Sie doch recht verstanden? Wie verträgt sich diese Beobachtung mit der eben erwähnten Andeutung, seine Stelle wechseln zu wollen? Ich denke, der Doktor war eine einfache, widerspruchslose, unkomplizierte Natur?«

»Gewiß. Hier besteht in der Tat ein Widerspruch, und ich muß gestehen, daß mich diese letztere Andeutung reichlich befremdete. Sie schien darauf hinzuweisen, daß später ein Umstand eingetreten war, der sein anfängliches Wohlbefinden beeinträchtigte und ihm einen Wechsel nahelegte.«

»Haben Sie irgendeine Beobachtung gemacht, welches dieser Umstand sein könnte?«

»Nein.«

»Hatte Doktor Eggebrecht Feinde?«

»Nicht daß ich wüßte. Wir wollen nicht vergessen, daß er noch kein ganzes Jahr in unserer Stadt war und nicht allzuviel Zeit hatte, sich einzuleben, ganz abgesehen davon, daß er bei seinem Temperament und seiner kameradschaftlichen Einstellung zu allen, mit denen er in Berührung kam, eine Feindschaft gegen ihn wirklich schwer machte.«

»Sie sind ein guter Anwalt Ihres Amtsgenossen«, lächelte Karsten. »Zu einer Feindschaft gehört ja manchmal recht wenig Zeit, er könnte sie übrigens auch mit hergebracht haben. Es ist aufrichtig zu beklagen, daß der Gegenstand Ihrer wirklich freundschaftlichen Gesinnung keine Freude mehr daran haben kann. Aber wenn es Ihnen recht ist, wollen wir den Gegenstand verlassen und noch ein kurzes Wort über jenen verhängnisvollen siebzehnten November sprechen. Entsinnen Sie sich noch: was geschah in Ihrer Anstalt an diesem Tage?«

»Ich entsinne mich noch recht gut, denn es geschah nicht viel, das ich hätte vergessen können. Jedenfalls ereignete sich nichts, das als Vorspiel zu dem schlimmen Ereignis gelten könnte. Doktor Eggebrecht hatte bis sechs Uhr abends Dienst; er hatte bis dahin Besuche bei seinen Patienten gemacht. Dann verliert sich eigentlich seine Spur, das heißt, er ist niemand weiter aufgefallen, da er die Krankenräume verließ. Er wird nach seinem Zimmer gegangen sein, sich gewaschen und umgezogen haben, um nach seiner Wohnung zu gehen. Dort ist ja die Tragödie kurz darauf geschehen.«

»Wer hatte bis zuletzt gemeinsam mit ihm Dienst?«

»Schwester Magda.«

»Wie lange?«

»Soviel ich weiß, ebenfalls bis sechs Uhr.«

»So. Haben Sie selbst kurz vorher den Doktor gesehen?«

»Nein. Ich war im anderen Flügel des Hauses beschäftigt, kam gegen dreiviertelsechs nach unserem Büro und war zufällig dort, als der Anruf von seiner Wirtschafterin eintraf. Ich ging mit dem Beamten sofort hinüber, nun, und das andere wissen Sie selbst.«


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