Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Solches geschah nun; denn da sie sich beide allein in das Zimmer begaben, wohin Elbenstein Bier, Tabak und Licht bringen lassen, fing Herr von A.* also zu reden an:

»Sobald Ihr, mein wertester Herr Bruder, nach J. auf die Universität gebracht, ich aber wegen einer damaligen schweren Krankheit, die beinahe ein halbes Jahr anhielt, in Eures Vaters, meines Vormundes Hof zurückbleiben mußte, wurde mir Zeit und Weile entsetzlich lang, und weil ich aus Ungeduld kein Buch vor den Augen leiden konnte, so geschah es, daß ich viel von demjenigen, was ich schon gelernt hatte, verschwitzte; wie es sich aber in etwas mit mir gebessert, brachte mich Euer Herr Vater nach M. zu demjenigen Medicus ins Haus, welcher mich bisher in der Kur gehabt hatte und meine Gesundheit fernerweit besorgen sollte; hierbei mußte ich nun fleißig in die Schule gehen, und der Medicus hatte ein sehr scharfes, wachsames Auge auf mich, nahm mich nicht allein wenn er Zeit hatte, sonderlich des Abends selbst privat vor und repetierte die Lektionen mit mir, sondern er gab auch sehr genau acht auf meine Diät und übrige Lebensart, woher denn kam, daß ich nach ein paar Jahren Verlauf gesund, frisch und sattsam tüchtig erfunden wurde, auf die Universität L. zu gehen.

Ich hielt mich etwas über drei Jahre daselbst auf, brachte meine Zeit nicht eben allzuübel zu, sondern besuchte die Kollegs fleißig und profitierte doch so viel, daß man schon mit mir zufrieden sein konnte, außerdem aber auch eben kein Melancholicus, sondern machte mich mit anderen Kavalieren und anderen braven Burschen zum öfteren lustig, ließ mich auch bald mit diesem, bald mit jenem Frauenzimmer in eine verliebte Vertraulichkeit ein, welches aber niemals lange Bestand hatte, indem ich im öftern Wechseln mein größtes Vergnügen suchte, auch nicht selten fand.

Da ich aber nach der Zeit, und zwar nur wenige Tage vorher, als ich meinen Valetschmaus geben und von der Universität nach Hause gehen wollte, einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde getan, dabei den linken Arm sehr stark angeschellert hatte, weswegen mir derselbe nach etlichen Wochen zu schwinden anfing und keine gebrauchten Arzneien anschlagen wollten, riet mir mein ehemaliger Medicus mit einem meiner Befreundeten in ein warmes Bad zu gehen, welcher ebenfalls ein gewisses Malheur an sich hatte.

Wir traten demnach die Reise par posto an und erreichten in wenig Tagen eines der berühmtesten warmen Bäder, mieteten uns Logis, und zwar jeder das seine besonders.

Anfänglich lebte ich sehr douce und hielt mich außer der Zeit, die zur Motion bestimmt war, fast beständig inne; nachdem ich aber merkte, daß die Kur wohlausschlüge und mich der Medicus versicherte, daß ich vor Monatsverlauf vollkommen kuriert sein, hernach abreisen könnte, wenn ich wollte, ward ich herzlich froh und begab mich in ein und andere Gesellschaften; unter anderen traf ich eines Tages ein ungemein schönes Frauenzimmer darunter an, welches das Fräulein L. von P.* genannt wurde.

Ich konnte mich nicht erinnern, Zeit meines Lebens jemals gegen ein Frauenzimmer dergleichen heftig verliebte Regungen bei mir empfunden zu haben, als jetzt gegen dieses Fräulein, und zwar gleich bei der ersten Zusammenkunft. Ich konnte auch folgends weder Tag noch Nacht rechte Ruhe haben, wenn ich nicht das Glück hatte, mit dieser Schönen in Gesellschaft zu sein.

Sie stellte sich jederzeit sehr freundlich und complaisant gegen mich, und da sie eines Tages einige Kavaliere und Damen traktierte, ließ sie mich in specie mit dazubitten; indem sie nun gewahr ward, daß ich das Schachspiel, welches sie ungemein wohl spielte, auch in etwas gut spielen konnte, bat sie mich, ihr die Gefälligkeit zu erweisen und öfter bei ihr einzusprechen, weil sie dieses Spiels nicht leicht überdrüssig würde, außer diesem auch, da mein stiller Humor mit dem ihrigen wohl übereinstimmte, möchte sie mich vor allen anderen gern um sich leiden.

Ich versprach ihr, wofern ich mich ihrer gnädigen Erlaubnis im Ernst versichert halten könnte, meine Aufwartung, sooft es derselben gefällig, zu machen. Es geschah auch, so daß wir zum öfteren vom Mittag an bis zur späten Abendzeit beisammensaßen und uns mit dem Schachspiel divertierten, wiewohl, wenn ich ihre bewundernswürdigen Artigkeiten betrachtete, zum öftern bald dieses bald jenes im Spiele versah.

Mein heimliches Liebesfeuer wurde solchergestalt immer heftiger angeblasen, so daß ich es fast nicht mehr verbergen konnte, weil aber Zunge und Mund allzu blöde waren, solches zu eröffnen, mußten meine Augen nur das ihrige verrichten.

Die von P.* merkte bald, daß mir eine kleine Melancholie am recht bedachtsamen Spielen hinderlich wäre; deswegen, da ich einmal in Gedanken etwas tief seufzte, fragte sie mit einer mitleidigen Stellung:

›Was liegt Ihnen doch immer mehr auf dem Herzen, Monsieur de A.*, daß Sie von Tag zu Tag tiefsinniger werden? Ich bitte, mich zu Ihrer Vertrauten zu machen, das Geheimnis sei so groß als es immer will, durch mich soll nichts verraten werden; vielleicht aber kann ich etwa mit einem guten Rat dienen, obgleich die Hilfe in meinem Vermögen nicht stehen möchte.‹

Mir stieg unter diesen ihren Reden die völlige Glut aus dem Herzen ins Gesicht, ich blieb auch eine gute Zeit lang ganz bestürzt sitzen und wußte nicht, was ich antworten sollte, endlich, da mir ich weiß nicht was für ein Geist meine scheltenswürdige Zaghaftigkeit, zumal bei einem ledigen Frauenzimmer, welches mir sozusagen die Liebesdeklaration selbst abnötigte, vorwerfen wollte, faßte ich plötzlich einen Mut, brachte den ganzen verliebten Plunder auf einmal zu Markt und schloß mit diesen Worten:

›Ist also, allerschönstes Fräulein von P.*, noch kein anderer Kavalier in Dero Herz eingeschlossen, so bitte ich fußfälligst, mir, Dero gehorsamsten und getreu verliebten Knecht, dieses himmlische Quartier zu gönnen, widrigenfalls mir mein äußerst gequältes Herz von den Flammen der Liebe vollends in Asche verwandelt werden.‹

Die von P.* hörte meine Reden mit niedergeschlagenen Augen in größter Gelassenheit an, da ich aber innehielt, sagte sie mit einem tief geholten Seufzer:

›Ach, mein werter de A.*, mein Herz ist mehr als zu ledig und hat Zeit seines Lebens noch keine verliebten Triebe empfunden, ausgenommen diejenigen Zärtlichkeiten, welche Ihre Person und sonderbare Aufführung erweckt hat; allein, mein unglückseliges Verhängnis und mein Gewissen lassen es nicht zu, Ihre Sehnsucht zu vergnügen, wie gern ich es auch wünschen wollte. Ich glaube es, daß Sie mich als ein honetter Kavalier aufrichtig und getreu lieben würden, und versichere, daß ich Ihrer Person nicht weniger gewogen bin. Aber, wie gesagt, mein Schicksal gestattet nicht, Sie nach Wunsch zu vergnügen, sondern ich bin dazu prädestiniert und verdammt, daß ich vielleicht meine ganze Lebenszeit ohne Liebe, gegenteils aber im größten Mißvergnügen zubringen soll.‹

Was diese«, redete der Herr von A.* weiter zu Elbenstein, »mit einer besonderen kläglichen Art vorgebrachte Antwort in meinem Gemüt für eine Zerrüttung anrichtete, ist nicht auszusprechen.

Dem Fräulein von P.* stiegen vor Jammer die Tränen in die Augen, und bei mir fehlte wenig, daß die einer Mannsperson übel anständigen Zeugnisse der Kleinmütigkeit nicht über die Backen heruntergerollt wären.

Wir sahen einander mit ängstlichen Blicken an, und es war nicht anders, als ob ein Schlagfluß die Nerven meiner Zunge gerührt hätte; nachdem aber die von P.* ihre und meine Augen abgetrocknet, zugleich meine Wangen mit ihren zarten Händen sehr liebreich gedrückt, erholte ich mich etwas und sprach:

›Eröffnen Sie mir doch nur wenigstens, mein allerschönstes Fräulein, die Ursache, so meinem Glück und Vergnügen im Weg steht. Sollen Dero überirdischen Annehmlichkeiten samt dem allerschönsten Körper etwa in ein fürchterliches Klostergebäude verbannt werden? Diesem Unglück wäre ja noch vorzukommen, mein Vaterland ist die allersicherste Freistadt für dieselben. Überdies verlange ich außer Dero allerschönsten Person, wie sie allhier gehen und stehen, weder Geld, Güter, noch andere Kostbarkeiten, indem ich gesonnen bin, bloß nach meinem Vergnügen zu heiraten, weil mir meine frühzeitig verstorbenen Eltern als ihrem einzigen hinterlassenen Sohn zugleich auch drei einträgliche Rittergüter nebst einem guten Vorrat von Barschaft und Möbeln hinterlassen.‹

›Ach, mein Herzensfreund‹, versetzte hierauf die von P.*, ›Geld und Gut habe ich zur Genüge und wollte mir nur für dasjenige, was in dieser kleinen Schatulle verwahrt liegt, in Eurem Vaterland vortreffliche Land- und Rittergüter ankaufen; allein, was hilft es mir; Meiner Seele ekelt vor dergleichen Bagatellen und sehnt sich vielmehr nach solchen Schätzen, die in einem tugendhaften Behältnis verwahrt liegen. Aber ich bin bereits in ein solches Kloster verbannt, aus welchem mich niemand als der Tod reißen kann.‹

Indem sie dieses redete, eröffneten ihre zarten Hände zugleich eine mittelmäßige Schatulle, in welcher alle Fächer und Schubladen mit lauter Goldstücken und den allerkostbarsten Juwelen angefüllt waren.

Meine Augen wurden demnach ganz verblendet, die Vernunft aber überredete mich, die von P.* für eine höhere Standesperson zu halten, als sie sich ausgab. Deswegen gab ich ihr meine Gedanken ziemlich deutlich zu verstehen und bat mit zitternden Lippen, da meine Wenigkeit sich allzuhoch verstiegen hätte, um gnädige Vergebung meines begangenen Fehlers und Irrtums. Es versicherte mich aber Dieselbe, abermals mit einem tiefgeholten Seufzer, daß sie von Geburt nicht höher als eine von Adel, doch hätte sie der Himmel mit einem großen Vermögen, im Gegenteil aber auch mit desto mehr Kreuz und Elend überschüttet.

Indem ich nun vermittels heftiger Klagen eine noch deutlichere Explikation von ihr herauszulocken vermeinte, ließen sich ein paar Damen bei ihr melden, weswegen ich mich für diesmal genötigt sah, zurückzuhalten und meine Retirade durch ein anderes Zimmer und durch das Hintergebäude des Hauses zu nehmen.

Daß ich aber den übrigen Teil dieses Tages nebst der darauffolgenden Nacht hindurch von der unbändigen Liebe die grausamsten Folterungen erlitten, kann niemand leichter glauben, als wer ehemals auch heftig verliebt gewesen. Unmöglich können sich Ödipus und seine Mitgesellen den Kopf über der Sphinx Rätsel so grausam zerbrochen haben, als ich den meinen zerbrach über die dunklen Sprüche des Fräuleins von P.*

Bald schmeichelte mir wegen ihrer freundlichen und verliebten Aufführung die Hoffnung, sie noch mit der Zeit zu gewinnen, bald lachte Fortuna mit einem höhnischen Gesicht mich mit allen meinen gemachten Anschlägen und Ideen recht häßlich aus. Morpheus versagte mir seinen Dienst gänzlich, weswegen ich in dieser einzigen Nacht ganz blaß, hager und merode wurde. Der anbrechende Tag wollte mir zwar einigen Trost versprechen, indem ich mir sicherlich einbildete, die von P.* würde mich beizeiten wieder zu sich rufen lassen; nachdem ich aber, bis es dunkle Nacht geworden, vergeblich darauf gehofft hatte, mußte sich mein gequältes Herz mit Geduld drein ergeben, noch eine Nacht wie die vorhergehende zuzubringen, da denn meine Liebespein mehr vermehrt als vermindert wurde.

Am folgenden Morgen stand ich mit dem allerfrühesten auf und memorierte die in vergangener Nacht konzipierte Oration, welche ich diesen Nachmittag bei der von P.* zu halten mir vorgenommen hatte. Der Vormittag, welcher mir damals länger als ein Monat sonst zu währen schien, verstrich endlich; da aber eine Stunde nach der Mahlzeit der von P.* ihr Bote sich noch nicht einstellte, nahm ich mir die Kühnheit, mich in ihrem Logis selbst anmelden zu lassen.

Allein, o Himmel! Wie erstaunte ich, da ich vernahm, daß die von P.* bereits gestern, noch vor anbrechendem Tag, samt allen ihren Sachen aufgebrochen und mit einer Extra-Post fortgereist wäre. Meine fünf Sinne spielten das Versteckspiel im ganzen Körper herum, keiner aber wollte sich finden lassen, bis endlich der Wirt des Hauses, nachdem er mich, der ich in der Tür stand und das Gesicht auf die Straße herausgedreht hatte, lange und oft bei dem Ärmel gezupft hatte, mich wieder zu mir selbst brachte und sagte:

›Monsieur! Die fortgereiste Dame hat eine versiegelte Schachtel an Denselben zurückgelassen, hier ist sie.‹

Ich nahm selbige Schachtel begierig an, eilte damit nach Hause und fand nach Eröffnung derselben obenauf einen Brief, dessen Inhalt, weil ich ihn wohl mehr als tausendmal durchgelesen, ganz von Wort zu Wort auswendiggelernt habe, also denselben aus dem Kopf hersagen kann; er lautete aber also:

Liebster S. de A. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich Sie nicht allein wegen Ihrer galanten Person, sondern der angemerkten Tugend halber mehr liebe und ästimiere, als sonst eine einzige Mannsperson in der ganzen Welt. Tue ich Sünde hieran, so bitte ich den Himmel mit Tränen um Vergebung; jedoch, da meine Liebe auf keinem lasterhaften Grund ruht, so hoffe, das heiligste Wesen, so über uns wohnt, werde ein Mitleiden mit meiner Schwachheit haben.

Daß ich aber mich Ihren aufrichtig verliebten Augen ohne vorher genommenen mündlichen Abschied entzogen, und zwar so plötzlich, solches ist aus keiner anderen Ursache geschehen, als weil ich mich vor mir selber fürchte und besorgt habe, die Schiffe unserer Tugend möchten etwa auf dem gefährlichen Liebesmeere an eine verborgene Klippe geraten und unvermutet stranden.

Dieses zu verhüten, habe die Trennung für das allersicherste Mittel erfunden. Wüßten Sie meinen völligen Zustand, so wollte mich persuadiert halten, Ihr tugendhaftes Herz würde mir in allem Beifall geben. Indessen entschlagen Sie sich der übermäßigen Liebe und verwandeln dieselbe in eine aufrichtige Freundschaft gegen meine Person, weil unser beider Sehnsucht zu vergnügen die pure lautere Unmöglichkeit im Wege steht. Ihre angenehme Person täglich sehen zu können, wäre zwar mein größtes Vergnügen, allein, weil es uns beiden nur zur Qual gereichen würde, wünsche ich, daß Sie mich niemals mögen finden; es sei denn, daß der Himmel selbst eine Änderung träfe. Wollten aber Monsieur de A. mir eine einzige Gefälligkeit noch erweisen, so lassen Sie Ihr Porträt bei demjenigen zurück, der Ihnen diese Schachtel einhändigt, bemühen Sie sich aber nicht, auf den Abforderer zu warten; denn ich selbst nicht weiß, ob ich es über lang oder kurz kann abholen lassen. Mein Porträt habe ich nicht zu Erhaltung Seiner Liebe, sondern nur zum geneigten Andenken beilegen wollen. Mein letzter Wunsch ist dieser, daß der Himmel Ihnen mit der Zeit bei einer anderen anmutigen Liebsten so vieles Vergnügen gönnen wolle, als in Ihrem jetzigen Stande Unvergnügen genießt

die unglückselige L. de P.

Wie mir nach Verlesung dieser Zeilen zumute gewesen, bin selbst nicht vermögend, von mir zu sagen, so viel weiß ich mich zu entsinnen, daß ich fast über zwei Stunden lang als ein steinern Bild auf meinem Stuhl gesessen, den Brief aber beständig in den Händen gehalten habe. Nach diesem, da ich als aus einem Schlaf erwacht, durchstrich ich alle Gassen, um zu erkundigen, ob niemand wisse, wo die von P.* hingefahren und wo ihre Heimat sei. Allein, niemand konnte mich dessen berichten, keiner wollte ihr Geschlecht kennen, sondern viele glaubten, es wäre nur ein erdichteter Name, den sie sich beigelegt, unter ihrer Person aber eine weit höhere Standesperson versteckt gewesen, damit sie keinen so großen Staat rühren dürfen.

Ich wußte, wie gesagt, nicht, was ich denken sollte; bald glaubte ich solches auch, ungeachtet sie mich selbst versichert, daß sie bloß von Adel, bald hielt ich sie für einen jungen großen Herrn, der sich zur Lust in ein Frauenzimmer verkleidet, bald für eine bereits verheiratete Dame; ja, es fielen mir wohl noch törichtere Gedanken ein, die ich nicht einmal melden will.

Unterdessen, weil Cupido mich als seinen verliebten Hasen recht scharf aufs rechte Fleckchen getroffen hatte, konnte ich keine Ruhe haben, sondern mein Reitknecht mußte die Pferde satteln, da ich denn zehn bis zwölf Tage mit ihm herumgöckerte, um der von P.* Reisekurs oder wohl gar den Ort ihres Aufenthalts zu erfahren; allein, die Mühe war vergebens. Demnach reiste ich unverrichteter Sache wieder zurück ins warme Bad, ließ mein Porträt verfertigen, legte dasselbe nebst einem kostbaren Ring (denn sie hatte mir auch einen Diamantring von großem Wert beigelegt) in eine Schachtel, vergaß auch nicht, einen lamentablen Brief dabeizuschreiben, und gab alles dieses wohlversiegelt in des Wirts Verwahrung mit dem Bedeuten, alles dieses so lange aufzuheben, bis es die Dame abfordern ließe; hiernächst versprach ich dem Wirt fünfzig Taler bar Geld zu zahlen, wenn er ausforschen und mir Bericht erstatten könnte, wo sich diese Dame eigentlich aufhielte, wie ich denn dieserhalb nach Verlauf einiger Wochen wiederum bei ihm wollte Anfrage tun lassen.

Der Wirt vermaß sich hoch und teuer, mir zu Gefallen allen möglichsten Fleiß anzuwenden, ich aber reiste fort, durchstrich alle umliegenden Provinzen und erkundigte mich nach dem Geschlecht von P.*, erfuhr aber an einem Ort so wenig als am anderen.

Endlich kam ich von ungefähr zu einem Vornehmen von Adel, welcher wegen seiner Gelehrsamkeit in der Politik, Historie, Genealogie, Heraldik usw. weit und breit berühmt war; dieser versicherte mich, wie er alle, auch die neueren adeligen Geschlechter des ganzen Deutschland und was dazu gehörig, in etlichen Folianten auf zuweisen hätte, indem er sich dieserwegen viel Mühe durch Korrespondenzen gegeben, auch sehr viele Kosten daran gewendet, allein, ungeachtet wir alle Folianten mit ihren Registern durchblätterten, so fand sich zwar endlich ein Geschlecht dieses Namens, welches aber schon vor länger als zweihundert Jahren gänzlich und glatt ausgestorben war, welches denn die dabei angeführten Umstände vollkommen glaubhaft machten.

Wäre ich klug gewesen, so hätte ich mir diese Dame bald aus dem Sinn geschlagen, da es aber hieß: Amare & sapere vix Diis conceditur, so war ich halb rasend zu nennen, beging auch solche törichten Streiche, dergleichen man sich nimmermehr von mir einbilden sollen und worüber ich, nachdem wieder zu Verstand kommen bin, mich selbst verwundern müssen.

Ich bin zwar mit denjenigen eben nicht eines Glaubens, welche ein inevitabile Fatum, Praedestinationem, absolutum Decretum und dergleichen statuieren, jedoch weiß ich doch auch nicht, wie es damals mit mir zuging; denn ob ich gleich mich bereden ließ, in der Suite zweier junger Grafen Frankreich, England, Holland, sodann die nordischen Königreiche mit zu durchreisen, so konnte ich mich doch binnen dieser Zeit von beinahe vier Jahren dennoch nicht überwinden, die von P.* aus den Gedanken zu schlagen, sondern mußte ihr Bild fast täglich mit größter Devotion betrachten; hatte ich auch dann und wann mir gelüsten lassen, eine wirkliche Sünde wider das sechste Gebot zu begehen, so war mir in Wahrheit weit bänger darum, daß ich die von P.* nebst ihrem Porträt, als daß ich meinen Gott dadurch beleidigt hätte; ja, ich war weit hurtiger, vor dem Porträt niederzuknien und dergleichen Sünden dem Originale abzubitten, als ein solches vor meinem allmächtigen Schöpfer zu tun, da doch weder Original nach Porträt von nichts wußten, Gott aber alles sieht.

Erwägt meine Torheiten, liebster Bruder!« sagte hier der Herr von A.* besonders zu Elbenstein. »Nachher bin ich tausendmal auf die Gedanken geraten, ich müsse bezaubert und die von P.* zur Hauptperson prädestiniert gewesen sein, mir in dieser Welt Fatalitäten, ja was sage ich, das größte Unglück zu stiften, wofern es nicht die göttliche Barmherzigkeit noch etlichermaßen remediert hätte. Ihr werdet erstaunen, mein Bruder, über den Verfolg meiner Geschichte, vorher aber muß ich Euch erzählen, auf was für Art ich nach so langer Zeit die von P.*, und zwar von ungefähr, wieder zu sehen bekommen habe.

Die Grafen, in deren Suite ich noch immer mitreiste, von ihnen, weil sie mich gern um sich leiden mochten, viel Gnade genoß, auch vor anderen ziemlichermaßen distinguiert wurde, erfuhren, daß in einem gewissen Reich eine starke Veränderung vorgegangen wäre, dermalen aber in der Hauptstadt N. eine große Pracht und Herrlichkeit zu sehen sein würde. Indem sie sich nun resolvierten, zur See dahin zu reisen, ließ ich mich persuadieren, diese Tour auch noch mitzutun.

Wir kamen eben zu rechter Zeit, da alles in prächtigster Gala war und niemanden gereuen durfte, sich dieser Seltenheit wegen auf die Reise begeben zu haben und etwas draufgehen zu lassen. Eines Abends wurde eine vortreffliche italienische Oper gespielt, welcher ich mit besonderem Vergnügen zusah, indem eine Passage darin vorkam, die eine ziemliche Gleichheit mit meiner Liebesaventure hatte.

Aber, o Himmel, in was für eine Erstaunung geriet ich nicht, da ich unter dem vornehmsten Frauenzimmer meine andere Seele, nämlich die schöne P.*, erblickte.

Anfänglich wußte ich zwar nicht, ob ich meinen Augen trauen dürfte oder nicht; nachdem aber dieselben eine gute Zeitlang auf ihrem englischen Angesichte klebengeblieben waren und alle Mienen und Gebärden wohl observiert hatten, befand ich mich der Wahrheit vollkommen überzeugt, zumal, da ich von ihr (die mich, wie ich hernach von ihr selbst erfahren habe, eher als ich sie erblickt) angesehen wurde, zugleich auch durch Neigung des Hauptes das Zeichen eines Grußes von ihr empfing.

Demnach wußte ich mich vor Freuden und Vergnügen fast nicht zu lassen. Die von P.* mochte meine Gemütsbewegungen merken, gab mir deswegen mit einer anderen, besonderen Miene zu verstehen, ich sollte mich der Verstellung bedienen und tun, als ob ich sie nicht kennte.

Ich folgte hierin; weil mir aber die Zeit verzweifelt lang wurde, um zu erfahren, was ich gern wissen wollte, veränderte ich meine Stelle, begab mich zu einem deutschen Kavalier, mit welchem ich vor etlichen Tagen bekannt worden war und welcher sich schon eine Zeitlang in diesem Reich aufgehalten hatte, ließ mich mit ihm in einen besonderen Diskurs ein und fragte nach den Namen der meisten gegenwärtigen Standespersonen, sonderlich aber des Frauenzimmers.

Der Kavalier gab mir mit besonderer Höflichkeit in allem soviel er wußte Bescheid. Endlich kam die Reihe auch an die von P.*, von welcher er mir meldete, daß es die Gemahlin eines Staatsministers namens K.* wäre. Ich verbarg meinen dieserhalb entstehenden Schrecken und sagte:

›Man sollte diese Dame, welche noch sehr jung und schön aussieht, eher für ein lediges Fräulein als für eine Verehelichte ansehen.‹

›Viele glauben auch‹, versetzte der Kavalier, ›daß sie zwar eine Frau dem Namen nach, in der Wahrheit aber noch ihre Jungfrauschaft habe, indem sie von ihrem Gemahl noch niemals soll sein berührt worden. Sie ist‹, fuhr der Kavalier fort, ›eine geborene Deutsche und durch ein besonderes Schicksal an diesen Herrn vermählt worden; ich glaube aber, sie wendeten auf beiden Seiten ein gut Stück Geld daran, wenn sie so leicht wieder voneinanderkommen könnten, als sie zusammengekommen sind.‹

›Ei!‹ fragte ich, ›was hat denn das für Ursachen?‹

›Es wird nicht allein in dieser Stadt‹, antwortete der Kavalier, ›sondern auch weit und breit herum gesprochen, daß ihnen gleich an ihrem ersten Hochzeitstag ein schändlicher Possen gespielt worden; denn wenn er sie nur an der Hand oder am Backen, oder wenn sie ihn berührt, bricht ihm gleich der Angstschweiß aus und stößt ihm eine Ohnmacht zu.‹

›Das wäre ja‹, replizierte ich, ›ein unerhörter und verteufelter Streich.‹

›Mein werter Herr Landsmann‹, gab der Kavalier hierauf, ›man hat mir gesagt, daß solches hierzulande ganz und gar nichts Seltsames sei, sondern man habe sowohl hier in dieser Stadt als in der Nähe herum, sowohl unter hohen als geringen Eheleuten erstaunlich viele Exempel, daß selbige, teils auf ein- oder etliche Jahre, teils auf ihre ganze Lebenszeit solchergestalt fasziniert oder auf deutsch behext gewesen und noch sind.‹

›Es ist erstaunlich‹, war meine fernere Rede, ›allein, was mögen sie solchergestalt wohl für eine Ehe miteinander führen?‹

›Diese Ehe‹, replizierte der Kavalier, ›kann wohl schwerlich die beste sein; jedoch, man hört doch, daß die fromme, tugendhafte und kluge Dame sich sonderlich in ihre Fatalitäten zu schicken und dem stürmischen Mann mit Geduld und Gelassenheit nachzugeben weiß. Es hat mir jemand gesagt, daß ihr eine hohe Person insgeheim antragen lassen, ihre Ehescheidung zu befördern; allein sie soll großmütig zur Antwort gegeben haben: Sie verlasse sich bloß allein auf die Fügung des Himmels und verlange niemals auf andere Art, als durch einen natürlichen Tod von ihrem Gemahl getrennt zu werden.

Wir hätten vermutlich unser Gespräch noch weiter fortgeführt, weil aber die Oper eben zum Ende ging, beurlaubte ich mich von diesem Kavalier und ersuchte ihn, mir ehester Tage die Ehre seines Zuspruchs in meinem Logis zu geben. Mittlerweile kam mir die von P.*, welche ich von nun an Madame K.* nennen will, aus den Augen, deswegen begab ich mich nach meinem Logis, wo ich die darauffolgende Nacht mit tausenderlei verdrießlichen Grillen hinbrachte; da ich aber endlich nach langem Herumwerfen meiner Vernunft Gehör gab, riet mir dieselbe, sowohl meiner unglückseligen Liebe als der Stadt N. Adieu zu sagen und weder die Madame K.* selbst, noch ihr Porträt wieder anzusehen, hergegen mich auf meine Güter zu begeben und eine ordentliche Ökonomie anzurichten.

Ach aber, diese Resolution, ungeachtet sie diese Nacht auf einen Stahl und Eisengrund gebaut zu sein schien, wurde durch ein kleines Blättchen Papier über einen Haufen geworfen; denn sobald ich frühmorgens das Bett verlassen, lieferte mir einer von der Madame K.* Bedienten ein Billett folgenden Inhalts in meine Hände:

Monsieur!

An Ihrer Person vermerke, daß einem Verliebten alles auszuforschen möglich sei, und glaube zwar, daß eine übermäßige Zärtlichkeit, mich wiederzusehen, Sie angereizt hat, mir nachzufolgen, gesteh anbei, daß es mir zugleich lieb und leid ist, daß Sie mich gefunden.

Lieb darum, weil ich das Vergnügen habe, Ihre artige Person gesund zu erblicken, leid aber, weil Ihre Anwesenheit mir höchst gefährlich werden kann. Unterdessen, wo Sie einige Consideration für meine Person und mein Bitten haben, so bleiben Sie so lange in Ihrem Logis verborgen, bis ich Ihnen Nachricht gebe, an welchem Ort Sie mich ohne Gefahr sehen und sprechen können. Denn ich befürchte, es möchten sonst untugendhafte Gemüter einen bösen Verdacht auf unseren zwar verliebten, doch tugendhaften Umgang werfen und meiner Ehre einen unauslöschlichen Schandfleck anhängen, zumal es eine sehr schwere Sache ist, die verliebten Affekte beständig im Zaume zu halten. Sie belieben demnach, meinem Rat zu folgen und versichert zu leben, daß Ihnen mit einer beständigen, jedoch Ehre und Tugend unschädlichen getreuen Liebe ergeben verbleibt

L. de P.

Bei so gestalten Sachen änderte sich meine Resolution sofort, und ich beschloß, solange in N. zu verbleiben, als es der Madame K.* gefiel; damit ich aber ihrem Befehle gemäß desto verborgener in meinem Logis sein und mich bei meinen Reisegefährten nicht etwa in Verdacht setzen möchte, stellte ich mich krank, kam nicht aus meinem Zimmer, vertrieb indessen meine Zeit mit der Poesie und anderen verliebten Grillenfängereien.

Zwei Wochen vergingen, es meldete sich aber noch keiner von der Madame K.* Bedienten, inzwischen, weil die Lustbarkeiten zu Ende und die Vornehmsten schon wieder abgereist waren, brachen auch meine jungen Grafen auf und versprachen mir, ganze vier Wochen in B. auf mich zu warten, damit ich, wenn ich binnen der Zeit wieder gesund würde, sie daselbst antreffen und vollends mit ihnen nach Hause reisen könnte.

Ich wünschte ihnen aus gutem Herzen viel Glück auf die Reise und war froh, daß ich für diesmal ihrer loswurde, mithin mein fernerweitiges Schicksal für mich allein in der Stille abwarten könnte. Gleich den darauffolgenden Tag bekam ich den zweiten Brief von der Madame K.*, worin sie sich bedankte, daß ich in ihrem Begehren Folge geleistet hätte, anbei ein herzliches Verlangen bezeugte, mit mir zu sprechen, weil aber hier in der Hauptstadt so viele Aufseher wären, hielte sie für ratsam, daß ich ihr auf ein zwei Meilen vor der Stadt gelegenes Landgut folgte, und zwar in Weibskleidern; hierzu wollte sie mir in folgender Nacht durch eine getreue Frau und einen Bedienten alles Nötige übersenden, jedoch sollte ich ihr vorher berichten, ob mir dergleichen Maskerade nicht etwa zuwider wäre.

Nun kann ich zwar nicht leugnen, daß mir dieser Streich anfänglich sehr unanständig schien, denn es fiel mir dabei diese Frage ein: ›Werden nicht die, so es einmal erfahren, sagen: Hercules servivit.‹

Jedoch ich tröstete mich in diesem Stück folgendergestalt:

›Hat sich gleich Herkules durch die Liebe verleiten lassen, seiner geliebten Omphale zu Gefallen Weibskleider anzuziehen und in der Spinnstube mit dem Rocken unter ihren Mägden zu sitzen, so ist er doch der starke Herkules geblieben und nach seinem Tode vergöttert worden.‹

Ferner wollte mir auch diese Maskerade verdächtig und gefährlich vorkommen, allein, die Liebe überwältigte bei mir die gesunde Vernunft sowohl als den Wohlstand, deswegen versäumte ich keine Zeit, der Madame K.* zu versichern, wie mein Wille in allen Stücken ihren Befehlen unterworfen sei.

Also stellte sich in darauffolgender Nacht eine mit zwei Pferden bespannte Karosse ein, worin nebst einer etwas betagten deutschen Frau auch ein einziger deutscher Lakai saß, welcher aber keine Livree hatte. Die Frau allein kam in mein Zimmer und bat, ich sollte durch meinen Diener einen Koffer von dem Wagen nehmen und herauf tragen lassen; dieses geschah. Nachher wurden aus dem Koffer vortreffliche Frauenzimmerkleider ausgepackt, ich als ein Frauenzimmer angekleidet, und so reisten wir, noch ehe der Tag anbrach, fort, nachdem ich meinen getreuen Diener, welcher in Wahrheit das Leben für mich gelassen hätte, Instruktion gegeben, wie er sich Zeit meiner Abwesenheit verhalten und wie er mit den Geldern, so ich ihm zurückließ, disponieren solle.

In drei Stunden langten wir ganz gemächlich auf dem Landgut an, ich wurde von der Madame K.*, die schon vorausgereist war, in einem schön möblierten Zimmer sehr freundlich empfangen, die verliebten Komplimente, so zwischen uns gewechselt wurden, will ich so wenig berühren als den täglich vergnügenden Zeitvertreib, den wir uns machten, sondern nur so viel sagen, daß ich mich dieses erste Mal ganze vier Wochen bei ihr aufhalten mußte, im Liebeswerk aber konnte bei ihr nicht weiter avancieren, als daß sie mich dann und wann, jedoch in Wahrheit sehr selten, einen Kuß von ihrem schönen Munde und Händen rauben ließ; weiter konnte ich von ihrer strengen Tugend nichts erlangen, ja, diese kleine erlaubte Freiheit wollte ihr schon mehr als zu lasterhaft vorkommen, jedoch, auf meine unablässigen verliebten Vorstellungen gab sie sich endlich zufrieden, da aber hierdurch mein Liebesappetit nach den delikatesten, jedoch verbotenen Früchten immer stärker werden wollte, lockte sie mir einmal mit artiger Manier einen Schwur aus dem Munde und vinkulierte mich damit so weit, daß ich versprechen, angeloben und schwören mußte, ihr, solange ihr Gemahl am Leben, niemals etwas zuzumuten, was wider die Hauptregeln der Keuschheit liefe.

Demzufolge habe auch nach der Zeit nicht einmal an etwas Unkeusches gedenken, geschweige denn davon reden wollen. Außer diesem aber lebten wir sehr vertraut miteinander und vertrieben unsere meiste Zeit mit dem Schachspiel oder verliebten Gesprächen, und zwar in französischer Sprache, damit die alte deutsche Frau, welche der Madame K.* nicht von der Seite kommen durfte, nicht eben alles verstehen könne.

Binnen dieser Zeit erzählte mir die Madame K.* auch ihre ganze Lebensgeschichte, die mit demjenigen ziemlich übereinstimmte, was mir der deutsche Kavalier in der Oper gesagt; sie ist gewiß sehr merkwürdig, aber auch sehr weitläufig, deswegen halte es nicht für ratsam, mein wertester Elbenstein, dieselbe jetzt anzufangen, sondern ich will dieselbe bis auf eine anderweite Zusammenkunft versparen, jedoch in meiner eigenen Geschichte fortfahren:

Nachdem vier Wochen verflossen, ließ mich die Madame K.* wieder nach der Hauptstadt in mein Logis bringen; sie folgte ebenfalls dahin, jedoch mußte ich daselbst ihr Palais gänzlich vermeiden und mich anstellen, als ob ich sie gar nicht kennte. Indessen, weil ich von ihrer Freigebigkeit mit einer starken Summe Geldes (außer etlichen Kleinodien von großem Wert) war beschenkt worden, so konnte ich in dieser Stadt, wo ohnedem sehr teuer zehren war, dennoch starke Figur machen und die vornehmsten Gesellschaften frequentieren; als ich aber nach Verlauf eines Monats die andere Ordre bekam, folgte ich der Madame K.* abermals höchst vergnügt auf ihr Landgut und blieb fast sechs Wochen daselbst in ihrer Gesellschaft; wir vertrieben einander die Zeit ebenso wie das vorigemal, und, kurz zu sagen, wir wechselten solchergestalt Ort und Zeit unseres Aufenthalts über ein ganzes Jahr hindurch, denn ihr Gemahl, welcher in Affären des Staates verschickt war, schrieb zwar zum öfteren, verschob aber seine Wiederkunft von einer Zeit zur anderen.

Mir geschah hierdurch kein Possen, ungeachtet ich manche Nacht sozusagen auf einem glühenden Rost lag und braten mußte, dieweil ich die Quintessenz der Liebe nicht zur Arznei erlangen konnte.

Jedoch, ich hielt der Madame K.* meinen Schwur, und diese ließ sich sehr öfters bewegen, etliche Wochen länger auf den Gütern die Zeit hinzubringen, als sie sich anfänglich vorgesetzt gehabt. Wie ich es demnach überrechnete, so haben wir im ganzen Jahre kaum zwölf Wochen separiert und in der Stadt gelebt.

Eines Abends, da es bereits dämmrig zu werden begann, standen wir alle beide an einem eröffneten Fenster und diskutierten miteinander. Indem fing Madame K.* unverhofft zu sagen an:

›Mein Herz wird mir grausam schwer, mein wertester de A.*, ich wollte wünschen, daß wir beide in der Stadt, und zwar ein jedes in seinem Logis befindlich wären.‹

›Was schwer? Was schwer? Mein Engel‹, versetzte ich, ›Euer Gemahl, vor dem wir uns allein zu fürchten haben, kommt, seinen letzteren Briefen gemäß, ja wenigstens in sechs Wochen noch nicht.‹

Kaum hatte ich diese Worte ausgeredet, da der deutsche Lakai gelaufen kam und berichtete, wie der Herr von K.* mit etlichen anderen Vornehmen von Adel auf den Hof zugeritten käme. Daß Madame K.* und ich nicht weniger bestürzt hierüber wurden, ist leicht zu erachten; jedoch wir hatten doch noch etwas Zeit, uns zu sammeln, faßten deswegen die kurze Resolution, uns der Verstellung zu bedienen und den Ankommenden dreist unter Augen zu gehen. Hierauf kam der Herr von K.* mit allen seinen Gästen plötzlich ins Zimmer getreten und wurde sowohl von seiner Gemahlin als mir ganz freimütig und höflich bewillkommt.


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