Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Allein nunmehr konnte die Gerechtigkeit des Himmels dieses unbeständigen Wetterhahns strafbare Untreue und Unbeständigkeit nicht länger ungestraft lassen, daher schickte sie ihm ein und andere Unglücksfälle zu, worunter auch dieser mitbegriffen war: daß ihm sein bestes Pferd, so hundertfünfzig Taler gekostet, jählings umfiel. Dieser und andere dergleichen Unglücksfälle waren sozusagen nur die Vorläufer weit größerer und härterer Züchtigungen, die ihm sein Gewissen als wohlverdiente Strafen nunmehr zu erkennen gab.

Die tägliche Konversation aber mit der charmanten Gratiana und die zärtlichen Karessen, so er täglich von dem liebenswürdigen Fräulein von R.* genoß, benebelten gleichsam seinen Verstand und gesunde Vernunft, so daß er seine Buhlschaftssünden und Verbrechen nicht eher bereute und erkannte, bis die Unglückswetter ihn sozusagen auf allen Seiten bestürmten.

Denn als das Fräulein von R.* sich endlich überzeugt sah, daß ihre auf eine ehrliche Verbindung abzielende Liebe und Treue bloß mit einer schnöden Löffelei belohnt werden sollte, und sie nur immer von einer Zeit zur anderen bei der Nase herumgeführt wurde, auch Wind bekam, daß Elbenstein mit Gratianen, seiner Wirtin Tochter, ebenso vertraut, ja wohl noch vertrauter und verliebter als mit ihr umging, ließ sie sich die darüber empfundene Betrübnis und Kummer dergestalt einnehmen, daß jedermann, und sonderlich die Herzogin, ihre Gemütskrankheit gar leicht wahrnehmen und erkennen konnte.

Weil nun die Herzogin dieses artige Fräulein wegen ihrer besonderen Qualitäten und trefflichen Verstandes sonderlich wert hielt, mischte sie sich, nachdem sie das zwischen dem Fräulein von R.* und Elbenstein ausgesonnene Liebeskommerzium in Erfahrung gebracht, selbst in diese Affäre und bemühte sich, diese beiden Personen durch das Band der Ehe zu vereinigen, daher sie eines Tages, als sie sich auf ihrem Leibgedinge zu W. im Garten divertierte, Elbenstein in besonders gnädigen Terminis zu verstehen gab, wie es ihr nicht mißfällig sein würde, wenn er sich mit ihrem Kammerfräulein, der von R.*, in ein ehrliches Verbindnis einließe, indem sie angemerkt, daß beide einander wohl leiden möchten; wobei sich die durchlauchte Herzogin ferner erklärte, alles, was zu beiderseits Vergnügen und Wohlsein gereichen könnte, gnädig beizutragen, und wollte sie ihm hiermit nebst der Amtshauptmannsstelle zu S.* auch die Oberhofmeistercharge versprochen haben, weil ihr bisheriger Oberhofmeister bei ihrem Herrn Vater Kammerpräsident werden sollte. Sie, die noch jetzt Fräulein von R.*, sollte bei ihren Prinzessinnen Hofmeisterin sein und beiderseits ihre Wohnung auf dem Schlosse haben.

Elbenstein wurde nicht wenig über den freien An- und Vortrag der Fürstin bestürzt, und weil die seiner getreuen L.* geschworene Treue, welche bisher eine Zeitlang durch eine tadelhafte und strafwürdige Liebe ins Exil vertrieben gewesen, bei dieser Begebenheit plötzlich zurückkam, so konnte er seiner (ausgenommen in Liebeshändeln) beiwohnenden Redlich- und Aufrichtigkeit nach nicht anders, als der Herzogin offenherzig und aufrichtig bekennen, wie daß er schon seit zweien Jahren her sein Herz und Treue der Baronne von L.* verpflichtet hätte, deshalb er herzlich bedauerte, daß er dieses sonderbaren Glücks und hoher Gnade nicht fähig sein könnte. Hierbei dankte er Ihro hochfürstlichen Durchlaucht für die gnädige Vorsorge ganz untertänigst, bat anbei dieses, sein freies Bekenntnis nicht in Ungnaden zu vermerken, sondern fernerweit seine gnädige Herzogin zu verbleiben.

Die Herzogin wurde durch Elbensteins Antwort, welche ihr so unvermutet kam, ungemein verbittert, sie sah ihn mit einem ernsthaften Blick an und sagte:

»So sollte man auch ehrlicher Leute Kinder nicht so leichtfertigerweise mit allerhand Schmeicheleien bei der Nase herumführen und ihnen vergebliche Hoffnung machen.«

Hierbei wendete sich die Herzogin von ihm hinweg, ging in ein Gartenhaus, worin sich das Fräulein von R.* befand, und schloß die Tür hinter sich zu.

Bei so gestalten Sachen merkte Elbenstein gar leicht, daß sich sein Glücksrad bald verdrehen und sein Wohlstand sich zugrund neigen würde; da es nun heißt: »Nulla Calamitas sola. Kein Unglück kommt allein, es will begleitet sein.«

Also erfolgte den andern Tag darauf eine neue Widerwärtigkeit. Es hatte nämlich des Fräulein von R.* älteste Schwester sich mit dem Forstmeister B.* ehelich versprochen. Dieser nahm teil an der Beschimpfung, so Elbenstein der Schwester seiner Liebsten erwiesen, suchte deswegen auf alle Art und Weise Gelegenheit, sich an ihm zu reiben.

Er fand dieselbe endlich und schalt Elbenstein in Gegenwart des Erbprinzen und der anderen Kavaliere für einen nichtswürdigen Kerl, welcher Affront Elbenstein dermaßen aus aller Contenance brachte, daß er des Respekts gegen Ihro Durchlaucht vergaß und in Dero Zimmer dem von B.* eine solche derbe Maulschelle gab, daß er sich um und um drehte.

Da nun solchergestalt alle beide sich gewaltig vergangen und zugleich den Burgfrieden violiert hatten, so wurde einem jeden in seinem Quartier eine Soldatenwacht gesetzt.

Elbenstein vertrieb seine Zeit mit Büchern und der Poesie, unter anderem machte er damals folgende Aria:

1.
        Ach, schmerzliches Lieben und flüchtiges Glücke!
Ihr seid es, die mich jetzt so kirre gemacht,
Im Anfang gabt ihr mir sehr liebliche Blicke,
Nun werd ich von beiden so schnöde veracht.
Ach! Liebe und Glücke, wie steckt ihr voll Tücke!
Ihr habt mich, ach leider, zu Falle gebracht.
2.
Ach Stunden! Wo seid ihr? Ja leider, verschwunden,
Allwo ich in einem recht englischen Schoß
Sehr öfters so süßes Entzücken gefunden;
Indem mich der Himmel der Wollust umschloß,
Da mich der Kupido solange gebunden,
Bis daß mir vor Anmut die Seele entfloß.
3.
Was ganz für unmöglich sonst wurde betrachtet,
Das ward mir durch Hilfe der Liebe ganz leicht,
Worüber ein Herkules wäre verschmachtet,
Das hab ich durch Hilfe des Glückes erreicht;
Ach! Aber nun werd ich von beiden verachtet;
Drum schaut doch, wie Liebe und Glücke betrügt.

Mittlerweile wurden sowohl Elbenstein als B.* jeder von seiner Charge auf sechs Wochen suspendiert, weil aber B.* gleich acht Tage darauf wieder nach Hof kommen und seine Funktion verrichten durfte, Elbenstein hingegen dergleichen nicht wiederfuhr, so entschloß er sich, nachdem er erst mit dem von B.* als seinem Kontrapart seine Sache durch ein ordentliches Duell auf der W.-Grenze ausgemacht, seine Demission an selbigem Hof zu fordern, indem er deutlich spüren konnte, daß sich die durchlauchte Herzogin ganz kaltsinnig und ernsthaft, kurz zu sagen ungnädig gegen ihn erzeigte.

Es kam ihn bei so gestalten Sachen die Lust an, mit obgedachtem durchlauchten Erbprinzen, bei welchem er wegen des für seine hohe Person nicht beobachteten Respekts untertänigst depreziert und Pardon erhalten hatte, mit in die Campagne nach Brabant zu gehen.

Die ohne einzige Diffikultät dazu erhaltene Einwilligung gab ihm sattsam zu verstehen, daß man ihn gern lossein wollte, worüber er sich aber, als ein Flattergeist, wenig Kummer machte, indem er einen wohlgespickten Beutel und standesmäßige Equipage hatte, überdies wußte, daß er sich von dem variablen Gemüt dieser Fürstin niemals weder beständige Gnade, noch Dienste versprechen könnte, da dieselbe mit ihren Bedienten gar zu öfters zu changieren gewohnt war und diejenigen, denen sie wenig Stunden vorher alle Gnadenzeichen erkennen lassen, wegen Klatscherei einer geringen Waschmagd oder einer verlogenen Kammerfrau und anderer dergleichen Postenträger und Beiläufer sogleich auf dem Platz mit dem Abschied zu regalieren pflegte.

Ein französischer Refugié, welcher an diesem Hof in Diensten stand, schrieb dieses Sentiment an einen seiner guten Freunde in französischer Sprache, welches man aber nun ins Deutsche vertiert hierhersetzen will:

Übrigens lebt man allhier in kontinuierlicher Unruhe, und wie die Sonne selbst ihre Gebrechen und Flecken hat, also mögen hohe Personen eben nicht gerühmt werden, als wenn sie eine unvergleichliche Vollkommenheit besäßen. Man gibt der Kanaille gar zuviel Gehör und glaubt einer klatschhaften Kammerfrau oder anderen liederlichen Dirnen alles, was sie sagen, welche doch nicht wert sind, von so hohen Standespersonen angesehen zu werden.

Bisweilen ist man gar zu leichtgläubig und bisweilen gar zu argwöhnisch. Man liebt die Neuerung und vergißt leicht der guten und getreuen Dienste. Der Geistlichkeit läßt man, ich weiß nicht aus was für Ursachen, gar zu sehr den Zügel schießen, welches ein erschreckliches Urteil verursacht. Schließlich will man für sehr gerecht gehalten und ästimiert sein, ohne denen, die es bedürfen, Recht widerfahren zu lassen.

Demnach reiste Elbenstein ganz getrost und vergnügt von diesem Hof ab, indem er einen solchen Humor hatte, daß er sich bald fassen konnte; er ließ sich auch des Fräuleins von R.* Tränen und Kläglichtun um soviel weniger zu Herzen gehen, je mehr sie an der von der Herzogin auf ihn geworfenen Ungnade teilhatte, und zwar durch ihre unbedachtsame Offenherzigkeit und unzeitiges Verlangen, Elbenstein in das Garn des Ehestandes zu ziehen.

Die angenehme Gratiana aber verließ er nicht ohne Wehmut und schrieb derselben zu guter Letzt unter tausend Küssen in ihr Liederbuch folgende Arie:

1.
        Vergiß mein nicht, mein holdes Tausendschön,
Dies will ich dir zum Angedenken schenken;
Mein Schicksal heißt mich ferne von dir gehn,
Es ist umsonst, den strengen Schluß zu lenken;
Es muß so sein, drum bitt' ich dich, mein Licht,
Vergiß mein nicht.
2.
Vergiß mein nicht, mein Tausendschön, mein Licht!
Vergiß mein nicht! Magneten zieh'n das Eisen.
Vergiß mein nicht! Ach ja! Vergiß mein nicht,
Vergiß mein nicht! Muß ich gleich von dir reisen;
Vergiß mein nicht, mein Tausendschön, mein Licht!
Vergiß mein nicht.

Die artige Gratiana war in ihrer Liebe so bescheiden, klug und heimlich gewesen und hatte diejenigen freien Handlungen, so zwischen ihr und Elbenstein bei Nacht vorgegangen, dergestalt geschicklich verborgen, daß zwar jedermann ihrer Schönheit wegen glauben konnte, daß dieser Kavalier ein Auge auf sie hätte, durch ihre Modestie aber von allen wollüstigen Ansinnen zurückgehalten wurde; deswegen blieb sie bei den allermeisten Leuten in besonderm Kredit, als ob sie zwar höflich und freundlich mit Mannspersonen umgehen könnte, dabei aber ihre Ehre zu konservieren wüßte. Allein, wie der äußerliche Schein gemeiniglich zu betrügen pflegt, so war es auch hier mit der Gratiana beschaffen. Unterdessen setzte ihr Elbenstein noch folgende Reimzeilen zum Angedenken auf:

1.
        Mein Schicksal, dem ich nicht kann widerstreben,
Heißt mich im Lieben heimlich sein;
Drum geb ich mich geduldig drein,
Gewohnheit lehrt auch Sklaven ruhig leben.
Mein Engel weiß, obgleich der Mund nicht ächzet,
Daß bloß nach ihm mein brennend Herze lechzet.
2.
Verhehl ich gleich die rosensüßen Lüste,
Die deine Anmut auf mich streut,
Mit strenger Eingezogenheit,
Und tu ich, als ob ich von dir nichts wüßte,
So muß mein Mund jedoch ganz heimlich sagen:
Wer also liebt, ist wirklich zu beklagen.

Der durchlauchte Prinz nebst Dero bei sich habenden Suite, nachdem sie ihren Weg über Rotenburg an der Fulda, Hilgershausen, Gutensberg, Fritzlar, Wildungen, Frankenberg, Haßfeld, Badenbruck, Hilgebach, Ehrensdorf, Römershagen, Ruhmburg, Cranecht, Köln, Bergen, Jülich, Maastricht und Löwen genommen, gelangte den 10. Juli gesund und glücklich in Brüssel an und begaben sich, nachdem sie vier Tage daselbst ausgeruht, in das nicht weit davon befindliche Campement der holländischen und anderer Auxiliartruppen. Eines Tages, als Elbenstein allein in seinem Zelt war und über seine zeither gehabten, wunderlichen Zufälle und Fatalitäten allerhand Grillen gemacht hatte, zeichnete er endlich diese Verse in seine Schreibtafel:

1.
        Wann langt einmal aus denen Unglückswellen
Mein Herz am Port der Freuden an?
Wann kommt es denn nach vielen Trauerfällen
Ganz sorgenfrei auf die Vergnügungsbahn?
Das Glücke hat mit mir den Ball gespielet,
So daß mein Herz noch dessen Schläge fühlet.
2.
Ich walle 'rum in der verhaßten Ferne,
Unglück hat mich zum Pilgerim gemacht;
Ich sehe nicht die Sonne, Mond und Sterne,
Drum seufzt mein Mund, der sonsten nur gelacht;
Mein Zeitvertreib ist bloß ein stilles Klagen,
Mein Körper ist ein Träger aller Plagen.
3.
Ich schreibe zwar auf meinen magern Wangen
Mit Tränenflut mein Leiden täglich auf,
Und ist schon oft ein schöner Tag vergangen,
So endet sich doch nicht mein Unglückslauf.
Tag, Zeit und Jahr muß zwar sein Ende finden;
Mein Trauern will jedennoch nicht verschwinden.
4.
Jedoch, ich will nichts mehr vom Trauern sagen,
Mein Wort erstirbt. Ach stürb ich selber mit!
So dürft' ich hier nicht ferner ängstlich klagen,
Ich täte gern ins Grab den letzten Schritt,
So stillte sich mein jammervolles Girren;
Ich dürfte nicht in finstern Wäldern irren.

Es ist wahr, Elbenstein befand sich um selbige Zeit sehr niedergeschlagen und mißvergnügt, indem sein Naturell nicht sonderlich zum Soldatenleben inklinierte, allein, er wurde bald anderen und lustigeren Sinnes, denn eines Tages, da ein gewisser Obrist namens S.* in seinem Zelt etliche Staats- und Oberoffiziere traktierte, Elbenstein aber eben von fern vorbeiging, kam der Obrist S.* selbst aus seinem Zelt heraus und auf ihn zugegangen und sagte:

»Monsieur! Ich habe mir alleweile sagen lassen, daß ich in Ihrer Person den Herrn von Elbenstein sähe, welcher sich eine gute Zeit in Italien und anderen fürstlichen Höfen aufgehalten; wollen Sie mir deswegen die Gefälligkeit erweisen und um fernerer Bekanntschaft willen meine Gesellschaft, so ich bei mir habe, verstärken, so wird es mir zum besonderen Pläsier gereichen.«

Elbenstein, welcher diesen Obristen schon kennenlernen, jedoch noch niemals mit ihm gesprochen hatte, machte anfänglich verschiedene Excusen, weswegen er sich nicht im Stande befände, für diesmal bei einer solchen vornehmen Gesellschaft zu erscheinen; allein, der Obrist S.*, welcher ein redlicher Deutscher war, ließ mit Nötigen nicht nach, nahm ihn auch selbst bei der Hand und führte ihn in sein Zelt.

Es befanden sich noch zwei Obristen, ein Obristleutnant, zwei Majore, drei Kapitäne und noch andere Offiziere darin, von welchen allen, sowohl hohen als geringeren, er aufs allerhöflichste bewillkommt wurde.

Die Weingläser gingen stark herum, und hierbei war sonderlich nichts aufgesetzt als eine Schale voll Biskuit.

Elbenstein zeigte sich dergestalt, daß ein jeder dafürhalten konnte, wie er als ein Kavalier zu leben wüßte, weswegen alle Anwesenden einen besonderen Estim für ihn darlegten. Nach verschiedenen Gesprächen sagte endlich der Obrist S.*:

»Monsieur, unser Zeitvertreib bei müßigen Stunden allhier ist dieser, daß, wenn wir beisammen sind, einander curieuse Geschichten erzählen; wie ich nun nicht zweifle, Sie werden in Italien viele dergleichen aufgemerkt haben, als will ich nicht allein für mich, sondern im Namen der sämtlichen Gesellschaft freundlich gebeten haben, uns mit ein oder anderer Historie zu divertieren, sonderlich von dem verliebten Frauenzimmer und von der unbändigen Eifersucht der Männer, sonderlich, was sich zu Ihrer Zeit in diesen Stücken zugetragen.«

Elbenstein, der sich auf einmal ganz aufgeweckt befand, tat gar nicht blöde, sondern versprach, dem Herrn Obristen Gehorsam zu leisten, fing demnach an, nicht allein seine eigenen Begebenheiten (wiewohl unter verdeckten Namen), sondern auch andere Geschichten, die zu seiner Zeit in Italien passiert waren, zu erzählen, welche die sämtliche Gesellschaft mit besonderem Vergnügen bis nach Mitternacht anhörte; ja, sie wären unfehlbar vor Tag nicht auseinandergegangen, wenn nicht die meisten mit früher Tageszeit hätten auf dem Platz sein müssen.

Mittlerweile hatte sich Elbenstein hierdurch bei allen insgesamt ungemein rekommandiert. Der Obrist K.*, welcher ein ungemein artiger Mann war, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Mein Herr von Elbenstein, Sie haben mir durch Ihre Erzählung heute viel Vergnügen verursacht, auf morgen, des nachmittags ungefähr drei Uhr, will ich Sie nebst dieser ganzen löblichen Kompanie in mein Zelt auf ein Glas Wein gebeten haben, da will ich Ihnen gewiß auch eine artige Geschichte erzählen, die mir in neulichen Zeiten nicht beigefallen ist.«

Wie nun die anderen sich um bestimmte Zeit einzustellen versprochen hatten, so versprach auch Elbenstein, dem Herrn Obristen seine gehorsame Reverenz zu machen; mithin nahmen alle voneinander Abschied.

Elbenstein begab sich nach seinem Zelt und schlief um ein gut Teil ruhiger als bisher. Des anderen Tages, und zwar nachmittags um drei Uhr, kleidete er sich proprer an als gestern und spazierte gegen vier Uhr auf des Obristen von K.* Zelt zu. Dieser kam ihm sogleich mit der größten Höflichkeit entgegen, führte ihn hinein, da denn, obgleich nicht alle Personen, so gestern zugegen gewesen, doch fast alle Stühle um die Tafel herum, besetzt waren.

Nachdem die Gesundheiten herumgetrunken, wurde der Obrist K.* erinnert, sein gestriges Versprecher zu halten und die artige Geschichte zu erzählen. Er war sogleich bereit dazu und fing also an:

»Vor wenigen Jahren hatte ich einen gemeinen Reiter unter meinem Regiment, dessen Frau sehr wohlgebildet war, so daß sie meritiert hätte, einen Mann von höherem Stand zu haben; denn nicht allein ihre Schönheit, sondern auch ihr Verstand und Geschicklichkeit distinguierten sie vor allen anderen, und wenn es wahr ist, daß sie ihrem Mann allein Farbe gehalten, wie ihr denn jedermann Zeugnis gab, so ist es gewiß von einer Soldatenfrau etwas Rares.

In diese verliebte sich ein gewisser Edelmann dasigen Ortes namens W.*, welcher jedoch schon Frau und Kinder hatte; und unter dem Vorwand, daß er ihr eine scharlachene Schabracke zu sticken geben wollte, lockte er sie einmal, da seine Frau abwesend war, in sein Haus, wo er mit Darlegung einiger Stück Dukaten sie zu seinem Willen zu bereden sucht.

Da aber weder mit guten Worten noch mit Geschenken etwas von ihr zu erhalten, will er Gewalt brauchen. Die Frau aber ist resolut, läuft an ein Fenster des Zimmers, welches auf die Gasse hinausgeht, droht, um Hilfe zu schreien, ergreift auch ein Messer, ihre Ehre damit zu defendieren; deswegen wird der wollüstige Buhler verzagt, spricht sie zu Frieden, reicht ihr sechs Stück Dukaten und bittet um aller Heiligen willen, daß sie nur niemandem etwas von dieser Rencontre sagen sollte.

Madine, so will ich die Frau nennen, verspricht zwar, diesmal zu schweigen, verlangt aber weder das Gold noch die Schabracke, so er ihr zu sticken mitgeben will, anzunehmen, sondern geht in größter Rage von ihm.

Sobald sie nach Hause kommt, erzählt sie ihrem Mann den ganzen Handel, der zwar ihre Treue lobt, ihre Einfalt aber wegen Verschmähung der Dukaten und des guten Stücks Arbeit sonderlich tadelt.

Madine lag mit ihrem Mann in der Vorstadt, und zwar in einem Weinhaus, im Quartier, deswegen kommt der Herr von W.* wenige Tage darauf hinein und läßt sich eine Kanne Wein geben; weil auch Madinens Mann eben nicht zu Hause ist, nimmt er Gelegenheit, mit ihr zu sprechen und bittet inständig, ihm doch die Gefälligkeit zu erweisen und die Schabracke zu verfertigen, weil er wüßte, daß niemand die Arbeit besser machen könnte als sie; erbietet sich auch, dafür zu bezahlen, was sie nur verlangen wollte. Madine erlaubt ihm endlich, ihr die Schabracke durch seinen Diener zu schicken, worauf er ihr sechs Dukaten zu Gold- und Silberfaden gibt und dabei verspricht, ihre Arbeit a parte zu bezahlen; ferner bittet er sich aus, daß er öfters zu ihr kommen und ihrer schönen Arbeit zusehen dürfte.

Da ihm nun Madine dieses mit verstellten liebreichen Gebärden erlaubt, wird er etwas dreister und fängt an, ihr seine heftige Liebesleidenschaft aufs neue zu offenbaren. Da sie nun auch dieses ganz gelassen anhört und sich ein wenig freundlicher gegen ihn anstellt, fragt er, warum sie denn neulich so eigensinnig gegen ihn gewesen und sich seiner sogar mit dem Messer erwehren wollen?

Hierauf gab sie zur Antwort, sie würde sich ja nimmermehr so dreist machen und in einem fremden Hause dergleichen Dinge vornehmen, da so leicht seine Frau als jemand anderes dazukommen können.

Allein, er versichert, daß sie sich deswegen nichts zu befürchten habe, und bittet um eine nochmalige Visite; weil aber Madine sich hierzu nicht verstehen will, bittet er, sie möchte doch selbst einen Ort vorschlagen, der sich zu einem verliebten Rendezvous schickte.

Madine aber bleibt bei der Antwort, es wäre besser, man ließe solche gefährlichen Händel. Mit solchem Bescheid muß er für diesmal zufrieden sein, jedoch weil ihre verstellten verliebten Gebärden und Karessen ihn betrügen, geht er das erstemal mit der größten Hoffnung, sie durch gute Worte und Geschenke mit der Zeit noch zu gewinnen, ganz vergnügt von ihr.

Folgende Tage, da sie die Schabracke in der Arbeit hatte, ist er fast täglich auf etliche Stunden bei ihr eingesprochen, und weil ihr Mann dann und wann zu Hause gewesen, macht er vermittels einiger Kannen Wein und anderer Delikatessen mit demselben die vertrauteste Freundschaft.

Dieser Reiter, welcher ein durchtriebener Vogel war, läßt sich deswegen die vorgesetzte Rache wegen des versuchten Hörneraufsetzens gar nicht vergehen, wird hergegen desto erbitterter gegen seinen Herrn Schwager Ungewiß, zumal da ihm seine Frau des von W.* verliebte Gespräche täglich wiedererzählt und die kostbaren Geschenke zeigt, welche sie gemeiniglich recht mit Zwang angenommen oder sich zum wenigsten so zu stellen gewußt.

Solchergestalt wird der von W.* von einem Tag zum anderen von ihr bei der Nase herumgeführt; einmal macht sie ihm verblümterweise Hoffnung zu der verlangten letzten Gunst, ein andermal aber stellt sie sich wieder gewissenhaft und rappelköpfisch, daß der von W.* teils vor Liebe, teils vor Verdruß hätte bersten mögen.

Die rote Schabracke wird fertig, worauf er ihr nebst räsonabler Bezahlung noch verschiedene andere Sachen zu sticken gibt, jedoch will sich das eigensinnige Weib noch nicht nach seinem Willen bequemen, deswegen er bedenkt, daß diese Sirene bereits über hundert Dukaten von ihm gezogen und vielleicht nur aus bloßer Blödigkeit und Scham sich seinem Begehren widersetzte, greift er das Werk anders an, gibt Madinen ihrer Wirtin ein Stück Geld, womit er sie zur Verschwiegenheit bringt und von ihr verlangt, daß, da sie im Kuppeln sehr berühmt, ihm bei nächtlicher Weile in Madinens Kammer zu verhelfen, sobald ihr Mann nebst seinem Kameraden, dem anderen Reiter, auf die Wacht oder sonst auskommandiert wäre.

Madine behorcht beide, läßt sich aber gegen ihre Wirtin ganz im geringsten nichts merken, vertraut es hergegen ihrem Mann, welcher ihr befiehlt, dem von W.* nur aufs allerfreundlichste zu begegnen, damit er den Possen nicht merke; inzwischen wollte er schon einen Streich ersinnen, wie er diesen Vogel ganzbeinig fangen könne.

Indem es nun diesem Schalk an lustigen Einfällen nicht ermangelte, als erfindet und bewerkstelligt er folgenden Fang: Die Kammer, worin er und seine Frau liegen, ist gerade über einer anderen großen Kammer, welche über vier Ellen hoch mit Häckerling angefüllt ist; aus seiner Kammer aber geht eine Falltür herunter in die unterste Kammer, von welcher der lose Vogel die Türbänder abreißt und die Tür also befestigt, daß sie beim Aufmachen in die unterste Kammer zurückfällt, jedoch an der Decke hängen bleibt; über diese Türe setzt er sein Bett ohne Boden, sägt auch dessen Füße ab, daß es fein niedrig steht, und füllt es wohl mit klein gehacktem Heu aus; hinter dem Bett macht er noch eine Bucht, worin eine Peron sehr genau liegen kann, daß es also scheint, als ob es ein einziges breites Bett wäre.

Hierauf unterrichtete er seine Frau, wie sie sich in allen Stücken zu verhalten habe, bestellt einen seiner Kameraden, welcher ihn anstatt des Korporals, pro forma, und zwar in Gegenwart der Wirtin auf ein drei Meilen von der Stadt gelegenes Dorf kommandieren muß, um daselbst etliche Tage als Salva guarde stehenzubleiben.

Beide im Quartier liegenden losen Vögel donnern, blitzen und hageln, daß sie niemals rechte Ruh haben könnten, setzen sich aber zu Pferde und reiten fort, jedoch nicht weiter bis in eine andere Vorstadt, da sie ihre Pferde bei guten Kameraden einstellen, sich mit ihnen lustigmachen und mit Verlangen auf die hereinbrechende Nacht warten.

Mittlerweile, da beide Reiter kaum vom Haus hinweg sind, läuft die alte Kupplerin augenblicklich fort, dem Herrn von W.* eine fröhliche Zeitung zu bringen und sich ein gut Trinkgeld zu verdienen. Dieser kommt selbigen Nachmittags nicht zu Madinen, da es aber Abend worden, stellt er sich ein und verlangt, folgende Nacht ihr Beischläfer zu sein. Diese will sich anfänglich hierzu nicht verstehen, doch da der von W.* sagt:

›Wie aber, wenn ich Sie, mein schönes Weibchen, einmal heimlich beschleichen könnte?‹ gibt sie ihm nebst einer verliebten Miene einen sanften Backenstreich und bittet, er möchte sie doch verschonen, indem ihr Mann gar zu schlimm wäre, und wenn er das Geringste hiervon erführe, würde er sie und ihn unfehlbar erschießen.

Hierauf geht sie von ihm zur Tür hinaus, um zu sehen, ob sich ihr Mann abgeredetermaßen schon heimlich hereingeschlichen hätte.

Wie nun dieser nebst drei seiner Kameraden sich schon an denjenigen Ort versteckt hatten, wo er auf gegebenes Zeichen von seiner Frau den Riegel an der Falltür aufziehen konnte, so begab sich Madine, als sie dessen vergewissert war, wieder hinein in die Stube, begegnete dem von W.* sehr freundlich; weil aber sonst noch verschiedene Weingäste anwesend, gab sie vor, daß sie unter diesem Schwarm nicht bleiben könne, sondern sich zu Bett verfügen wolle, nahm deswegen sowohl bei dem von W.* als bei der Wirtin gute Nacht und legte sich, jedoch in Kleidern, ordentlich zu Bett, und zwar in die vorbesagte hinter dem Bett gemachte Bucht.

Etwa zwei Stunden hernach, da alle anderen Gäste hinweggegangen und der von W.* vermeint, Madine solle nunmehr wohl im besten Schlaf sein, läßt er sich von der Wirtin hinaufleuchten, öffnet die Tür mit einem Nachschlüssel, den ihm die Wirtin prokuriert hatte, kleidet sich aus bis aufs Hemd und legt sich mit zitternder Freude zu Madinen ins Bett. Diese stellte sich, als ob sie jählings erwachte, schrie also:

›Holla! Wer ist da?‹

›Still, mein Engel‹, gab der von W.* sachte zur Antwort, ›ich gebe Euch für diese erste Visite zehn Dukaten.‹

Indem er sich ihr nun nähern wollte, stieß sie mit dem Fuße eine zurechtgelegte, etliche Pfund schwere eiserne Kugel auf den Boden herunter, welche mit ihrem Gepoltere die Losung gab. Im selbigen Augenblick wurde der Riegel an der Falltür aufgezogen, da denn der Herr von W.* in den Häckerling herunterstürzte und bis an die Schultern darin versank.

Madine stellte sich erschrocken, rief ihm zu, er solle nur die Arme in die Höhe recken, sie wolle ihm ein Seil hinunterlassen und alle Kräfte dran strecken, ihn heraufzuziehen, damit er nicht etwa erstickte, denn er selbst habe es versehen und den Riegel aufgestoßen.

Unter der Zeit aber kam ihr Mann mit seinen Kameraden zur Kammer hineingeschlichen, warf dem guten Herrn Schwager ein Seil hinunter; sobald aber die losen Vögel des armen Sünders Hände im Hinaufziehen erreichen können, schlingen sie einen Strick darum, machen denselben oben fest und lassen den unglückseligen Venusritter so lange in der Luft schweben, bis der helle Tag anbricht; doch dieses war noch nicht genug, sondern diese vier Saufbrüder zechten die ganze Nacht hindurch und ließ immer einer nach dem anderen sein Wasser auf des Herrn von W.* Kopf laufen.

Dieser bat um aller Heiligen Märtyrer willen, man möchte ihn los und in der Stille nach Hause gehen lassen, so wolle er zweihundert Dukaten zahlen, die Frau und die anderen Reiter baten selbst für ihn, allein der erzürnte Ehemann ließ sich durchaus nicht erbitten, sondern sobald es hell geworden, ging er hinunter in die Häckerlingskammer, legte ein Brett über eine Leiter, riß dem in der Luft arrestierten Herrn von W.* das Hemd vom Leib und peitschte mehr als fünfzig Spitzruten an ihm entzwei. Da nun über des Herrn von W.* Zetergeschrei viele Leute vor das noch verschlossene Haus gelaufen kommen, hört er endlich auf, den armen Herrn Schwager zu peinigen, stößt ihn nackend und bloß zum Haus hinaus, und ruft hinterdrein:

›Lauft zu, ihr Leute! So muß man die Edelleute striegeln, die eine ehrliche Frau zur Hure und einen tapferen Reiter zum Hahnrei machen wollen.‹

So wurde mir«, sagte hier der Obrist von K.*, »die ganze Species facti von dem Reiter und seiner Frau erzählt, wobei sie bekannten, daß sie fünfzig Stück Dukaten, etliche Taler Silbergeld, eine englische goldene Uhr, eine silberne Tabatiere, einen goldenen, mit Diamanten besetzten Petschaftring und andere Kleinigkeiten mehr bei ihm und in seinen Kleidern gefunden. Ich ließ auf Befehl des Herrn Generalleutnant von N.* diesen Reiter nebst seiner Frau und den dabeigewesenen Kameraden sofort arretieren und die erbeuteten Sachen in mein Quartier bringen. Es entstand hierüber ein starker Streit, denn der Generalauditor wollte behaupten, man könnte den ohnedem genugsam castigierten und prostituierten Venusritter nicht mit doppelten Ruten peitschen, unterstand sich auch, aus den Rechten darzutun, daß, weil der Reiter die Selbstrache ausgeübt, er die eroberten Sachen wieder herausgeben und selbige dem Eigner zustellen müsse; wenn er aber die Selbstrache unterlassen und den Edelmann ohne Castigation und Prostitution fortgeschickt, hätte er unter der Hand alle diese Sachen wohl behalten können. Allein, ich nahm mich meines Reiters an und schützte vor, es wäre keine geringe Verwegenheit, einen rechtschaffenen Soldaten suchen zum Hahnrei zu machen, es könne auch dergleichen Frevel nicht genugsam bestraft werden. Wenn mir dergleichen Streich passierte, würde ich mich schwerlich enthalten können, einem solchen ungebetenen Gast eine Kugel oder den Degen durch den Leib zu jagen.

Was nun Ehestandaffären anbeträfe, darin hätte ein gewisser Reiter soviel Recht als ein Ober- oder Stabsoffizier, deswegen wollte ich meinen Reiter bei seiner gemachten Beute solange schützen, bis sein Kontrapart die Sache höheren Orts suchte und ausmachte.

Allein, dieser machte sich bald hernach unsichtbar, mein Reiter aber wurde wenige Tage darauf seines Arrests entlassen und behielt, was er hatte.«

»Meines Erachtens«, sagte hierauf ein gewisser Major, »wäre es unbillig gewesen, wenn man des Reiters Verfahren nicht in allen Stücken approbiert und ihm die erbeuteten Sachen nicht für seinen gehabten Schmerz zur Rekreation überlassen hätte, in Betrachtung, daß selbige Nation, wo dieser mir schon bekannte Streich passiert ist, mit unseren Landsleuten weit barbarischer umzugehen pflegt. Wie ich denn ein gräßliches Exempel weiß, das eben im selbigen Jahre sich zugetragen.« Die ganze Gesellschaft bat den Herrn Major, selbiges zu erzählen, und selbiger erzeigte sich seiner kompläsanten Art nach hierzu gefällig, fing deswegen also zu reden an:


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