Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Nach der Mahlzeit ließ Oegneck melden, daß Herr Bellian, so wurde der Pansaphus genannt, zurückgekommen wäre und versprochen hätte, sich nach Verlauf einer Stunde einzufinden. Mein Herr zog hierauf eines von seinen besten Kleidern an, ja, er machte sich dergestalt galant, als ob er bei dem Vice-Roi hätte Cour machen wollen.

Wie ich aber bemerkte, gnädiger Herr!« sagte hier der Kammerdiener zu Elbenstein, »so beginnt der Tag schon anzubrechen, deswegen befürchte ich, Dieselben um die benötigte Ruhe zu bringen, wo mir gnädigst erlaubt ist, will ich Dero Befehl erwarten, ob ich diese Geschichte Ihnen vollends bis zum Ende erzählen soll, denn wenn ich die meisten Umstände, die in Wahrheit kurios sind, nicht zurücklassen will, dürften wohl noch zwei bis drei Stunden dazu erfordert werden.«

Elbenstein war die Zeit gar nicht lang geworden, und er hätte, wo er nicht wäre erinnert worden, noch zwei bis drei Stunden zugehört, weil er aber bedachte, daß ihm die Ruhe so dienlich als dem guten Menschen wäre, gab er ihm einen Dukaten, auf seine Gesundheit ein Glas Wein dafür zu trinken, und nachdem sich dieser aufs höflichste dafür bedankt, bat er ihn, nach der Mittagsmahlzeit wieder zu ihm zu kommen, da er denn nicht allein den Rest der Geschichte vollends aushören, sondern auch weiter mit ihm sprechen wollte.

Hiermit nahm der Kammerdiener Abschied, Elbenstein aber seinen Platz im Bett.

Weil er sich vorigen Tages schon ziemlichermaßen von seiner Müdigkeit erholt, schlief er nur wenige Stunden, besah hernach sein schönes Pferd und fand dasselbe frisch und wohlversorgt, spazierte sodann in den am Haus befindlichen Garten und widmete seine Gedanken seiner geliebten Fürstin, bis er zur Mittagsmahlzeit abgerufen wurde.

Nach Einnehmung derselben meldete sich alsobald der Kammerdiener wieder, welchen er, weil es ein ungemein schöner Tag war, mit in den Garten zu gehen bat und ein paar Bouteillen Wein, die im Eis standen, dahin bringen ließ.

Es setzte dieser, nachdem ihn Elbenstein zu sitzen und nach Belieben zu trinken genötigt, seine Geschichtserzählung folgendermaßen fort:

»Bald hernach, da sich mein Herr vollkommen angekleidet, kam Oegneck, holte ihn ab und führte ihn in ein anderes, wohlausgeputztes Zimmer, allwo (wie mir mein Herr nachher alles von Wort zu Wort wiedererzählt) er den Herrn Bellian mit einem Buch in der Hand auf und ab spazierend antraf, sein Hut, Stock und Degen aber lagen auf einem kleinen Nebentischchen. Sobald Herr Bellian die beiden Hineintretenden erblickte, legte er sogleich das Buch aus der Hand, machte eine zierliche Reverenz und empfing sie mit besonderer Höflichkeit.

Mein Herr tat ein Gleiches und fing also an zu reden:

›Mein wertester Herr und Freund, ich gratuliere mir, in Dessen galanter Person einen solchen qualifizierten Mann anzutreffen, der nach den Berichten, welche mir der Herr von Oegneck von Demselben erstattet, seinesgleichen wenig in der Welt hat, weswegen ich denn eben auch nach Dessen schätzbarer Konversation ein besonderes Verlangen getragen und mir dieselbe öfters ausgebeten haben will.‹

›Gnädiger Herr!‹ versetzte Bellian hierauf, ›ich bin kein Mensch von besonderen Komplimenten, sondern mein ganzes Wesen ist dergestalt aufrichtig beschaffen, daß ich weder simulieren, noch dissimulieren kann, hergegen frei heraus rede, wie es mir ums Herz ist; deswegen bitte, mich mit großen Ruhm- und Lobeserhebungen gnädig zu verschonen; ist sonst meine schlechte Konversation, jetzt und in Zukunft vermögend, Ihnen ein Pläsier zu machen, so bin ich, sooft es meine nötigen Geschäfte zulassen, zu Dero Diensten.‹

›Ach, wie gern‹, erwiderte mein Herr, ›gehe ich doch mit dergleichen allerliebsten Leuten um, die ihren Gebärden, Worten und ganzer Aufführung keine falsche Schminke anstreichen. Er setze sich doch mit mir nieder, mein wertester Herr Bellian!‹, unter welchen Worten er ihn bei der Hand faßte und dieselbe ungemein zart und weich befand, sich aber deshalb nichts merken ließ, sondern im Reden fortfuhr:

›Will Derselbe wohl nicht übel deuten, wenn ich frage, von welcher Sache Er denn hauptsächlich Profession macht?‹

›Im geringsten nicht‹, antwortete Herr Bellian, ›muß aber bekennen, daß ich mich von Jugend an auf nichts Gewisses allein, sondern auf alle diejenigen Wissenschaften gelegt habe, die mir gefallen oder, deutlicher zu sagen, wozu mich mein kurioses Naturell angetrieben hat; demnach habe ich etwas studiert von der Geographie, Historie, Poesie, Musik; Malerei, Wachspoussieren, Elfenbeindrehen und dergleichen erlernt, teils durch Anweisung anderer geschickter Leute, teils aus Büchern, teils aus eigenem Antrieb. Viele wollen aus meiner Arbeit etwas Besonderes machen, allein, die Menschen pflegen heutzutage einander zum öfteren sehr zu flattieren.‹

›Ich bin ein Feind vom Flattieren‹, widerredete mein Herr, ›erstaune aber fast über Dessen Geschicklichkeit, welche in Wahrheit mehr Ruhm verdient, als man derselben beilegen kann. Da mir nun nicht unbewußt, daß sich kluge Leute nicht gern ins Angesicht loben lassen, will ich jetzt davon schweigen und mit des Herrn Bellians Erlaubnis fragen, was dieses für ein Buch sei, worin Er sich vor unserer Ankunft divertiert hat.‹

›Es hat es‹, berichtete Herr Bellian, ›ein gottseliger Pater gemacht, und schreibt derselbe sehr schön von den eingebildeten Wollüsten der weltlich gesinnten Menschen, erweist auch sehr vernünftig, daß alle unsere Vergnügungen nur bloße Eitelkeit und einem leeren Traum vollkommen ähnlich seien. Ich kann Euer Gnaden versichern, daß mir dieses Buch bereits viele Dienste getan und noch tut, denn ob ich es gleich schon wohl fünfzigmal durchgelesen, so fange doch allezeit wieder von vorn an und bemühe mich, dasselbe auswendig zu lernen und meine Lebensart danach einzurichten.‹

›Mein wertester Freund‹, versetzte hierauf mein Herr, ›ich habe zwar dem Herrn Oegneck angelegen, Ihn zu bitten, daß Er mir die Fundamente in der Zeichen- und Malerkunst zeigen möchte, allein, nunmehr erkennt mein bisher verfinstert gewesener Verstand, daß ich von Ihm noch eine weit schönere Kunst, nämlich die Beruhigung des Gemüts erlernen können. Demnach ersuche ich Ihn inständig, dieses Buch mit mir durchzugehen, ich will einen fleißigen Schüler abgeben und Dessen Bemühung nach äußerstem Vermögen rekompensieren.‹

Herr Bellian erzeigte sich hierzu sogleich willig und bereit, machte mit Lesen und Lehren den Anfang, Oegneck aber beurlaubte sich unter dem Vorwand, einigen wichtigen Verrichtungen nachzugehen.

Mein Herr machte wunderlich Zeug, denn bald stellte er sich, als ob er sehr andächtig zuhörte, bald aber verfiel er in ein so tiefes Nachsinnen, daß man meinen sollen, er schliefe mit wachenden Augen, weswegen Herr Bellian dann und wann einen lustigen Diskurs aufs Tapet bringen mußte.

Etwa drei Stunden waren sie also allein beisammen gewesen, als Oegneck wieder nach Hause kam, da sie denn noch verschiedene Gespräche führten; endlich aber mußte Herr Bellian, halb gezwungenerweise, in meines Herrn Zimmer die Abendmahlzeit miteinnehmen. Unter derselben fragte mein Herr nach dem musikalischen Knaben, bekam aber von Oegneck zur Antwort, daß sich derselbe heute etwas unpaß befunden hätte, deswegen für diesesmal seine Aufwartung nicht machen könnte. Mein Herr war deswegen sehr besorgt und sagte, wie ihm der größte Teil seines Vergnügens entfallen würde, wenn dieser Knabe sterben sollte. Allein, Oegneck versicherte, daß dessen Maladie nicht viel auf sich hätte, sondern er vielleicht schon morgen sich wiederum hören lasse.

Nach geendigter Mahlzeit wollte sich Herr Bellian nicht länger aufhalten lassen, weswegen ihn mein Herr mit einem schönen Gedenkring beschenkte und auf diesmal von sich ließ; Oegneck gab ihm das Geleit, mein Herr aber blieb allein in seinem Zimmer, denn ich war kurz vorher, ehe die Tafel aufgehoben wurde, auf Abenteuer ausgegangen und entdeckte mit besonderem Vergnügen, was ich wünschte. Sobald ich wiederum in meines Herrn Zimmer gekommen, waren meine ersten Worte: ›Wissen Euer Gnaden etwa bereits, mit wem Sie heute konversiert haben?‹

›Ich mutmaße‹, gab mein Herr zur Antwort, ›daß Herr Bellian keine Mannsperson, sondern ein Frauenzimmer und vielleicht des Oegnecks Frau sei; wenn es wahr, so ists mir lieb, denn ihre Person ist in Wahrheit ungemein liebenswürdig.«

Hierauf offenbarte ich ihm das ganze Geheimnis folgendergestalt:

›Euer Gnaden können sicher glauben, daß in Bellians Kleidern niemand anderes als Oegnecks Frau steckt. Ich habe an einem geheimen Ort durch einen Ritz gesehen, wie sie sich mit Hilfe ihres Mannes und eines alten Weibes die Mannskleider aus- und dagegen ihre Weibskleider wieder angezogen, auch haben meine Ohren alle Worte gehört, die sie Euer Gnaden wegen miteinander gewechselt. Erst redete Oegneck also zu ihr: ›Ihr werdet Euch, mein Schatz, nunmehr gefallen lassen müssen, diese Maskerade alle Tage zu spielen.‹

›Ich wäre,‹ gab sie zur Antwort, ›solcher Possen von Herzen gern überhoben, indem ich ein Narr sein und andere, ohnedem genug geplagte Leute auch noch zum Narren machen soll.‹

›Ei! Was Narren?‹ versetzte Oegneck, ›keinen Narren, sondern einen klugen Menschen sollt Ihr mir machen helfen, zudem so wird Euch ja Eure wenige Mühe teuer genug bezahlt, weil Ihr bereits so schöne Dukaten für die Musik und diesen Abend wieder einen trefflichen Ring bekommen habt. Bedenkt doch nur auch, was wir noch für eine schöne Zwickmühle an diesem Herrn haben können.‹

›Ei was!‹ widerredete die Frau, ›der Himmel hat mir zeitliche Güter nach Notdurft genug beschert, und bei dem Geld, welches Ihr auf eine solche betrügliche Art schneidet, wird wohl wenig Glück und Segen sein, der Henker kann es zeitig genug holen, zumal wenn Ihr es, Eurer Gewohnheit nach, auf den Spieltisch tragt. Ich beklage nur, daß es dem unglückseligen Kavalier eben also gehen wird, wie es anderen melancholischen Patienten ergangen ist, die Ihr ebenfalls habt kurieren wollen, wenn nur das Können nicht ermangelt hätte. Was gilts? Wenn Ihr ihm nur den Beutel sattsam gefegt, wird er wieder so hinlaufen müssen, als er hergekommen ist, denn Ihr habt es ja mit dergleichen Leuten mehrenteils schlimmer als besser gemacht; aber ich fürchte immer, Ihr werdet einmal übel anlaufen.‹

Oegneck schlug hierüber ein höhnisches Gelächter auf und sagte: ›Solchen Narren muß man die Kolbe lausen, ich weiß mich schon herauszuschwatzen, und wenn ich einem solchen Hasenkopf etliche tausend Taler abgezwackt hätte. Ich merke aber wohl, mein Schatz, wo Euch der Schuh drückt, wenn ich Euch nur nicht entdeckt, daß der schöne Kavalier seine Mannheit verloren hätte, so könntet Ihr Euch vielleicht noch Hoffnung machen, einen Amanten an ihm zu bekommen, bei so gestalten Sachen aber glaube ich, daß Euch das Herz im Leib vor Mitleid bluten mag. Nicht wahr, ich habe es erraten? Allein, gebt mir nur ein gut Wort, so soll er ein paarmal mit Euch zu Bett gehen.‹

Die Frau erwiderte mit einem bitteren Lachen: ›Ich mag mir nicht einmal die Mühe geben, auf Eure schändlichen Reden zu antworten, die Ihr täglich aus dem eifersüchtigen, verfluchten Herzen durch den Lästerrachen auf meine Ehre speit. Glaubt aber sicherlich, daß ich mich morgen wohl hüten werde, abermals eine Komödiantin zu sein!‹

Hierüber entrüstete sich Oegneck ganz ungemein, und sagte: ›Das müßte der . . . geschrieben haben, wenn Ihr mir nicht gehorsamen und noch dazu an einem so starken Profit verhinderlich sein wolltet, sagt nur noch ein einzig Wort, so will ich eine neue Marter für Euch aussinnen.‹ ›Ach!‹ replizierte die Frau, ›hierin seid Ihr ohnedem berühmter als der beste Henker. Der Himmel weiß, daß ich der grausamen Tortur überhoben sein möchte, dergleichen Bosheit aber mitverüben und diesen ehrlichen Kavalier betrügen helfen muß; jedoch der Himmel wird mirs nicht zurechnen und mir aus dieser Sklaverei helfen, sodann freßt Euer mit Betrug erworbenes Brot allein. Ach Himmel! Wie hast du doch zugeben können, daß ich einen Marktschreier und Leutebetrüger zum Ehemann bekommen müssen.‹

Diese Reden reizten den Herrn von Oegneck dergestalt zum Zorn, daß er aufsprang und ihr eine sehr starke Anzahl Maulschellen und Kopfstöße versetzte, bis endlich das alte Weib dazwischenkam und Frieden stiftete.

Mein Herr war über meine glückliche Aventure ungemein erfreut und schenkte mir für meine gehabte Mühe ein schönes Kleid, im übrigen aber befahl er mir, nur weiter fleißig herumzuspekulieren, indem er dem Oegneck schon andere Possen, auch für sich selbst und dessen Frau sattsame Revanche nehmen wollte.

Des anderen Tages war mein Herr sehr bekümmert, indem er bei so gestalten Sachen nicht leicht glauben wollte, daß Bellian sein Wort halten und an diesem Tag wiederkommen würde, jedoch als sich die Singstimme mit der Laute frühmorgens hören ließ, bekam er einige Hoffnung und wurde vollkommen befriedigt, da Oegneck bei der Mittagsmahlzeit sagte, daß Herr Bellian bereits melden lassen, diesen Mittag unfehlbar wieder da zu sein. Es geschah auch, und Oegneck führte meinen Herrn selbst hinüber in das Zimmer, wo sie gestern beisammen waren, er aber retirierte sich und ließ beide allein.

Herr Bellian führte sich diesmal ganz traurig auf, mein Herr aber trug anfänglich Bedenken, ihn um die Ursache seines Mißvergnügens zu befragen, sondern, weil verschiedene Gemälde im Zimmer aufgehängt waren, bat er sich von einem und dem anderen die Erklärung aus, worin ihm Herr Bellian gern willfahrte.

Unter anderem kamen sie zu einem Gemälde, worauf die Verwüstung der Stadt Troja abgeschildert war, und Herr Bellian erzählte viel von diesem Krieg; da ich aber mittlerweile das vorher abgeredete Zeichen gab, daß Oegneck zum Haus hinaus und die Haustür abgeschlossen wäre, fing mein Herr zu fragen an:

›Ei! Hören Sie doch, mein wertester Herr Bellian, ist nicht dieser Trojanische Krieg um einer schönen Frau halber entstanden?‹

›Ja recht!‹ antwortete Bellian, ›so hieß dieselbe Helena und wurde ihrem Gemahl, dem Menelaos, von einem jungen Kavalier, der Paris geheißen, entführt; sonst liest man von ihr, daß sie die Schönste im ganzen Griechenland gewesen.‹

›Ich glaube aber doch nicht‹, versetzte mein Herr ›daß diese Helena so wunderschön gewesen als die Gemahlin des Herrn von Oegneck, deren zarte Hand zu küssen ich jetzt mir die Freiheit nehme.‹

Unter diesen Worten küßte und drückte er ihre Hand zu verschiedenen Malen. Oegnecks Frau, welche ich nur fernerhin Belliana nennen will, wurde über diese unverhofften Reden und Karessen dergestalt bestürzt, daß sie als ein geschnitztes Bild, ohne Regung auf dem Stuhl sitzenblieb und wegen starker Verwirrung kein Wort antworten konnte. Mein Herr nahm diese Gelegenheit in acht, küßte ihre Hände noch etlichemal, ließ sich hernach auf ein Knie vor ihr nieder und brachte mit äußerst verliebten, freien Gebärden seine Liebeserklärung folgendermaßen vor:

›Allerschönste Dame, der Ruhm Ihrer unvergleichlichen Schönheit, die von unzähligen Kavalieren nur von fern zu betrachten so sehnlich gewünscht worden, hat mich, sobald ich Nachricht davon erhalten, angetrieben, einen selten erhörten Streich zu spielen, um nur Dero allerangenehmste Person zu sehen. Denn da ich in Erfahrung gebracht, wie Sie von Ihrem irräsonablen Manne auf eine ganz unmenschliche Art eingekerkert und verborgen gehalten würden, so daß fast nicht die geringste Hoffnung vorhanden, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, hat mir die Liebe eine List eingegeben, um Ihnen in Ihrer Sklaverei einige Revanche zu verschaffen und meine verliebte Sehnsucht zu vergnügen. Sie glauben demnach, Madame, daß die ganze Erzählung, welche ich Ihrem Mann von meiner Person und Krankheit getan, ein bloßes Gedicht und verstelltes Wesen ist, denn ich bin einer der gesündesten Menschen von der Welt und von der gütigen Natur mit allem dem, was einer vigoreusen Mannsperson zukommt, im Überfluß versorgt.

Es hat mir in der Seele wehgetan, da ich neulich Ihren Mann in öffentlicher Gesellschaft so unvernünftig räsonnieren hören mußte, indem er sich ein besonderes Gloire daraus machte, mit seiner wunderschönen Frau so barbarisch zu verfahren. Weil nun aber das Glück mein Unternehmen sekundiert hat, so verabsäumen Sie doch, Madame, keine Zeit, die Sehnsucht Ihres getreusten Verehrers, des Barons von N., zu stillen, sich mitten in Ihrer Sklaverei ein süßes Liebesvergnügen zu verschaffen und sich zugleich an Ihrem eifersüchtigen, unbesonnenen Mann zu revanchieren, indem er nicht würdig ist, dergleichen überirdische Schönheit allein zu genießen.‹

Belliana blieb noch immer unbeweglich auf dem Stuhl sitzen und sah den vor ihr knienden, höchst verliebten Kavalier mit unverwandten Augen an. Endlich, da ihr derselbe die Hände noch vielemal geküßt und aufs allerbeweglichste zugeredet, zog sie ihn in die Höhe und sagte:

›Ach, steht auf, schönster Kavalier, nehmt meinen geborgten Degen und stoßt denselben in meine Brust, denn ich weiß vor Scham, Angst, Furcht und verbotener Liebe nicht zu bleiben. Was wird die ganze Welt nicht für Ursachen haben, zu lachen und höhnisch von mir zu reden, wenn meine jetzige Verkleidung nebst den begangenen törichten Streichen ruchbar wird? Wie grausam wird mein tyrannischer Mann mit mir verfahren, wenn nur das Geringste von diesem Geheimnis vor seine Ohren kommt. Womit will ich mein Gewissen befriedigen, wenn ich einer verbotenen Liebe Gehör gebe und meine Keuschheit, die ich auch im Ehestande unbefleckt erhalten, einem lüsternen Kavalier aufopfere? Tötet mich‹, fuhr sie fort, ›oder vergönnt mir wenigstens, daß ich nimmermehr wieder vor Eure oder fremder Leute Augen komme.‹

›Ehe eins von diesen beiden geschehen soll‹, versetzte mein Herr, ›will ich viel lieber mein Selbstmörder sein, denn ich habe mich, im Fall mir Dero Gegengunst versagt wird, der Verzweiflung gänzlich ergeben.‹

Unter diesen Worten, weil er sich als ein schalkhafter Amant auf alles gefaßt macht, zog er einen Dolch aus der Tasche, setzte denselben auf die Brust und machte Miene, als ob er sich selbst erstechen wollte.

Belliana mochte sonst wohl wenig oder gar keine Ausschweifungen begangen haben, durch meines Herrn bewegliche Reden und desperates Aufführen (oder vielleicht durch seine wohlgebildete Person) auf leichtsinnigere Gedanken geraten sein, deswegen umarmte und küßte sie ihn selbst von freien Stücken, sagte anbei:

›Ihr stürmt, schönster Kavalier, zu hart auf mich, ich liebe Euch von Grund der Seele und verspreche, Euch zeitlebens zu lieben; allein dasjenige, was Ihr von mir verlangt, ist nicht nur zu gefährlich, sondern gewisser Ursachen wegen auch unmöglich, Euch zu gewähren.‹

Unter diesen Reden traten ihr die hellen Tränen in die Augen, welche mein Herr mit seinen Lippen abtrocknete, durch unablässiges Liebkosen und schmeichelnde Reden aber diese Schöne endlich dergestalt treuherzig und kirre machte, daß sie ihm alle Liebesfreiheiten erlaubte, nur aber zum Hauptzweck war nicht zu gelangen, weil Oegneck seinen Lustgarten mit dem gewöhnlichen italienischen Schlosse dergestalt fest verwahrt hatte, daß niemand einsteigen konnte.

Mein Herr fulminierte gewaltig über Oegnecks Tyrannei und Weiberschinderei, insinuierte sich auch dergestalt bei Bellianen, daß dieselbe sagte:

›Ach, mein Leben, ich weiß es am besten, was ich seit fünf Jahren her von diesem Tollkopf für Marter, Angst und Not ausgestanden habe, jedoch, und ob er gleich selbst ganz ohnmächtig zum Liebeswerk ist, bin ich doch nicht auf die Gedanken geraten, verbotene Früchte zu kosten; Ihr aber, mein Engel, habt mein ganzes Herz auf einmal umgekehrt, ich bin vollkommen die Eurige, schafft Euch aber zu Eurer völligen Beruhigung nun selbst Rat, ich für meine Person weiß hierbei weder Rat noch Mittel zu ersinnen.‹

Mein Herr versicherte, binnen vierundzwanzig Stunden schon andere Anstalten gemacht und einen akkuraten Schlüssel in seiner Gewalt zu haben, worauf sie sich noch eine gute Zeit mit verliebten, auch handgreiflichen Diskursen und anderen Karessen miteinander divertierten, bis ich das Zeichen durch Rufen des Hundes gab, daß Oegneck vor der Tür anpochte. Beide Verliebte setzten sich demnach in eine andere ernsthafte Verfassung und wurden von Oegneck angetroffen, da sie über ein Gemälde diskurierten, auf welchem der nach erhaltenem Sieg mit seinen Generalen schwelgende Alexander Magnus abgeschildert war. Oegneck exkusierte sein langes Wegsein mit verschiedenen Prahlereien, mein Herr aber nahm für diesesmal ganz unmutig Abschied und ging in sein Zimmer. Um nun von Oegneck nicht inkommodiert zu werden, gab er vor, daß er nur ein einziges Stündchen schlafen, hernach aber mit demselben in den nahe am Haus liegenden Garten in der Abendluft ein paar Stunden herumspazieren wollte.

Demnach retirierte sich Oegneck, es war aber meines Herrn wenigster Ernst zu schlafen, ob er sich gleich aufs Bett streckte, sondern er dichtete auf eine List, wie er dem Oegneck den Schlüssel zu dem verdrießlichen Schloß hinwegpraktizieren könnte.

Sobald nun diese ausgesonnen, sprang er vom Bett auf, schrieb ein Billett und schickte mich damit zu dem Kapitän Reston. Ich traf denselben in seinem Logis an, und er gab mir, nachdem er das Billett gelesen, ein ergebenes Kompliment an meinen Herrn zurück, mit der Versicherung, daß er nicht ermangeln würde, dessen Willen nach Verlauf einer Stunde zu erfüllen. Mein Herr war froh hierüber und befahl mir, ja keinem Menschen im Haus zu sagen, daß er hätte Gäste zu sich bitten lassen.

Kaum war eine Stunde vorbei, als der Kapitän Reston, welcher lieber zu Gast ging, als Gäste zu sich bat, indem er sehr genau lebte, mit noch vier anderen Offizieren angestochen kam. Sie stellten sich etwas betrunken und machten unten im Hause einen ziemlichen Lärm, so daß dem Herrn von Oegneck angst und bange wurde, sobald er aber vernahm, daß sie nach meinem Herrn fragten und eine Reiterzehrung von ein paar Dutzend Bouteillen Wein exequieren wollten, gab er sich zufrieden, in Hoffnung, daß für seinen Schnabel auch etwas passieren würde, führte auch die Gäste selbst hinauf zu meinem Herrn, welcher dieselben ziemlich kaltsinnig empfing, nach gewechselten Komplimenten aber mir sogleich Befehl erteilte, von dem gegenüber wohnenden Weinhändler erst ein paar Dutzend Bouteillen des allerbesten Weins zur Probe herüberlangen zu lassen.

Der Wein wurde, sobald sie ihn gekostet, sehr köstlich befunden und von allen gelobt. Mein Herr bat den Herrn von Oegneck, die Gäste zum Trinken anzureizen, und excusierte sich anbei für seine Person, daß er als ein halber Patient nicht allezeit Bescheid tun könnte, sondern nur mäßig trinken dürfte. Im Gegenteil stimmte er heimlich wiederum den Kapitän Reston, daß er und die anderen Offiziere dem Oegneck brav aufs Leder saufen möchten, damit er satt bekäme. Demnach ging die Sauferei unter dem Schall etlicher Waldhörner dergestalt an, daß nachts ungefähr um zehn Uhr Oegneck in der Stube umsank, weswegen ihn unsere Lakaien aufheben und auf ein Bett tragen mußten, allein, es war nicht zu verwundern, denn außerdem, daß er sehr viel Wein getrunken, hatte ich ihm auf Befehl meines Herrn auch einen Schlaftrunk beigebracht. Die Herren Offiziere hatten sich auch dergestalt begeistert, daß sie nicht mehr gerade gehen konnten, sondern sich von ihren Bedienten mußten nach Hause führen lassen. Unsere Lakaien wurden befehligt, zu Bett zu gehen, mein Herr und ich aber machten uns über den unempfindlichen Oegneck, welcher entsetzlich schnarchte.

Wir durchsuchten seine Schubsäcke und fanden endlich das kleine stählerne Schlüsselchen in seiner Goldbörse unter den Dukaten liegen. Es war nicht leicht zu vermuten, daß ein Irrtum begangen werden könnte, sondern vielmehr sicher zu glauben, daß es der rechte Schlüssel sein müßte, deswegen mußte ich erst noch einmal die Visierrunde unten im Hause halten, befand aber alles richtig, denn ich hatte nicht allein der alten Frau, sondern auch dem alten Mann und den zwei Knaben soviel Wein zu trinken gegeben, als sie nur hinunterbringen können, überdies auch jedem ein Schlaftränklein beigebracht. Nachdem ich nun meinem Herrn teuer versichert, daß er morgen früh vor sechs bis sieben Uhr sich nicht zu befürchten hätte, daß jemand im Hause munter werden würde, nahmen wir dem Herrn von Oegneck den Stuben- und Kammerschlüssel aus der Rocktasche (denn wir kannten beide Schlüssel wohl, weil der alte Mann dieselben allezeit zu bringen pflegte, wenn Oegneck abends noch spät bei meinem Herrn saß), und mein Herr, der eine Blendlaterne in der Hand hatte, ließ sich von mir bis vor Oegnecks Wohnstube führen. Er mußte herzlich lachen, da ich dem alten Weib, welches in einem Winkel nicht weit von der Stubentür lag, etliche Nasenstüber versetzte, sie aber sich dennoch nicht im geringsten regte, sondern immerfort schnarchte. Der alte Mann hingegen und die zwei Knaben waren doch noch so vermögend gewesen, in ihre Bucht zu kriechen und sich auf die Betten zu werfen, lagen aber ebenso unempfindlich als das alte Weib.

Bei so gestalten Sachen wollte sich mein Herr nicht länger aufhalten, sondern öffnete mit frohem Mute erst die Stubentür, ich aber begab mich im Dunkeln zurück, die Treppe hinauf, und bewachte den Herrn von Oegneck.

Fünf Stunden war mein Herr außen gewesen, als er wieder auf sein Zimmer kam, denn der anbrechende Tag mochte ihm die Ordre zum Rückmarsch gegeben haben.

›Dieser Streich‹, fing er zu mir mit erfreutem Gesicht zu sprechen an, ›ist nach Wunsch gegangen; ich bin vollkommen vergnügt, ja, das Angedenken des genossenen Vergnügens würde mich unfehlbar ganz melancholisch machen, wenn mir die Hoffnung geraubt würde, dasselbe noch öfter zu genießen.‹

Hierauf drückte er den kleinen Schlüssel in Wachs ab, steckte denselben wieder in Oegnecks Goldbörse, mit den beiden großen Schlüsseln mußte ich es ebenso machen, worauf er mir befahl, sobald die Leute in der Stadt aufgestanden, zu einem Schlosser zu gehen und Nachschlüssel machen lassen, weil aber dieses mir einigermaßen bedenklich fiel, als kaufte ich mir eine Feile und andere Schlosserinstrumente, war auch so glücklich, einen Schlüssel von dergleichen Kaliber zu ergattern, aus welchem ich einen perfekten Passepartout machte; den kleinen Schlüssel aber aus einem Stück Silber zu verfertigen, war mir eine ganz leichte Kunst. Mein Herr war vor Freude ganz außer sich, da er diese meine Meisterstücke sah, schenkte mir eines von seinen besten bordierten Kleidern nebst zwölf Dukaten. Jedoch wieder auf unsere Schlösser zu kommen, so machte das Hausgesinde erst zwischen acht und neun Uhr einander munter. Oegneck aber besann sich erst gegen zwölf Uhr wieder, daß er noch in der Welt wäre, er stand auf und fand meinen Herrn noch im verstellten Schlaf liegen, hierauf fühlte er in seine Taschen, visitierte seine Goldbörse, und da er alles richtig fand, machte er eine vergnügte Miene, als er aber nach der Uhr sah und bemerkte, daß es schon in der Mittagsstunde wäre, gab er seine Verwunderung durch ein kleines Gelächter und einiges Kopfschütteln zu verstehen; ich konnte dieses alles aus der Nebenkammer, in deren Tür ich ein kleines Loch gebohrt hatte, sehen; wie ich aber wahrnahm, daß er sich sachte davonschleichen wollte, kam ich mit einem finsteren Gesicht und verwirrten Haaren aus der Kammer herausgetreten, eben als ob ich den Rausch auch noch nicht ausgeschlafen hätte. Der Herr von Oegneck kam mir gleich entgegen und sagte nach Anwünschung eines guten Mittags:

›Ei, Ei! Mein wertester Herr und Freund, das heißt der guten Sache ein wenig allzuviel getan; Sie nehmen doch nicht ungütig, daß ich Sie Ihres Bettes beraubt habe.‹

›Es hat nichts zu sagen, mein Herr‹, gab ich zur Antwort, ›ich habe in Kleidern auf dem Feldbett hier in der Kammer sehr wohl geschlafen, denn ich hatte der Sache ebenfalls zuviel getan, und mein Herr ebenfalls, denn in der letzten Stunde hat er noch so viel Wein zu sich genommen, daß wir ihn, weil er fast von seinen Sinnen nicht wußte, ins Bett haben tragen müssen. Ich glaube auch nicht, daß er sich wird umgewendet haben, denn er liegt noch so, wie wir ihn hingelegt.‹

›Es ist ganz gut‹, sagte Oegneck, ›vielleicht kontribuiert nunmehr diese kleine Debauche etwas zu seiner Gesundheit.‹

Wir redeten noch viel miteinander, und ich machte dem Herrn von Oegneck sonderlich wegen der fremden Offiziere noch so viel Wind vor, daß sich mein Herr, wie er mir nachher erzählt, im Bett fast mit lautem Lachen verraten hätte.

›Es muß ein ungemein starker Wein gewesen sein‹, sagte Oegneck, ›allein ich kann versichern, daß ich ihn in so vielen Jahren nicht so delikat getrunken habe.‹

›Und ich‹, war meine Gegenrede, ›habe dergleichen mein Lebtag nicht getrunken, will aber nunmehr, sooft ich mir etwas zugute tun will, dabei bleiben, nur mit Maßen.‹

›Ich auch‹, replizierte Oegneck, ›allein, ich muß nunmehr gehen und sehen, was meine Frau macht und wie es um die Küche gestellt ist.‹

Ich sagte ihm, daß mein Herr, wenn er auch gleich aufwachte, dennoch vor drei Uhr, und zwar heute nur einmal, speisen würde, denn das wäre seine Art, wenn er getrunken hätte; womit Oegneck sehr wohl zufrieden war und seiner Wege ging. Sobald derselbe fort, sprang mein Herr aus dem Bett, und weil er vollkommen ausgeruht hatte, ließ er sich, weil er den Tee schon sehr früh getrunken hatte, Wein und stärkende Konfitüren geben, passierte hernach die Zeit mit Briefschreiben nach seiner Heimat bis drei Uhr, da er zur Mittagsmahlzeit abgerufen wurde.

Hierbei ließ Oegneck fragen, ob es erlaubt wäre, den Herrn Bellian mit zur Tafel zu bringen? Welches meinem Herrn eine ungemeine Freude war, doch ließ er mit einer gelassenen Miene zurückmelden, wie ihm des Herrn Bellians Gesellschaft sehr angenehm sein würde. Er, mein Herr, ließ sich in größter Geschwindigkeit aufs propreste ankleiden, ging zu Tisch und fand sowohl den Herrn Bellian als den Herrn von Oegneck bei demselben. Weil ich par curiosité meinem Herrn folgte, bemerkte ich, daß Herr Bellian bei dessen Eintritt blutrot wurde, jedoch er wußte sich unter dem Komplementieren dergestalt geschicklich von dem Oegneck abzudrehen und ihm den Rücken zuzukehren, daß dieser nichts merkte. Sie setzten sich demnach zu Tische, weil aber mein Herr sehr wenig Appetit bezeugte, indem er vorschützte, daß er gestern eine extraordinäre Debauche im Weintrinken gemacht und deswegen nicht allein starke Hitze im Magen, sondern auch einige Kopfschmerzen empfände, sagte Oegneck:

›Ich will schweigen und nicht melden, wie mir zu Mute ist, aber meine Frau hat mir das Kapitel recht gelesen; jedoch ich habe still dazu geschwiegen, denn diesmal hat sie recht, weil ich nicht zu ihr ins Bett gekommen bin. Unterdessen hat sie doch alles wohl besorgt, so daß wir ziemlichermaßen mit ihr zufrieden sein können.‹

Ungeachtet nun Oegneck immer allein fortplauderte und aus seinen Reden so viel zu merken war, daß er von der Langschläferei seines Gesindes nicht die geringste Wissenschaft hätte, so tat doch mein Herr, als ob er auf dessen Reden keine Acht hätte, sondern blieb immer still für sich hin, bis endlich Herr Bellian einen Diskurs von dem gefährlichen Laster der Trunkenheit aufs Tapet brachte, welchen mein Herr bis zu Ende der Mahlzeit fortführen half.

Nach abgehobenen Speisen und nachdem sie alle drei eine gute Weile im Zimmer herumspaziert waren, beliebte meinem Herrn, mit dem Herrn Bellian eins im Brett zu spielen, welches Herr Oegneck sehr gern sah, indem er einige Patienten zu besuchen hatte, sich also von ihnen beurlaubte; allein, er mochte kaum zehn Schritte vom Haus hinweg sein, als diese beiden Verliebten ein anderes Spiel zu spielen angefangen hatten, wobei mein Herr meinen manu propria gemachten kleinen Schlüssel probiert und denselben zu seinem größten Vergnügen akkurat befindet, nachher aber seinen eigenen Kapitalschlüssel gebraucht.

So ging es nun einen Tag und alle Tage zu, und der Herr von Oegneck wurde bei allen seinen so hochberühmten Präkautionen sozusagen bei sichtlichen Augen betrogen. Ja, das Glück war meinem Herrn so günstig, daß Oegneck auf etliche dreißig italienische Meilen von Hause zu einem kranken Fürsten berufen wurde, bei welchem er drei ganze Wochen zubrachte; binnen dieser Zeit aber machte mein Herr die herrlichsten Progresse, nicht nur bei Tage mit dem Herrn Bellian, sondern auch des Nachts mit der Belliana, wenn ich vorher die Domestiken mit Schlaftränken im süßen Wein eingewiegt hatte. Endlich war es dahin gekommen, daß Belliana den Ansatz zur zweiten Leber im Leib bekommen hatte, worüber sich mein Herr sowohl als sie ungemein erfreuten. Oegneck kam wieder zu Hause, fand aber meinen Herrn, der sich sehr zu verstellen wußte, ganz malade, indem er vorgab, daß er Mangel an Arznei gehabt; jedoch nach Verlauf einiger Tage befand sich mein Herr viel besser, ging auch dann und wann in die Gesellschaft, jedoch er blieb niemals bei einerlei Humor, sondern verfiel, ehe man sichs versah, wieder in eine wiewohl verstellte Tiefsinnigkeit.

Mittlerweile entstanden in unserem Hause auf einmal große Freudenbezeugungen, denn die Frau Wirtin hatte dem Herrn Wirt offenherzig gestanden, daß er ihr aus der fremden Luft Zeug zu einem kleinen Kindergerät mitgebracht hatte. Oegneck, sobald er dieses von ihr vernommen, lief er von Haus zu Haus und notifizierte allen Menschen, die ihm entgegenkamen, die endlich einmal glücklich erlebte Schwangerschaft seiner liebwertesten Frau Gemahlin; ja, die Torheit verleitete ihn dahin, daß er eines Tages meinem Herrn bei Tische diese vergnügte Zeitung vorbrachte, und zwar mit unaussprechlicher Freude.

Dieser, welche die Sache längst besser wußte als Oegneck selbst, spielte dennoch eine verzweifelte Maskerade, warf Teller, Löffel, Messer und Gabeln auf den Boden und sagte:

›Mein Herr! Ein für allemal ist Ihm von mir bekannt gemacht, daß mir nichts Verdrießlicheres anzuhören ist als von Liebessachen, Kinderzeugen und dergleichen; deswegen sehe gar nicht, was Er für Ursache hat, mich mit dergleichen Gesprächen zu beunruhigen.‹

›Ei, ei! Ihro Gnaden‹, versetzte Oegneck, ›ich bitte um Vergebung, bin aber der Meinung gewesen, des Herrn Bellians bisherige treffliche Unterweisung hätte nunmehr in Dero Herzen so viel gewirkt, daß Dieselben alles, was Ihnen vorkäme, ohne einzige verdrießliche Gemütsbewegung anhören und ansehen könnten? So aber erfahre ich, leider, das Gegenteil.‹

›Ei was‹, widerredete mein Herr, ›der Herr Bellian, mein wertester Freund, kann seine Sachen ganz anders zu Markte bringen, und ob er gleich in seinen vortrefflichen, lehrreichen Erzählungen dann und wann etwas von Frauenzimmern, Liebesbegebenheiten und dergleichen einfließen lassen, so ist solches doch allzeit mit besonderer Ernsthaftigkeit und Tugend gewürzt gewesen, so daß es mir unmöglich Unruhe verursachen können.‹

›Gnädiger Herr!‹ sagte Oegneck, ›es ist an dem, daß ich Ihnen ein Geheimnis offenbaren und dabei Sie überzeugen muß, daß Ihr ganzes Malheur von einem allzudicken Geblüte und dann in einer wunderlichen Einbildung bestanden hat. Das erstere ist durch meine köstlichen innerlichen und äußerlichen Medikamente mehrenteils, ja fast gänzlich korrigiert. Was aber die andere Ursache angelangt, so ists an dem, daß Sie sich bisher von ein und anderer Sache eine unrichtige wunderliche Einbildung gemacht haben, wenn sich Dieselben nun in Zukunft bemühen werden von solchen Dingen, welche Ihnen bisher verdrießlich gewesen, ein richtiges Konzept zu fassen, so wird die Kur vollbracht und Ihr ganzes Malheur vollkommen gehoben sein; Euer Gnaden aber zu überführen, will ich Ihnen das bisherige Geheimnis entdecken, insofern Sie nicht darüber erschrecken oder mißvergnügt werden wollen.‹

›Im geringsten nicht, ich will mich, da ich vorher daran erinnert werde, schon zu fassen wissen.‹

›Nun dann‹, ließ sich hierauf Oegneck mit einigem Lächeln vernehmen, ›so will ich Ihnen sagen, daß Herr Bellian, dessen Person sie vor vielen anderen gern um sich leiden mögen, keine Mannsperson, sondern ein Frauenzimmer, und zwar mein eigenes Eheweib ist. Da sehen nun Euer Gnaden, was es für eine wunderliche Beschaffenheit hat mit der Einbildung.‹

Mein Herr sah nach Anhörung dieser Worte dem Oegneck starr in die Augen und blieb mit unterstütztem Haupt eine ziemliche Zeit in tiefen Gedanken sitzen. Endlich fuhr er plötzlich auf und fragte :

›So ists denn wirklich wahr, daß ich unter der Person des Herrn Bellian mit einem Frauenzimmer konversiert habe?‹

›So wahr ich lebe‹, gab Oegneck zur Antwort, ›und dafern es Ihnen gelegen, können Sie den vermeinten Herrn alle Stunden in der Person meiner Ehefrau zu sehen bekommen, ich hoffe aber, meine gebrauchte List, die ich bloß Eurer Gnaden Nutzens, Vorteils und Gesundheit halber ersonnen und praktiziert, wird hoffentlich Dieselben nicht zum Zorn reizen?‹

›Nein, nein, mein wertester Herr von Oegneck‹, rief mein Herr aus, ›nunmehr erkennen meine bisher ganz verwirrt gewesenen Sinne vollkommen, daß ich bisher einem wahnwitzigen Menschen ähnlich gewesen, jedoch Seine ungemeine Klugheit hat mich ganz verändert und wird mir hoffentlich zu dem noch restituierenden Teilen des Verstandes verhelfen. Gedenke ich aber an den unvergleichlichen Herrn Bellian, so muß ich über den ungemeinen Verstand, die Geschicklichkeit und Tugend, so in einem einzigen, und zwar in einem Frauenzimmerkörper, beisammenwohnt, recht erstaunen. Nunmehr aber, ach leider, werde ich dessen angenehme Konversation nebst den heilsamen Lehren vielleicht selten zu genießen haben oder wohl gar entbehren müssen.‹

›Nicht gänzlich‹, tröstete Oegneck, ›doch weil meine Liebste dennoch auch etwas eigensinnig ist und bei ihrer jetzigen Schwangerschaft keine Mannskleider mehr anlegen will, sonst auch wegen ihrer Schamhaftigkeit und strengen Tugend ohne mein Beisein mit Ihnen zu konversieren sich durchaus nicht bequemen wird, also werden sich Euer Gnaden mit etwas sparsameren Visiten genügen zu lassen belieben; denn solange sie gewußt, daß sie von Ihnen für eine Mannsperson gehalten worden, hat sie sich keiner unkeuschen Gedanken bei Euren Gnaden besorgt, nunmehr aber, als ein Frauenzimmer, dürfte sie bei Ihnen in mehrerer Furcht schweben.‹

›Ach!‹ seufzte mein Herr und sagte: ›Mein wertester Herr von Oegneck, eröffnen Sie ihr doch lieber, daß ich ein Kastrat bin, mithin vor allen unkeuschen Gedanken, Worten und Werken den größten Abscheu trage. Ich hoffe, sie wird so tugendhaft und verschwiegen sein und dieses Geheimnis nicht weiter ausbreiten, inmittels desto freier und treuherziger mit mir umgehen können, solchergestalt aber meine völlige Genesung befördern helfen.‹

›Wenn Euer Gnaden‹, sprach Oegneck hierauf, ›mir erlauben wollen, meiner Liebsten dieses Geheimnis zu offenbaren, so ist gar kein Zweifel, daß sie sich in Zukunft noch weit offenherziger und freier gegen Dieselben aufführen wird, als sie in der verkleideten Person des Bellian getan. Ja, ich gebe hiermit sowohl von meinet- als ihretwegen Eurer Gnaden völlige Erlaubnis, sooft es Ihnen beliebig, meine Liebste zu sich auf Dero Zimmer kommen zu lassen oder dieselbige in dem ihr eigenen zu besuchen und so lange bei ihr zu bleiben, als es Ihnen beiderseits gefällig.‹ Es ist leicht zu glauben, daß mein Herr über diese Promessen vor innerlichem Lachen immer hätte zerbersten mögen, jedoch er umarmte den Hasenkopf und dankte für dessen gütige Offerte, zahlte ihm auch sogleich fünfzig Dukaten in Abschlag für die Kur und Kost, versprach anbei, sobald seine Wechselbriefe aus Deutschland einliefen, sich noch weit erkenntlicher zu zeigen. Für jetzt aber bat er ihn, seiner Liebsten die abgeredete Sache vorzutragen, seine Person bestens zu rekommandieren, anbei ihre selbsteigene Einwilligung einzuholen. Oegneck gab dieses letztere für etwas Leichtes aus, weil dem Vorgeben nach seine Liebste ihm in allen billigen Stücken gehorsame Folge leistete, ging aber sogleich hin und versprach, in kurzem vergnügte Resolution zurückzubringen.


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