Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Die Stummen gingen sogleich wieder zurück, Elbenstein aber erbrach zu allererst den Brief, worin der Schlüssel lag, und fand denselben also gesetzt:

Du der Meinige! Wenn Du wohl geruht hast, gereicht es zu meinem außerordentlichen Vergnügen. Ich habe unvergleichlich wohl geruht, weil ich Dich, meine Seele, wiederbekommen habe, da ich bisher nur ein bloßer toter Körper gewesen bin. Ich bitte sehr, säume Dich nicht, zu mir zu kommen, weil ich einen außerordentlichen Appetit empfinde, von Dir geküßt zu werden. Ja, ich schmachte recht danach. In Ermangelung Deiner Equipage schicke ich Dir inzwischen etwas in beikommendem Kästchen. Komme nur hold zu der Deinigen.

Leichtlich ists zu erachten, daß Elbensteins Gemütsbewegungen ein sonderbares Menuett en quatre in seinem Kopf und Herzen mögen getanzt haben, allein, er hieß die Musikanten, welche dazu aufspielten, schweigen, öffnete die Kiste und fand folgende Raritäten darin: ein rotscharlachenes Kleid, stark mit Gold, desgleichen ein blaues mit Silber bordiert, zwei Hüte, einer mit einer goldenen, der andere mit einer silbernen Espagne und kostbaren Agraffen, zwei Dutzend Handschuhe, ein Dutzend seidene Strümpfe von allerhand Coleuren, zwei Dutzend baumwollene Strümpfe, sonst auch von weißer Wäsche, als Ober- und Unterhemden und allem anderen, was ein Kavalier vonnöten hat, zwei Dutzend Stück oder Paar von jeder Sorte. Über all diesem lag noch ein Degen dabei, mit einem silbernen, stark vergoldeten Gefäß, und ein Stock mit einem ganz goldenen Knopf, der mit verschiedenen Edelgesteinen besetzt war.

Solchergestalt sah sich Elbenstein mit größtem Erstaunen vollkommen, und zwar aufs allerkostbarste, equipiert, weil auch die geringsten Kleinigkeiten, so man braucht, dabeibefindlich waren, als nämlich Messer, Scheren, Spiegel, Kämme und dergleichen, und zwar alles aufs sauberste und kostbarste.

Elbenstein verwunderte sich über nichts mehr, als daß ihm nicht allein alle Kleidungsstücke insgesamt, sondern auch sogar die Schuhe, deren ein halb Dutzend dabei lagen, so akkurat paßten, als ob er sich das Maß dazu nehmen lassen.

Nichts fehlte als Perücken, allein selbige brauchte er nicht, weil er blondes eigenes Haar trug, welches sich von Natur in zierliche Locken legte.

Als er sich nun sattsam über dieses kostbare Präsent verwundert hatte, fiel ihm die erhaltene Ordre ein, weswegen er sich in größter Geschwindigkeit ankleidete, und zwar das blaue Kleid anlegte, hierauf mit Hut, Degen und Stock in dasjenige Zimmer ging, wo er abends vorher die Dame zum ersten angetroffen. Es währte kaum drei Minuten, so kam dieselbe in einem kostbaren Putz auch hineingetreten, sie trug ein hellrotes mit Gold durchwirktes Kleid, und an dem Haupt und Armschmuck blitzte alles dergestalt von dem Glanze der Edelgesteine, daß einem das Gefühl hätte vergehen mögen. Allein, Elbenstein gab hierauf anfänglich wenig acht, sondern seine Augen hafteten nur an ihrem unvergleichlichen Angesicht, welches er jetzt zum erstenmale beim Tageslicht sah und in seinem Herzen sich nunmehr völlig überzeugt befand, daß er zeitlebens kein schöneres und wohlgebildeteres gesehen.

Ja, Elbenstein wäre in Wahrheit abermals als ein steinern Bild stehengeblieben, wenn nicht die Dame selbst auf ihn zugekommen wäre, ihn umarmt und geküßt hätte. Ihre ersten Reden waren diese:

»Guten Morgen, mein Leben! Ach! Du wirst unfehlbar nicht wohl geruht haben, weil du so verdrießlich aussiehst.«

»Nein Ihro Durchlaucht«, gab Elbenstein zur Antwort, »ich finde mich im geringsten nicht verdrießlich, sondern in einer erstaunenden Verwirrung über Dero überirdische Schönheit, indem ich sicherlich glaube, daß dergleichen in der ganzen Welt nicht mehr zu finden.«

»Du schmeichelst, mein Licht!« sagte sie, »ich weiß zwar wohl, daß ich eben nicht häßlich, doch aber auch nicht die Schönste bin, inzwischen, wenn ich nur das Glück habe, deinen Augen zu gefallen, bin ich vollkommen vergnügt, zumal wenn ich merken werde, daß du mich so herzlich liebst als ich dich. Allein, ich will durchaus nicht, daß du, wenn wir allein beisammen sind, mich Ihro Durchlaucht titulieren sollst, sondern nenne mich mein Schatz! Mein Kind! Mein Vergnügen, oder wie es dir die Liebe sonst eingibt.«

Elbenstein küßte ihre Hand zu vielen Malen, sagte hernach: »Meine Göttin, ich bin erstaunt über das kostbare Geschenk, welches Sie mir durch die Stummen in einer Kiste überschickt, womit...«

Indem er weiterreden wollte, drückte sie ihre zarte Hand auf seinen Mund und sagte:

»Hiervon rede mir gar nichts, mein Liebster! Sonst werde ich böse. Diese Kleinigkeiten haben in Padua schon lange parat gestanden und auf dich gewartet.«

Hiermit gab sie ihm etliche Küsse und fragte hernach, warum er heute zum erstenmale das rote Kleid nicht angezogen hätte, zum Zeichen, daß er sie liebte und sich darüber freute; Denn die rote Farbe wäre ja ein Zeichen der Liebe und der Freude.

»Sie sind meine Göttin«, sagte Elbenstein, »und mein Himmel auf Erden, darum kam mir in die Gedanken, die himmlische Couleur zuerst zu erwählen.«

»Ach, du bist eine allerliebste Seele«, replizierte sie, »ja du hast englische Einfalle, aber setze dich, mein Leben! Und nimm mich eine kleine Weile auf deinen Schoß.«

Elbenstein nahm diese schöne Last mit Vergnügen auf sich, und sie hielten also unter verschiedenen verliebten Gesprächen und Kurzweilen einander über eine gute Stunde in Armen, bis in dem Nebenzimmer ein angenehmes Glockenspiel das Zeichen gab, daß die Speisen aufgetragen wären.

Da denn die Dame ihren Kavalier bei der Hand nahm und ihn zur Tafel führte, welche sich, kurz zu sagen, fürstlich präsentierte; es waren aber keine anderen Bedienten zugegen als eine einzige alte Matrone, welche jedoch noch ganz fein aussah und wohlgekleidet war. Diese bediente alle beide, und die Dame scheute sich nicht, in ihrer Gegenwart Elbenstein zu küssen, auch sonst ihm allerhand Karessen zu machen. Solange sie speisten, ging das Glockenspiel, und es spielte dasselbe allerhand angenehme Arien, Menuette und dergleichen, wenn es auch abgelaufen, stellte es die Matrone von neuem an; dieses war nun nicht allein zur Tafelmusik bestimmt, sondern Elbenstein erfuhr, daß, solange dieses Spielwerk gehört würde, sich keiner von ihren anderen Bedienten unterstehen dürfte, unangemeldet in dieses Zimmer zu kommen; die Anmeldung aber geschah mit einem Hammer, welcher auf eine über der Tür hängende silberne Schale schlug, die einen gröberen Ton von sich gab, als die Glöcklein im Glockenspiel.

Sooft nun diese ertönte, ging die alte Matrone hinaus und fragte, was anzubringen wäre? Hergegen waren in allen Zimmern wieder andere Ringel und Drähte, vermittels derselben die Dame ihre Bedienten herbeirufen konnte, weil sie die auswärtigen Hämmer zogen, daß sie ebenfalls mit Glocken schlugen.

Beide saßen über zwei gute Stunden bei der Tafel, worauf ihn die Dame wieder zurück in das erste Zimmer führte, wohin die Alte etliche Bouteillen, teils mit Wein, teils mit Wasser angefüllt, wie auch ein Brettspiel bringen mußte.

Erst gingen beide Verliebte eine gute Weile im Zimmer herum spazieren, da sie aber nachher ungefähr sechs oder acht Spiele gespielt, stand die Dame auf, umarmte und küßte Elbenstein und sagte mit einer liebreichen Miene:

»Mein Engel! Nehmt mir nicht ungütig: Diese Kleidung ist mir jetzt etwas zu schwer und unbequem, ich werde Euch auf eine kurze Zeit verlassen und mir etwas leichtere Kleider anlegen lassen. Damit Ihr es aber auch wißt, ich habe Euer Logis verändert, Ihr habt dasselbe nunmehr auf dieser Seite, gleich neben mir.«

Hiermit öffnete sie auf der anderen Seite hinter den Tapeten eine Tür und führte ihn erst in sein Zimmer, wo er hinfort schlafen sollte; mithin war es so beschaffen, daß ihr und sein Bett nur durch eine Wand voneinander unterschieden waren. Hernach führte sie ihn durch noch eine Tür in ein propre aufgeputztes Zimmer, worin er seine Bequemlichkeit bei Tag gebrauchen konnte, und gleich bei diesem war die Kammer, worin die Stummen als seine Aufwärter ihre Bequemlichkeit und Lager haben sollten, von denen er kühnlich alles fordern dürfte, was er verlangte, indem wenigstens allezeit einer gegenwärtig sein müßte.

Elbenstein wußte in Wahrheit nicht, was er denken sollte. Die Freiheit war ihm von Jugend auf als die alleredelste Sache vorgekommen, jedoch auch in einer solchen prächtigen und wollüstigen Gefangenschaft zu leben, war seinem Temperament nicht ganz und gar zuwider. Endlich sprach er zu sich selbst: »Es sei, wie es sei, einmal für allemal bist du ein Arrestant, mußt durchaus Gehorsam leisten und abwarten, was es für ein Ende nehmen wird. Der Himmel wird sich ja deiner erbarmen, weil er sieht, daß du gezwungen wirst.«

Unterdessen, da er befürchtete, daß die Dame sein langes Stillschweigen übel auslegen möchte, küßte er derselben die Hand und sagte:

»Meine Göttin, ich erstaune, je länger je mehr, denn Sie traktieren mich ja über meinen Stand, und wenn ich gleich . . .«

»Schweigt mir davon still«, fiel sie ihm in die Rede, »weil Ihr mein Allerliebster auf der Welt seid, so seid Ihr auch meines Standes. Nun aber bleibt hier, die Stummen werden sogleich bei Euch sein, ich aber will mich anders ankleiden lassen und Euch nachher selbst wieder abrufen, wenn ich erst ein wenig Mittagsruhe gehalten habe.«

Hierauf umarmte und küßte sie ihn noch etlichemal und ging sodann zurück in ihr Zimmer.

Elbenstein fand seine Sachen, auch sonst alle Bedürfnisse für sich in diesem seinem neuen Logis, auch sogar die Bibel und das Historienbuch, jedoch er hatte noch keinen Appetit zum Lesen, sondern öffnete ein Fenster und bemerkte, daß dieses Schloß mit Wällen, doppelten Graben und Mauern umgeben war, sonst aber konnte er weder Platz noch andere Gebäude sehen, wohl aber, daß auf dieser Seite außerhalb der Mauer ein ziemlich starker Fluß vorbeilief, jenseits dessen aber konnte man nichts anderes sehen als Wald und Feld.

Er schöpfte solchergestalt in so vielen Tagen zum erstenmal wieder frische Luft, nach Verlauf einer guten Viertelstunde aber brachten die Stummen Kaffee, nebst zwei Bouteillen Wein, sperrten aber die Augen gewaltig auf, als sie ihn in so proprem Habit sahen, erzeigten sich deswegen weit devoter als jemals, indem sie sich vielleicht einbilden mochten, daß er ein geborener Prinz wäre. Er begegnete ihnen sehr freundlich und leutselig und bemerkte, daß sie sich über sein Wohlergehen freuten, hernach aber durch Zeichen fragten, ob er etwas weiteres befehlen wolle; Wie er nun geantwortet hatte, daß ihm vorerst nichts mangelte, zeigten sie ihm den silbernen Draht, vermittels dessen er sie rufen könnte, und begaben sich zurück.

Er trank etliche Schälchen Kaffee, nahm hernach das Historienbuch vor sich und mochte wohl beinahe zwei Stunden darin gelesen haben, als die Dame seine Tür öffnete und zu ihm hereingetreten kam. Er stand sogleich auf, dieselbe zu empfangen, sie aber war ebenso begierig, ihn zu umarmen, sagte anbei:

»Nun habe ich ausgeschlafen; warum habt Ihr es Euch, mein Engel, nicht auch commode gemacht und Mittagsruhe gehalten? Ich machte mir schon ein besonderes Vergnügen daraus, Euch auf dem Bett liegend anzutreffen.«

»Ich kann nicht sagen«, erwiderte Elbenstein, »daß mir der geringste Appetit zum Schlafen angekommen wäre, sondern ich habe meine Zeit mit vergnügten Gedanken zugebracht über meine glückselige Gefangenschaft.«

»Nein, mein Engel«, versetzte sie, »Ihr seid kein Gefangener, sondern ich bin eine Sklavin Eurer Liebe.«

Indem sie nun dieses mit einer besonders zärtlichen Miene vorbrachte, konnte sich Elbenstein nicht enthalten, sie etlichemal auf den Mund zu küssen, welche Gefälligkeit sie beständig erwiderte, endlich aber bat, daß er nunmehr mit in ihr Zimmer gehen möchte. Er gehorsamte, und sie setzten sich beide in bequeme Stühle neben den Konfekttisch, da denn die Dame, nachdem sie ihn gebeten, nach Belieben Konfekt und Wein zu genießen, also zu reden anfing.

»Mein Auserwählter! Ich habe Eure Treue und Redlichkeit über die Gebühr probiert und dieselbe in größter Vollkommenheit befunden. Nunmehr nehme ich mir auch kein Bedenken mehr, Euch mein ganzes Herz zu offenbaren, meinen Stand aufrichtig zu entdecken und meine Lebensgeschichte ausführlich zu erzählen. Ich bin eine geborene Prinzessin aus dem Hause P.* und die Jüngste unter meinen Geschwistern. Auf künftigen Dienstag ist mein Geburtstag, da ich in mein zwanzigstes Jahr trete.

Meine Eltern haben mich zwar als ihr jüngstes Kind jederzeit am allerzärtlichsten geliebt, jedoch auch in der Erziehung ziemlich scharf gehalten und wenig müßiggehen lassen, wiewohl sie mir auch dabei alle zulässigen Ergötzlichkeiten erlaubt und mich, weil ich mich in allen Stücken selbst sehr zu moderieren wußte, nicht so streng traktiert, wie sonst unsere Landsleute ihre Weiber und Töchter zu traktieren pflegen.

Ich war ungefähr vierzehn Jahre alt worden, als ein kaiserlicher Graf an unseren Hof kam, welcher vielleicht mit meinem Herrn Vater einige Heimlichkeiten zu überlegen haben mochte. Dieser hatte seinen Sohn bei sich, welcher in Wahrheit ein vollkommen artiger Kavalier, nicht allein von Person und Gesicht, sondern auch von Sitten war. Ich kann nicht leugnen, daß seine artige und geschickte Aufführung in meinem Herzen eine solche Regung erweckte, die ich damals noch nicht zu nennen, viel weniger deren Folgerungen zu erraten wußte; nunmehr aber weiß ich wohl, daß es das Ding ist, welches man die Liebe nennt. Kurz zu sagen, der artige junge Graf kam mir gar nicht aus den Gedanken, vielmehr präsentierte sich sein Bildnis stets vor meinen Augen. Ich merkte zwar bei allen Gelegenheiten, daß er seine Augen jederzeit mehr auf mich, als auf andere Gesichter gerichtet hatte, wünschte auch, daß ich nur dann und wann einige Minuten im Vertrauen hätte mit ihm sprechen mögen; allein, zu meinem Unglück hatten sich meine beiden älteren Schwestern auch alle beide in den schönen jungen Grafen von H.* verliebt, welches ich sehr zeitig merkte, also mich, weil ich sozusagen noch ein Kind war, nicht bloßgab, sondern zurückhielt.

Wenn ich sah, daß sie sich zwangen und drängten, um ihn zu sein, ging ich zurück, und wenn ich hernach hörte, daß sie sich miteinander zankten, wenn er einer (ihren Gedanken nach) mehr Höflichkeit erwiesen hatte als der anderen, so hatte ich zwar darüber eine innigliche Freude, seufzte aber auch insgeheim und ließ mich gegen keine etwas davon merken, daß ich ebensowohl als wie sie beide in den jungen Grafen verliebt wäre.

Es kam die Zeit, daß mein Herr Vater seinen Geburtstag zelebrierte, deswegen viele hohe und vornehme Standespersonen zu Gast lud und ein herrliches Fest gab, sonderlich aber dem alten Grafen von H.* zu Gefallen. Hier fügte es sich von ungefähr, daß der junge Graf mich, die eben die nächste bei ihm war, zum Tanz aufforderte. Ich entschuldigte mich mit lachendem Munde, jedoch auch mit einer etwas nachdenkenswürdigen Miene damit, wie es nicht Sitte in diesem Lande wäre, daß man die Jüngste den Älteren vorzöge, wollte deswegen bei meinen Schwestern keine Eifersucht erwecken, sondern ihn erst an selbige gewiesen haben; hernach bäte ich mir die Ehre aus, von seiner Höflichkeit zu profitieren.

Er stand, als ob er durch diese meine Worte vom Donner gerührt wäre, und es war gut, daß eben ein Wachslicht von ungefähr vom Wandleuchter herunter und einer Dame in das hinten aufgesteckte Kleid fiel, auch dasselbe sogleich anzündete, weswegen auf dem ganzen Tanzplatz ein Lärmen entstand. Jedoch der Schrecken war bei allen größer als der Schaden, mein junger Graf aber war unter der Zeit verschwunden, und da bald nach ihm gefragt wurde, hörte man, daß er sich wegen einer zugestoßenen kleinen Unpäßlichkeit hätte in sein Zimmer bringen lassen. Ich sollte es fast merken, daß dieses eine verstellte Krankheit wäre, und deswegen prognostizierte ich mir daraus etwas Gutes für meine Liebe. Jedoch weil mir auch bange wurde, daß er sich meinetwegen im Ernst möchte alteriert haben und krank worden sein, so verging mir aller Appetit zum Tanzen, ich klagte demnach meiner Mama, daß mir sehr übel wäre, weil mich das Mädchen zu fest geschnürt, ging deswegen mit ihrer Erlaubnis zu Bett, konnte aber fast die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich immer besorgte, der artige Graf könnte doch wohl wirklich krank worden sein. Demnach seufzte ich fast beständig und warf mich im Bett herum; da aber auch bei Anbruch des Tages noch kein Schlaf in meine Augen kommen wollte, sagte meine Wächterin (eben diese Frau, welche uns heute bei Tisch bedient hat und deren Brust ich gesogen, die auch seit der Zeit beständig sozusagen meine Hofmeisterin geblieben ist):

›Kind! Sagt mir, was fehlt Euch?‹

›Ich weiß es selbst nicht‹, war meine Antwort.

›Eröffnet mir‹, redete sie weiter fort, ›was Euch ängstigt, vielleicht kann ich Euch Rat schaffen.«

›Ach!‹ sagte ich, ›krank bin ich, aber ich kenne meine Krankheit nicht.‹

Sie lachte über meine Reden und sprach: ›Den neuen Mond habt ihr nunmehr dreimal ritterlich überwunden, und zwar erst noch vor wenigen Tagen, allein, ich sterbe darauf, Ihr seid verliebt; sagt mir nur, wen Ihr liebt, ich will Euch Hilfe schaffen.‹

Weil ich nun wußte, daß Olympia (so heißt diese meine Amme) mich so sehr liebte als ihre Seele, nahm ich mir kein Bedenken, ihr mein Herz zu offenbaren.

›Ist das nicht ein Wunder!‹ sagte hierauf Olympia, ›warum könnt Ihr doch nur so heimlich sein; sorgt für nichts, denn wenn Eure beiden Schwestern alle ihre Schönheit zusammenspielen und noch zehnmal mehr dazuborgen oder kaufen, so kommen sie der Eurigen doch nicht bei. Laßt mich sorgen, ich habe längst gemerkt, daß der junge Graf Euch weit höher als sie beide schätzet, nur Euer allzustilles Wesen hat ihn abgeschreckt, Euch eine Liebeserklärung zu tun, zumal da er auch fast nicht die geringste Gelegenheit dazu gehabt. Schlaft nur, schlaft ein wenig, und laßt mich sorgen.‹

Es waren diese Reden sehr tröstlich für mich, weswegen ich auch wirklich einschlief und etliche Stunden sehr wohl ruhte. Da ich aber gegen Mittag kaum aufgewacht war, sagte meine Amme:

›Seht! Nicht allein ich, sondern der Himmel selbst sorgt für Euer Vergnügen, denn da ich auf der Gallerie herum spazierengehe und Grillen mache, wie ich es klug genug anfangen will, an den jungen Grafen zu kommen, welcher mir, wie ich nicht leugnen kann, bisher schon verschiedene vortreffliche Präsente gemacht hat, kommt dessen Bedienter, bringt mir einen Beutel nebst zwölf Zecchinen, mit inständigster Bitte, Euch, mein Kind, im Namen seines Herrn diesen Brief einzuliefern.‹«

Unter diesen Reden stand die Dame auf, langte aus ihrer Schatulle einen Brief und reichte ihn Elbenstein, welcher denselben also gesetzt befand:

Allerschönste Prinzessin! Eurer Durchlaucht gestrige Reden haben mein Gemüt auf der Stelle in eine solche schmerzensvolle Betrübnis gesetzt, daß ich eine andere Unpäßlichkeit simulieren mußte, um nur von anderen vergnügten Personen hinwegzukommen. Da ich aber, noch ehe ich mich zur Ruhe gelegt hatte, erfuhr, daß Eure Durchlaucht einer plötzlich zugestoßenen Maladie wegen sich in Dero Appartement begeben hätten, wußte ich mich vollends nicht zufassen. Die ganze Nacht hindurch ist kein Schlaf in meine Augen gekommen, sondern ich habe beständig den Himmel um die Wiederherstellung Dero höchstkostbaren Gesundheit angefleht. Ach! Darf denn Dero Knecht eine untertänigste Anfrage tun: Ob es heute besser mit Ihnen ist? Und wollen Dieselben meiner Freimütigkeit Pardon geben, da ich mich nicht getraue zu sagen, wo selbige herrührt.

Sie sind viel zu leutselig, durchlauchte Prinzessin, als daß Sie mich dieser Kühnheit wegen zum Tode verurteilen sollten, ist aber Seiten meiner dennoch ein Verbrechen vorgegangen, so bittet, daß er kniend Vergebung suchen darf, durchlauchte Prinzessin, Derogetreuester H.*

Als Elbenstein der Dame den Brief mit einem höflichen Kompliment wieder zurückgegeben, fuhr selbige in Erzählung ihrer Geschichte also fort:

»Der Inhalt des Briefes war mir, wie ich nicht leugnen kann, sehr angenehm, allein sobald ich ihn gelesen, schrie ich:

›Olympia! Ihr wollt mich zu einer Närrin machen! Nimmermehr hat der junge Graf diesen Brief geschrieben, sondern Ihr habt denselben durch jemand anderes schreiben lassen, um mir einen blauen Dunst vor die Augen und mich nur wieder gesund zu machen.‹

Da aber Olympia so gar teure Schwüre tat, dergleichen ich noch niemals von ihr gehört, gab ich ihr endlich Glauben, überlas den Brief noch etlichemal, mußte aber denselben plötzlich unter das Bett stecken, weil meine Frau Mutter mich zu besuchen ankam.

Es geriet mir zum besonderen Vergnügen, daß sie sich diesmal nicht lange bei mir aufhielt, sondern nur erinnerte, daß ich im Bett bleiben, mich fein warm halten und fleißig Arznei gebrauchen sollte, der Olympia aber zu verstehen gab, daß sie sich auf ihre gute Vorsorge verließe.

Meine Frau Mutter war kaum zur Tür hinaus, als Olympia sagte:

›Ja, mein Kind! Wenn wir nur den rechten Doktor herbitten dürften! Allein, wollt Ihr denn dem schönen Grafen nicht mit ein paar Zeilen antworten?‹

Ich stand lange bei mir an, ob ich es auf den ersten Brief schriftlich tun wollte oder nicht? Doch endlich, weil mir Olympia gar zu beweglich zuredete, machte ich mich aus dem Bette, und schrieb folgende Zeilen!«

Dieses Konzept langte sie auch aus der Schatulle und gab es Elbenstein zu lesen. Es lautete also:

Werter Herr Graf! Ich bedaure sehr, daß ich eine Ursache Ihrer schmerzlichen Betrübnis und der daraus entstandenen Unpäßlichkeit sein oder wenigstens so heißen soll. Da ich aber viel zu gewissenhaft, jemanden unruhig zu machen, so bedaure ich von Herzen, daß Sie nicht ruhig schlafen können. Vielleicht sinds andere Ursachen, als Sie angeführt haben. Inmittels bin sehr verbunden für Dero gütiges Mitleid, welches Sie mit meiner Schwachheit gehabt, wünsche Ihnen baldige vollkommene Besserung, mit mir ist es jetzt ziemlich leidlich. Dero Zuschrift ist mir nicht unangenehm gewesen, die letzteren Zeilen darin aber sind so stilisiert, daß ich nicht wohl darauf zu antworten weiß. Inmittels werde jederzeit sein, werter Herr Graf, Dero gute Freundin.

»Olympia las dieses Antwortschreiben durch, und sagte darauf: ›Da ist wenig Zucker drin.‹

›Ich bin keine Zuckerkrämerin‹, war meine Antwort, ›soll es besser sein, so schreibt es selbst, aber nicht in meinem Namen.‹ Hiermit legte ich mich wieder ins Bett und schlief, in Wahrheit, noch ganze drei Stunden hintereinander weg. Unter der Zeit hatte Olympia dem Bedienten des jungen Grafen meinen Brief zugestellt, welchen dieser letztere mit ungemeinem Vergnügen empfangen und unzählige Male geküßt, wie er mir solches nachher selbst erzählt hat.

Er ging zwei Tage hernach schon wieder aus, ich aber befand mich im Ernst dergestalt matt, daß ich es noch nicht wagen durfte, mich aus meinem Zimmer zu begeben, brachte auch die meiste Zeit auf dem Bett zu, und was das schlimmste war, so kam des nachts fast gar kein Schlaf in meine Augen. Da ich aber einst um die Mitternachtszeit kaum eine Stunde etwas fest geschlafen, hatte mittlerweile Olympia den Hazard begangen und den jungen Grafen in mein Zimmer praktiziert, welcher, da ich mich ermunterte, vor meinem Bett niederkniete und mit herzbrechenden Worten seiner Kühnheit wegen um Pardon bat, wozu ihn, wie er vorgab, nichts anderes als die heftige Liebe verleitet hätte.

Ich wäre vor Schrecken des Todes gewesen, wenn nicht Olympia mir zu Füßen auf dem Bett gesessen hätte. Anfänglich wußte ich nicht, was ich antworten sollte; da aber der Graf in solcher Positur liegen blieb und mir einmal über das andere die Hand küßte, welches ich vor Verwirrung fast erst nicht gewahr worden, gab ich ihm eine Reprimande, welche doch weit stärker gewesen wäre, wenn ich ihn nicht so heftig geliebt hätte. Endlich bat ich ihn, aufzustehen und sich auf den bei meinem Bett stehenden Sessel neben mich niederzulassen. Wir redeten erst von gleichgültigen Dingen, sobald aber der Graf merkte, daß Olympia, die sich nachher in einen Schlafstuhl gesetzt, etwas eingeschlummert war, faßte er sich ein Herz, mit den schmeichelhaftesten Worten mir seine gegen mich tragende heftige Liebe zu entdecken.

Anfänglich wollte ich zwar von dem Affekt der Liebe weder wissen noch hören, allein, er wußte mir denselben dergestalt annehmlich einzuflößen, daß ich endlich versprach, ihn nicht allein ewig zu lieben, sondern auch, wenn es mit Bewilligung meiner Eltern geschehen könnte, mich mit ihm zu vermählen. Hierbei erlaubte ich ihm auch, meinen Mund und Brust zu küssen, und kann versichern, daß er, außer meinen Blutsfreunden, die erste Mannesperson gewesen, die mich geküßt hat.

Wir schwuren also bei dieser erstlichen nächtlichen Zusammenkunft einander ewig feste Treue, beredeten uns aber auch, unser Verbündnis noch eine Zeitlang verborgen zu halten, bis wir sähen, was die künftigen Zeiten mit sich brächten. Wir haben nachher manche schöne Nacht miteinander zugebracht und öfters die schönste Gelegenheit gehabt, uns vollkommen zu vergnügen, allein es ist bei den bloßen Küssen geblieben und weiter nichts vorgegangen, denn wir liebten einander recht von Herzen, befürchteten deswegen, wenn wir unseren Affekten den vollen Zügel schießen ließen, üble Folgen, wollten also lieber warten, bis wir Recht und Macht dazu hätten.

Mittlerweile, ob wir gleich täglich miteinander in Gesellschaft waren, konnte doch niemand leicht merken, daß wir einander so stark liebten, und obgleich der junge Graf mir, so wie ich ihm, mit aller ersinnlichen Höflichkeit begegnete, so gedachte doch niemand daran, daß die Liebe darunter verborgen wäre.

Meine älteste Schwester hingegen konnte ihre Flammen unmöglich verbergen, sondern gab sich gewaltig bloß, daß der junge Graf das einzige Ziel ihrer Begierden wäre. Bald hernach besuchte der alte Graf eines Morgens seinen Sohn in dessen Zimmer und eröffnete ihm, wie er mit meinem Herrn Vater verabredet habe, zwischen ihm, dem jungen Grafen, und meiner ältesten Schwester eine Heirat zu stiften.

Der junge Graf erschrickt und wird so blaß als eine Leiche, kann auch kein Wort antworten, weswegen ihm sein Herr Vater freundlich zuredet und um die Ursache seiner Verwirrung fragt. Dieser faßt sich ein Herz und bekennt freimütig, daß es die älteste Prinzessin nicht wäre, welche er vollkommen lieben könnte, mit der jüngsten aber versicherte er sich die allervergnügteste Ehe auf der Welt zu führen, glaubte auch gewiß, daß ihm dieselbe ihr Herz nicht versagen würde.

Sein Herr Vater redet ihm zu und preist die starken Vorzüge, welche die Älteste in diesen und jenen Stücken vor den beiden jüngeren Schwestern hätte; allein, da der junge Graf auf seinem Sinn blieb und sagte, daß er die Jüngste lieber mit einem schlechten Rittergut als die Älteste mit einem ganzen Fürstentum haben möchte, spricht sein Herr Vater:

›Es ist gut und mir gleichviel, ich will sehen, was ich bei dem Fürsten ausrichten kann, ob er Euch die Jüngste vor der Ältesten geben will, glaube aber schwerlich, daß er dahin zu disponieren sein wird. Unterdessen aber möchte ich wegen unseres Kaisers Interesse gar zu gern mit diesem fürstlichen Hause nahe verwandt sein.‹

Hiermit geht der alte Graf wieder fort und direkt zu meinem Herrn Vater, welchem er die ganze Sache unfehlbar vorgetragen haben mag, was sie aber miteinander gesprochen, weiß ich nicht, sondern bemerkte nur mittags bei der Tafel, daß mein Herr Vater, Frau Mutter, meine ältesten Schwestern, der alte und junge Graf insgesamt nicht wohlaufgeräumt waren, absonderlich bekam ich von meiner ältesten Schwester zum öfteren solche Mienen, als ob sie mich zu ermorden gesonnen sei. Meine mittelste Schwester und ich, welche von der ganzen Intrige ganz und gar nichts wußten, führten uns zwar eben nicht allzu still auf, brauchten aber doch bei der Freimütigkeit einige Behutsamkeit, um unseren Eltern nicht mißfällig zu werden.

Nach der Tafel gab mir meine Frau Mutter einen Wink, ihr in ihr Zimmer zu folgen, da sie mich denn folgendermaßen anredete :

›Ihr wißt, daß Ihr mein liebstes Kind seid, sonderlich Eurer Aufrichtigkeit wegen, darum, wollt Ihr in diesem Kredit bleiben, bekennt mir jetzt die Wahrheit frei und offenherzig und sagt mir: Habt Ihr Euch mit dem jungen Grafen von H.* in ein Liebesverständnis eingelassen?‹

›Ich kann nicht leugnen‹, war meine freimütige Antwort, ›daß er mir zu verschiedenen Malen beim Spazierengehen im Garten oder auch sonst bei Lustbarkeiten, wenn wir etwa allein an einem Fenster gestanden oder sonst von niemandem behorcht werden können, seine Liebe angetragen, jedoch allezeit auf eine honette und redliche Art. Worauf ich ihm endlich, nachdem er viele süße Worte verschwendet, zur Antwort gegeben, daß ich an seiner Person, Stand und Wesen nichts auszusetzen hätte und wohl wünschen möchte, mit ihm vermählt zu werden, allein, da ich noch unter der Gewalt meiner durchlauchten Eltern stünde, müßte ich alles deren Disposition anheimstellen.‹

›So liebt Ihr doch den jungen Grafen im Ernst?‹, fragte meine Mutter weiter.

›Ich kann es nicht leugnen«, war meine Antwort, ›daß ich ihn liebe, denn er ists wert, und wenn ich ja heiraten sollte, wollte ich mir diesen erwählen oder gar keinen.‹

›Es ist gut‹, sagte meine Mutter, ›geht nur in Euer Zimmer.‹

Sie sah zwar eben nicht zornig aus, jedoch merkte ich, daß ihr der Kopf nicht recht stand, weswegen ich mich alsbald in mein Zimmer retirierte, auch abends nicht zur Tafel kam, doch hatte ich das Vergnügen, daß mir der junge Graf abermals um Mitternachtszeit von der Olympia zugeführt wurde.

Wir hielten alle drei geheimen Rat, bis fast der Tag angebrochen, kamen aber zu keinem anderen Schluß, als erst mit Gelassenheit abzuwarten, was weiter passieren würde. Hierauf retirierte sich der junge Graf, ich aber legte mich zur Ruhe, hatte jedoch kaum zwei Stunden geschlafen, als meine Frau Mutter melden ließ, wie mein Herr Vater den beiden Grafen zu Gefallen eine Lustbarkeit und Fischerei auf dem einen unserer Landgüter angestellt, wobei sowohl sie als meine Schwestern und ich auch gegenwärtig sein sollten, deswegen möchte ich mich eiligst ankleiden, damit ich nebst der Olympia in ihrem Wagen mitfahren könnte.

Ich eilte mich, so sehr ich konnte, und traf, als ich mich zu meiner Frau Mutter in den Wagen setzen wollte, die Mannespersonen alle zu Pferde, meine beiden Schwestern aber mit ihren Kammerfräuleins bereits in einem anderen Wagen sitzend an.

Unser Wagen fuhr voraus; da wir aber kaum eine Stunde gekutscht hatten, stieß meiner Frau Mutter eine kleine Übelkeit zu, welche sie meinem Herrn Vater melden und dabei um Erlaubnis bitten ließ, in das etwa einen Steinwurf weit von der Straße gelegene Kloster zu fahren, um sich von der Äbtissin daselbst, welche unsere gute Freundin war, etwas Arznei eingeben zu lassen; sie hoffte dabei, die Gesellschaft noch zu rechter Zeit einzuholen.

Mein Herr Vater kam selbst an den Wagen geritten und bat, keinen Augenblick zu versäumen, um das Kloster zu erreichen, damit wir, wenn es sich gebessert, noch vor der Mittagsmahlzeit auf dem Lustschlosse eintreffen könnten. Wir fuhren also aufs allerschnellste nach dem Kloster zu, allwo wir von der Äbtissin aufs allerfreundlichste bewillkommnet wurden, welche auch, da sie vernahm, daß meiner Frau Mutter nicht wohl wäre, derselben sogleich Arznei eingab und derselben riet, sich wenigstens eine halbe Stunde auf ein Faulbett niederzulegen, da denn ihre Kammerfrau und eine alte Nonne bei ihr blieben, ich aber und die Olympia wurden in ein besonderes Zimmer geführt und aufs herrlichste bewirtet.

Der Zufall meiner Frau Mutter verschlimmerte sich ihrem Vorgeben nach, und als ich nach der Mittagsmahlzeit sie besuchte, sprach dieselbe zu mir:

›Mein Kind! Ich befinde mich nicht im Stande, den Lustbarkeiten mit beizuwohnen, wollt Ihr nun mit der Olympia dahin fahren oder lieber bei mir bleiben?‹

Die kindliche Liebe reizte mich also zu der Erklärung, daß ich schlechte Lust haben würde, wenn ich sie krank zurückließe, wollte deswegen alle Lust gern entbehren und bei ihr verbleiben.

›Nun‹, sagte sie, ›so macht Euch denn heute ein Vergnügen mit den schönen Nonnen in diesem vortrefflichen Kloster, es wird ja, ehe es Morgen wird, besser mit mir werden, denn ich merke, es ist einer von meinen gewöhnlichen Zufällen, welche von keiner langen Dauer sein!‹

Weil sich nun meine Frau Mutter etwas schläfrig stellte, wollte ich ihr nicht hinderlich sein, sondern folgte vielmehr ihrem Rat und begab mich zu den Nonnen, welche mir allerhand abwechselndes Vergnügen mit Musik, allerlei Lustspielen und Spazierengehen im Garten machten, so daß mir dieser Tag unvermerkt unter den Händen wegging und ich abends, da ich meine Mutter noch erst besuchen wollte, erfahren mußte, daß sie bereits eingeschlafen und hätte sich den Abend fast vollkommen frisch und gesund befunden.

Ich legte mich also auch zur Ruhe; frühmorgens aber, da ich erwachte, reichte mir Olympia ein versiegeltes Billett, welches meine Frau Mutter durch eine Nonne an mich geschickt, dessen tröstlichen Inhalt ich also gesetzt befand:

Mein liebstes Kind! Ihr habt Euch ein wenig allzufrüh von der Liebe überwinden lassen, welches Euren durchlauchten Herrn Vater und mich selbst nicht wenig verdrießlich gemacht. Deswegen haben wir fürs ratsamste zu sein erachtet, Euch an diesen verwahrten Ort unter die Aufsicht unserer werten Freundin, der Äbtissin, zu bringen; Ihr werdet auch nicht von dannen herauskommen, bis Eure beiden älteren Schwestern verheiratet sind. Not werdet Ihr nicht leiden, sondern standesmäßig traktiert werden, auch solche angenehme Divertissements zu genießen haben, wobei Ihr die Liebes- und Heiratsgedanken vielleicht vergessen könnt.

Ich bitte von nun an den Himmel, daß er Euch andere Gedanken und die Lust einflößen möge, Eure ganze Lebenszeit in diesem schönen Kloster zuzubringen, weil darin weit vortrefflichere Vergnügen zu finden, als außerhalb desselben in der wollüstigen Welt. Dem Fleisch wird es zwar anfänglich etwas sauer ankommen, nachgerade aber werdet Ihr den wirklichen Vorschmack der himmlischen Ergötzlichkeiten darin finden.

Ich bin heute früh mit anbrechendem Tag, Gott Lob gesund, von hier ab- und nach Hause gereist, werde Euch aber mit nächstem wieder besuchen. In sicherer Hoffnung, daß Ihr Euch als eine gehorsame Tochter dem Willen Eurer Eltern ohne Murren unterwerfen werdet, beharre Eure jederzeit getreue Mutter.

Ich kann nicht leugnen, daß mich das Verfahren und der listig gespielte Streich von meiner Frau Mutter dergestalt heftig verdroß, daß ich in die Lippen biß und das Blatt in meinen Händen zu einer Kugel machte. Olympia, welche so wenig als ich an dergleichen Händel gedacht hatte, erschrak recht über mein Beginnen und sagte:

›Behüte Gott, Kind! Was heißt das?‹

›Das heißt‹, gab ich zur Antwort, ›wir sind alle beide Gefangene, meine Schwestern sollen alle beide Männer haben, ich aber eine Nonne werden, da mir doch nimmermehr, sonderlich durch Zwang, Nonnenfleisch wachsen soll!‹

Olympia wurde ebenfalls bestürzt, zumal ihr das Hofleben, ungeachtet sie meine Mutter sein können, dennoch weit anständiger war als das Klosterleben. Ich gab ihr den Brief zu lesen, worauf sie zu mir sprach:

›Wenn man uns so listigerweise hintergehen will, müssen wir auf eine Gegenlist bedacht sein; laßt mich nur machen, mein Kind, was ich will, und folgt in allen Stücken meinem Rat. Vor allen Dingen müßt Ihr Euch anstellen, als ob Euch nichts angenehmer auf der Welt wäre als das Klosterleben, damit wir nur desto mehr Freiheit behalten und in Zukunft erlangen; mittlerweile will ich schon Gelegenheit finden, dem jungen Grafen Briefe zuzubringen, und wenn kein anderes Mittel helfen will, so soll er uns alle beide entführen.‹

›Was würde‹, war meine Gegenrede, ›dem jungen Grafen mit einer Prinzessin ohne das geringste Heiratsgut gedient sein.‹

›Fürs erste‹, replizierte Olympia, ›bin ich versichert, daß der junge Graf aus allzuheftiger Liebe bloß auf Eure Person sieht, und fürs andere, wenn wir erst in Sicherheit gebracht sind, werden sich Eure Eltern schon zum Ziele legen müssen.‹

Auf diese Reden blieb ich etwas in Gedanken vertieft, ließ mich aber ankleiden, und da solches kaum geschehen, ließ sich die Äbtissin bei mir melden.

Ich ließ zurücksagen, daß mir ihre Visite sehr angenehm sein würde, nahm auch unterdessen auf Einraten der Olympia eine recht fröhliche Miene an und empfing die Äbtissin, wider ihr Vermuten, auf eine recht lustige Art. Sie trank mit mir Tee und konnte nicht lange hinter dem Berg halten, sondern fragte bald, was mir meine Frau Mutter geschrieben.

Ich gab ihr ganz freimütig zur Antwort:

›Dieses, daß sie, meine durchlauchten Eltern, mich zum Klosterleben bestimmt haben, hiermit tun sie mir nicht den geringsten Tort, weil ich von Jugend auf in meinem Herzen weit stärkeren Appetit zum Klosterleben als zum Heiraten verspürt, nur dieses ist mir einigermaßen empfindlich gewesen, daß sie mich listigerweise hereingebracht; jedoch ist es schon vergessen und vergeben, denn es sind meine Eltern. Leugnen kann ich nicht, daß der junge Graf von H.* mein Herz gewaltig bestürmt, ihn zu lieben, muß auch gestehen, daß ich ihm sehr gewogen bin, jedoch weil meine durchlauchten Eltern eine eheliche Verbindung mit ihm nicht für genehm halten, kann ich mir seine Person und alle Liebesgedanken ohne besonderen Kummer aus dem Sinn schlagen; ich glaube, er wird es auch mit leichter Mühe tun, weil wir sehr wenige und kurze Zeit miteinander umgegangen sind, zumalen wenn er mich nicht mehr sieht.‹

Die Äbtissin erstaunte über meine Gelassenheit, indem sie sich vorher eingebildet, daß sie mich in größter Verwirrung antreffen würde. Deswegen lobte sie meinen Vorsatz, in Meinung, daß sie mit der Zeit eine der vollkommensten Nonnen aus mir ziehen würde. Ich wurde aufs propreste traktiert und bedient, hatte auch in Wahrheit fast vergnügteren Zeitvertreib als an unserem Hof, bei welchem, wenn keine Fremden da waren, alles ganz still zuging. Unterdessen, ob ich meine Affekte gleich ungemein verbergen konnte, merkte ich dennoch bei mir selbst, daß ich den jungen Grafen, da ich das Glück nicht mehr hatte, ihn zu sehen, nunmehr erst recht vollkommen liebte.

Olympia hatte, ehe fünf oder sechs Tage vergingen, des Klostergärtners Frau mittels einiger kleiner Geschenke schon vollkommen auf ihre Seite gebracht, also beredete sie mich, daß ich folgenden Brief an den jungen Grafen aufsetzte:

Mein liebster Graf! Das Verhängnis hat nicht gewollt, daß unsere Liebe und geschworene Treue zur Vollkommenheit gedeihen sollen, deswegen hat es mich als eine Gefangene zwischen die Klostermauern geführt, ob ich nun gleich eben noch keinen besonderen Appetit zu dieser Lebensart bei mir verspüre, so sehe mich doch gezwungen, dem Verhängnisse stillzuhalten.

Vielleicht gibt mir der Himmel in Zukunft andere Gedanken ein, daß mir die Einsamkeit etwas süßer vorkommt. Ihnen hergegen wünsche ich alles vollkommene Vergnügen und glaube, daß sie selbiges bei einer von meinen Schwestern schon finden werden, weil das Glück mir abgünstig ist, Ihnen zuteil zu werden, da ich mir doch schon im Geist vorgebildet, bei Ihnen und Ihrer Gesellschaft ein Himmelreich auf Erden zu finden.

Es steht Ihnen frei, fernerweit an mich zu denken oder mich gänzlich zu vergessen, ich aber werde dennoch Ihre liebste Person sehr öfters in Gedanken küssen, mein unglückliches Schicksal in der Stille beklagen und auch in der Einsamkeit verbleiben, mein liebster Graf, Dero getreue Freundin.

Olympia approbierte dieses Schreiben, hatte aber wider mein Wissen noch eins von ihrer Hand beigelegt, dessen Inhalt ich nicht ausführlich weiß; es würde auch nur viel zu weitläufig fallen, alle Umstände zu erzählen, deswegen will mich der Kürze befleißigen.

Mein Herr Vater bleibt ganze acht Tage mit seinen Gästen und meinen Schwestern auf dem Lustschlosse, wo sie sich bald mit Jagen, bald mit Fischereien, bald auf andere Art die Zeit passieren. Meine Frau Mutter aber schickt einen Expressen dahin und läßt melden, daß zwar sie für ihre Person von der zugestoßenen Maladie wieder genesen, hergegen hätte ich einen desto gefährlicheren Zufall bekommen, so daß sie einen Medicus holen und mich unter der Aufsicht der Äbtissin im Kloster zurücklassen müssen. Sie aber hätte sich, um in der Nähe zu sein, wieder auf die gewöhnliche Residenz begeben. Der junge Graf glaubt dieses und ist meiner Maladie wegen sehr bekümmert; noch selbigen Abends aber, da er mit den Meinigen in unserem Residenzschlosse eingetroffen, werden ihm durch die listige Klostergärtnerin meine und Olympiens Briefe zupraktiziert, welcher er zu warten befehlen läßt und noch selbige Nacht folgende Antwortzeilen an mich zurückschreibt:

Durchlauchtigste Prinzessin, aller angenehmste Beherrscherin meines Herzens! Die erste Nachricht, daß Dieselben im Kloster von einer neuen Unpäßlichkeit überfallen worden, hat in meiner Brust eine solche schmerzliche Bangigkeit erweckt, daß ich fast nicht zu bleiben gewußt, mithin an den angestellten Lustbarkeiten den allergeringsten Teil nehmen können. In was für jämmerliche Bestürzung ich aber vollends durch Euer Durchlaucht an mich abgelassenes Schreiben gesetzt worden, kann kein Mensch begreifen, als ein solcher, der einstmals so heftig liebte, als ich Sie, meine Göttin, liebe. Nimmermehr ist es ein himmlisches Geschick zu nennen, daß Dero allerschönster Körper in den Klostermauern eingeschlossen sein soll! Sondern das ganze Werk ist von Neid und Mißgunst angesponnen worden. Dero durchlauchte Eltern wollen mir von ihren Prinzessinnen keine andere als die Älteste geben, allein, ob ich gleich an derselben Schönheit nichts auszusetzen habe, so bemerke doch, daß ihre Gemütsbeschaffenheit mit der meinigen nicht übereinstimmt. Demnach wäre keine gewissere Folgerung zu hoffen, als eine unvergnügte Ehe. Sind aber Eure Durchlaucht noch gesonnen, mir, Dero getreuestem Knecht, das getane Versprechen zu halten, so ist zu unserer Vereinigung kein anderes Mittel mehr übrig, als daß ich Anstalten mache, Dieselben aus dem Kloster zu entführen.

Es wird der Frau Olympia an guten Einschlägen nicht ermangeln, und meine Veranstaltungen sollen auch schon so eingerichtet werden, daß an einem glücklichen Ausgang der Sache nichts fehlt. Sind wir nur einmal auf kaiserlichem Grund und Boden, so wird unsere Sache bald gutgemacht werden, weil mein Herr Vater bei Ihro kaiserlichen Majestät in besonderen Gnaden steht, mithin Dero durchlauchten Eltern unseres vermeintlich begangenen Verbrechens halber gar leichtlich können ausgesöhnt werden. Eure Durchlaucht bitte aus untertänigst-getreuester Liebe, sich die Sache nicht zu schwer vorzustellen, sondern wenn dieselben mein Ihnen einzig und allein gewidmetes Leben erhalten wollen, diesen Vorschlag einzugehen und mir, je eher, je lieber, Zeit, Ort und Gelegenheit zu bestimmen, da ich denn unter dem Vorwand, mit Erlaubnis meines Herrn Vaters eine Reise nach Vicenza zu tun, nachher binnen wenigen Tagen dieses Dessein mit Beihilfe des Himmels glücklich auszuführen verhoffe, Dero überirdische Person in Freiheit und Sicherheit zu bringen, denn ich sonst ohne dieselbe als der allerunglückseligste und allerunvergnügteste Mensch leben müßte, wenn nicht der barmherzige Himmel mich durch einen baldigen Tod von der Welt abforderte. Ich wünsche, daß die Liebe bei Ihnen einen Vorspruch meinetwegen tun möge und beharre bis ins Grab, Euer Durchlaucht meiner himmlischen Prinzessin ewig Getreuer H.*

Ich war schwer an diese Sache zu bringen, weil jedoch nicht nur Olympia mir alles ganz leicht machte, sondern auch die große Liebe, die ich gegen den Grafen trug, mich anreizte, meine Person ihm in die Hände zu spielen, ward vermittels fernerem Briefwechsel die Sache dergestalt eingerichtet, daß der junge Graf mit einer zugemachten Chaise und guter Begleitung in einer dazu bestimmten Nacht außerhalb der Klostermauern, die gegen Abend stoßen, ankommen und sowohl mich als die Olympia hinwegholen sollte.

Der Ausgang war uns sehr leicht, denn Olympia hatte die Schlüssel zu den großen eisernen Gartentüren durch den Gärtner in Wachs abdrücken und also Nachschlüssel verfertigen lassen. Wir kamen also eine Stunde nach Mitternacht glücklich hinaus, der Gärtner schloß hinter uns wieder zu, und wir trafen den jungen Grafen mit fünf anderen Personen und einem Wagen an, in welchen er mich nebst Olympien hob und schnell fortfahren ließ, er aber und seine Gefährten begleiteten den Wagen zu Pferde.«


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