Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Solchergestalt hatte sich nun Merillo das gestörte Liebesvergnügen bei Rosinde gar nicht gereuen lassen, dieses arme Mädchen aber hat selbige Nacht ihre heiße Liebesglut in einem kalten Gewölbe abkühlen müssen; folgenden Morgens aber ist sie in einen zugemachten Wagen gesetzt und sechzehn Meilen von dannen zu den Ihrigen geführt worden, weswegen denn Merillo dieselbe nach der Zeit nicht wieder zu sehen bekommen.

Livicarda lebte, wie ich bereits gemeldet, als eine Witwe, indem ihr Gemahl, mit dem sie kaum zwei Jahre in einer sehr vergnügten Ehe gelebt, an einem Blutsturz nur etwa vor einem halben Jahr plötzlich gestorben war. Sie war sehr schön, ihres Alters ungefähr einundzwanzig bis zweiundzwanzig Jahre, dabei stark bemittelt; es hatten sich zwar schon verschiedene Freier bei ihr antragen lassen; allein, sie mochte bei jedem etwas auszusetzen haben, indem sie sehr eigensinnig war; weil sie jedoch sehr propre und delikat lebte, konnten die wollüstigen Liebestriebe wohl unmöglich außenbleiben, deswegen suchte sie sich insgeheim zu vergnügen; vor den Leuten aber wußte sie sich dergestalt zu verstellen, daß man hätte glauben sollen, es wäre ihr an nichts weniger als an dem Venusspiele gelegen, wie sie denn auch noch niemals gesegneten Leibes gewesen war; allein, die öfteren Umarmungen des munteren Merillo verursachten, daß sie binnen wenigen Wochen bei sich verspürte, wie sie zwei Lebern im Leibe hätte.

Es stiegen ihr deswegen verschiedene Grillen in den Kopf, doch alles dieses gibt der Liebe zu dem Merillo nicht den geringsten Stoß, welches er daraus abmerken konnte, da sie ihm immer eine starke Geldsumme über die andere in die Taschen steckte, welches er denn nicht übel anlegte, sondern vermittels desselben erst die Fähnrichs- und etwa drei oder vier Monate hernach die Leutnantsstelle erhielt, auch einen kavaliermäßigen Staat führte.

Mittlerweile wird ihrer beider Liebe und die nächtlichen Zusammenkünfte dergestalt geheim praktiziert, daß kein Mensch das geringste davon erfährt; da aber die Zeit ihrer Niederkunft immer näher herbeikommt, tritt sie eine Reise in ein anderes Königreich an. Merillo erlangt zu gleicher Zeit Urlaub, auf etliche Monate in seine Heimat zu reisen, also kommen sie beide an einem bestimmten Ort zusammen, wo Livicarda ihre Bagage und übrigen Bedienten zurückläßt, weiter aber niemand mit sich nimmt als eine einzige vertraute Frau und ein getreues Mädchen, die von Jugend auf bei ihr erzogen worden.

Merillo, der sich Wagen und Pferde, ingleichen zwei fremde Bediente angeschafft, führt sie also etliche fünfzig Meilen weit in das fremde Land hinein, solange bis der junge Merillo sich zu stark regt und das fernere Reisen verhindert.

Indem sich nun beide Verliebte für ein Paar Eheleute ausgeben, wird das Kind, nachdem es frisch und gesund zur Welt gekommen, in einem Dorf getauft. Livicarda pflegt daselbst drei bis vier Wochen ihre Gesundheit, nach diesen lassen sie die alte Frau mit dem Kind in besagtem Dorf und begeben sich wieder auf die Rückreise.

Merillo begleitet sie bis nahe an den Ort, wo sie ihre Suite zurückgelassen, sodann geht er, genommener Abrede nach, abermals zurück und nimmt das Kind nebst der alten Frau und einer tüchtigen Amme mit sich nach Deutschland, bringt es zu guten Leuten zur Auferziehung, mit dem Begehren, daß es als ein adeliges Kind traktiert und besorgt werden solle; hierzu deponiert er vorerst fünfhundert Taler, indem er von Livicarda noch einmal soviel empfangen hatte, und verlangt, daß man ihm wenigstens alle Monate einmal von des Kindes Zustand Rapport abstatten soll.

Seinen Eltern gibt er bei dieser Gelegenheit auch eine Visite, sagt ihnen aber von der Vermehrung ihres Geschlechtes nicht das geringste; da aber dieselben sich über sein jähes Avancement zum höchsten verwundern, gibt er bei ihnen vor, er sei einmal des Nachts von einem Gespenst aufgeweckt worden, welches ihm anbefohlen, gleich aufzustehen und mitzugehen, weil er in dieser Nacht denjenigen Schatz heben könne, welcher ihm beschert sei, widrigenfalls würde dieser Schatz nach sieben Jahren einem anderen zuteil werden. Er als Soldat habe demnach das Herz gefaßt und wäre dem Gespenst gefolgt, welches ihm den Schatz frei und sicher heben und hinwegtragen lassen, auch weiter nichts von ihm verlangt, als daß er jährlich auf diesen Tag, zum Gedächtnis des gehobenen Schatzes, sein Hemd ausziehen und dasselbe einem armen Menschen geben solle.

Ich weiß nicht mehr zu sagen«, sprach hier der Leutnant, »was er seinen Eltern und Befreunden noch mehr für Wind vorgemacht, denn es fehlte ihm niemals an geschickten Einfällen. Er läßt aber ein gutes Stück Geld selbst zu Hause, wogegen ihm liegende Güter verschrieben werden, den usum fructum aber schenkt er seinen Eltern, bis er nach gebüßter Soldatenlust wieder nach Hause käme.

Nachdem er nun die Sachen in seiner Heimat gehörig eingerichtet, verkaufte er die Kutsche und die Pferde bis auf drei tüchtige Reiterklepper, gab den ausländischen Bedienten eine raisonable Belohnung, schenkte ihnen die Livree, die sie nur wenige Wochen getragen, mit auf den Weg, nahm sich einen Reitknecht aus seiner Vaterstadt an, der ihn zugleich als Lakai bedienen konnte, und reiste, nachdem seine Urlaubszeit beinahe verflossen war, wieder zum Regiment.

Das Liebesspiel mit Livicarda fing er also aufs neue an, jedoch muß er auf ihr banges Zureden mehr Behutsamkeit als anfänglich gebrauchen, weilen ihr ungelegen, dergleichen Fatiguen so bald wieder auszustehen und einen solchen Hazard zu wagen, der vielleicht nicht so glücklich ausschlagen dürfte als der erste. Solchergestalt war nun Livicardas Trauerzeit, und zwar noch ein großer Teil drüber, auf eine ganz plaisante Art verbracht. Es melden sich zwar, wie schon gedacht, verschiedene standesmäßige Freier, es muß aber einer nach dem anderen mit einem Korb abziehen, weil sie vielleicht von keinem unter allen vermuten können, daß er so geschickt sei, sie zu vergnügen, als Merillo.

Endlich kommt ein junger feiner Herr namens Ch.* mit seiner Werbung bei Livicarda angestochen, zu diesem bekommt dieselbe Appetit, weil er dem Merillo an Jahren, Gestalt und galantem Wesen ziemlich zu gleichen geschienen, an Reichtum aber übertraf er fast die Livicarda selbst; allein, sie will dennoch nicht eher zuschlagen, bis sie vorher ihren Trampelgalan mit guter Manier abgeschafft hat.

Merillo, welcher zwar vor wie nach seine Aufwartung noch bei Livicarda machen muß, merkt jedoch gar bald, daß er, nur um ihre Brunst zu löschen, Notknecht sein müsse, indem er nicht des zehnten Teils mehr so zärtlich traktiert und karessiert wird als vorher. Deswegen fängt er an, sich einigermaßen über ihre Kaltsinnigkeit zu beklagen und ihr vorzurücken, daß sie vielleicht seiner überdrüssig sein müsse, indem sie gemeiniglich nach vollbrachtem Liebesspiel einen besonderen Ekel gegen seine Person spüren ließ; worauf Livicarda freimütig bekennt, daß sowohl das Staats- als ihr eigenes Interesse erforderte, die Anwerbung des Herrn G. von Ch.* nicht auszuschlagen, sondern ihm die eheliche Hand zu geben; deswegen würde er, Merillo, sie nicht verdenken, wenn sie sich gewöhnen müßte, sich seiner nach und nach zu enthalten; inzwischen würde sie das mit ihm genossene Liebesvergnügen beständig in geneigtem Andenken behalten und allezeit eine gute Freundin von ihm verbleiben.

›Wohl gut, Madame!‹ sagt Merillo mit einer etwas ernsthaften Stimme und Miene, ›ich muß mir gefallen lassen, meine Glückseligkeit und Vergnügen, zu welchem ich plötzlich und unverhofft gelangt, auch plötzlich und unverhofft wiederum zu quittieren, schätze mich auch verbunden, für Dero Interesse mehr als mein Vergnügen aufzuopfern und bin bereit, das letzte Adieu von Ihnen zu nehmen; doch bitte nur vorher von Ihnen Ordre aus, ob die Frucht Ihres Leibes zum bürgerlichen oder adeligen Stande erzogen werden soll.‹

Sie läßt durch Gebärden nicht undeutlich spüren, daß sie sich über diese Reden alteriert, geht aber, nachdem sie ihn noch ein wenig warten heißen, in ein Nebenzimmer und kommt erst nach Verlauf einer halben Stunde wieder zurück. Da sie denn mit einer negligenten Miene zu ihm spricht:

›Ich bin jetzt nicht im Stande, Euch zu kontentieren. Geht diesesmal hin, ich will Euch bei nächster Zusammenkunft in allem Satisfaktion geben.‹

Er macht sein Kompliment und geht ziemlich trotzig seiner Wege, ist aber kaum drei oder vier Schritte von der Gartentür hinweg, als er in der dicken Finsternis, und zwar in einem Tempo, zwei Stiche, einen von vorne in die rechte Schulter, den anderen durch die linke Weiche bekommt. Er tut einen Sprung auf die Seite, zieht seinen Degen, um bei weiterer Attacke einen seiner Feinde mit in den Tod zu nehmen, da er aber vermerkt, daß dieselben davonlaufen, hält er es nicht für ratsam, größeren Lärm zu machen, sondern schleicht in aller Stille nach seinem Quartier, läßt einen Feldscher kommen und sich verbinden.

Etliche Tage sah es sehr schlimm mit ihm aus; jedoch weil keine Hauptteile im Unterleib verletzt waren, wurde er in wenigen Wochen vollkommen restituiert.

Inmittels erfuhr er, daß Livicarda ehesten Tages mit dem G. von Ch.* Beilager halten würde, deswegen trieb ihn der heftige Kummer an, folgende Zeilen an Livicarda zu schreiben:

Geht diesesmal hin, ich will Euch bei nächster Zusammenkunft in allen Satisfaktion geben.

Madame!

Dieses waren die letzten Worte, so ich neulich von einer vornehmen Dame hören mußte, die mich ehedem sehr öfters kommen, aber niemals weggehen heißen.

Doch Glück, Glas und die Liebe eines vornehmen Frauenzimmers gegen eine Mannsperson geringeren Standes zerbricht gar leicht, und also bewundere ich nichts, als daß Dero heftige Brunst von so langer Dauer sein und durch mein unermüdetes Bemühen nicht eher als jetzt gelöscht worden.

Jedoch, was will ich von Löschen sagen, da vielleicht die Glut dermalen durch den Anblick eines vierschrötigen Landsmannes noch heftiger angeblasen worden, von welchem etwa präsumiert wird, daß er seine Rebus besser machen werde als ein politer Deutscher.

Demnach verwundere ich mich auch nicht, daß ich meinen Abschied von Ihnen bekommen; nur wundert mich, daß, da beschlossen gewesen, mir das Lebenslicht ausblasen zu lassen, Sie keine geschickteren Meuchelmörder, sondern solch feige Kanaillen choisiert haben, welche die rechten Fleckchen nicht zu treffen gewußt, sondern, nachdem sie ihre Stöße mit selbsteigener Angst und Zittern angebracht, sich, sobald sie nur meinen Degen aus der Scheide fahren hörten, auf die Flucht begaben. War denn etwa dieses, Madame, die versprochene Satisfaktion? Sollte dieses der Rekompens für meine oft über die Gebühr angespannten Kräfte sein? Sollte solchergestalt das kostbare Geheimnis erstickt und keinem Menschen kundgemacht werden, ob der arme kleine Livicardomarillus vom Himmel gefallen oder hinter dem Zaun gefunden sei, mithin dieses unschuldige Kind zu einer Waisen gemacht werden?

Ja, ja! Ich besinne mich, die Staatsraison hat solches absolutement erfordert. Doch nein, Madame, das Militärleben ist vermögend, einem bürgerlichen Körper ein adeliges Herz einzupfropfen; ob es aber zwar gleich keine Heldentat ist, dergleichen Cameralia, als wir eine Zeit dabei miteinander traktiert, auszuplaudern, so wird doch hoffentlich die galante Welt, in Betrachtung meiner ausgestandenen Fatiguen, mir nicht verdenken, wenn ich auf Mittel sinne, meinen Hohn zu rächen; welches wohl ich unterlassen, wenn man nicht versucht hätte, mich auf eine so liederliche Art ums Leben zu bringen.

Demnach kündige ich Ihnen, Madame, meine vorgesetzte Rache an, wobei ich meinen Körper tausend Gefährlichkeiten exponiere, jedoch garantiere, daß, ob auch mein Körper in tausend Stücke zerteilt würde, dennoch keine menschliche Gewalt vermögend sein soll, die Publikation des Geheimnisses zu verhindern, welches zur Zeit noch meines Wissens niemandem als uns beiden bekannt ist, denn es liegt bereits mit allen akkuraten Umständen, der ganzen Welt zur Nachricht aufgeschrieben, an einem sicheren Ort, welches ich darum getan habe, weil ich nicht weiß, ob ich vor meinem Ende noch im Stande sein möchte, solches mündlich publik zu machen.

Zwar glaube ich nicht, daß mein vertrauter Umgang mit Ihnen Dero hohem Stande eben so gar sehr despektierlich sein kann, weil ein braver Soldat ebensowohl von Adam und Eva herstammt als eine Staatsdame hiesigen Landes.

Vielleicht ist auch der Herr G. von Ch.* eben so ekel nicht, daß er nach Vernehmung dieser Liebesbegebenheit, Dieselben nicht ebenso feurig, als Sie sich unfehlbar schon im Geiste vorstellen, embrassieren sollte, wo er ja die Probe nicht bereits abgelegt. Dem sei aber wie ihm sei, so will doch ich erst eine mit Pulver, Blei und Blut geschriebene Protestation wider das fernere Verfahren einlegen, um wegen meines meuchelmörderischerweise abgezapften, unschuldigen Blutes Revanche zu nehmen. Solches meldet Ihnen zur dienstlichen Nachricht der beherzte Merillo.«

»Man muß bekennen«, sagte ein dabeisitzender Offizier, »daß dergleichen Schreiben vermögend ist, entweder ein Frauenzimmer in Furcht oder wohl gar in die ärgste Desperation zu setzen.«

»Bei Livicarda«, versetzte der erzählende Leutnant, »mag sich unfehlbar beides ereignen, jedoch sie bedient sich der Verstellung; denn da Merillo eines Tages auf dem großen Platze vor ihrem Palais herumspaziert und wegen seiner in den Gurt gesteckten Pistolen mutmaßen läßt, als ob er auf dem G. v. Ch.*, der eben damals von Livicarda traktiert wurde, lauerte, schickt sie eine ihrer Getreuen an ihn ab, läßt ihm eine ziemliche Summe Geldes bieten, wenn er sie ferner ungekränkt lassen und sich gar von dannen hinweg in andere Dienste begeben wolle; anbei läßt sie versprechen, sich noch selbigen Abends in einem Schreiben wegen des auf sie gelegten Verdachts, den Meuchelmord betreffend, zu entschuldigen, und ihm bessere als vermeinte Satisfaktion zu geben.

Dieser stellt sich anfänglich ziemlich spröde, weil aber dennoch seine Absichten bloß allein auf das Geld gerichtet sind, verspricht er endlich, die Satisfaktionspunkte in seinem Quartier zu erwarten, begibt sich also, nachdem er vor Livicardas Palais ein Pistol in die Luft geschossen, in sein Quartier.

Von ungefähr fügte sichs, daß ich nebst noch einem Offizier durch solche Straße spazierte, weil wir nun den Merillo im Fenster gucken sahen und wußten, daß er öfters lieber ein paar gute Freunde auf der Stube hatte, als in starke Kompanien ging, trafen ihn aber sehr konsterniert und kaltsinnig an. Doch weil sich bekannte Offiziere untereinander nicht viel hieran zu kehren pflegen, so machten wir beide auch diesmal uns keine Sorge daraus, setzen uns nieder, spielten ein l'Hombre und rauchten eine Pfeife Tabak dabei. Merillo stellte sich, da es Abend zu werden begann, etwas unpäßlich und schläfrig an, allein, mein Kamerad, der etwas lustigen Geistes war, sagte:

›Herr Bruder! Du magst im Ernst krank oder schläfrig sein, so gehe ich doch vor Mitternacht nicht vom Fleck.‹

Wie er demnach sah, daß es nicht anders war, stellte er sich etwas aufgeräumter. Ungefähr um zehn Uhr nachts aber kam sein Bedienter und meldete, daß zwei Personen da wären, welche etwas an ihn zu überbringen hätten. Deswegen sprach Merillo zu mir:

›Messieurs, seid von der Güte, nehmt ein Licht und geht nur auf einige Minuten in dieses Nebenzimmer, weil ich nur noch etwas zu negotiieren habe, wovon ich Euch nachher Part geben will.‹ Wir weigerten uns nicht, dieses zu tun; weil ich aber neugierig war zu sehen, was passierte, guckte ich durch das Schlüsselloch und wurde gewahr, daß sein Diener zwei Weibspersonen hineinbrachte, von welchen die eine einen schwer angefüllten Korb trug und von einer sogenannten wohlbewußten Person einen Gruß wie auch ein Schreiben brachte, anbei den Merillo bat, er möchte von der Güte sein und seinen Diener bis an die Ecke der Straße gegen den Markt zu schicken, weil zwei Weiber unterwegs wären, die das Beste trügen, sich aber vielleicht verirren könnten; dieser schickte also seinen Diener mit der Laterne fort, trat zum Licht und erbrach den empfangenen Brief; inmittels half eine der anderen, den Korb auf die Erde zu setzen, welcher, wie wir hernach befanden, mit etlichen wohlversiegelten Kästlein, worin lauter Sand befindlich, unten aber mit Steinen beschwert war. Da dieses geschehen, zogen sie eine seidene starke Schlinge hervor, warfen dieselbe dem Merillo mit größter Geschwindigkeit über den Kopf um den Hals, rissen ihn zu Boden, so daß er sich kaum regen, vielweniger um Hilfe rufen konnte.

Es ist leicht zu erachten, daß mein Kamerad und ich nicht lange gezaudert haben, dem ehrlichen Merillo in seinen Todesnöten beizuspringen. Ich kam eben noch zur rechten Zeit, demjenigen Stoße Einhalt zu tun, welchen die eine Verteufelte mit einem Dolch in seine Brust tun wollte; indem ich nun bemüht war, dieselbe zu entwaffnen, wollte mein Kamerad dem gurgelnden Merillo die Schlinge vom Hals machen, bekam aber darüber von der anderen Bestie einen Dolchstich ins Gesäß und hatte also Ursache, dem Himmel zu danken, daß sie seines hohlen Leibes verfehlt. Ich wurde es sobald als er selbst gewahr, zog deswegen sofort meinen Degen und hieb ihr die Hand, worin sie den Dolch führte, vom Leib, so daß beides zu ihren Füßen fiel. Der anderen setzte ich gleichfalls etlichemal über den Kopf, ins Gesicht und über die Hände. Da nun mittlerweile mein Kamerad dem ehrlichen Merillo die Schlinge abgemacht und es dahin gebracht, daß er wieder Luft schöpfen und die Augen öffnen konnte, stießen wir beide Kanaillen zu Boden, banden ihnen selbst Hände und Füße so fest als möglich zusammen, befanden aber, daß das eine zwar eine Weibs-, das andere aber eine Mannsperson war.

Wir ließen die beiden Mordbestien liegen und strampeln, den ohnmächtigen Merillo aber trugen wir auf sein Feldbette, da ihn denn mein Kamerad den Hals und das Gesicht mit Franzbranntwein rieb, dessen er kaum eine halbe Stunde vorher eine ganze Bouteille voll holen lassen; ich aber trat an ein Fenster und rief dessen ausgeschickten Diener mit lauter Stimme, allein, ich hätte lange rufen mögen, denn derselbe war ebenfalls von etlichen Straßenräubern überfallen, zu allem Glück aber von der dazukommenden Patrouille noch errettet und in die Corps de Garde gebracht worden.

Solches erfuhren wir von einem die Wacht habenden Soldaten, welchem ich befahl, daß er augenblicklich einen von seinen Kameraden, den nächsten, den liebsten, aufsuchen und ihn sogleich zu uns schicken sollte: Es währte keine drei Minuten, so stellte sich einer ein, dem wir ein Paar geladene Pistolen gaben, um dafern er etwa auf der Straße von Mördern angegriffen würde, sich damit zu wehren, nur aber ohne Zeitverlust einen Feldscher herzubringen.

Er kam nebst dem Feldscher eiligst wieder, demnach wurde dem ehrlichen Merillo vor allen anderen Dingen eine Ader geschlagen und etwas Arznei eingeflößt, worauf er sich wieder besinnen, auch einige Worte sprechen konnte. Mein Kamerad ließ sich auch nach seiner Wunde sehen, es wurde aber dieselbe wohl etwas tief, aber doch nicht gefährlich befunden.

Die beiden Meuchelmörder wurden gleichfalls verbunden, und unser Soldat mußte sie bewachen, der Feldscher aber und ich bewachten unsere beiden Patienten, welche wir in das Nebenzimmer zur Ruhe gebracht hatten.

Frühmorgens befand sich unser Merillo ziemlich besser, da aber der Feldscher weggegangen war, um einige Medikamente zu holen, dankte er uns aufs verbindlichste für die Rettung seines Lebens, sagte anbei, wir, seine Schutzengel, müßten gewiß durch eine besonders gnädige Fügung des Himmels ihm zugeschickt worden sein, da er doch nicht leugnen könnte, daß er gestrigen Abend wegen ein und anderer Grillen lieber allein zu sein gewünscht; wo er aber allein gewesen, würde er sich nunmehr unfehlbar schon im Reich der Toten befinden. Nach diesem, weil er merkte, daß aus dem gefundenen und mit Livicardas Namen unterschriebenen Brief uns ein und anderes von seinen Liebeshändeln müsse bekanntworden sein (denn ungeachtet dieser Brief, unter dessen Durchlesung ihm die Kehle bald zugeschnürt worden war, ziemlich mit Blut besudelt, er doch noch ziemlich leserlich), so erzählte er uns Verschiedenes von seinen Aventuren, bat sich aber hierbei noch zur Zeit unsere Verschwiegenheit aus und versprach dagegen, für redlich geleistete Hilfe und Lebensrettung uns eine ansehnliche Diskretion zu verschaffen.«

»Ei, Herr Leutnant!« fragte der Obriste Svv., »wie lautet denn der an Merillo von Livicarda geschriebene Brief ungefähr?«

»Ich habe denselben«, versetzte der Leutnant, »gleich in der ersten Nacht abgeschrieben, sowohl als die anderen, welche mir Merillo kommuniziert und dabei erlaubt hat, seine Aventuren, die er mir nachher weit umständlicher erzählt, in bisheriger Form zu Papier zu bringen.

Livicardas Brief aber, den ich noch jetzt in meiner Brieftasche bei mir führe, klingt also:

Mein Merillo!

Ihr glaubt, daß ich Euch geliebt habe, daß ich Euch aber noch liebe, wollt Ihr nicht glauben; allein, ich versichere Euch dessen vollkommen, ja, ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß ich alle Staatsmaximen verdammen und niemand auf der Welt lieber als Euch zum Ehegemahl haben wollte. Doch wo Ihr vernünftig seid, so erwägt selbst, daß die rasende Wut meiner Landsleute uns alle beide nicht einen Monat lang würde leben lassen. Wie könnt Ihr nun verlangen, daß ich meine zeitliche Glückseligkeit, ja, sogar mein Leben in die Schanze schlagen und an Eurem und meinem Tod Ursächerin sein sollte? Zwar, wie ich aus Eurem Schreiben ersehe, so steht Ihr bereits in den Gedanken, als ob ich die Bosheit begangen und einen meuchelmörderischen Anschlag auf Euer Leben gemacht; allein, mein Gewissen ist von dieser Sünde frei. Ich glaube wohl, daß Euch jemand bei meinem Garten mag aufgepaßt haben, denn die Bangigkeit meines Herzens und das auf derselben Stelle gefundene frische Blut, sodann die Nachricht, daß Ihr Euch unpaß befändet, überzeugten mich, daß Euch ein Unglück widerfahren sein müsse; ich konnte aber keine genauere Nachricht davon einziehen, weil man mir sagte, daß Ihr Tag und Nacht gute Freunde bei Euch hättet; unterdessen, weil ich an Eurem Unglück unschuldig, so hat Euer auf mich gelegter Verdacht mir wohl mehr Tränen, als Euch der Mörderstahl Blutstropfen ausgepreßt.

Hierbei bin ich auf die Gedanken geraten, ob etwa einer von meinen Freiern einen von meinen Bedienten mit Geld bestochen und zur Untreue bewogen, mithin einige Nachricht von unseren geheimen Zusammenkünften erfahren und Euch also auf den Dienst gelauert. Ihr seht also, daß die Gefahr für uns beiderseits sehr groß ist, deswegen handelt klug, nehmt von mir sechstausend Taler bar Geld, verlaßt diesen fatalen Ort, geht auf eine Zeit in andere Dienste und macht damit für diesesmal mich ruhig, Euch aber glücklich und vergnügt. Ja, mein Merillo, folgt mir und entfernt Euch auf diesmal, was Euch hinfort mangeln möchte, sollt Ihr jederzeit per Wechsel von mir zu gewarten haben; denn Livicarda wird Euch nebst ihrem eigenen Fleisch und Blut nimmermehr Not leiden lassen.

Nach einigen Jahren ist Euch die Zurückkunft unverwehrt, ja, Ihr könnt sodann Euer Vergnügen vielleicht in reicherem Maße wiederfinden als jetzt, da Ihr es für verloren schätzt.

Folgt mir jetzt, mein Merillo, denn Euer und mein Glück beruht darauf; bleibt auch versichert, daß ungeachtet ihrer Vermählung mit einem anderen Euch dennoch bis in den Tod beständig lieben wird

L. v. c. A.*.

Es ist erstaunlich, wenn man das verzweifelte Gemüt einer solchen falschen Sirene betrachtet, welche zwar Honig im Munde, Strick und Dolch aber in Händen führt. Wenn ich an des Merillo Stelle gewesen wäre, so hätte mich der Jähzorn ohne allen Zweifel dahin verleitet, Livicarda auf ihrem Zimmer zu erschießen oder sie aufs wenigste vor aller Welt zu prostituieren. Doch dieser hatte sich von der gesunden Vernunft und seinem eigenen Interesse regieren lassen, setzte demnach folgendes Schreiben an sie auf:

Tyrannische Dame!
Gestrenge Gebieterin der Henker und Meuchelmörder!

Wisset, daß Euer verteufelter Anschlag, mich von zwei verkleideten Furien (wovon Ihr unfehlbar die dritte seid) mit Strick und Dolch ums Leben bringen zu lassen, durch Schickung des Himmels abermals rückgängig worden und nicht nach Eurem Wunsch abgelaufen ist; denn Merillo lebt noch, ungeachtet ihm der Hals bereits zugeschnürt und alle Gedanken vergangen waren. Ja, er lebt noch, und vielleicht zu Eurem Unglück, wenigstens Spott, Hohn und Verachtung bei der honetten Welt.

Wisset ferner, daß, wo Ihr mir nicht heutigen Tages, vor Untergang der Sonne, sechstausend Taler zu meiner Rekreation und zur Auferziehung Eures zur Welt gebrachten unehelichen Kindes, nächst diesen tausend Talern für vier Personen, welche mir mein Leben errettet und um diese Begebenheit Wissenschaft haben, in mein Quartier hierher sendet, so will ich die in meiner Gewalt habenden Meuchelmörder morgen mit dem allerfrühesten in die Hände der Justiz liefern und, nebst Eingebung einer ordentlichen Specie facti, der kuriosen Welt solche Geheimnisse vor Augen legen, die sich der tausendste Mensch von einer solchen Person, wie Ihr angesehen sein wollt, wohl schwerlich hätte träumen lassen.

Bekomme ich aber das Verlangte ungesäumt, so soll nicht allein alles, was geschehen, unterdrückt und verschwiegen bleiben, sondern es sollen auch die zwei gefangenen Mörder an Euch ausgeliefert werden. Nehmt es als eine besondere Marke meiner ehemaligen Liebe und noch jetzigen Höflichkeit und Gelassenheit an, daß ich mich den Jähzorn nicht verleiten lasse, anders zu verfahren. Überlegt Eure Affären aufs beste, inzwischen wird seine Aventage auch zu überlegen bemüht sein

Merillo.

Diese Zeilen lieferte ich auf des Merillo Bitten Livicarda in ihre eigenen Hände, sie erbrach dieselben und wendete sich damit an ein Fenster. Ungeachtet ich ihr nun nicht ins Gesicht sehen konnte, so bemerkte ich doch, daß sie unter dem Lesen recht erzitterte und eine gute Weile als eine Statue auf einer Stelle stehenblieb, endlich besann sie sich wieder, wendete sich herum, sah so blaß aus als eine Leiche und sagte zu mir:

›Monsieur! Weil ich nicht zweifle, daß Sie ein vertrauter Freund von dem Herrn Leutnant Merillo sind, so bitte ich, ihm von meinetwegen zu melden, daß es zwar einen starken Schein habe, als ob ich an dem ihm begegneten Zufall Schuld habe, allein, es ist nicht an dem, sondern ich bin unschuldig und will mich schriftlich deutlicher erklären, auch heute abend, sobald es dämmerig wird, dasjenige übersenden, was er verlangt hat, wogegen ich verhoffe, daß er als ein redlicher Offizier seine Parole halten werde.‹

Wie sie nun Miene machte, sich in ihr Kabinett zu begeben, versprach ich, Dero Befehle wohl auszurichten, machte meinen tres humble und brachte dem Merillo die fröhliche Post zurück. Livicarda hielt ihr Wort redlich, denn sobald es abends dämmerig zu werden begann, meldeten sich zwei Personen, die eine Sänfte mit sich gebracht hatten, lieferten in sieben Säcken siebentausend Taler an Merillo, welcher die Säcke sogleich aufschnitt, um zu sehen, ob nicht abermals ein Betrug darunter vorginge; mittlerweile standen unsere vier Personen bei einem Tisch, worauf sechs Paar geladene Pistolen und vier Pallasche lagen; da aber Merillo merkte, daß alles richtig sein und die Summe wohl zutreffen würde, ließ er die zwei blessierten Arrestanten verabfolgen, welche in die Sänfte gelegt und fortgetragen wurden, ohne daß weiter jemand etwas von der Hauptsache gemerkt hätte, denn Merillo bewohnte sein Quartier ganz allein mit seinem Bedienten.

Den Brief, welchen er nebst der Geldsumme von Livicarda empfangen, hat er mir nicht gezeigt, doch merkte ich, daß sich sein Zorn gegen dieselbe ziemlich gelegt hatte; denn er ließ sich verlauten, wie er sich nicht genug verwundern könne, daß Livicarda ein so großes Vertrauen auf seine Parole gelegt, und er schlösse fast aus gewissen Umständen, daß sie an der Meuchelmörderei keinen Teil habe; deswegen bat er mich und meinen Kameraden höflich, alles das, was er uns von seinen Liebesaventuren erzählt, sowohl als alles dasjenige, was in vergangener Nacht und heute passiert, verschwiegen zu halten, damit weder er noch Livicarda prostituiert und auf der Leute Zungen herumtanzen müßten.

Wir gelobten ihm demnach nicht nur auf Offiziersparole das Stillschweigen an, sondern verschwuren uns auch teuer, weder zu seinem noch Livicardas Verdruß etwas auszuplaudern, und obgleich ich jetzt diese Geschichte erzählt habe, so wird doch von Ihnen, Messieurs, wohl keiner erraten, was eigentlich für Personen unter den fingierten Namen gemeint sein.

Jedoch, zum Schluß meiner Erzählung zu kommen, so muß ich bekennen, daß Merillo so liberal war und uns beiden Offizieren jeden fünfhundert Taler für unsere gehabte Bemühung aufzwang. Dem Feldscher gab er zweihundert, dem Musketier aber wie auch seinem eigenen Bedienten jedem hundert Taler, welche drei letzteren in unserem Beisein einen ordentlichen Eid schwören mußten, von dieser Begebenheit und alledem, was sie gesehen und gehört, nichts auszuplaudern.

Mein Kamerad und ich blieben noch einige Tage bei ihm, ausgenommen, wenn mich die Wache traf, brachten auch auf des Merillo Verlangen verschiedene andere Offiziere mit, die ihm, weil er wirklich vom Schrecken noch etwas unpaß war, die Zeit passieren mußten. Ferner hielt er alle Nacht vier bis sechs Musketiere von der Kompanie, bei welcher sein Hauptmann damals nicht gegenwärtig war, in der unteren Stube seines Quartiers mit Essen und Trinken frei, welche die Nachtwache mit ihrem Gewehr bei ihm halten mußten, indem er sich immer noch eines meuchelmörderischen Überfalls befürchten mochte. Sobald aber sein Kapitän wieder zur Kompanie kam, nahm Merillo abermals Urlaub zu verreisen, ließ seine beschwerliche Bagage in meiner Verwahrung und machte sich mit einer Extrapost aufs eiligste fort. Wenige Wochen hernach kamen Briefe von ihm, worin er bei dem Chef um seinen Abschied anhielt, welchen er auch bald hernach bekam.

Nach diesem habe ich zwar den ehrlichen Merillo nicht wieder gesprochen noch gesehen, jedoch vernommen, daß, nachdem er bei einer nordischen Macht Dienste genommen und sich in ein paar Schlachten wohl gehalten, er nunmehr den Obristleutnantsposten erstiegen; ich aber bin immer noch Leutnant« meldete hier der Historikus mit Lächeln, »das macht, weil ich kein Geld, mithin nur einen Sack voll Hoffnung habe, mit der Zeit, wenn es einmal buntüber geht, höher zu steigen.

Unterdessen sieht man doch, wie das Glück mit dem Menschen zu spielen pflegt; denn hätte Merillo bei dem Frauenzimmer keine Goldgrube gefunden, was gilts? Er sollte mir wohl noch bis auf diese Stunde Korporal, wenn es viel wäre, Fourier oder höchstens Sergeant sein.«

Wie nun der Leutnant hiermit seine Erzählung beschlossen hatte, sagte ein gewisser, zwar noch junger, jedoch sehr artiger und geschickter Kapitän:

»Ich gebe dem Herrn Leutnant in seiner Meinung gar gern Beifall; für mein Partikulier aber danke ich für dergleichen Behelfsmittel, und ich wollte lieber zeitlebens Musketier sein, als solchergestalt avancieren. Es ist doch kein Segen und Gewissensruhe dabei. Wie kann ein Offizier, der sein Herz mehr der Veneri als dem Marti gewidmet, seine Dienste mit Pläsier verrichten? Wie kann er mit freiem und sicherem Herzen in eine Bataille oder Sturm gehen? Gewißlich, ein Soldat, der sein Herz erst an das Frauenzimmer hängt, wird feige gemacht, und wenn er gleich noch soviel Gutes an sich hat. Man sage mir, ob dergleichen Courtoisie reputierlich, im Gegenteil aber nicht vielmehr höchst schädlich und sündlich sei?

Überdies sieht man sich dabei sehr öfters solchen Gefährlichkeiten exponiert, die vermögend sind, auch den wackersten Soldaten um Ehre und Leben, ja, was das vornehmste ist, gar um seiner Seelen Seligkeit zu bringen.

Wo wäre Merillo wohl hingefallen, wenn die beiden Meuchelmörder nicht von dem Herrn Leutnant und dessen Kompagnon wären verhindert worden, ihn mit der Schlinge und dem Dolch ums Leben zu bringen?«

»Wenn man dieses bedenkt«, versetzte der Leutnant, »so sollte einem freilich wohl der Appetit vergehen, dergleichen gefährliche Glückswege zu wandeln, die ohnedem einem Menschen nicht zur wahren Glückseligkeit, sondern in den Irrgarten aller Laster führen, und worauf die Strafe, wo nicht in dieser, doch in jener Welt erfolgt. Allein, es ist leider zu beklagen, daß das Courtoisieren bei den Soldaten grand mode worden, auch ganz und gar für keine Sünde mehr gehalten wird, es sei auch mit ledigen oder verehelichten Frauenzimmern; denn ein junger Mensch, der gern gut leben will, mit seiner Gage nicht auskommen kann und dennoch auch nach höheren Chargen strebt, läßt sich niemals eine Sünde leichter als diese gelüsten, weil sie mit so vielen wollüstigen Vergnügen verknüpft ist. Ja, wenn alle hohen und geringeren Martis-Söhne, welche das sechste Gebot übertreten haben, vom Himmel damit bestraft werden sollten, daß sie keine Pistole oder Flinte losbrennen könnten, so würde man gewißlich dann und wann in manchem Treffen sehr miserable Salven hören.«

Über diese letzte Expression entstand bei der ganzen Gesellschaft ein starkes Gelächter, und es wurde über dieses Thema noch eine Zeitlang pro et contra disputiert, bis endlich die Reveille geschlagen wurde; da sich denn ein jeder über die Flüchtigkeit der Zeit verwunderte und nach schuldiger Danksagung für genossene Gütigkeit an seinen gehörigen Ort eilte. Elbenstein begann von nun an das Soldatenleben immer besser und besser zu gefallen; es ging aber in diesem Jahr außer der blutigen Bataille bei F. nichts remarkables vor, weswegen hochgemeldeter Prinz im Weinmonat aus dem letzteren Campement bei St. Q. L. sich wieder nach N. begaben. Elbenstein aber, der sich leicht die Rechnung machen konnte, daß er zu N. sein Glück schwerlich finden würde, blieb bei der Armee und hielt sich die übrige Zeit der Campagne, wie auch den Winter über, als Volontär bei dem Dragonerregiment von Bh. auf.

Er spürte klar, daß, da er ein Gelübde getan, nun und nimmermehr seiner geliebten L.* wiederum treulos zu werden, der erzürnte Himmel seine gerechte Strafe und Rache gegen ihn aufgehoben und in lauter Erbarmung und Gütigkeit verwandelt hatte, auch seine Vorsorge ihm reichlich blicken ließ, indem er bei Eröffnung der folgenden Campagne eine Leutnantsstelle unter dem N. Regiment zu Pferde erhielt, welches auf englischem Fuß stand.

Er hatte solchergestalt monatlich siebzig Taler Einkommen, deswegen faßte er den Schluß, um seine Gelübde desto besser halten zu können, sich mit seiner verlobten Braut zu verehelichen.

Solches geschah auch nach geendigter Campagne, und zwar zu U. in Gegenwart vieler dazu erbetener, vornehmer Personen sowohl männ- als weiblichen Geschlechtes.

Vorher aber, ehe sich die Campagne noch geendigt hatte, mußte Elbenstein noch zwei starke Anfechtungen von dem Feinde des menschlichen Geschlechts und des heiligen Ehestandes ausstehen. Die erste bestand darin:

Als er eines Abends bei einem Marketender, der zugleich Wachtmeister unter dem Regiment war, gespeist und eine Bouteille Wein getrunken hatte, gab er der Frau einen Louisdor mit der Bitte, ihm einzelne Münze dafür zu geben und das Verzehrte zu decourtieren.

Sie bat ihn, unbeschwert mit ihr in ihr Nebenzelt zu gehen, woselbst sie ihm einzelne Münze aufzählen wollte.

Da sich nun Elbenstein nichts Übles besorgte, folgte er ihr auf dem Fuße nach, sobald er aber in das Zelt trat, umarmte sie ihn und gab ihm einen derben Kuß auf den Mund, sagte hierauf:

»Liebster Herr Leutnant! Nun habe ich mich für die schlechte Abendmahlzeit, die Sie bei mir genossen haben, schon bezahltgemacht; hier haben Sie Ihre Pistolette zurück, erweisen Sie mir nur die Gefälligkeit und bedienen Sie sich meines Tisches alle Tage; ich will Sie nach meinem äußersten Vermögen aufs allerbeste bedienen und sonst nichts dafür verlangen als Dero Gewogenheit nebst der Erlaubnis, daß ich heute nacht auf ein Stündchen in Ihr Zelt kommen und Sie um eine Gefälligkeit ansprechen darf.«

Elbenstein übereilte sich aus angeborener Complaisance gegen das weibliche Geschlecht nicht wenig mit seiner Antwort, indem er sie versicherte, daß ihm ihre Visiten jederzeit sehr angenehm sein sollten, worauf er sich nach seinem Zelt begab und bei einer Pfeife Tabak einen französischen Autoren las, den ihm ein guter Freund kommuniziert hatte; inmittels begann es ihn zu gereuen, daß er der Wachtmeisterin, ungeachtet sie eine sehr wohlgebildete Frau war, Erlaubnis erteilt hatte, ihm eine Nachtvisite zu geben, denn er besann sich nunmehr erst, daß der Satan mit im Spiele sei und unfehlbar dahin trachten würde, ihn zur Brechung seines Gelübdes zu bewegen. Zu allem Glück kam der Quartiermeister von seiner Kompanie, welcher noch etwas zu rapportieren hatte; diesen, weil er ein artiger Mensch, überdies auch von vornehmen Eltern war, bat Elbenstein, daß er ihm die Gefälligkeit erweisen und noch ein paar Pfeifen Tabak mit ihm rauchen möchte, offenbarte auch demselben, daß sich ein gewisses Frauenzimmer bei ihm melden lassen, um etwas Geheimes mit ihm zu sprechen, weil ihm aber die Sache, zumal bei nächtlicher Zeit, verdächtig vorkäme, indem er kein Liebhaber des Frauenzimmers sei, so möchte er, der Quartiermeister, sobald das Frauenzimmer angestochen käme, zwar zum Zelt hinausgehen, als ob er bei der Kompanie etwas zu besorgen hätte, jedoch nur bei dem Zelt stehenbleiben, und wenn er, Elbenstein, hustete, sogleich wieder hineinkommen und rapportieren, was ihm eben in die Gedanken käme; denn er wisse selbst nicht, was das Frauenzimmer von ihm haben wollte.


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