Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Je retiréer er sich nun daselbst sowohl bei Hof als in der Stadt bei den Frauenzimmern aufführte, indem ihm seine geliebte L.* beständig im Sinn lag, je mehr fanden sich Leute, die ihn auf eine recht verschmitzte Art folgende Gedanken in den Kopf setzten:

»Du suchst zwar«, waren seine Grillen »dem Fräulein von L.* getreu und beständig zu verbleiben; bist du aber von derselben auch dergleichen versichert? Deine Charge, die du jetzt bekleidest, ist nicht suffizient, eine Frau standesmäßig zu ernähren; könntest oder wolltest du ihr also wohl verargen, daß, wenn sich bei solchem halbwegs eine aventageuse Gelegenheit für sie ereignen sollte, sie anderen Sinnes würde, ihre Zusage aufhöbe, und widerrief? Wer weiß, ob sie noch so getreu und beständig ist, als du dir einbildest und schmeichelst? Vielleicht hat sie in dieser Minute etwa mit einem galanten Kavalier ein angenehmes Gespräch, trifft also wohl das Sprichwort bei ihr ein: ›Aus den Augen, aus dem Sinn‹.«

Solche und dergleiche Gedanken, welche zugleich von einer Eifersucht begleitet wurden, setzten den armen Elbenstein in solche heimliche Unruhe und Bekümmernis, daß er, wo er auch nur war, sein heimliches Anliegen nicht so wohl verbergen konnte, daß man es nicht einigermaßen an ihm hätte merken sollen, dann, eines Tages, als er nebst anderen Kavalieren und Damen zur Baronne von D. T.* auf eine Abendmahlzeit invitiert worden, das eine Kammerfräulein von R.* ihn auf eine besondere anmutige Art fragte: Was doch immer Schuld daran wäre, daß er niemals recht aufgeräumt zu sein schien; sie wünschte so glücklich zu werden, etwas zu seinem Contentement beitragen zu können. Hiernächst wollte sie ihm im Vertrauen eröffnen, daß ihre gnädigste Herzogin schon vor einigen Tagen erwähnt, wie sie an ihm ein besonderes Anliegen verspürte, und dabei gesagt hätte, ihr Kammerjunker müsse entweder an dem Ort, wo er in Diensten gestanden, etwas Liebes zurückgelassen, oder allhier etwas haben, so ihn charmierte, oder aber mit der Gage nicht zufrieden sein. Anbei hätten Ihro Durchlaucht sich noch gnädigst verlauten lassen, daß seine guten Qualitäten wohl meritierten, daß ihm in den letzten zwei Punkten geholfen würde.

Elbenstein fand sich über dieses Gespräch einigermaßen betroffen, jedoch faßte er sich alsbald und gab vor, daß nicht allein sein Temperament dergleichen zurückhaltende Aufführung mit sich brächte, sondern er hätte sich auch auf der letzten beschwerlichen Reise dergestalt strapaziert, daß er sich noch bis dato nicht vollkommen erholen können. Da man ihn aber in anderen Verdacht ziehen wollte, so könne er das gnädige Fräulein mit gehorsamstem Respekt versichern, wie er versichert wäre, daß, wenn eines von Ihro Durchlaucht erwähnten Stücken an seiner Aufführung Schuld sein sollte, sowohl das gnädigste Erbieten Ihro Hochfürstlichen Durchlaucht als auch der gnädigen Fräulein gütiger Wunsch capable sein würden, ihn in vollkommene Zufriedenheit zu setzen. Weil er aber aller drei Stücke halber sich unschuldig befände, so wollte er sich befleißigen, durch Gebrauch dienlicher Mittel sein Temperament zu korrigieren und sich ein munterer Wesen anzugewöhnen. Mittlerweile wurden die Speisen aufgesetzt, und er kam zwischen der Baronne von D. T.* und ihr Fräulein Tochter an der Tafel zu sitzen.

Diese war eine sonderbare Liebhaberin der deutschen Poesie, ließ sich also mit Elbenstein deshalb in einen Diskurs ein, und da sie bemerkte, daß er ebenfalls ein starker Liebhaber davon wäre, indem er sehr wohl davon zu räsonieren wußte, so ersuchte sie ihn, ihr etwas von seinen poetischen Sachen zu kommunizieren, auch ihr öfters die Ehre seines Zuspruchs zu gönnen.

Er machte deswegen ein verbindliches Kompliment und gab zu vernehmen, wie er es für eine besondere Glückseligkeit schätzen würde, Dero Befehlen ein Genüge zu leisten und bei solcher kostbaren Gelegenheit von ihrer unvergleichlichen Wissenschaft in diesem Scibili zu profitieren; anbei überlieferte er ihr einige Reime, die er selbigen Tages aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hatte und also lauten:

1.
        Erdrücke mich doch nur, du großes Unglück;
Erzürnter Himmel, töte mich;
Zermalme mich nur jämmerlich,
Es ist doch auf der Welt nichts mehr, das mich erquicke.
Die Menge meiner Qual und Pein
Reißt mir Vernunft und Sinnen ein;
Für mich muß lauter Marter sein.
2.
Ich weiß ja gar nichts mehr von Lachen, Lust und Freuden,
Der Gram ergötzt mich nur allein;
Der Kummer ist mein Sonnenschein,
Mein mattes Herze fühlt ein immerwährend Leiden,
Weil alles mich zu fällen tracht;
Ich sehe nichts als lauter Nacht,
Da alles wettert, blitzt und kracht.
3.
Es wüten immerzu die ungestümen Wellen,
Und werfen mich bald her, bald hin.
Ach Grab! Nach dir verlangt mein Sinn,
Du kannst den müden Leib allein zufriedenstellen,
Wenn er in dir so sanft ruht,
Befreit von aller Unglückswut,
Vom Sturme, Wetter, Flut und Glut.
4.
Gewiß, ich gleiche recht dem sonst so stillen Meere,
Das dennoch bald ein Sturm bewegt,
Bis daß es große Wellen schlägt;
Da es doch für sich selbst wohl gerne ruhig wäre,
Allein, so wird es aufgeschwellt,
Indem die Last bald steigt, bald fällt,
Und lauter Wut vor Augen stellt.
5.
Ich mag, wohin ich will, mich kehren oder wenden,
So kann ich keine Rettung sehn,
Mein Schiffchen muß noch untergehn,
Indem kein Hafen da, allwo es könnte länden;
Mein Schiff, das ohne Segel schwebt,
Stets schlenkert, stauchet, zittert, bebt,
Bis es sich in die Flut vergräbt.
6.
Drum fließt nur immer, fließt ihr heißen Jammerzähren,
Ihr Augen zollt die Tränenflut,
Solange bis mein Herz und Mut
Euch weder Saft noch Kraft, noch Nahrung kann gewähren;
Das falsche Glück verfolget mich,
Die Hoffnung selbst verlieret sich;
Drum komm, o Tod, ich bitte dich.

Die Baronne, ihre Frau Mutter, welche diese Übersetzung zugleich mit durchlesen hatte, sagte lächelnd:

»Ich hätte nicht gemeint, daß sich der Herr von Elbenstein die Mühe geben können, etwas so Trauriges und Gräßliches zu übersetzen; jedoch da Ihm die Version in einer so traurigen Materie dergestalt wohlgeraten, wäre ich neugierig, etwas Lustiges oder Verliebtes zu sehen.«

Elbenstein versetzte, daß eben dieser Autor etwas, so von einer verliebten Sehnsucht handelte, geschrieben, welches er ebenfalls vertiert hätte, und wenn Ihro Gnaden es gütigst erlauben wollten, sollte sein Diener sogleich solches aus seinem Logis holen.

Hierum ersuchten ihn nun nicht allein die Baronne nebst ihrem Fräulein, sondern auch die ganze Gesellschaft, indem sie vorgaben, daß der Inhalt nicht anders als charmant sein könne. Wie nun das Blatt gebracht worden, bat die Gesellschaft den von Elbenstein, es unbeschwert selbst abzulesen, der sich zwar willig dazu finden ließ, jedoch vorher nochmals versicherte, daß er von diesem Stück nicht der Inventur wäre, sondern das Original in französischer Sprache, in der Liebes- und Lebensgeschichte des spanischen Kardinals Porto-Carero gefunden, als auf welchen der Autor diese Verse verfertigt hätte; hierauf las er folgendes her:

1.
            Liebreiche Nacht! Anmut'ge Dunkelheit
Verzeuch doch nicht, die Schatten herzuführen.
Der Sonnen mir verhaßte Helligkeit
Laß unter deinem Flore nicht mehr spüren;
Ein Engel sucht, vermittels deiner Gunst,
Die süße Frucht für sein und meine Brust.
2.
Mein Herze brennt, wie groß ist seine Pein:
Es stirbt fast, der Angst ist nichts zugleichen.
Soll denn dafür kein Trost zu finden sein;
Ach Tageslicht! Willst du nicht einmal weichen;
Ei, weich doch nur, du unglückseligs Licht,
Weil mir die Nacht mehr Süßigkeit verspricht.
3.
Mein Engelskind! Mein holdes Tausendschön!
Was werd ich nicht für süßen Nektar schmecken,
Wird nicht mein Herz in vollen Freuden stehn,
Wenn es dir darf sein Innerstes entdecken?
Komm, schönes Schwarz, vertreibe Tag und Licht!
Mein schönstes Licht verlier ich dennoch nicht.

Das Fräulein von R.* sah ihn hierauf mit einem charmanten Blick an, daß er ihre Regungen leicht erraten konnte, und das Fräulein von D. T.* ersuchte ihn mit einer angenehmen Freiheit, daß er ihr von seinen eigenen Erfindungen doch etwas möchte sehen lassen, da ihm die Übersetzung anderer so wohl geraten wäre.

Elbenstein, den der delikate Wein und das artige Wesen der sämtlichen Damen freier zu reden animierte, fragte mit einer schmeichelnden Art: Von was für einer Materie solche handeln, ob sie verliebt, lustig, traurig oder moralisch sein sollten.

Das Fräulein von D. T.* sah ihn mit einer solchen Miene an, daraus er als ein erfahrener Praktikus in Liebeshändeln schon ermessen konnte, wie seine Verse sollten eingerichtet sein, demnach sagte er etwas heimlich zu ihr:

»Mein englisches Fräulein werden mir demnach erlauben, daß, wenn ich morgen meine Dichterei vornehmen werde, an Ihre anbetungswürdige Schönheit gedenken und solche zum Sujet meiner Poesie erkiesen darf. Ich flattiere mir, daß, als denn die Einfälle und Pensées nicht anders als tendre und sinnreich sein werden, da das wunderschöne Sujet voller Esprit und höchst liebenswürdig ist.«

»Ach!« gab hierauf das Fräulein zur Antwort, »der Herr von Elbenstein wirds wohl erfahren, wenn er seine Gedanken auf die Betrachtung meiner schlechten Qualitäten wenden wird, wie schlecht und gezwungen seine Verse geraten werden; jedoch«, fuhr sie fort, indem sie ihm die Hand sanft drückte, »will ich es gern geschehen lassen, auch mich glücklich schätzen, wenn so ein qualifizierter und galanter Kavalier sich meinetwegen bemühen will, und die dafür schuldige Reconnaissançe soll auf seiten meiner genau beobachtet werden.«

Da fing nun die seinem geliebten Fräulein von L.* allein gewidmete Liebe und Treue allmählich an zu wanken, ja, als nach aufgehobener Tafel er mit dem Fräulein von D. T.* allein reden konnte, machte er so viel Karessen, daß das gute Fräulein seinen verliebten Anfällen nicht lange widerstehen konnte, sondern ihm sein Bitten gewährte, welches darin bestand, daß sie ihm erlauben möchte, ihren schönen Mund zu küssen; deswegen wollte er sich hinaus auf den Saal in den Erker verfügen und ihrer gütigen Gewährung seines inbrünstigen Wunsches daselbst, im Dunkeln, erwarten.

Es trug sich aber zu, daß ihre Frau Mutter sie zu sich rief und mit ihr von ein und anderem, so sie veranstalten sollte, über Vermuten etwas lange redete.

Mittlerweile ging das Fräulein von R.*, um sich etwas abzukühlen, aus dem Gemach auf den Saal und an den Erker, wo sich Elbenstein befand. Indem er nun diese für das Fräulein von D. T.* hielt, so umarmte und küßte er sie etlichemal aufs zärtlichste, sagte hierauf:

»Morgen wird mein schönster Engel erfahren, wie angenehme Pensées meine Verse in sich halten werden.«

Es ward ihm aber hierauf nicht geantwortet, vielmehr begab sich das Fräulein von R.* eiligst von ihm hinweg, indem sie sich leicht einbilden konnte, daß diese Karessen einer anderen zugedacht wären.

Sie war auch kaum wieder bei der anderen Gesellschaft angelangt, als sich das Fräulein von D. T.* bei ihm einstellte und Elbenstein um Vergebung bat, daß sie ihn so lange hätte warten lassen, zur Satisfaction aber wegen des Verzugs wollte sie ihm dasjenige erst selbst geben, was sie sonst von ihm erwarten wollen.

Unter diesen Worten küßte sie ihn auf eine solche liebreizende Art, daß Elbenstein dadurch in die angenehmste Entzückung geriet und nach vielen gewechselten Küssen sich noch mehrerer Freiheit gebrauchen wollte, über welche unzeitige Verwegenheit aber sich das Fräulein von D. T.* dergestalt alterierte, daß sie sich augenblicklich von ihm losriß und mit geschwinden Schritten eine Treppe hinunterlief.

Wiewohl nun Elbenstein, als er wieder zur Gesellschaft kam, auch das Fräulein von D. T.* bereits bei derselben wieder antraf, alle Gelegenheit suchte, seiner erzürnten Venus den begangenen Fehler oder Frevel abzubitten, so wollte sich selbige doch nicht fügen, und das Fräulein von D. T.* führte sich, solange die Gesellschaft noch beisammen blieb, dergestalt spröde und kaltsinnig auf, daß er auf einmal alle Hoffnung verlor, seine Löffelei fortzusetzen.

Inmittels war er desto neugieriger auszukundschaften, wer diejenige gewesen, so er zuerst, vor des Fräuleins von D. T.* Ankunft, geküßt, und seiner changeanten Art nach schlug er sich das spröde und kaltsinnige Fräulein von D. T.* sogleich aus dem Sinn, ergötzte sich hingegen in seinem Herzen über den angenehmen Irrtum, der ihm begegnet war.

Endlich mahnte die Uhr die sämtliche Gesellschaft an, bei der Wohltäterin unter geziemender Danksagung sich zu beurlauben, daher die Hofdamen hierin den Anfang machten und Elbenstein, als er das Fräulein von R.* in den Wagen hob und um Vergebung bat, wofern er sich etwas zu frei aufgeführt hätte, bekam unter einem zärtlichen Händedrücken ganz leise von derselben zur Antwort:

»Ich bitte gleichfalls um Verzeihung, daß ich mich etwas zu frei aufgeführt und einer anderen vorgefischt habe; jedoch ist es mir lieb, daß ich nunmehr nur weiß, daß der Herr von Elbenstein nicht so unempfindlich gegen das Frauenzimmer ist, als er sich bisher angestellt hat.«

Er ging demnach, weil er nunmehr gewiß wußte, wer ihm den Liebespossen gespielt, mit vergnügtem Gesicht zurück in der Baronne Zimmer, um gleichfalls seine Abschiedsreverenz zu machen, sobald auch solches geschehen, begab er sich nach seinem Quartier, wo er sich mit vergnügten Gedanken über die den vergangenen Tag über gehabten Liebesaventuren innigst ergötzte.

Den darauffolgenden Morgen bekam er von seiner Herzogin Befehl, nach der Mittagstafel nach H. zu reiten und sie bei der daselbst regierenden Herzogin anzumelden, daher, weil er lieber bei guter Zeit als zu spät in H. sein, auch seine Pferde nicht übernehmen wollte, er in sein Logis zurückging und seinem Diener befahl, ihm etwas von Speisen, ob es gleich auch nur kalte Küche wäre, von dem fürstlichen Mundkoch zu langen. Der Diener berichtete ihm bei seiner Zurückkunft, daß das Fräulein von D. T.* im Begriff wäre, zu ihrer Frau Muhme, der Frau von B.*, nach Hh. zu fahren; weil nun Elbenstein wußte, daß die Straße dahin vor seinem Quartier vorbeiging, also setzte er sich mit seinem Essen an das aufgemachte Fenster, da denn kurze Zeit darauf das Fräulein von D. T.* gefahren kam, und als sie den von Elbenstein, welcher ihr mit verstelltem traurigen Gesicht die Reverenz machte, erblickte, nahm sie das an der Brust steckende und aus weißen Lilien und Jasmin bestehende Bukett und schickte solches durch ihren Lakaien dem von Elbenstein nebst dem Vermelden, daß, weil sie gestern von ihm erfahren und gemerkt hätte, wie er ein besonderer Liebhaber der Blumen, vornehmlich aber der Lilien sei, so wollte sie ihm hiermit von dergleichen ein Präsent machen, wünschte anbei, so glücklich zu sein, ihn zu Hh. zu sehen und nur eine Viertelstunde mit ihm zu sprechen.

Elbenstein ließ nebst Vermeldung seines gehorsamsten Respekts dem Fräulein zurücksagen, wie er verhoffte, sie in einer halben Stunde einzuholen und seinen gehorsamsten Dank für das höchst angenehme Präsent persönlich abzustatten.

Unterdessen hatte er zwar keine Zeit gehabt, die versprochenen Verse zu machen, zu allem Glück aber fielen ihm etliche bei, die er schon vor einiger Zeit verfertigt, so aber niemandem sonst bekannt waren. Er hielt dafür, daß sie sich bei der jetzigen Aventure ebenfalls wohl anbringen ließen, schrieb sie deswegen neu ab, und lauteten dieselben also:

1.
                Ach! Warum ändert doch der Himmel meiner Liebe
Nun auf einmal den heiteren Freudenschein?
Ach! Welche Wolke macht ihn jetzt so plötzlich trübe?
Was muß doch wohl hieran die Ursach sein?
Ich bin mir nichts Verdammliches bewußt.
Kein Falschheitsgift beflecket meine Brust.
2.
Mein Schiffchen ladet ja sonst keine andern Waren,
Als die mir selbst die Liebe hat erlaubt.
Von mir soll nimmermehr ein Sterblicher erfahren,
Daß Geilheits Mumien ich je geraubt;
Gleichwohl straft mich die Liebe solchen gleich,
Die ihren Fuß gesetzt ins Lasterreich.
3.
So mußt du denn nunmehr, mein armes Herze, stranden,
Auf Klippen, die ein kalter Sinn gemacht.
Kein Hoffnungsanker ist für diesesmal vorhanden,
Ein Liebessturm hat dich in Not gebracht,
Ists nicht zu scharf? Der Venus strenge Wut,
Benimmt mir jetzt Trost, Freude, Lust und Mut.
4.
Nun denn mein Geist! Bleib nur auf deinen Trauerklippen,
Da deine Lust im wilden Meere schwimmt,
Bis deine Göttin dich mit tröstungsvollen Lippen
Besänftigt und in ihren Schoß aufnimmt;
Denn klage ihr bei wiederholtem Kuß,
Wie Redlichkeit unschuldig leiden muß.

Inzwischen nun, da die Pferde fertiggemacht wurden, kleidete er sich propre an, sobald er aber vor die Stadt kam und des Fräuleins Wagen noch erblickte, folgte er demselben in vollem Galopp, welchen er endlich nach Verlauf einer halben Stunde einholte, weil das Fräulein dem Kutscher unter dem Vorwand, daß sie ein wenig schlafen wollte, langsam zu fahren befohlen hatte.

Der Lakai, welcher Elbenstein gleich erkannte, meldete solches dem Fräulein alsbald an, worüber sie in ihrem Herzen eine ungemeine Freude empfand. Als nun Elbenstein nach abgelegtem Kompliment derselben die Verse zum Wagen hineingereicht und sie solche gelesen hatte, ersuchte sie ihn, daß er belieben möchte, ihr bis nach Hh. das Geleit zu geben, auch um die Zeit mit angenehmen Gesprächen zu vertreiben, sich zu ihr in den Wagen zu setzen.

Dieser ließ sich nicht zweimal nötigen, sondern stieg vom Pferd ab, gab solches seinem Diener an die Hand und setzte sich zum Fräulein in den Wagen; deren erste Worte waren:

»Ihre Verse, mein wertester Herr von Elbenstein, haben völlige Approbation bei mir gefunden; dafür sollen Sie auch die Erlaubnis haben, auf die in Ihrer Ode beschriebene Art mir Ihre Not zu klagen«, mit welchen Worten sie ihren Arm ganz entzückt um ihn herumschlug und ihren Kopf an seine Brust legte. Die darauf erfolgten verliebten Tändeleien, so sie miteinander vornahmen, sind unnötig zu beschreiben, sondern man will nur melden, daß Elbenstein dem Fräulein versprechen müssen, diesen Abend noch von H. zurückzukehren und diese Nacht über bei ihrer Frau Muhme und Herrn Vetter zu verbleiben, welches er ihr unter vielen zärtlichen Küssen versprach, auch um desto eher wieder aufbrechen zu können, vor Hh. sich wieder zu Pferde setzte und den nächsten Weg nach H. nahm, wo die dasige Herzogin an seine Prinzipalin wieder zurückschrieb und selbige ersuchte, ihr unmaßgeblich übermorgen auf dem halben Wege zu T. die Ehre ihres höchst angenehmen Zuspruchs zu gönnen und ihre Reise also zu veranstalten, daß sie im Mittag daselbst eintreffen könnte.

Eben dieses sagte sie Elbenstein auch, mahnte ihn zugleich an, daß er den Aufbruch von M. also ordinieren möchte, damit sie mittags im gemeldeten Ort sein könnten, welches denn leicht möglich zu machen, indem beide Orte nur drei Stunden voneinander lagen.

Indem nun Elbenstein solchergestalt seine Abfertigung erhalten, auch seine Pferde unter der Zeit wohl gefüttert waren und ihm von den Herren Kavalieren etliche Gläser Wein waren zugetrunken worden, weil er alle anderen Traktamente depreziert hatte, nahm er seine Rückreise wieder nach Hh., schickte aber aus einem eine Stunde von Hh. gelegenen Dorf einen sicheren Expressen mit der Herzogin von H.* Schreiben an seine Prinzipalin nach M. und berichtete anbei, daß ihm eine plötzliche Unpäßlichkeit unterwegs zugestoßen, welche Ursache wäre, daß er das von der Herzogin zu H. hochfürstlichen Durchlaucht ihm anvertraute Schreiben nicht selbst gehorsamst überreichen könne, sondern unterwegs bleiben müsse; jedoch, weil es nur ein Anstoß von der Kolik, hoffe er morgen mittag in M. zu sein und seine untertänigste Relation mündlich abzustatten.

Hiermit befahl er den Boten, soviel als möglich zu eilen, damit die Herzogin die Briefe noch zu lesen bekäme, ehe sie zur Ruhe ginge, er aber eilte, sobald der Bote fort war, ebenfalls so schnell als möglich nach Hh. zu, wo er mit Untergang der Sonne anlangte und sowohl von dem Herrn B.* als dessen Gemahlin sehr höflich empfangen ward.

Weil nun der Obristleutnant von R.* und seine Gemahlin, ingleichen zwei Fräulein von R.* und zwei junge Kavaliere des Geschlechts von K.* bereits daselbst eingesprochen, so hatte Elbenstein mittlerweile, da diese Gäste in dem daranliegenden Garten die Abendmahlzeit bei der angenehmen Abendluft in einer wohlangelegten Grotte einnehmen wollten, Gelegenheit, das schöne Fräulein von D. T.*, wiewohl auf eine sehr kurze Zeit, in ihrem Gemach zu sprechen, da sie denn viele Küsse wechselten, wobei das Fräulein immer die letzteren zwei Zeilen aus seiner von ihm empfangenen Ode wiederholte:

»Da klage ihr bei wiederholtem Kuß, wie Redlichkeit unschuldig leiden muß.«

Da aber der Wohlstand erforderte, sich zur Gesellschaft zu begeben, nahmen sie ihren Weg durch eine Scheune, aus welcher man sogleich in den Garten kommen konnte, und verfügten sich in eine Mooshütte, welche der Grotte, worin gespeist werden sollte, gerade gegenüberlag, fingen hier selbst ihre Löffelei von neuem wieder an, dabei sogar auch die Hände nicht müßig waren, ja, die Vertraulichkeit wurde endlich so groß, daß, ob es gleich die Tugend und Ehrbarkeit verbot, das von des veränderlichen Elbensteins Schmeicheleien und Karessen gleichsam bezauberte Fräulein ihm dennoch eine nächtliche Visite in ihrem Zimmer zu verstatten, mithin die Tür nicht zuzuschließen, sondern nur anzulehnen versprach.

Wie er nun als ein fürstlicher Bedienter ein propres Zimmer, welches sehr nahe an der Fräulein von D. T.* ihrem angelegen, einbekommen hatte, so machten sie sich die süße Hoffnung, daß die nächtliche Zusammenkunft ganz fein angehen könnte und würde.

Nachdem dieses alles verabredet, gingen sie zur anderen Gesellschaft und setzten sich bald hernach unter selbiger zur Tafel; sobald selbige abgehoben, wendete Elbenstein wegen getaner Reise große Müdigkeit vor, nahm deswegen von der Kompanie unter dem Vorwand, daß er morgen mit dem allerfrühesten aufbrechen mußte, sogleich Abschied, und begab sich in das ihm angewiesene Zimmer. Die anderen Gäste blieben noch bis Mitternacht in der Grotte, spielten und tranken von dem delikaten Wein, welchen der Herr von B.* selbst im Überfluß im Keller hatte; das Fräulein von D. T.* aber machte sich unter dem Vorwand, daß ihr die heutige Sonnenhitze starke Kopfschmerzen zugezogen, auch bald aus dem Staub.

Sobald nun Elbenstein merkte, daß im ganzen Haus alles ruhig und still war, schlich er sich ganz leise in des Fräuleins Zimmer. Was sie aber daselbst miteinander ferner verabredet, ist nicht eigentlich zu melden; man hat auch nichts gehört, daß sich auf Seiten des Fräuleins etwas geäußert, so einen unglückseligen Verräter dieser nächtlichen Visite abgegeben hätte oder ihr sonst einigen Verdruß zuziehen mögen; außer diesem, daß die Elbenstein verstattete Freiheit ihm nachmals einen solchen Ekel vor dieses sonst recht liebenswürdigen Fräuleins Person verursachte, daß er nach der Zeit auf alle nur ersinnliche Art und Weise jederzeit die Gelegenheit vermieden, mit ihr zu konversieren, worüber das gute Kind unter ernstlicher und unaufhörlicher Betreuung ihrer Leichtsinnigkeit unzählige Tränen vergossen, welches er aber, als ein rechter Wetterhahn im Lieben, sich wenig oder gar nicht zu Herzen gehen ließ, hergegen leichtsinniger und irraisonabler Weise sich über ihre Einfalt mokierte, nunmehr aber neugierig war, sein Liebesglück und Verhängnis bei dem Fräulein von R.* zu erfahren.

Deshalb er, als er in Hh. ziemlich früh von dem Herrn von B.*, weil die anderen alle noch schliefen, ordentlichen Abschied genommen und sich für alle erwiesene Höflichkeit und Güte hofmäßig bedankt, sich zu Pferde setzte und zu rechter Zeit in M. anlangte.

Er stattete noch vor der Tafel seinen mündlichen untertänigsten Bericht bei seiner Herzogin ab, und dieselbe gab in besonders gnädigen Terminis zu vernehmen, wie sie in allen Stücken mit seiner Aufführung sehr wohl zufrieden wäre. Allein, Elbenstein war ein Schalk, denn da er heraus ins Vorgemach kam und wohl wußte, daß die beiden Kammerfräuleins von R.* und Z.* bald durchpassieren müßten, setzte er sich auf einen am Fenster stehenden Lehnstuhl, legte den Kopf rückwärts und stellte sich, als ob ihn eine Ohnmacht oder Steckfluß befiel, spielte auch diesen Streich dergestalt witzig, daß es der allerklügste Medikus hätte glauben müssen.

Die beiden Fräuleins trafen ihn also in diesem Zustand an, fragten, was ihm fehlte, da er aber die Augen im Kopf verdrehte und ein Zeichen gab, daß er nicht antworten könnte, lief das Fräulein von Z.* sogleich zur Herzogin ins Zimmer, um aus Dero Apotheken, welche jederzeit in Bereitschaft stand, einen herzstärkenden Spiritus zu langen; da ihm inzwischen das Fräulein von R.* ein mit Schlagbalsam angefülltes Büchslein vor die Nase hielt, seine Schläfen und Pulse an den Armen mit diesem Balsam salbte und ihm zu allem Überfluß drei derbe kräftige Küsse auf den Mund versetzte. Diese letztere kräftige Medizin wirkte soviel, daß der schikanierende Elbenstein plötzlich die Augen aufschlug, dem Fräulein von R.* sanft die Hand drückte und mit schwacher Stimme sagte:

»Ach, mein Engel!«

Ihre gleichfalls ganz leise Antwort war:

»Ach, mein wertester Elbenstein!«

Indem brachte das Fräulein von Z.* den Spiritus, von welchem das Fräulein von R.* etwas auf ein in ihr Schnupftuch gemachtes Knötchen goß, auch seine Stirn, Schläfen und Hände damit bestrich, jedoch, es schien dennoch, als ob die Lebensgeister nicht so bald zurückkehren wollten. Demnach bezeugte die durchlauchte Herzogin in eigener hoher Person das gnädige Mitleiden gegen ihn, daß sie selbst aus ihrem Gemach heraustrat und ihm eine Schale voll Arznei brachte, welche er austrinken mußte. Er fand sich oder stellte sich vielmehr hierdurch auf einmal erquickt, dankte in schuldigster Devotion für die gnädigste Fürsorge, welche Ihro Durchlaucht vor Dero untertänigstem Knecht gehabt; worauf die Herzogin befahl, daß er in ein bequemes Zimmer gebracht und aufs beste verpflegt werden sollte, trug auch den beiden Fräulein auf, fleißige Nachfrage nach ihm tun zu lassen.

Der verstellte Patient ließ sich des anderen Morgens vernehmen, wie er sich völlig restituiert befände, allein, die Herzogin ließ ihm sagen, wo er vermerkte, daß sein Malheur noch nicht völlig vorbei, könne er immer zu Hause bleiben und seine völlige Gesundheit abwarten; sofern er aber ja im Stande, in ihre Suite mit nach H. zu gehen, solle er bis vor die Stadt mit in der Fräulein Kutsche fahren, um seine Gesundheit desto besser zu menagieren.

Elbenstein ließ sich nochmals untertänigst, und zwar durch das Fräulein von R.* für die ihm erzeigte besondere Gnade bedanken und um Erlaubnis bitten, daß er sich in sein Logis begeben dürfte, um sich reisefertig zu machen, weil er sicherlich glaubte, daß sich sein ganzes Malheur durch die empfangenen köstlichen Medikamente gänzlich verloren hätte.

Da aber sein Bedienter und der Fräulein Aufwärterin sich aus dem Zimmer begeben hatten, stattete er dem schönen Fräulein von R.* die verbindlichste Danksagung ab und beteuerte dabei, daß eines solchen englischen Fräuleins gütiges Mitleid und persönlich geleistete Hilfe ihn am meisten gestärkt und das Leben erhalten hätte.

»Ach, mein wertester Elbenstein«, antwortete das Fräulein, »könnten Sie nur in mein Herz sehen, so würden Sie von meiner gegen Sie hegenden aufrichtigen und unverfälschten Neigung die vollkommenste Versicherung finden.«

Nach diesen Worten nahte er sich ihr in einer Ecke des Erkers, und als er sie auf die verliebteste Art etlichemal geküßt, welches das Fräulein aus gütiger Erkenntlichkeit auf gleiche Art wiedervergalt, ließen sie ihren Affekten noch in etwas weiter den Zügel schießen, bis sie endlich von den ankommenden Bedienten in der Hauptsache gestört wurden, wobei keine Partei sagen konnte, daß sie etwas gewonnen oder verloren hätte.

Etwa eine Stunde hernach, als das Fräulein von ihm Abschied genommen hatte, kam ein herzoglicher Kutscher und meldete, wie der Wagen bereits angespannt wäre, um den Herrn von Elbenstein in sein Logis zu führen. Er hielt sich demnach nicht mehr lange auf, sondern fuhr fort; sobald er aber in seinem Logis angelangt war und seine Wirtin die ihm auf dem Schlosse zugestoßene Unpäßlichkeit erfuhr, schickte sie ihre älteste Tochter hinauf zu ihm in sein Zimmer, wo ihn dieselbe im Schlafrocke auf dem Bett liegend antraf.

Sie bezeugte sowohl im Namen ihrer Mutter als für sich selbst ein herzliches Mitleid wegen des ihm zugestoßenen Unfalls, und zwar auf eine so bewegliche Art und in obliganten Terminis, daß Elbenstein gleich urteilen konnte, wie von Seiten der Mutter eine mitleidige Vorsorge, von seiten der Tochter aber die Liebe an dieser Besuchung teilhabe.

Weil nun Elbenstein vorwitzig war und probieren wollte, wie weit es bei diesem wohlgewachsenen, mit ein paar schönen schwarzen Augen, küssenswerten Lippen und rot mit weiß vermischtem angenehmem Antlitz von der gütigen Natur begabten Frauenzimmer bringen könne, so ersuchte er sie, nach vorher abgestatteter Danksagung für die gütige Vorsorge, sich bei seinem Bett ein wenig niederzulassen, bis sein Diener das Essen vom Schlosse gebracht hätte. Sie gehorsamte ganz willig und bat, nur zu befehlen, worin sie ihm dienen könne.

Elbenstein drückte ihr die Hand und sagte zugleich, daß ein solches charmantes Frauenzimmer, wie sie wäre, das meiste zu seiner Genesung kontribuieren könne, daher er jetzt erfahren wollte, ob sie gütig oder hart mit ihm zu verfahren gewillt sei, unter welchen Worten er sie zärtlich umarmte und auf den weichen Rosen ihrer Lippen etliche Küsse anbrachte.

Sie sah ihn mit gleichsam schmachtenden Blicken an, und unter einem oft wiederholten »Ach!« vergönnte sie ihm nicht allein viele Liebesfreiheiten, sondern forderte ihn endlich durch etliche hitzige Küsse, so ihre zarten Lippen mit der schönsten und einer recht bezaubernden Geschicklichkeit anzubringen wußten, zu noch etwas Ernsthafterem heraus, und Elbenstein, welcher nicht gewohnt war, zu dergleichen verliebten Bravaden lange stillzusitzen, machte sich schon fertig, als die zur Treppe heraufkommende Mutter, welcher ein schwindsüchtiger Husten anstatt des Fouriers vorlief, alles störte und dieses vorseiende Duell unterbrach; man konnte aber aus den erröteten Wangen, funkelnden Augen und in Unordnung gebrachten Haaren sattsam urteilen, daß die Keuschheit bei beiden in größter Gefahr gewesen wäre.

Weil aber die gute Mutter erst draußen vor der Stube auf dem Saal etwas verschnaufen und recht aushusten wollte, gewannen sowohl die schöne Gratiana als auch Elbenstein Zeit und Raum, sich zu fassen und alles wieder in ziemliche Ordnung zu bringen. Gratiana nahm ein leeres Glas in die Hand, ging heraus auf den Saal, eilte aber nach der etwas dunklen Treppe zu und fragte die mit dem trockenen Husten sich noch katzbalgende Mutter, wo der Kellerschlüssel wäre, indem der gnädige Herr einen Trunk von ihrem Hausbiere verlangte, und da sie solches erfahren, eilte sie vollends die Treppe hinunter in den kühlen Keller, wo sie die verdächtige übrige Röte vollends verlor.

Elbenstein war über diese mit der artigen Gratiana so geschwind gemachte Liebeskundschaft dergestalt vergnügt, daß er folgende Arie verfertigte:

1.
      Unvergleichlich schönes Wunder!
Harter Herzen Liebeszunder!
Deiner Anmut Klang und Schein
Macht die Liebe selbst verliebet;
Der ist härter als ein Stein,
Der sich dir nicht ganz ergibet.
2.
Meine Freiheit ging verloren
In dem Kampf mit zweien Mohren;
Seh ich deine Augen an,
So hab ich schon die gefunden,
Die mir Fesseln angetan,
Und mich völlig überwunden.
3.
Doch ich will gefangen leben,
Und der Freiheit mich begeben;
Meine Ketten sind so schön,
Daß sie allen Freiheitsschätzen
Nicht nur an der Seite stehn,
Sondern mich weit mehr ergötzen.

Als nun endlich aber Gratiana mit dem Bier heraufkam und ihr langes Ausbleiben damit entschuldigte, daß sie erst nicht sogleich den Kellerschlüssel finden und fürs andere auch kein Licht bekommen können, indem die Magd die Küche zugeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte, als sie von der anderen Schwester verschickt worden, ging die alte Mutter zugleich mit in die Stube, und weil der Diener zu gleicher Zeit das Essen vom Schlosse brachte, nahm sich Gratiana die Mühe selbst, solches zu wärmen und aufzutragen.

Elbenstein, ersuchte Mutter und Tochter mitzuspeisen, welches sie endlich nach einigem Weigern eingingen; unterdessen ließ er bei dem Italiener etliche Bouteillen Frontignac langen, welcher bei seinen Gästen den gewünschten Effekt tat, denn die Mutter, welche nur ein einziges Gläschen zuviel getrunken hatte, hielt fürs ratsamste, sich in die Unterstube zu begeben, um. ein wenig zu ruhen.

Gratiana hingegen, weil sie vollends vom Weine erhitzt war, erlaubte Elbenstein alle Freiheiten, deren er sich bei ihr gebrauchte; jedoch dieser ging sehr behutsam, und zwar aus Furcht, damit er nicht etwa von einem kleinen Zeugen ihrer Liebespossen dereinst überführt werden möchte.

Tages darauf reiste die Herzogin nach T., da unterwegs Elbenstein, weil das Fräulein von Z.* sich zur Herzogin in die Kutsche setzen müssen, mit dem angenehmen Fräulein von R.* vertraulich zu sprechen und sich in Küssen zu ergötzen die schönste Gelegenheit hatte.

Mit solchen Beschäftigungen ward die Zeit auf beiden Seiten höchst vergnügt zugebracht, welches Vergnügen bei Erblickung der Stadt T. zwar auf kurze Zeit unterbrochen wurde; doch hatten sie den Trost und Hoffnung, bald wiederum Gelegenheit zu finden, ihr Liebesspiel ungehindert fortzusetzen, weswegen sie beiderseits ein munteres und lustiges Wesen an sich nahmen, mithin außer dem Verdacht blieben, daß sie genauer miteinander bekannt wären.

Bei solchen wollüstigen Ausschweifungen gedachte Elbenstein wenig oder gar nicht an sein getreues und von der Sehnsucht gequältes Fräulein von L.*, traf also das Sprichwort: »Aus den Augen, aus dem Sinn!« bei ihm am ersten und besten ein.


 << zurück weiter >>