Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Elbenstein waren diese Prozeßgrillen dergestalt in den Kopf gestiegen, daß er, nachdem er in sein Logis gekommen, keinen besseren Rat zu erfinden wußte, als sich in sein Bett zu legen und noch einige Stunden zu schlafen, welches er denn so lange tat, bis sein Bedienter drei Stunden nach Aufgang der Sonne ihn aufweckte und unter währendem Ankleiden vermeldete, daß in verwichener Nacht drei Kutschen mit Damen und Kavalieren angekommen wären, welche ihre in der Nähe da herumliegenden Weinberge wollten lesen lassen. Dieselben hätten gleich mit anbrechendem Tag einige ihrer Bedienten fortgeschickt, um in den dabeibefindlichen Lusthäusern zum bequemen Aufenthalt alles zu veranstalten, mittlerweile sich die Herrschaften vielleicht noch ein paar Tage und Nächte in diesem Gasthof aufhalten dürften.

Es machte sich Elbenstein hierüber keine besonderen Gedanken, nachdem er aber seinen Diener ausgeschickt, ihm ein und anderes, dessen er benötigt war, einzukaufen, kam die alte Ruffiana und brachte von der Baronne von K. einen mit verschiedenen gebackenen Sachen und Konfitüren angefüllten verdeckten Korb nebst einer vortrefflichen, noch sehr warmen Mandelsuppe. Er nahm sich ein Bedenken, von dieser letzteren etwas zu genießen, weil er sich eines gefährlichen Betrugs dabei befürchtete. Die alte Ruffiana merkte seine Furcht, schöpfte sich deswegen einen Teller voll und speiste davon mit großem Appetit, weswegen ihm aller Argwohn verging und er also die Suppe auf die Gesundheit seiner geliebten Baronne ganz aufaß. Nachdem er nun der Alten ein Danksagungskompliment an dieselbe aufgetragen und befohlen, ihm seine Speisen nicht eher als etwa eine Stunde über Mittag von dem Wirt bringen zu lassen, spazierte er in den Garten, um seinen verliebten Gedanken und Erinnerung alles desjenigen, was ihm bisher passiert war, desto ungestörter nachzuhängen.

Er setzte sich demnach in eine wiewohl nicht eben allzugut angelegte Grotte, denn die Natur zeigte zwar hier einem Künstler die allerschönste Gelegenheit, ein Meisterstück zu machen, allein entweder war der Wirt kein besonderer Liebhaber von dergleichen, oder es mochte ihm vielleicht an Mitteln fehlen, ein kostbares Grottenwerk anlegen zu lassen. Unterdessen betrachtete Elbenstein erst die Wunder der Natur und wie das allerklarste Wasser bald hier, bald dort aus den Felsenlöchern herausspritzte, hernach setzte er sich in einen von Moos zugerichteten Schlafstuhl, worin zwei Personen gar commode nebeneinander sitzen konnten, er wünschte schon wieder seine geliebte Baronne an diesem angenehmen Ort bei sich zu haben, weil aber dieser Wunsch vergebens, so verfiel er in tiefe Gedanken, aus welchen er sich erst nach Verlauf einer guten Stunde ermunterte und ihm nicht anders zu Mut war, als ob er geschlafen und geträumt hätte.

Da es ihm aber etwas gar zu kühl zu werden begann, machte er sich wieder aus der Grotte heraus an die Sonne und ging im Garten auf und ab spazieren, da er denn gewahr wurde, daß die fremden Kavaliere und Damen über seinem Zimmer logierten; deswegen begab er sich aus dem Garten heraus, ging nach dem Stall, wo seine Pferde standen, im Rückkehren aber bemerkte er in einem anderen Zimmer durch die Fensterscheiben noch mehrere Damen, konnte jedoch nicht sehen, ob sie schön oder häßlich waren, weil sie ihre Gesichter mit Florkappen bedeckt hatten; wiewohl er sich auch hierum wenig bekümmerte, indem ihm das Bildnis der charmanten Baronne von K. beständig vor Augen schwebte.

Er begab sich wieder nach seinem Zimmer und brachte die Zeit mit allerhand Gedanken zu, bis endlich der Wirt nebst der Alten ihm die Mahlzeit auftrugen. Der erstere erzählte, wie einige Kavaliere und Damen begierig zu wissen gewesen wären, wer doch der Herr sein möchte, welcher im Garten spazierengegangen, ja die eine Dame hätte ihn, den Wirt, auf die Seite gezogen und ihm einen Zecchin geboten, wenn er ihr den Namen dieses Kavaliers und den Ort, wo er sich ordentlich aufzuhalten pflegte, sagen wollte; allein er habe hoch beteuert, daß er ihre Kuriosität nicht vergnügen könnte, weil sich dieser Kavalier weiter für nichts als einen Reisenden ausgäbe, der sich an diesem oder jenem Orte, wo es ihm gefiele, zuweilen einen oder etliche Tage aufzuhalten pflegte.

»Mein Herr!« sagte hierauf Elbenstein, »Er hat recht geantwortet; damit Er aber nicht Schaden leide, so verehre ich Ihm hiermit zwei Zecchins mit der Bitte, daß Er jetzt gleich nach der Mahlzeit auf ein paar Stündchen mit mir spazierengehen möchte, um mir die selbigen Orts befindlichen Merkwürdigkeiten zu zeigen.«

Der Wirt stellte sich nunmehr, nach abgelegter schuldigen Danksagung für das empfangene Geschenk, noch einmal so dienstfertig und versprach, Elbensteins Befehlen in allen Stücken zu gehorsamen. Dieser ließ sich die Mahlzeit wohlschmecken, desgleichen den trefflichen Wein, den man in selbiger Gegend um billigen Preis haben konnte, und begab sich nachher mit dem Wirt auf den Spazierweg. Dieser führte ihn zu allererst zu des in seinem Leben sehr berühmt gewesenen Francisci Petrarcha Haus, welches er sehr schlecht und nicht viel besser als ein gemeines Bauernhaus befand, doch dem berühmten Mann zu Ehren besah er alle Winkel desselben und setzte sich endlich, um ein wenig auszuruhen, auf der Stelle nieder, wo der Sage nach Petrarcha vor diesen seine Schlafstätte gehabt hätte. Er bemerkte über der Tür nicht nur obgemeldete Katze, sondern auch folgende Buchstaben: »Francisc. Petrarcha, Aret. Florent. nat. MCCCIV. d. XX. Jul. denat. Florent. MCCCLXXIV.«

Elbenstein versicherte seinem Wirt, daß er auf Universitäten in Deutschland zwar viel von diesem Mann gehört und gelesen, müsse aber gestehen, daß ihm, als einem jungen Menschen, das allermeiste wieder aus der Acht gefallen, weswegen der Wirt, welcher die Geschichte vielleicht von andern Passagieren erzählen hören, also redete:

»Mein Herr! Dieser Petrarcha ist ein sehr gelehrter Jurist, Philosoph und Poet gewesen, welcher zu Carpentras, Montpellier und Köln studiert hat. In Rom hat man ihn ohne sein Verlangen zum Poeten gekrönt, wie er denn auch nachher das Archidiakonat in Parma erhalten, ja er wäre unfehlbar Kardinal worden, wenn er dem damaligen Papst Clemens VI. seine schöne Schwester zur Mätresse überlassen wollen. Sonst sagt man, daß er sich allezeit mit einem ledernen Schlafrock zu Bett gelegt habe, und wenn ihm etwas von besonderen gelehrten Dingen beigefallen, er solches sogleich auf diesen ledernen Rock geschrieben, weshalb man nachgehends die Vorderteile dieses Rocks und so weit er sonst reichen können, ganz mit Versen und anderen gelehrten Einfällen beschrieben gefunden. Man hat diesen Rock lange Zeit als eine besondere Rarität aufgehoben, endlich aber ist derselbe zur Pestzeit unter anderen Sachen verbrannt worden.«

»So werden vielleicht«, sagte hier Elbenstein, »auf diesem ledernen Rocke auch viele verliebte Seufzer und vortreffliche Stoßgebetchen an seine geliebte Laura anzutreffen gewesen sein, deren der Herr Wirt gestern gedacht hat?«

Wie nun der Wirt zur Antwort gab, daß er solches nicht eigentlich sagen könne, fuhr Elbenstein im Reden fort und fragte:

»Ei! mein Herr, gibt es denn dem Volk kein Ärgernis, wenn sich die geistlichen Herren und sonderlich die Päpste Mätressen halten, wie er mir denn nur jetzt gesagt hat, daß der Papst Clemens VI. des Petrarcha schöne Schwester zur Mätresse verlangt habe?«

»Ei! Behüte Gott und alle Heiligen«, versetzte der Wirt, »daß wir von solchen Sachen nichts mehr reden; kommen Sie, mein Herr! Wir wollen weitergehen.«

Elbenstein wollte dem ehrlichen Mann nicht mißfällig werden, deswegen folgte er demselben und wurde von ihm zu der Statue des Petrarcha, die von Metall gegossen war, geführt, bei welcher der Wirt erzählte, daß ein gewisser Edelmann, der durch einen vorsätzlichen und frevelhaften Pistolenschuß an der Statue ein Auge verderbt, von der durchlauchten Republik Venedig auf Lebenszeit bannisiert worden. Nach diesen zeigte ihm der Wirt noch verschiedene vermeintliche Heiligtümer und Raritäten, welche Elbenstein, ihm zu Gefallen, zwar bewunderte, in der Tat aber nichts besonders Wunderbares daran fand, weswegen er unter dem Vorwand einer großen Müdigkeit wieder mit ihm zurück in das Gasthaus kehrte.

Kaum war er in sein Zimmer getreten, als ihm der Bediente einen versiegelten Brief überreichte, dessen Titel nach der deutschen Übersetzung also lautete:

An den allervollkommensten und allervortrefflichsten
Kavalier
N. N.

Wie nun schon der Titel einige Bestürzung bei ihm verursachte, zumal der Diener meldete, daß ein unbekannter Bote denselben überbracht und sich eiligst wieder fortgemacht hätte, so wurde er nach Lesung des Briefes noch um desto mehr bestürzt. Der Inhalt des Briefes aber war folgender:

Allervollkommenster Kavalier! Eine der vornehmsten, reichsten und schönsten Damen verlangt Euch zu sprechen, in dem Haus einer gewissen Gärtnersfrau, die sich Margaretha nennt, allwo Ihr vernehmen werdet, warum man Euch dahin hat rufen lassen. Hütet Euch aber ja, jemandem, auch nicht einmal Eurem Diener, etwas von dieser Sache zu entdecken. Morgen abend gegen zwölf Uhr könnt Ihr, jedoch ohne Begleitung, vor das Niedertor und zwischen den Gärten herunterspazieren, da Ihr denn in der Haustür obgemeldter Margaretha eine Weibsperson werdet sitzen sehen, welche Blumenkränze windet. Geht etwas zeitiger aus und bemerkt das Haus wohl, kommt aber pünktlich um zwölf Uhr wieder zurück, da man Euch denn im Vorbeigehen schon anrufen wird. Lebt vergnügt und laßt Euch das Schweigen rekommandiert sein, sonst seid Ihr verloren.

Elbenstein wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte, indem er sich bald dieses, bald jenes vorstellte. Er legte sich eine Zeitlang aufs Bett, um dieser Begebenheit ferner nachzusinnen, und endlich, nach langer Überlegung, faßte er den Schluß, sich fürs allererste des Lebenswandels und anderer Umstände der Gärtnersfrau, so genau als es nur immer möglich, zu erkundigen. Zu dem Ende befahl er erst seinem Diener, nicht aus dem Logis zu gehen, sondern seiner Wiederkunft zu erwarten, weil er wegen eines empfindenden Schwindels im Haupt sich der frischen Abendluft bedienen und auf ein oder ein paar Stunden vor das Tor spazierengehen wollte.

Er spazierte also ganz sachte durch die Straße; gleich vor dem Niedertor aber kam ihm ein Knabe von ungefähr vierzehn Jahren entgegen, welcher seiner lahmen Hand wegen ein Almosen von ihm erheischte. Elbenstein gab ihm eine Lira, welche vier Kaisergroschen beträgt, und weil in selbiger Gegend auf der Nähe kein Mensch zu hören und zu sehen war, fragte er erstlich den Knaben, wovon er die lahme Hand bekommen hätte; worauf der Bursche zur Antwort gab, daß ihm sein nunmehr vor zehn Jahren verstorbener eigener Vater nicht nur die Armröhren, sondern auch alle Gelenke der Finger zerbrochen hätte, weil er als ein Kind seiner Mutter um den Hals gefallen, da sie der Vater aus einem bösen Verdacht erwürgen wollen.

»Gehe mit mir«, sagte Elbenstein, »und antworte mir auf alles, was ich dich frage, redlich, so sollst du noch zwei Liren haben.«

Der Bursche war willig dazu, und Elbenstein fragte weiter nichts, als wer in diesem oder jenem Hause wohnte. Weil nun die Häuser ziemlich weit voneinander lagen und Elbenstein sehr langsame Schritte tat, so hatte der Bursche Zeit genug, ihm nicht nur der Bewohner Namen, sondern auch verschiedenes von ihren Umständen zu melden. Endlich fiel Elbenstein ein Häuschen in die Augen, welches sich seiner Nettigkeit wegen von anderen distinguierte, deswegen sagte er:

»Dieses Häuschen wird gewiß vornehmeren Leuten gehören?«

»Ach nein!« gab der Knabe zur Antwort, »es gehört ebenfalls nur einer Weingärtnerin, welche aber unter allen anderen unstreitig die vornehmste zu nennen ist. Aus einer armen Frau ist sie, wie mir meine Mutter gesagt, eine wohlhabende Frau worden, denn ihr Mann ist zwar erst nur ein armer Fagino oder Tagelöhner gewesen, weil aber sie, die vor der Zeit in einem vornehmen Hause zu Venedig als Köchin gedient, sich dennoch in ihn verliebt, so war ihre Herrschaft so gnädig gewesen, diesen Leuten, nachdem sie sich miteinander verheiratet, von Zeit zu Zeit so viel zu schenken, daß sie sich nachgerade dieses schöne Häuschen, Gärten, Weinberge, Ländereien und dergleichen ankaufen und erbauen konnten. Diese Frau«, fuhr der Bursche im Reden fort, »heißt man nur die glückselige Margaretha, sie ist aber seit etwa einem Jahre her zur Witwe worden, weil ihr Mann, als er von einem gewissen Herrn von Padua aus mit Briefen weggeschickt, unterwegs von einem Banditen dergestalt tödlich verwundet worden, daß er etliche Tage hernach an den empfangenen Blessuren hat sterben müssen. Den Täter hatte man bekommen und ihm sein Recht getan; unterdessen spürte die Margaretha keinen Mangel in ihrer Nahrung, denn es pflegten zur Zeit der Weinlese sehr viele Damen und Kavaliere bei ihr einzusprechen, weil sie vier saubere möblierte Zimmer jederzeit bereithielt, und da sie mit dem Kochen wohl übereinkommen, auch sonst alles schaffen könnte, was ein jedes verlangte, so verdiente sie sich sonderlich um diese Zeit ein ungemeines Stück Geld.«

Aus diesem Bericht und da er, Elbenstein, nunmehr nur das Haus wußte, hatte er schon ziemlichermaßen genug, deswegen wendete er sich mit seinem Begleiter in eine Quergasse, die zwischen den Gärten durchging, gab dem Burschen noch drei Liren und bat, daß er ihn durch einen anderen Weg wieder zurück in die Stadt führen möchte, weil er wegen zugestoßener Müdigkeit seinen vorgesetzten Spaziergang nicht vollführen könnte. Der Bursche, welcher vielleicht in langer Zeit nicht so viel Geld beisammen gehabt, wußte vor Freuden nicht, was er sagen sollte. Er küßte dem von Elbenstein wohl hundert Mal den Rockzipfel und sagte:

»Oh! Was sind doch die deutschen Kavaliere für generöse Leute gegen unsere italienischen? Wenn ich mit einem von den unsrigen zehn Meilen (oder zwei deutsche Meilen) gelaufen bin, bekomme ich kaum nur eine einzige Lira.«

Elbenstein gab dem armen Knaben zu verstehen, wie er bedauerte, daß er eine lahme Hand hätte, sonst er ihn wegen seiner Redlichkeit gern in Dienste nehmen wolle; als von ungefähr aber fragte er, ob er nicht wüßte, wie die Kavaliere und Damen mit Namen hießen, welche bei der Margaretha einzukehren pflegten.

»Nein!« sagte dieser, »das kann ich nicht sagen, aber ein einziges Mal habe ich gesehen, daß Damen dabei sind, die noch schöner sind als die Engel, und die anderen sind auch nicht häßlich, denn sie mögen wohl keine häßlichen unter sich leiden können; aber, im Vertrauen zu reden, mit der Margaretha hat es wohl Mucken, denn viele Leute sagen, sie habe es selbst angestiftet, daß ihr einfältiger Mann, dessen sie überdrüssig gewesen, von einem Banditen ermordet worden, weil er nicht nur einmal bei ihr einen Buhler im Bett angetroffen, von demselben jedoch übel bezahlt worden, sondern auch in der Trunkenheit einmal von einer Dame, die doch der Margaretha vornehmste Wohltäterin sein mag, eine und andere Begebenheiten erzählt. Überdies habe ich neulich, da man meinte, ich schliefe, gehört, daß eine andere Gärtnerin zu meiner Mutter sagte: ›Die Margaretha hat durch ihre Kupplerei gemacht, daß schon mancher brave, fremde Kavalier ums Leben gekommen ist!‹«

Die Haare begannen Elbenstein zu Berge zu stehen, als er die letzten Worte dieses Burschen anhörte, jedoch er stellte sich, als ob er wenig davon verstanden hätte, und als er die Pforte sah, wodurch er wieder in das Städtchen gelangen konnte, dankte er demselben nochmals für seine Mühe und befahl ihm, nun nur in Gottes Namen nach Hause zu gehen. Sobald dieser etliche Schritte von ihm, sprach er bei sich selbst:

»Verflucht sei Margaretha und ihre Mordgrube! Nein! Wo solche Sirenen wohnen, da will ich nicht hinkommen, sondern mich, solange es sein kann, mit meiner schönen Baronne vergnügen, hernach auf und davon reisen.«

Unter dergleichen Gedanken gelangte er wieder in seinem Logis an, da denn die alte Ruffiana sogleich kam und fragte, wo er gewesen und ob er etwa andere Courtoisie gesucht hätte?

»Meine liebe Mutter!« gab er zur Antwort, »Ihr scheint mir, wie alle alten Leute, etwas wunderlich zu sein; wo wollte ich denn ein größeres Vergnügen finden können, als bei der Baronne von K., die ihresgleichen an Annehmlichkeiten auf der ganzen Welt nicht haben kann.«

»Nun so habt Ihr«, versetzte die Alte, »den rechten Glauben, und ich habe Euch nebst dem allerfreundlichsten Gruße von derselben zu vermelden, daß Ihr, sobald es dunkel worden, zu ihr kommen möchtet, damit sie Abschied von Euch nehmen könne, weil sie heute einen Expressen von ihrem Gemahl bekommen, mit dem Befehl, daß sie morgen mit dem allerfrühesten aufbrechen und nach Hause kommen möchte, indem eine starke Gesellschaft ihrer Befreundeten, von Damen und Kavalieren, morgen auf ihrem Schloß eintreffen und sich mit Jagden, Fischereien, Bällen und dergleichen ergötzen wollten.« Durch diese Nachricht wurde Elbenstein einesteils bestürzt, weil er seine anmutige Baronne so bald entbehren sollte, anderen Teils aber auch beruhigt, weil er solchergestalt den Fallstricken der Margaretha desto geschwinder entgehen könnte, vor welchen er sich einigermaßen zu fürchten Ursache hatte. Demnach ließ er dem Wirt durch die Alte sagen, daß, weil er diesen Mittag spät gespeist, er abends mit kalter Küche vorliebnehmen und sich desto zeitiger zu Bett legen, die Mahlzeit aber doch für voll bezahlen wollte. Solchergestalt blieb er des Wirts Besuch überhoben, welcher es vielleicht auch nicht ungern sehen mochte, weil er seinen anderen Gästen desto besser aufwarten konnte.

Diese hochmütigen Italiener fragten ihn, warum der Deutsche nicht Gelegenheit gesucht, mit ihnen in Gesellschaft zu kommen, allein der Wirt war dennoch so raisonable, Elbenstein zu excusieren, indem er vorstellte, daß dieser ein Mensch von sehr stillem Humor sei, und da er überdies sehr wenig italienische Worte zu Markte bringen könne, sich allerdings noch scheute, in dergleichen vornehme Kompanie zu kommen, weil er vielleicht befürchtete, ausgelacht zu werden, da er nur sehr wenige Wochen in Italien gewesen.

Das Frauenzimmer hielt Elbensteins Partie gegen die Kavaliere, daß diese sich gezwungen sahen, ihnen Recht zu geben. Sobald aber die starke Kompanie die Lichter ausgelöscht, kam die Alte zu Elbenstein und vermeldete, wie es nunmehr Zeit wäre, sich zur Baronne zu verfügen, weswegen er sich alsbald zurecht machte und mit ihr, jedoch ohne Laterne, durch den Garten fortschlich, damit sie nicht etwa von noch wachsamen Augen belauert werden möchten.

Beide kamen glücklich an Ort und Stelle, ohne von jemandem bemerkt zu werden; die Alte retirierte sich sogleich, Elbenstein aber wurde von der charmanten Baronne dergestalt liebreich empfangen, daß er vor Vergnügen fast ganz aus sich selbst gesetzt war. Die Traktamente von den delikatesten Sachen standen zwar parat, allein sie hielten sich nicht lange dabei auf, weil beide begierig waren, den Prozeß ins Reine zu bringen, welchen sie in voriger Nacht ventiliert hatten. Elbenstein, der das Jus auf Universitäten ex fundamento gelernt, brachte ein; es passierte Satz und Gegensatz: Es wurde protestiert, appelliert, leuteriert, summarum der ganze Schlendrian durchpraktiziert, endlich aber baten sich beide Teile gegen einander Spatium deliberandi aus, um vielleicht einen gütlichen Vergleich zu treffen; allein es kam ganz plötzlich eine Karosse dergestalt schnell die Gasse heruntergefahren, daß die Fenster in allen Häusern schütterten. Die Karosse hielt eben vor diesem Hause still, und es wurde an der Tür desselben entsetzlich stark angepocht, weswegen die Wirtin vom Haus, welche eine Befreundete der Baronne von K. war, zum untersten Fenster herausrief:

»Wer da?«

»Ich bin es, meine Werteste!« rief eine Stimme aus dem Wagen und fragte zugleich: »Ist meine Gemahlin noch hier?«

»Ja!« sagte die Hauswirtin, »sie ist hier und liegt schon in guter Ruhe, warten sie, mein Herr, ich will gleich Licht machen.«

Unter diesem Wortwechsel sprang die Baronne von K. aus dem Bett und schrie mit heiserer Stimme:

»Ach, sanct Antonie! Das ist mein Mann.«

Elbenstein war ebenso geschwind, raffte seine Kleider zusammen und war so glücklich, ehe das Haus geöffnet wurde und man den Baron mit dem Licht zu seiner Gemahlin bringen konnte, sich durch die Hintertreppe und durch den Hof an den Garten seines Quartiers zu schleichen, als er aber die Gartentür probierte, fand er dieselbe verschlossen. Mittlerweile fand er fürs ratsamste, sich anzukleiden, und da solches völlig geschehen, vermißte er nichts als seinen Hut, Degen und Stock, welche drei Stücke ihm entsetzliche Sorgen verursachten. Allein, hier half nichts als die liebe Geduld, denn weil er über die hohen Mauern nicht springen konnte, mußte er sich mit der größten Gelassenheit so lange zu verbergen suchen, bis er sah, wie es ihm weiter erginge.

Das alte Murmeltier war allerdings Schuld an dieser seiner Verdrießlichkeit, denn sobald sie ihn zur Dame begleitet hatte, schloß sie die Gartentür wieder zu und wartete im Gasthof ihre Geschäfte ab, legte sich hernach unbesorgt zur Ruhe. Kaum aber hatte der Himmel zu grauen angefangen, als sie schon wieder munter ward, sich sachte durch den Garten schlich und die Tür ganz leise öffnete. Ihre Bestürzung war ungemein groß, als sie Elbenstein in solchen Zustand daselbst antraf, und über den zurückgelassenen Hut, Stock und Degen wollte sie fast verzweifeln, wenn sie sich vorstellte, was darüber für ein Unglück würde entstanden sein. Es lief aber die Sache besser ab, als sie sich eingebildet hatte, weil die Baronne ein Nachtlicht gehabt, sie nicht nur Elbensteins Sachen auf die Seite bringen, sondern auch das Bett in gehörige Form bringen können, so daß nicht zu bemerken, daß zwei Personen in demselben geruht hätten. Die Baronne eilte hierauf ihrem die Treppe heraufkommenden Gemahl entgegen, empfing denselben mit vielen Küssen und Liebkosungen, und er erwiderte dieses mit den zärtlichsten Karessen, wobei er meldete, daß, als er nach seiner Abreise von Treviso Nachricht erhalten, wie etliche ihrer Befreundeten sie auf ihrem Schlosse besuchen wollten, er ihr solches erstlich durch einen Expressen zu wissen getan, nachdem aber der Bote schon fortgewesen, hätte ihn die herzliche Liebe zu seiner wertesten Gemahlin angespornt, dieselbe in eigener Person abzuholen, welches denn die Ursache, daß er so spät gekommen wäre und sie in ihrer Ruhe gestört hätte. Nun aber diesen Fehler zu verbessern, bat er, daß sie sich nur alsbald wieder niederlegen möchte, indem er nur noch eine einzige Bouteille Muskatwein austrinken wollte, weil er empfände, daß er seinen Magen sehr erkältet hätte, hernach sogleich folgen wollte. Dieses wurde von beiden Seiten ins Werk gestellt, und der Baron führte sich für diesmal gegen seine schmeichelhafte Gemahlin dergestalt verliebt und geschäftig auf als der jüngste Kavalier, allein ohne besonderen Nachdruck, und weil er den Tag über auch schon eine ziemliche Portion Wein zu sich genommen haben mochte, verfiel er in einen solchen tiefen Schlaf, daß die Baronne, sobald sie hörte, daß die Alte vor der Tür wäre, ganz gemächlich aufstehen und ihr den Hut, Stock und Degen zur Tür herausreichen konnte.

Diese drückte den Hut in ihren Handkorb und verbarg denselben sowohl als die andern Sachen unter ihrer Baotta oder Regentuch, dergleichen das gemeine Volk zu tragen pflegte, wanderte also über Hals und Kopf zu dem von Elbenstein, welchem dadurch, daß er nicht allein seine Sachen wiedersah, sondern auch, weil diese gefährliche Aventure noch so glücklich abgelaufen, ungemein erfreut wurde. Er erwog die Gefahr, so ihm sowohl als der Baronne daraus entstehen könnten, da leicht geschehen könne, daß wenn sie beiderseits nach gebüßter strafbarer Lust von der göttlichen Strengigkeit in einen tiefen Schlaf versenkt worden, der Baron sowohl seine untreue Gemahlin als auch ihn der unseligen Ewigkeit würde aufgeopfert haben; welches dieser, der seine erste Gemahlin aus einem bloßen Verdacht ins Wasser gestürzt, so daß sie nebst der Leibesfrucht ihr Leben einbüßen müssen, unfehlbar nicht würde unterwegs gelassen haben, zumal er jetzt viel rechtmäßigere Ursache gehabt, seine Rache auszuüben.

Bei solchen Gedanken verging ihm nicht allein aller Schlaf, sondern er wurde dergestalt in seinem Gewissen gerührt, daß er aufstand, sein Gebetbuch hervorsuchte und Gott um Vergebung seiner Sünden mit herzlicher Reue und Leid über dieselben inbrünstig anflehte und zugleich demütigst dankte, daß er ihn nicht in Sünden dahingerissen. Hierbei nahm er sich den Vorsatz, sobald er mit seinem Fürsten wieder in N. angelangt, Urlaub nach Venedig zu reisen, von demselben zu nehmen und daselbst bei den deutschen Kaufleuten Monsignore Hopffern und Bachmeyern, anzusuchen, daß sie ihm Vorschub tun und beförderlich sein möchten, bei ihrem Priester zu beichten und zu kommunizieren. Denn es hatten zu damaligen Zeiten diese Kaufleute zu Venedig einen in Augsburg ordinierten protestantischen Priester bei sich, welcher, um nicht erkannt zu werden, in coleurten Kleidern einherging.

Jedoch wieder auf Elbenstein zu kommen, so hatte er sein bellendes Gewissen durch diesen Vorsatz einigermaßen beruhigt, so daß er auch ein paar Stunden schlafen konnte. Allein was ist doch das Herz eines wollüstigen Menschen für ein veränderliches Ding! Denn als er kaum wieder erwacht war, kam die alte Ruffiana und brachte ihm von der Baronne eine versiegelte Schachtel nebst einem beweglichen Abschiedskompliment; sie konnte nicht genugsam beschreiben, wie kläglich und jämmerlich sich diese schöne Dame gebärdet, daß sie sich so plötzlich von ihrem liebsten Kavalier getrennt sehen sollte. Endlich aber habe sie sich damit getröstet, daß ihr Anschlag, auf eine Zeit lang nach N. zu reisen, die schönste und beste Gelegenheit zuwege bringen würde, ihren geliebtesten Kavalier wiederzusehen und seiner Liebe zu genießen. In dieser Hoffnung wäre sie mit ihrem Gemahl diesen Morgen abgereist, nachdem sie ihr mit einer wehmütigen Miene nochmals zu verstehen gegeben, alles wohl auszurichten.

Elbenstein gab, seiner gewöhnlichen Generosität nach, der Alten noch ein wichtiges Trinkgeld, so daß sie hiermit allein für ihre gehabte Mühe vollkommen wohl zufrieden sein konnte, ungeachtet er nicht zweifeln durfte, daß die Dame dieselbe gleichfalls reichlich genug beschenkt haben würde. Da ihm aber das alte Rastrum ganz ungewöhnliche und recht lächerliche Danksagungskomplimente machte, wurde er endlich ganz froh, daß dieselbe ihre Wege ging. Sobald sie fort, schloß er die Tür seines Zimmers ab, brach die versiegelte Schachtel auf und fand zuoberst darin einen mit Blut beschriebenen kleinen Zettel, der ihm folgende Worte zu vernehmen gab:

Mein Auserwählter! In Ermangelung der Tinte steche ich mit einer Nadel so oft in die Finger, bis ich Euch, wiewohl mit einer elenden Feder, zuschreiben kann, daß Ihr der einzige seid, den ich auf dieser Welt in allerhöchstem Grade liebe; dieses ist für diesmal genug gemeldet. Nehmet dieses wenige als ein Zeichen meiner Treue und zum geneigten Andenken an, weil ich für jetzt auf der Reise mich nicht im Stande befinde, ein mehreres zu tun, liebt mich auch wenigstens nur halb so sehr als Euch liebt

Eure                    

Getreue.

Bei so zärtlichen Ausdrücken fing sein Herz schon wieder zu schmerzen an, und daß er vollends ihr ganz ungemein akurat getroffenes, in Wachs gegossenes Bildnis, welches in einer goldenen, mit kostbaren Steinen besetzten Kapsel lag, fand, hatte er ein so heftiges Vergnügen darüber, daß er die dabeiliegende, mit lauter Zecchinen angefüllte Tabatiere sozusagen gar nicht in Betrachtung zog. Er stand ganz entzückt und würde vielleicht noch in etlichen Stunden seine Augen nicht von diesem Brustbild gewendet haben, wenn nicht jemand gekommen wäre und an seine Tür geklopft hätte. Solchergestalt deckte er ein Schnupftuch über die schönen Raritäten und sah nach, wer vor der Tür wäre. Es war der Wirt, welcher fragte, ob ihm heute nicht beliebte zu speisen? Man hätte immer auf seinen Befehl gewartet, nunmehr aber, da es bereits zwei Stunden über Mittag wäre, bäte er, nicht ungnädig zu vermerken, daß er über ein bei sich habendes Buch geraten wäre und sich dergestalt darin vertieft hätte, daß er weder nach der Uhr gehört noch an das Essen gedacht hätte; nunmehr aber bäte er, die Speisen aufzutragen. Dieses geschah, der Wirt aber, so ihm aufwarten wollte, mußte sich auf sein inständiges Verlangen an den Tisch setzen und mit ihm speisen, weil Elbensteins Diener adrett genug war, beiden aufzuwarten.

Unter währendem Speisen kamen sie auch auf gut Gewehr zu reden, da denn der Wirt erzählte, wie vor etlichen Jahren ein paar ungemein saubere Pistolen bei ihm versetzt worden, welche er gern wieder verkaufen wollte, wenn er nur sein Währgeld wiederbekäme, die Zinsen möchten immerhin zurückbleiben. Elbenstein bat, daß ihm der Wirt diese Pistolen nach Tisch in den Garten bringen möchte, wo er sie besehen, probieren und nach Befinden einen Kaufmann dazu abgeben wolle. Nach abgetragener Mahlzeit war der Wirt nicht faul dazu; Elbenstein befand die Pistolen ungemein sauber und judizierte, daß sie kein Geringer geführt haben müsse, er bemerkte auch aus ein und anderem, daß sie nicht uneben schießen müßten, machte demnach die Probe, ließ sich von dem Wirt einen Zirkel mit Kreide auf ein Brett machen und schoß nach dem Mittelpunkt, welcher etwa so groß als ein Kaisergulden war. Nun meinte zwar der Wirt, Elbenstein ziele nach dem gemalten Mittelpunkt, dieser schlaue Fuchs aber hatte sich zu seinem Zweck einen Ast erwählt, welcher mehr als eine Spanne lang von dem Mittelpunkt entfernt war, traf auch denselben zu seiner innerlichen Freude akurat. Dennoch rief er:

»Das war gefehlt, aber einmal ist keinmal, ich muß es mit jeder doch dreimal probieren.«

Er tat solches, traf aber niemals in den Zirkel, weil er sich allemal außer demselben ein besonderes Fleckchen merkte, welches er denn keines Messerrückens breit verfehlte.

»Ewig Schade!« sagte Elbenstein demnach, »daß diese sauberen Pistolen nicht akurat schießen.«

Der Wirt, welcher sich auch ein guter Schütze zu sein bedünken ließ, schoß mit jeder Pistole auch dreimal, kam zwar zweimal in den Zirkel, doch lange nicht nahe genug an den Punkt, weswegen er sich zwar geschickter zu sein bedünkte als Elbenstein, jedoch gestehen mußte, daß die schönen Pistolen eben nicht gar zu gut schössen.

»Nun!« sagte Elbenstein, »wollen wir einmal sehen, was meine tun, welche nicht des vierten Teils so viel Ansehen haben.«

Demnach befahl er dem Diener, ihm seine Pistolen zu langen. Elbenstein ladete sich allezeit selbst und schoß auf sechsmal das Zentrum dergestalt heraus, daß man ein Ei hindurchstecken konnte. Der Wirt sperrte Maul und Nase auf, und da Elbenstein ihm erlaubte, auch sechsmal daraus zu schießen, traf er das Zentrum zweimal, der weiteste Schuß unter sechs aber kaum zwei quer Finger breit davon.

»Es ist wahr« sprach der Wirt, »diese sind besser, ohngeachtet sie nicht so viel Ansehen haben.«

Nach diesem belustigten sie sich noch weiter mit Schießen, denn der Wirt mußte Elbenstein ein und andere Äpfel und Aprikosen zeigen, welche er von den Bäumen heruntergeschossen haben wollte, und jener traf mit seinen eigenen Pistolen alle dergestalt akurat, daß mancher Apfel und Aprikose in viele Stücken zersprang. Endlich fragte Elbenstein:

»Mein Herr! Wie hoch hält er seine Pistolen?«

»Ach«, antwortete dieser, »wenn ich alles rechnen wollte, so stünden sie mir wohl für mehr als zwölf Zecchinen, wenn man mir aber acht Zecchinen bar Geld hinzählte, würde ich mich nicht lange besinnen, dieselben anzunehmen, denn mit Geld kann ich eher was erwerben als mit Pistolen.«

Elbenstein tat, als ob er sich eine Weile besönne, endlich zog er seine Goldbörse hervor und sagte:

»Ich will einmal einen Hazard wagen, hier sind die acht Zecchinen. Ich weiß einen Meister, der dergleichen Gewehr sonst ganz gut zurichten kann, triffts ein, daß er ihnen helfen kann, so ists gut, wo nicht, so muß ich mich damit begnügen lassen, daß sie doch eine gute Parade im Zimmer an der Wand machen.«

Der Wirt mochte wohl höchst erfreut sein, daß er die Pistolen nur los wurde und bar Geld dafür bekam, Elbenstein aber hätte sie nach der Zeit, da er sie immer mehr und mehr probiert, auch beständig akurat befunden hatte, keinem für vierundzwanzig Zecchinen hingegeben.

Für diesmal ging er auf sein Zimmer, wo ihm die Gedanken einkamen, daß er diesen Abend in der Margaretha Behausung eine Visite abzulegen hätte; allein es schauderte ihm die Haut davor, zumal er nicht wußte, was er für Personen darin antreffen würde, und ob er sich statt eines eingebildeten Vergnügens nicht in die größte Gefährlichkeit stürzen könnte. Demnach nahm er das Bildnis seiner geliebten Baronne abermals vor sich, küßte dasselbe wohl mehr als hundertmal aufs allersubtilste und redete als ein Verliebter nicht anders mit demselben, als ob die Baronne in Lebensgröße persönlich zugegen wäre. Endlich aber besann er sich selbst, daß er Torheiten beginge, packte deswegen das Porträt wieder ein und resolvierte sich, um die verliebten Grillen etwas zu vertreiben, vor das Obertor spazierenzugehen. Demnach ließ er bei dem Wirt anfragen, ob er ihm Gesellschaft leisten wollte. Dieser, welcher vermerkte, daß der Spaziergang vor das Obertor nicht so leer ablaufen würde, zumal da er den besten Wein selbst lieber trank als den schlechtesten, war gleich parat und führte Elbenstein, welcher vorgab, daß er die Gegend vor dem Obertor noch nicht betrachtet, da hinaus. Als sie kaum fünfhundert Schritt außerhalb passiert, zeigte ihm der Wirt in der Nähe ein Gartenhaus und sagte:

»Mein Herr! Sie mögen es glauben oder nicht, in diesem Hause trifft man den besten Wein an, der in Welschland weit und breit nicht besser und delikater zu finden ist. Ich weiß aber nicht, wie es zugeht, daß der Wein nur allein in diesem Hause so vortrefflich schmeckt, denn ich habe zu verschiedenen Malen den allerbesten ausgekostet, mir etliche Bouteillen davon abziehen und in mein Haus tragen lassen, allein nachher hat ein jeder sogleich schmecken können, daß meine Weine weit besser gewesen als diese. Es ist ein rechtes Wunder«, fuhr der Wirt fort, »daß auch die schlechtesten Weine in diesem Hause so ungemein delikat schmecken, sobald sie aber, es sei in Gläsern, Bouteillen, Fässern oder was es für Geschirr ist, nur zehn oder zwanzig Schritt über die Straße getragen werden, ist die Delikatesse weg und schmecken dieselben nicht anders als andere gemeine Weine.«

»Vielleicht«, versetzte Elbenstein, »wird der Wirt dieses Hauses etwa hübsche Frauenzimmer im Hause haben?«

»Ach nichts weniger als dieses, denn der Wirt und die Wirtin sind ein paar sehr alte, aber sehr fromme und religiöse Leute, deren beide Töchter und Magd, die sie haben, ungemein häßliche Personen. Allein die beiden frommen Alten haben sich nicht allein den heiligen Antonius von Padua in Lebensgröße aus Holz geschnitzt in ihr Haus geschafft, sondern sollen auch wirklich eine Reliquie von ihm in ihrer Gewalt haben, welcher letzteren eben das Wunder zugeschrieben wird, daß der Wein sobald er aus dem Revier ihres Hauses getragen wird, seine Delikatesse verliert.«

Elbenstein mußte in seinem Herzen über die Rede seines Wirtes lachen, doch ließ er sich nichts merken, sondern sagte:

»Ei, so bin ich doch curieux, nicht nur den delikaten Wein zu kosten, sondern auch das Wunder zu probieren; kommt, mein Herr! Wir wollen auf dieses Haus losgehen und dem heiligen Antonius unsere Ehrerbietung bezeigen.«

Der Wirt schien damit wohl zufrieden zu sein, sie traten durch das Haus in die Stube hinein und fanden, weil es eben Sonnabend war, keine Gäste, sondern die drei Frauenzimmer, deren Gestalt er sich nicht häßlicher einbilden können. Elbensteins Wirt forderte eine Bouteille vom allerbesten Wein, indem er vorgab, daß er einen recht vornehmen deutschen Kavalier zu ihnen geführt hätte, mithin gern Ehre einlegen wollte. Die Bouteille wurde nebst reinen Trinkgläsern gebracht und die eine Tochter gefragt, wo Vater und Mutter wären, worauf die Antwort fiel, daß sie in einem anderen Zimmer ihre Andacht vor dem heiligen Antonius verrichteten. Der Wirt trank Elbenstein zu, dieser tat Bescheid und gab auf jenes Befragen, ob er wohl delikateren Wein in Italien getrunken hätte, zur Antwort: »Nein! Dieser ist der allerdelikateste, den ich Zeit meines Lebens, bis auf diese Stunde, gekostet.«

»Nun, mein Herr«, versetzte der Wirt, »um Ihnen des Wunders zu überzeugen, so kommen Sie nur gleich, nehmen Sie selbst die Bouteille in die Hand, damit Sie versichert bleiben, daß kein Betrug vorgeht; ich will die Gläser nehmen, wir wollen nur etliche zwanzig Schritt über die Grenzen dieses Hauses gehen, hernach sagen Sie mir Ihres Herzens Meinung.«

Elbenstein gehorsamte dem Wirt, nahm die Bouteille in Arm und ging mit ihm. Sobald sie etliche zwanzig bis dreißig Schritt vom Hause weg waren, nötigte ihn der Wirt, sich auf einen grünen Hügel niederzulassen, selbst ein Glas einzuschenken und dasselbe auszutrinken. Dieser folgte; kaum aber hatte er das Glas ausgeleert, als der Wirt recht begierig fragte:

»Nun, wie schmeckt der Wein allhier?«

Elbenstein stellte sich ganz bestürzt und tat, als ob er gar nicht zu Worte kommen könnte. Endlich aber sagte er mit einem tief geholten Seufzer und gen Himmel gerichteten Augen:

»Oh Wunder über Wunder! Dieses hätte ich nimmermehr geglaubt, wenn ich es nicht selbst empfunden hätte; denn die Delikatesse des Weines ist bereits über die Hälfte weg, was würde noch werden, wenn man ihn noch weiter trüge?«

Der Wirt trank auch und sagte:

»Ja! Es ist wahr, über die Hälfte ist die Delikatesse weg; allein wir wollen jeder nur noch ein Glas zu mehrerer Überzeugung, trinken, sodann wieder ins Haus gehen, denn was sollen wir uns mutwilligerweise um den guten Geschmack bringen?«

Elbenstein ließ sichs gefallen, bejahte nochmals, daß der Wein hier sehr schlecht schmeckte, und sobald der Wirt sein Glas auch ausgetrunken und ebendasselbe bekräftigt hatte, begaben sie sich wieder zurück ins Haus.

Kaum hatten beide in der Stube am Tisch Platz genommen, als der Wirt Elbenstein aufs neue von eben dieser Bouteille zu trinken nötigte. Dieser tat es und wurde hernach befragt, wie der Wein nun wieder schmeckte? Elbenstein stemmte die Ellbogen auf den Tisch und hielt die Hände vor beide Augen, schüttelte auch öfters den Kopf, um eine sonderbare Verwunderung anzuzeigen, endlich aber sprach er:

»Zeit meines Lebens will ich an dieses Wunder gedenken, denn nunmehr schmeckt der Wein aus eben dieser Bouteille eben wieder so delikat als zuallererst, so daß ich gestehen muß, solange ich in Italien bin, noch nicht dergleichen getrunken zu haben.«

Allein, für diesmal war Elbenstein wohl ein rechter Spottvogel, denn er mußte zwar bei sich selbst gestehen, daß dieses kein schlechter, sondern ein solcher Wein war, der die mittelmäßigen übertraf, jedoch hatte er schon binnen der Zeit, als er in Italien sich aufgehalten, Weine von weit besserer Nummer getrunken, sein ganzes Werk war aber nur, sich dem Wirt gefällig zu erzeigen, jedoch denselben heimlich bei der Nase herumzuführen.

Sie führten demnach alle beide noch verschiedene Diskurse über dieses wunderliche Wunder, bis endlich der eisgraue alte Hauswirt nebst seiner ebenfalls eisgrauen alten Hausehre herangetreten kam und seine Gäste mit den allerandächtigsten Worten und Gebärden bewillkommnete. Da ging nun der Diskurs von dem Mirakel aufs neue an, welcher, wenn man denselben hier repetieren wollte, viel zu langweilig und verdrießlich fallen würde. Weil aber dennoch der Wein Elbenstein ganz wohl schmeckte, trank er seiner geliebten Baronne Gesundheit so öfters in Gedanken, daß er endlich einen ziemlichen Schwürbel im Kopfe fühlte. Dennoch bezeugte er gegen seinen Wirt ein Verlangen, den heiligen Antonius von Padua zu sehen; dieser sein Wirt persuadierte also den alten Hauswirt bald dahin, sie alle beide in das Appartement zu führen, wo die hölzerne, doch aber sauber gemalte und vergoldete Statue stand. Es war dieses Appartement einer kleinen Kapelle nicht unähnlich, indem ein Betaltar, verschiedene Lichter und anderer geistlicher Zierrat darin anzutreffen waren. Da nun, wie bereits gemeldet, Elbenstein vom Wein etwas begeistert war, tat er diesem Heiligen mehr Ehre an, als er sonst jemals einem hölzernen Bild erzeigt hat, ja er stellte sich gar, als ob er etwas Besonderes auf dem Herzen hätte und den heiligen Antonius heimlich um Hilfe anriefe. Dieses gefiel dem alten, eisgrauen Mann dergestalt wohl, daß er nach der Zurückkunft in die Trinkstube ein paar Bouteillen von noch weit besserem Wein herauflangte.

Elbensteins subtile Zunge schmeckte bald, daß dieses aus einem weit besseren Faß wäre, sagte es deswegen ganz deutlich heraus, allein der alte Mann beteuerte, daß es eben vom vorigen Wein wäre, und wenn er ihm ja besser schmeckte, so wäre es ein Merkzeichen, daß der heilige Antonius sein Gebet erhört hätte. Elbensteins Wirt bekräftigte solches, weswegen Elbenstein vor Freude in die Hände klatschte, sich aber in dem guten Wein vollends dergestalt begeisterte, daß sein Diener und der Wirt ihn fast nach Hause und ins Bett tragen mußten. So viel Verstand hatte er noch, seinem Diener zu sagen, daß er die Mittagsmahlzeit eine gute Stunde zeitiger als gewöhnlich bestellen, hernach die Pferde parat halten sollte, weil er gleich nach Einnehmung der Mahlzeit fortreisen wollte.


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