Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Nachdem er allda in einem bequemen Logis wenig von Speisen und Getränken, jedoch desto mehr Schlaf und Ruhe genossen, begab er sich frühmorgens bei guter Zeit auf den ferneren Weg nach Bataglia; indem er aber solchergestalt dem Schlosse vorbeipassieren mußte, wo seine geliebte Baronne von K. sich aufhielt, fing er an, sobald er solches erblickte, ganz sachte zu reiten, war auch so glücklich, dieselbe ganz allein in einem Fenster, aus welchem sie die Heerstraße und ganze Gegend übersehen konnte, zu erblicken. Sie erkannte ihn gleichfalls, und als er seinen Hut abzog, war sie so gefällig, ihm nicht allein ein charmantes Kompliment zu machen, sondern auch die Spitzen ihrer Finger zu küssen und ihm damit anzuzeigen, daß sie ihm einen Kuß entgegenschickte und herunterwürfe.

Elbenstein durfte sich mit nichts anderem als mit einem tiefen Hauptneigen revanchieren, weil er befürchten mußte, daß etwa jemand anders im Schloß durch die Scheiben gucken und seine Mienen observieren möchte. Weil nun eben dem Schlosse gegenüber das Wirtshaus war, hielt er vor demselben still, ließ sich ein Stück weißes Brot und ein Glas Wein aufs Pferd reichen und verzehrte also das Frühstück, mittlerweile er seine Augen zum öfteren nach dem Schlosse richtete, in Hoffnung, die Baronne noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Allein, es wollte nichts daraus werden, denn diese war sogleich in ihres Herrn Gemahl Zimmer gegangen und hatte zu demselben gesagt:

»Seht doch, mein Schatz: Dort hält ein Kavalier vor dem Wirtshaus, wenn ich schwören sollte, so hätte ich ihn bei dem Fürsten von N. gesehen, allein der arme Mensch wird ein schlechtes Frühstück bekommen, weil ich gestern gehört habe, daß unser Gastwirt in vielen Jahren nicht so schlechten Wein gehabt hat als jetzt.«

Dieses letztere brachte sie mit einer solchen negligenten und lächerlichen Miene vor, daß der Herr Baron sich fast darüber ärgerte und sagte:

»Es ist eine schlechte Ehre für unseren Flecken, wo wir selbst wohnen.«

Augenblicklich aber rief er einen von seinen Lakaien und befahl ihm, aufs allereiligste eine Bouteille von dem allerbesten Marceminerwein nebst einer Schale von Konfekt dem Kavalier, der dort vor dem Gasthof hielte, hinüberzutragen, dabei zu melden, wie er, der Baron, demselben seine gehorsamste Empfehlung machen ließe, anbei besorgte, daß ihm des Wirtes Wein vielleicht nicht schmecken würde, weswegen er ihm hier eine Bouteille von dem seinigen, so gut man dieselbe in der Geschwindigkeit ergreifen können, überschickte, anbei gehorsamst bäte, wenn seine Reise nicht allzu pressant, seiner, des Barons, Behausung und ihm die Ehre zu geben, auf ein schlecht Mittagsmahl vorlieb zu nehmen, damit er das Glück haben möchte, den er für einen deutschen Landsmann ansähe, von Person und Namen kennenzulernen.

Der Diener war wie der Wind, sowohl den Wein und Konfekt als das Kompliment anzubringen, hätte es auch nicht besser treffen können, indem er für seinen Weg einen Scudo d'argento (ist ungefähr dreißig Groschen deutschen Geldes) zum Trinkgeld bekam; Elbenstein schickte aber sogleich seinen eigenen Diener zum Herrn Baron, ließ bei Vermeldung seines gehorsamsten Respekts und schuldigster Danksagung für das Überschickte wissen, daß er des Fürsten von N. Kammerjunker und eben jetzt auf der Rückreise begriffen wäre, wegen einer aufgehabten Kommission Seiner Durchlaucht, die sich noch in Bataglia bei des Marchese Obizzo Hochwohlgeborener Exzellenz befanden, untertänigsten Rapport abzustatten; gratulierte sich anbei höchlich, in seiner Gegend an dem Herrn Baron einen hochgeschätzten deutschen Landsmann angetroffen zu haben, und wollte sich bei anderer, bequemerer Gelegenheit das Glück ausbitten, in dessen nähere Bekanntschaft zu geraten, vorab aber wolle er das Überschickte auf des Herrn Barons Gesundheit zu sich nehmen und sich zu dessen geneigtem Andenken bestens rekommandieren.

Sobald der Baron nur die Wahrheit erfuhr, daß Elbenstein ein deutscher Kavalier wäre und bei dem Fürsten von N. in Diensten stünde, bat er dessen Diener, nur einen Augenblick zu verziehen, binnen der Zeit er seinen Stock, Degen und Hut langen ließ, sich in Person zu Elbenstein begab und denselben aufs allerfreundlichste bat, seine fernere Reise wenigstens nur auf einige Stunden aufzuschieben und in seinem Hause mit einer Mittagsmahlzeit vorlieb zu nehmen. Dieser weigerte sich, ob er gleich vom Pferd gestiegen war, erst lange Zeit. Als aber der Baron, welcher in vielen Monaten mit niemandem Deutsch hatte sprechen können, allzu inständig anhielt, ihn nur dieses Mal nicht zu verachten, ließ er sich endlich, dem Schein nach, forcieren, über Mittag dazubleiben, da denn die beiden Herren vorausgingen, die Diener aber die Pferde hinterherführen mußten. Kaum hatte der Baron Elbenstein in ein propres Zimmer geführt und gehörig bewillkommt, als er sogleich seine Gemahlin aus dem Nebenzimmer rief, ihm dieselbe entgegenführte und zu ihr sagte:

»Hier, mein Schatz, seht Ihr einen wertgeschätzten Landsmann von mir, dem die deutsche Treue und Redlichkeit aus den Augen leuchtet, ich bitte Euch, daß Ihr ihm die Zeit passiert, bis ich wiederkomme.«

Es war fast ein Glück sowohl für die Baronne als für Elbenstein zu nennen, daß der gute Herr Baron sich so geschäftig erwies und gleich aus dem Zimmer ging, den beiden verliebten Seelen stieg das Blut dergestalt ins Gesicht, daß auch der allereinfältigste Mensch an ihnen besondere Regungen hätte bemerken müssen, und wenn er auch gleich gewußt hätte, daß sie einander Zeit Lebens nicht gesehen oder gesprochen hätten. Sobald aber nur die Baronne gehört, daß ihr Herr die Treppe hinuntergetrappelt war, embrassierte sie den von Elbenstein, gab ihm in der Geschwindigkeit mehr als hundert Küsse und sagte hernach:

»Oh du Glück, wann werde ich in den Stand kommen, dir es sattsam zu danken, daß du mir das Vergnügen gönnst, mein Allerliebstes auf der Welt in meinem eigenen Haus zu küssen;« Hierauf machte sie erst die Tür des Zimmers auf, da aber nichts Lebendiges zugegen, ging das Küssen von neuem an, jedoch ganz gemächlich, so daß allen beiden auch die Röte aus dem Gesicht verschwand, und endlich, da der alte Herr Baron wieder heraufgestapelt kam, standen sie an dem geöffneten Fenster und schwatzten dergestalt ernsthaft miteinander, als ob keines von beiden jemals ein Wasser trüb gemacht hätte. Weil aber der Baron anfing, sich mit Elbenstein in ein Staatsgespräch einzulassen, machte die Baronne ihr Kompliment und begab sich wieder zurück in ihr Zimmer. Er, der Baron, gab Elbenstein zu vernehmen, daß, weil er von ihm gehört, daß sich Seine Durchlaucht, der Fürst von N., dermal zu Bataglia bei dem Marchese Obizzo aufhielten, welcher letztere Herr ein naher Anverwandter von der Baronesse, seiner Gemahlin, wäre, so wollte er sich die Ehre nehmen, einen Reisegefährten bis dahin abzugeben, worüber denn Elbenstein sein besonderes Vergnügen, daß er nämlich den Herrn Baron zum angenehmen Reisegefährten haben sollte, in den höflichsten Ausdrücken zu erkennen gab.

Da nun ein Lakai kam und meldete, wie die fremden Damen und Kavaliere sich schon insgesamt bei der gnädigen Frau im Tafelgemach befänden, nahm der Baron Elbenstein bei der Hand und führte ihn auch dahin. Nach allerseits gewechselten Komplimenten setzte man sich zur Tafel, da sich denn Elbenstein, dem die italienische Mode schon sehr bekannt worden, ungemein behutsam aufzuführen wußte und seine Blicke dergestalt indifferent sein ließ, daß niemand einen Argwohn oder widrige Gedanken von ihm schöpfen konnte, sondern ihn ein jeder für einen qualifizierten Kavalier, der eine besonders lobenswürdige Modestie besäße, deklarierte. Es wollte zwar der Herr Baron, nach dem nicht allzu löblichen Gebrauch der Deutschen, zum Trunk forcieren, allein da Elbenstein solches seinerseits mit einer höflichen Manier ablehnte und vorwendete, wie er seinem gnädigsten Fürsten den untertänigsten Rapport nicht gern mit schwerer und stammelnder Zunge, auch wankenden Füßen abstatten wollte, überdies selbigen Abend in Bataglia ohnedem noch scharf genug würde getrunken werden, indem sein gnädiger Herr sowohl als der Herr Marchese, da sie sich einige Jahre in Wien aufgehalten, die deutsche Lebensart sich ganz unvergleichlich angewöhnt, auch solche bis dato noch nicht abandonniert hätten, sondern öfters das Maß der Mäßigkeit überschritten; als fing der Baron an zu lachen, ließ aber Elbensteins Remonstration gelten und einem jeden die Freiheit, nach Belieben zu trinken.

Nach aufgehobener Tafel beurlaubte sich Elbenstein von der sämtlichen Kompanie und ging mit dem Baron fort, welcher ihn bat, nur noch eine einzige halbe Stunde zu verziehen, weil er nur noch einen abgeschickten Expressen mit wenig Zeilen zurückzuspedieren hätte, hernach wollte er sich augenblicklich reisefertig machen, mittlerweile möchte er sich doch belieben lassen, noch eine Bouteille Wein einzunehmen, allein Elbenstein deprecierte solches, bat hergegen sich aus, ein wenig hinunter in die freie Luft zu spazieren, weil er seit wenig Minuten einige Kopfschmerzen empfunden. Der Baron ließ solches geschehen, bat aber dabei, daß er ihn wegen der Nichtbegleitung für diesmal excusiert halten möchte.

Als Elbenstein auf den Hof hinunterkam, sah er eine Gartentür offenstehen, und weil ihm ohnedem der Kopf voller Grillen war, daß er seine geliebte Baronne so plötzlich wieder verlassen sollte, ging er auf den Garten los, machte die Tür hinter sich zu und ging ganz allein darin spazieren herum, verfiel aber dergestalt in tiefe Gedanken, daß er die Seltenheiten, so in diesem schönen Garten anzutreffen, nicht einmal observierte. Endlich, da eine gute Viertelstunde verlaufen, kam der Weingärtner, welcher ihn vor einigen Tagen mit Trauben und Aprikosen versehen hatte, und bat sich bei Elbenstein die Gnade aus, daß er ihn doch auf einige Worte anhören möchte; wie nun dieser sagte, daß er nun reden solle, fing der Mann also an: »Gnädiger Herr, ich habe einen Vetter, welcher in der Residenzstadt unseres gnädigen Fürsten wohnt; dieser arme Mann hat ein kleines Häuschen und Garten, welches an dem Palast eines reichen Kaufmanns anliegt und den Palast, wie der Kaufmann spricht, beschimpft. Nun hat mein Vetter nach einem langweiligen Prozeß und auf Zureden anderer guter Leute endlich resolviert, dem Kaufmann das ganze Wesen käuflich zu überlassen, nur aber um einen solchen Preis, wie dergleichen Häuser heutigen Tages Wert sind und wie es von unparteiischen geschworenen Personen taxiert wird. Allein der reiche Kaufmann, welcher einer der größten Geizhälse in ganz Welschland ist, will ihm durchaus nicht mehr geben, als soviel meine Vorfahren, die es in vorigen schweren Kriegen nun freilich wohl um ein Spottgeld gekauft, dafür bezahlt haben. Allein, das will mein Vetter nicht tun, unterdessen kostet ihn der Prozeß viel Geld, die Richter aber sind doch immer mehr auf des Kaufmanns als auf meines Vetters Seite, und vor Ihro fürstliche Durchlaucht kann der arme Mann so leicht nicht kommen, deswegen wollte Euer Gnaden untertänigst gebeten haben, sich meines Vetters, der sich ehester Tage bei Ihnen melden wird, anzunehmen und ein Gotteslohn zu verdienen. Die gnädige Baronesse haben mir hier ein kleines Rekommandationsschreiben an Euer Gnaden gegeben, läßt aber dabei sehr bitten, es dem Herrn Baron ja nicht zu zeigen, auch demselben nicht einmal merken zu lassen, daß sie sich in diese Sache gemischt hätte. In wenig Wochen würde die Frau Baronne selbst nach N. kommen und daselbst eine Kur brauchen, welche ihr von dem Medicus angeraten worden, auch etliche Monate daselbst verbleiben, da sie denn Gelegenheit suchen würde, für solche erwiesene Gefälligkeit und Bemühung gebührenden Dank abzustatten.«

Elbenstein gab zur Antwort, daß er, der Weingärtner, seinen Vetter nur zu wissen tun möchte, daß er sich nächstens bei ihm melden sollte, so wollte er sich, sonderlich wegen des Vorspruchs einer so vornehmen Dame, keine Mühe verdrießen lassen, seinem Vetter bei Ihro Durchlaucht Hilfe zu verschaffen. Indem aber Elbenstein eben im Begriff war, der Dame Brief zu erbrechen, kam sein Bedienter gelaufen und meldete, wie der Herr Baron in völliger Bereitschaft wäre, sich zu Pferde zu setzen, weswegen Elbenstein den Brief hurtig in die Tasche steckte und hervoreilte, da er denn das Vergnügen hatte, die charmante Baronne, wiewohl nur auf zwei oder drei Augenblicke, zu sehen und nochmaligen Abschied von ihr zu nehmen; aus aller beider verliebten Augen, stießen zwei feuervolle Blicke in einer ganz unbeschreiblichen Geschwindigkeit dergestalt aufeinander, daß niemand etwas davon merkte als ihrer beider Herzen, welchen aber nicht anders zu Mut war, als ob ein glänzender Dolch hindurchführe.

Hierauf setzten sich sowohl der Baron als Elbenstein zu Pferde und ritten fort, dennoch war er curieux zu bemerken, ob ihnen die Baronne auch aus dem Fenster nachsehen möchte, weswegen er, als ob es von ungefähr geschähe, einen Handschuh fallenließ, damit er nur Gelegenheit hatte, sich mit dem Pferd umzudrehen; mittler Zeit aber, da sein Diener abstieg und den Handschuh aufhob, hatte er noch die Freude, dieselbe, welche sich fast mit halben Leib aus dem Fenster gelegt hatte, zu erblicken, da er denn nochmals ein Kompliment hinauf machte, sodann sein Pferd etliche Courbetten machen ließ und dem Baron nacheilte.

Beide Reisende diskutierten miteinander von lauter besonderen Staatssachen, als sie aber ungefähr eine halbe Meile geritten waren und durch ein dickes Gebüsch passierten, hielt Elbenstein still, stieg ab, gab seinem Diener das Pferd zu halten und verbarg sich, unter dem Schein, ein opus necessarium zu verrichten, hinter ein dickes Gesträuch; allein nicht dieses, sondern die ungemeine Neugier trieb ihn an, der Baronne Schreiben, welches ihm der Weingärtner eingehändigt hatte, zu lesen, welches er denn also gesetzt befand:

Ach, Seele meiner Seele! Mein Herz hat zwar schon seit der Zeit ich Dich zum erstenmal erblickt, in Deinen Liebesbanden gelegen, allein heute hast Du durch Deine Klugheit in vorsichtiger Überlegung unserer innigsten Liebe meine Seele vollends, ja vollkommen angefesselt. Ich bin von Deinen anbetenswürdigen Qualitäten dergestalt bezaubert und in Deine anmutige Person verliebt, daß kein Schmerz zu erdenken ist, den ich nicht empfinde, wenn ich des Glücks beraubt bin, Dich, oh mein Leben, zu sehen. Die Sehnsucht, Dich wiederum im Vertrauen zu umarmen, martert mich fast zu Tode. Jedoch

Ich fühle, was dem Herzen
Die süße Hoffnung lehret:
Sie saget meiner Seelen
Die Treu nicht zu verscherzen
Und daß bald alles Quälen
Soll sein in Lust verkehrt.

Er las und überlas diesen Brief mehr als zehnmal, ja er wäre vielleicht vor Vergnügen in ein tiefes Nachsinnen verfallen, wenn sein Hengst nicht von ungefähr zu wiehern angefangen hätte; dieses machte, daß er sich besann und dem Baron eiligst nachfolgte, welcher viel zu stark in den Weinbecher geguckt haben mochte, ganz sacht ritt und ziemlich schläfrig tat. Da aber Elbenstein wieder an seine Seite kam, machte er sich munter. Unterdessen schien Elbenstein ziemlich fatal vorzukommen, da des Barons erste Frage an ihn diese war:

»Aber mein wertester Herr Landsmann, haben Sie sich denn in diesem Revier oder in N. noch keine schöne Mätresse zugelegt?« Dieser beantwortete solche Frage ganz kaltsinnig, wie er sich nämlich ganz anderer Ursachen wegen auf Reisen begeben, als bei Frauenzimmern Zeitvertreib zu suchen, drehte diesen Diskurs auch mit guter Manier gar bald ab und verfiel auf allerhand Geschichten und Antiquitäten, fragte, wer von diesem oder jenem Schloß, dergleichen viele um sie herum lagen, Eigentumsherr wäre, zu welcher Zeit es erbaut worden, was sich etwa merkwürdiges dabei zugetragen und dergleichen mehr, weswegen ihn der Baron in diesem Stück für einen frostigen und eigensinnigen Menschen zu halten anfing, in welcher Meinung er auch durch folgende Begebenheit gestärkt wurde: Es hatte des Barons Pferd am Vorderfuß ein Eisen abgeschlagen, daher es etwas zu zucken begann und der Baron sich genötigt sah, in dem nächsten Städtchen, da sie durchpassierten, wieder beschlagen zu lassen. Da nun Elbenstein dem Baron zum Gefallen auch mit abstieg und beide, binnen der Zeit, als der Schmied gerufen wurde, vor dem Gasthof unter einem schattigen Baum eine Bouteille Wein kosteten, wurde Elbenstein von einer dem Gasthof gegenüberwohnenden sogenannten Signora erblickt, welches auf deutsch zu sagen eine solche Person ist, die mit Permission der Oberen ihren Leib zu Büßung der geilen Lüste gewidmet und sich viele Freiheiten, ohne gestraft zu werden, herausnehmen darf. Diese Signora kam auf Elbenstein zugegangen, fiel ihm, ehe er sich versah, um den Hals und wollte ihn mit aller Gewalt küssen. Er aber entledigte sich ihrer bald und stieß sie mit solcher Heftigkeit von sich, daß sie rücklings zur Erde fiel und die Beine in die Höhe kehrte. Hierüber wurde von dem da herumwohnenden Pöbel ein solcher Lärm angefangen, daß Elbenstein die Treppe hinauf zu retirieren sich genötigt sah. Endlich kamen einige Sbirri herzugelaufen, welche, als ihnen der Baron sowohl als der Wirt die ganze Begebenheit erzählt, vermittels ihrer Autorität den zusammengelaufenen Pöbel auseinanderjagten, wofür ihnen Elbenstein einen Dukaten verehrte; sobald aber das Pferd beschlagen war, setzten sie ihre Reise weiter fort.

Kaum hatten sie wiederum das freie Feld erreicht, als der Baron also zu reden anfing:

»Mein Herr Landsmann! Ich habe mich über Ihre jetzige Aufführung sehr verwundert. Diese Signora ist doch, mit Wahrheit zu sagen, eine recht schöne Person, sowohl vom Leib als Gesicht, und von einem sehr vornehmen Herrn, der nur vor weniger Zeit gestorben, bis an sein Ende unterhalten oder, wie es die Italiener zu nennen pflegen, manteniert worden. Wenn mir«, verfolgte der Baron seine Rede, »dieser Zufall begegnet wäre, hätte ich, ungeachtet ich mich mit einer liebenswürdigen Gemahlin beglückseligt sehe, dennoch die angetanen Karessen nicht auf eine so spröde Art ausschlagen können.«

Nunmehr stellte sich Elbenstein recht vertraut gegen den Baron und sagte:

»Mein Herr! Wenn ich Ihrer Verschwiegenheit versichert wäre, so wollte Ihnen wohl ein Geheimnis eröffnen.«

Wie nun der Baron einen teuren Eid schwur, hiervon gegen niemanden etwas zu gedenken, sagte Elbenstein:

»Es ist etwas Seltsames, daß ich gar nicht wie andere Mannspersonen beschaffen bin, und also empfinde ich auch weder Liebe noch Begierde zu einem Frauenzimmer bei mir, sie mag auch noch so schön sein; absonderlich ist mir auch sogar das Küssen eine ekelhafte Sache, sonst aber mag ich ganz gern mit honetten Frauenzimmern umgehen, denn ich habe befunden, daß viele einen rechten englischen Verstand besitzen, insofern sie nun mit mir umgehen wie mit ihresgleichen, oder ich mit ihnen umgehen kann, wie Mannspersonen miteinander umzugehen pflegen, bin ich gern in ihrer Kompanie, sobald aber Liebesgrillen aufs Tapet kommen, suche ich mich ihrer Gesellschaft, so viel als möglich, zu entziehen.«

Der Baron hielt dieses für pur lautere Wahrheiten, kontestierte aber dieses Malheurs wegen ein herzliches Mitleiden gegen diesen seinen Herrn Landsmann, riet ihm auch, er möchte dieserwegen mit dem berühmten paduanischen Medico Comte della Torre sprechen, welcher rechte Wunder getan, mithin vielleicht auch ihm zu seiner Vollkommenheit verhelfen könnte, denn dieser Medicus wäre bei seiner großen Kunst dennoch nicht interessiert, sondern curierte jährlich viele hundert Menschen umsonst.

»Mein Herr!« versetzte Elbenstein hierauf, »ich halte dafür, daß ich viel glückseliger leben kann, wenn ich so bleibe, wie ich jetzt beschaffen, denn wenn ich bedenke, was die Menschen aus Liebe zum Frauenzimmer zuweilen für lachenswürdige Torheit begehen, und wie sie sich öfters eines eingebildeten Vergnügens wegen in die allergrößten Gefährlichkeiten stürzen, auch nicht selten ihre Ehre, Glück und Leben dadurch einbüßen, so bin ich recht herzlich froh, daß mir dergleichen Appetit niemals ankommt. Was aber die Fortpflanzung unseres Geschlechts anbelangt, darum sorge ich gar nicht, weil ich Brüder habe, die meinen Fehler schon verbessern werden.«

Der Baron wunderte sich bald zu Tode über solche Gelassenheit, dergleichen, wie er sagte, vielleicht auch nicht einmal bei einem wirklichen Kastraten zu finden sein möchte; unter diesen und dergleichen Diskursen aber erreichten sie endlich Bataglia und erfuhren von der Wache unter dem Tor, daß die gnädige Herrschaft noch nicht, sondern erst in zwei Tagen wieder zurückkommen würde. Dem ungeachtet ließen sie dem Maggior Domo oder dem Oberhofmeister ihre Ankunft melden, worauf sich der Baron in einen bekannten Gasthof, Elbenstein aber in sein ihm schon vorher assigniertes Quartier begab, welches bei einem reichen Schneider war.

Die Wirtin, welche eine wohlgebildete Frau von ungefähr zweiundzwanzig bis vierundzwanzig Jahren war, empfing ihn aufs allerfreundlichste, bat, nicht ungütig zu vermerken, daß ihr Mann seine Reverenz nicht machte, indem er, ein großer Liebhaber von der Jagd, diesen Morgen auf die Jagd gegangen und wohl vor morgigem Abend nicht wieder nach Hause kommen würde. Immittelst begleitete sie ihn selbst bis auf sein Zimmer, und weil sein Bedienter die Pferde erst in den Stall zog, half sie ihm, den Reiserock abtun, und sagte binnen der Zeit, wie sie höchst erfreut wäre, ihn wiederzusehen, weil sie unter der Zeit seines Abwesens keine ruhige Stunde gehabt hätte.

Elbenstein bewunderte bei sich selbst eine solche freie declaration d'amour, indem er aber an dieser artigen Frau nichts auszusetzen fand, umarmte er dieselbe erst und sagte dabei: wie er nimmermehr glauben könnte, daß diese ihre Reden aus einem aufrichtigen Munde flössen, wofern sie ihm nicht vergönnte, eine Probe davon zu nehmen, nach welchen Worten er sie nicht nur etliche Mal auf den Mund, Augen und Wangen, sondern auch auf diejenige Haut küßte, welche ihm wegen des abfallenden Halstuchs entblößt in die Augen fiel.

Agatha, dies war ihr Taufname, ließ dieses alles als eine kraftlose Person geschehen, war aber hiermit nicht vergnügt, sondern unter dem Vorwand, in der Kammer zuzusehen, ob auch das Bett gemacht wäre, lockte sie Elbenstein mit einer verliebten Miene hinter sich her, und weil das Bett noch ungemacht befunden ward, machten sie es alle beide ohne besondere Komplimente mit zusammengesetzten Kräften.

Kaum war diese Arbeit vorbei, da schon der Hoffourier mit einer Karosse kam, Elbenstein aufs Schloß zu holen, weswegen sich dieser gemüßigt sah, augenblicklich andere Kleider überzuwerfen, wobei ihm denn Agatha weit dienstfertiger und geschickter zu Hilfe kam als sein ordentlicher Bedienter, welcher ohnedem besser mit den Pferden umzugehen wußte. Unter diesem Ankleiden aber wurde verabredet, daß Elbenstein gleich nach aufgehobener Tafel eine kleine Unpäßlichkeit vorschützen und sich so bald als möglich nach Hause begeben wollte, da denn Frau Agatha gebeten wurde, weil ihr Mann nicht selbst gegenwärtig wäre, ihm die Langeweile in der Nacht passieren zu helfen.

Agatha erzeigte sich nicht widerspenstig, sondern versprach, seinen Befehlen in allen Stücken zu gehorsamen, und demnach setzte sich Elbenstein in den Wagen und fuhr auf das Schloß, stellte sich aber, als ob er sehr heftige Kopfschmerzen empfände, weswegen er auch wenige Speisen zu sich nahm und gleich nach aufgehobener Tafel in sein Logis zurückeilte, unter dem Vorgeben, daß seine Kopfschmerzen wohl durch nichts besser als durch den Schlaf kuriert werden könnten; jedoch da ihm der Baron ein gewisses Pulver von der Apotheke sich holen zu lassen riet, versprach er, hierin zu folgen, und gab für diesmal gute Nacht.

Seine Wirtin, welche bloß aus der Ursache, sich ohne Verdacht sauber und nett ankleiden zu können, bei einer vornehmen Dame eine Visite abgelegt, trat fast zu gleicher Zeit mit ihm zur Haustür hinein und zeigte sich weit charmanter als vorher; damit aber das Gesinde im Haus ihr heimliches Verständnis nicht merken möchte, klagte Elbenstein über ganz grausame Kopfschmerzen, auch wie ihm nicht anders, als ob alle seine Glieder am Leibe zerschlagen wären, bat deswegen die Frau Wirtin, ihm einen Kaffee machen zu lassen, binnen der Zeit er seinen Diener nach der Apotheke schicken wollte, um etwas Arznei, die ihm rekommandiert worden, zu langen.

Agatha beklagte sein Malheur und sagte, wie sie ihren Heiligen anrufen wollte, damit er nur in ihrem Haus nicht krank würde; unterdessen bat sie, daß er doch bis zur Zurückkunft seines Dieners in ihrer obschon übel aufgeräumten Stube bleiben möchte, indem der Kaffee augenblicklich fertig sein sollte. Elbenstein setzte sich also in einen Schlafstuhl, und da der Diener wiederkam, sagte er:

»Bringe mich nur augenblicklich zu Bett, denn ich kann vor Schmerzen nicht bleiben.«

Dieses geschah, und die Wirtin trug selbst nebst dem Diener den Kaffee hinauf in sein Zimmer, wo sie, nachdem der Diener nur noch etwas zu holen hinausgegangen, die völlige Abrede nahmen, einander, sobald alles Gesinde zu Bett, bis zu Anbruch des Tages die Zeit zu passieren. Agatha war schon so klug, die Anstalten danach zu machen, und stellte sich noch eher bei Elbenstein ein, als derselbe gehofft hatte. Von dem übrigen ist nichts zu gedenken, als daß sie bei Anbruch des Tages zwar vergnügter, jedoch auch weit ermatteter voneinander schieden, als sie zusammengekommen waren.

Vormittags um zehn Uhr, da er noch im süßesten Schlafe lag, nahm sich sein Diener die Freiheit ihn aufzuwecken, weil er wußte, daß längstens gegen elf Uhr die Karosse vom Schloß kommen und ihn abholen würde, welches denn auch, da er kaum angekleidet war, eintraf. Weil es aber noch nicht Zeit zur Tafel, divertierten sich die sämtlichen Kavaliere in dem prächtigen Schloßgarten mit Spazierengehen, bis um ein Uhr zur Tafel geblasen wurde, bei welcher sie sich denn bald einfanden. Kaum hatten sie eine halbe Stunde dabeigesessen, als dem Oberhofmeister ein Paket Briefe eingehändigt wurde, welches ein Expreßbote von Venedig überbracht hatte. Er öffnete etliche derselben und fand endlich einen besonderen Zettel, nach dessen Durchlesung er sich ungemein bestürzt anstellte, nicht anders als ein Mensch, dem eine unverhoffte Unglückspost zu Ohren kommt. Der Baron von K. sah ihn an und sprach:

»Ich bedaure, mein Herr, wenn Dieselben etwa betrübte Nachrichten erhalten haben;«

»Es geht mich«, versetzte der Oberhofmeister, »die Sache in soweit nichts an, allein die Begebenheit ist erstaunlich; der Herr Baron belieben, es selbst zu lesen und hernach den anderen Herren zu kommunizieren.«

Also nahm der Baron das Blatt, las es durch und schüttelte den Kopf ebensosehr dabei, als der Oberhofmeister getan hatte, gab es hernach dem von Elbenstein, der folgende Relation darauf fand:

Der englische Lord D.*, welcher Euer Gnaden wohlbekannt ist, hat vor einigen Tagen ein jämmerliches Ende genommen. Euer Gnaden wissen, daß er ein überaus wohlgebildeter und ansehnlicher Herr war, darum hat sich schon vor vielen Wochen eine vornehme und reiche, doch aber verehlichte Dame in denselben verliebt, auch sich so lange bemüht, bis sie ihn endlich in ihr Liebesgarn bekommen.

Indem sie nun eine von den allerschönsten Damen in dieser ungeheuren Stadt ist, so ist leicht zu erachten, so wird sich der Lord nicht lange geweigert haben, einen geheimen Liebeskontrakt mit derselben zu schließen, zumal, da sie ihm diejenige Mühe, so er sich mit dem allergrößten Vergnügen gemacht, noch dazu ungemein reichlich belohnt hat. Allein, der gute Lord wird bei seinem vermeintlichen großen Glück dergestalt stolz, daß er selbiges nicht bei sich behalten kann, sondern sich in verschiedenen Gesellschaften berühmt, was ihm für Karessen und starke Präsente von einer gewissen Dame gemacht würden, die er zwar nicht mit Namen nennen, aber dergestalt eigentlich beschreibt, daß ein jeder leicht erraten kann, wer dieselbe sei.

Die Dame erfuhr durch ihre Spione, welche dem Lord alle Tage auf dem Fuß in alle Gesellschaften nachfolgten, alles sehr frühzeitig wieder, und als er das erstemal wieder zu ihr kam, ermahnte und bat sie ihn aufs beweglichste, wenn er getrunken hätte, sein Herz doch nicht auf der Zunge zu haben, mithin sie und zugleich sich selbst unglücklich zu machen, welches ihr der Lord zwar mit vielen Eidschwüren zusagte, dieselben aber bald vergaß; denn nur wenige Tage hernach erzählte er gegen verschiedene vermeintliche gute Freunde solche Specialia, daß niemand lange raten durfte, wer seine Geliebte wäre, ja er trieb dieses so lange, und einer erzählte es dem anderen, bis endlich fast in allen vornehmen Kompanien öffentlich davon gesprochen wurde.

Die Dame wurde also dergestalt zum Zorn gereizt, daß sie einen grausamen Eidschwur tat, nicht eher vergnügt zu ruhen, bis dieser ihr Schimpf an dem Lord durch ihre eigenen Hände gerächt wäre; weil aber ihr Mann etliche Wochen beständig zu Hause blieb und sie wenig aus den Augen ließ, mußte sie ihre Galle und Rache, die von Tag zu Tag heftiger wurde, so lange unterdrücken, bis dieser, ihr Mann, auf einige Tage über Land zu reisen sich gemüßigt sah.

Demnach ließ sie den Lord durch ihre Vertraute mit den allersüßesten Worten zu sich locken, karessierte und traktierte denselben aufs liebreichste, ließ sich auch nichts im geringsten merken, daß sie über ihn zu klagen Ursache hätte, büßte hergegen ihre sündliche Lust zu guter Letzt recht vollkommen mit ihm. Da dieses geschehen, gab sie ihm, unter dem Vorwand einer Herzstärkung, einen Schlaftrunk ein. Kaum hätte der Unglückselige durch einiges Schnarchen zu verstehen gegeben, daß er fest schliefe, als sie ein unter dem Bett zurechtgelegtes spitziges und scharfes Messer hervorzog und ihm in großer Geschwindigkeit die Kehle damit abschnitt, so daß er nicht den geringsten Laut von sich geben konnte. Nach diesem stach sie ihm die Augen, womit er ihr, seiner Mörderin, so manchen geilen, verliebten Blick gegeben, aus dem Kopfe, die Lippen, womit er ihr so viel tausend feurige Küsse aufgedrückt, desgleichen die Nase und Ohren wurden auch abgeschnitten, die Wangen aber durch viele Kreuzschnitte zerfetzt. Mit all diesem aber war die Barbarin dennoch nicht zufrieden, sondern schnitt ihm noch als eine rasende Furie dasjenige ab, womit er ihre geile Liebe so oft besänftigt; hierauf rief sie ihre Getreuen, nämlich eine alte Frau und ihr Kammermädchen, und zeigte ihnen mit fröhlichem Mund und Herzen das jämmerlich zerfleischte Opfer ihrer verteufelten Rachbegierde.

Das Kammermädchen sank vor Schrecken in eine Ohnmacht, weswegen die Frau nach ihrer Hausapotheke eilte und ihr einen starken Spiritus vor die Nase hielt, wodurch ihre Lebensgeister wieder in etwa zurückkehrten; die Alte hingegen machte sich keinen Kummer daraus, sondern ging auf der Frau Befehl hinunter und brachte einen im voraus bestellten starken Banditen herauf, welcher den verstümmelten Körper des unglückseligen Lords in einen ausgepichten Sack steckte und denselben in den Canal Grande warf.

Des darauffolgenden Morgens wurde der Körper gefunden und in einem offenen Gewölbe einem jeden zur Beschauung dargelegt. Am dritten Tage wurde derselbe von dem Hofmeister des unglücklichen Lords an einem Muttermal sowohl als auch an einer Blessur, die er beide am rechten Arme hatte, erkannt und standesmäßig begraben. Der Hofmeister schickte sogleich eine Staffette nach England und tat den Eltern den kläglichen Verlust ihres einzigen Sohnes im voraus zu wissen; wollte aber mit dessen Bagage nicht so bald abreisen, weil er vielleicht noch Kundschaft von dessen Ermordung einzuziehen verhoffte. Sein Hoffen traf auch ein, und zwar folgender Gestalt: Das Kammermädchen konnte sich den jämmerlichen Tod des Lords, welchem sie zum öfteren Briefe von ihrer Frau bringen müssen, ganz und gar nicht aus dem Sinn schlagen, sondern wo sie ging und stand, liefen ihr die Tränen mit untermischten Seufzern beständig aus den Augen. Die Dame merkte endlich abends beim Auskleiden ihre allzugroße Wehmütigkeit, und sagte:

»Ich glaube, Du verfluchte Bestie beweinst den Lord? Was gilts, er hat Dir auch zuweilen einen Liebesdienst erwiesen? Den Augenblick lache mich an! Oder ich stoße Dir eben das Messer in die Brust, womit ich meinen unbedachtsamen Galan geschlachtet habe.«

Da kostete es nun Kunst zu lachen; allein die Todesangst formierte dennoch, zu allem Glück, eine solche lächerliche Miene in dem Angesicht des armen Mädchens, daß diese andere ihrer dennoch schonte, zumal das arme Kind zu ihren Füßen fiel und bekannte daß sie noch reine Jungfrau wäre und weder mit dem Lord, noch mit irgend einer anderen Mannsperson jemals auf der Welt der Liebe gepflegt hätte, nur aber wäre ihr das Spektakel so grausam vorgekommen, weil sie eben aus dem ersten Schlaf ermuntert worden; dabei versicherte sie, zeitlebens keinem Menschen etwas davon zu sagen.

Hiermit war die Furie zufrieden und hieß das arme Ding zu Bett gehen, welches aber die ganze Nacht kein Auge zutun konnte, hergegen desto mehr Tränen vergoß; wie sie aber in dieser schlaflosen Nacht alles genauer überlegte und betrachtete: daß sie bei sogestalten Sachen, da sie ihre Tränen und Seufzer wegen ihres weichherzigen Gemüts nicht sattsam verbergen könnte, des Lebens keine Stunde sicher wäre, ergriff sie die Resolution, nahm ihre besten Sachen in die Schürze, wanderte, sobald die Tür geöffnet wurde, zum Haus hinaus und begab sich in den Schutz des Polizeirichters, dem sie, als sie gegen Mittag vor ihn kommen konnte, den ganzen Handel insgeheim offenbarte. Dieser schickte zwar sogleich einige Gerichtsdiener nach der Dame Wohnung, um dieselbe nebst der alten Frau und anderen Bedienten zu arretieren; allein, die Dame ist, sobald sie vernommen, daß sich das Mädchen unsichtbar gemacht, wie man sagt, in ein Kloster gesprungen. Die Alte aber hat ohne Folter bereits alles bekannt, was mit der Aussage des Mädchens übereintrifft. Der Hofmeister des unglückseligen Lords hält sich noch hier auf, und man muß abwarten, was in dieser Sache ferner passieren wird.

Nachdem Elbenstein diese Relation gelesen und sie seinem Besitzer gegeben, starb ihm, der gemeinen Redensart nach, der Bissen im Munde, ja er saß als ein Träumender und war herzlich froh, daß dem Oberhofmeister zu Gefallen, welcher den Expressen, der einige wichtige Briefe zu beantworten mitgebracht, abzufertigen, die Tafel etwas zeitiger als gewöhnlich abgehoben ward. Indem er nun sah, daß sich sowohl der Baron von K. als die anderen Kavaliere zu einem Lustspiel präparierten, schlich er sich heimlich hinunter in den Schloßgarten, setzte sich in eine abgelegene Grotte und las die venezianische Relation, welche er von dem Oberhofmeister nochmals ausgebeten hatte, zum anderenmal mit gutem Bedacht durch. Die Haare standen ihm zu Berge, da er bei dieser Geschichte an seinen eigenen Lebenswandel gedachte.

»O Gott!« sagte er, »wie groß ist Deine Langmut, daß Du mich frechen Sünder nicht schon auch wie diesen Lord mit Leib und Seele hast verderben lassen? Ach, mein Gott, vergib mir doch alle meine begangenen Sünden, ich gelobe dir, diese in den zeitlichen und ewigen Tod stürzenden Missetaten nicht mehr zu begehen, sondern hinfort der Fleischeslust gänzlich abzusagen. Verleih mir nur Deine Kraft zu Widerstehung derselben. Ja ich will, ich will dieselbe fliehen als die giftigsten Ottern und Schlangen.«

Er verfiel hierauf in recht ernstliche tiefe Bußgedanken und verharrte ungestört über zwei gute Stunden in denselben. Nachdem er sich aber wieder ermuntert, faßte er den ernstlichen Vorsatz, seine begangenen Torheiten beständig zu bereuen, seinen Lebenswandel aber hinfort gottgefälliger einzurichten. Da er nun noch keine Lust hatte, bei der Gesellschaft so zeitig zu erscheinen, zog er seine Schreibtafel aus der Tasche und schrieb folgende Ode hinein:

1.
                              Bedenke doch die Ewigkeit
Und die ganz unumschränkte Zeit,
Dafür der Wollust kurze Freuden
Wir ewig Qual und Schmerzen leiden,
Bedenke dies, mein Herz! und trage Reu und Leid,
Bezwinge dich, die Lust zu meiden.
2.
Ach! Stelle dir dein Ende für,
Der Tod steht wohl schon vor der Tür.
Dein Wollen zwingt ein hoher Wille,
Drum lebe christlich, keusch und stille,
Betrachte dies, mein Herz! und denke stets bei dir,
Wie bald dein Leib den Sarg erfülle.
3.
Dann muß die arme Seele fort
An jenen großen Urteilsort,
Und die Belohnung zu empfangen
Für das, was sie allhier begangen,
Betrachte dies, mein Herz! Du kannst den Himmelsort
Durch Gottes Gnade noch erlangen.

Er verfiel nach Verfertigung dieser Reime wegen seiner ernstlich vorgesetzten Buße und Bekehrung abermals in ein tiefes Nachsinnen, aus welchem ihn endlich der zur Tafel blasende Trompeter verstörte, und Elbenstein verwunderte sich nicht wenig, daß es schon dunkel zu werden begann; demnach quittierte er die Einsamkeit und begab sich hinauf in das Tafelgemach, wo die anderen Kavaliere schon versammelt waren, die sich ungemein verwunderten, wo er seit der Zeit gesteckt hätte, auch dieserwegen verschiedene scherzhafte Fragen an ihn taten; allein, Elbenstein antwortete ihnen allen auf einmal mit folgendem:


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