Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Fünftes Kapitel.

worin der »große Wurf« gelingt und das sechste Buch unserer Geschichte mit einer Serenade beschlossen wird.

Wieviele gute und große Herzen gibt es, die, in kümmerlichen Verhältnissen vorzeitig hinsiechend, nie zum vollen Aufblühen gelangen! Der Druck der Sorge lastet bleiern auf ihnen und gestattet nicht, daß sie das Gute und Beste, was sie in sich haben, zu eigener und anderer Freude offenbaren. Von keinem Strahl der Sonne des Glückes getroffen, verwelken und verdorren sie, und wenn dann die dürren Blätter nur einen mißfarbigen Staub geben, verwundern sich die Glücklichen über das klägliche Ergebnis. Wahrlich, ein tiefes Mitleid, um nicht zu sagen ein bitterer Vorwurf, müßte die Menschen »auf den Höhen der Gesellschaft« anwandeln, wüßten sie, was für Schätze von Genie und Hochsinn da unten in Armut und Dunkelheit ungehoben, ja ungeahnt zugrunde gehen. »Offene Bahn für alle!« ist freilich eins der Stichwörter unserer Zeit geworden, allein wie so manches andere ist auch dieses nur eine brutale Ironie. »Die Bahn ist auch dir geöffnet, warum rennst du nicht mit uns anderen nach dem lockenden Ziel?« – »Aber ich habe ja Fesseln an den Armen und Zentnergewichte an den Beinen.« –

»Fesseln und Zentnergewichte? Siehst du, das ist deine Sache, nicht die unserige. Laissez faire, laisse aller!«

Hast du dir, geneigter Leser, haben Sie sich, schöne Leserin, einmal auf dem Platze vor dem alten Schloß in Stuttgart Schillers Statue von Thorwaldsen betrachtet? Sie haben es ohne Zweifel, und es hat Sie tief ergriffen, zu sehen, wie der schwere Lorbeerkranz das Haupt des Heros niederbeugt. Man hat Thorwaldsen dieses Zuges wegen hart getadelt, aber der große Künstler hatte wohl gewußt, was er tat. Freilich, nicht gerade der Lorbeer war es, was so schwer auf des Dichters Haupt lastete. Es war die Sorge, welche zu ihm sprach: Nur auf dem Flammenwagen der Mühen und Schmerzen sollst du in den Himmel der Unsterblichkeit einziehen! O, gewiß, auch Schiller hätte ein Lied singen können über das laissez faire, laisse aller! der Kinder des Glückes, ein furchtbares Lied, aber sein Genius versiegelte ihm stolz den Mund. So hat er schweigend geduldet und schweigend gerungen, und teuer erkaufte er jenes wahrste und höchste Lob von Goethes Lippen:

Tief unter ihm in wechsellosem Scheine
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.

Und doch einen vollen und blüteschweren Frühling des Glückes hat der edle Ringer erlebt. Es war die Zeit seiner Bräutigamschaft.

In den Briefen, welche während des Herbstes und Winters, die der Erklärung in Lauchstädt folgten, die gute alte Botenfrau zwischen Jena und Rudolstadt hin und her trug, blüht und duftet ein ganzer Liebeslenz.

Der Dualismus in der Seele des Dichters war überwunden. Er sah jetzt in Karoline die Schwester, aber in Lotte die Braut.

Wie mußte ihm das Herz aufgehen, wenn ihm das geliebte Mädchen schrieb:

»Daß ich Dir etwas sein könnte, fühlte ich wohl früher in manchen Momenten, aber doch öfter schwankte mein Herz zwischen Zweifel und Gewißheit, und ich fand mich unruhig, ungewiß mit mir selbst. Nun aber denke ich Deiner mit einer Empfindung voll warmer, inniger Liebe und fühle mich glücklich in der Idee, Dir zu gehören, zu der Freude Deines Lebens beitragen zu können.«

Oder ein andermal:

»Ich fühle wohl, ich kannte die Liebe noch nicht vorher; es war nur eine wärmere Freundschaft, die mich vielleicht zu einigen zog, aber nicht das Gefühl, das mich jetzt belebt. Einmal glaubte ich zu lieben, aber ich war noch ein Kind, und das Bedürfnis, mein Herz anzuschließen, das Sehnen nach Liebe, das mir so von Millers Sigwart und ähnlichen Büchern geblieben war, machten mich empfänglicher, Eindrücke anzunehmen. Aber es war nicht das Streben in meiner Seele, was ich jetzt habe, dieses mächtige Gefühl, nur für Dich, für Dein Glück zu leben.«

Oder wieder ein andermal:

»Ach, ohne Dich gibt es keine Freude mehr für mich in der Welt. So eine Ähnlichkeit eines ruhigen Gefühls kann mich wohl zuweilen anwandeln, aber wirkliche Ruhe ist es doch nicht. Ich könnte mich betäuben, mir einen Wahn von Glück vormalen ohne Dich; aber lange könnte dies alles doch nicht dauern, und ich wäre unglücklich ohne Grenzen. Ich denke mir es zuweilen, wie mir sein müßte ohne Dich, wie ich so das ganze lange Leben ausdauern könnte, ohne den schönen Schimmer Deiner Liebe um mich zu haben. Aber ich müßte sterben.«

Solcher Wolkenschatten, wie sie oft gerade dann, wenn er auf der Stelle ersehnten Glückes steht, über die Seele des Menschen hinziehen, begegnen uns noch mehrere in den Brautbriefen Lottes. Zuweilen kamen die alten Zweifel wieder über sie, ob sie wohl dem Geliebten auch ein wirkliches Glück zu geben vermöge, ob sie ihm genügen könne, und sie verschwieg ihm diese Zweifel nicht.

Dann setzte sich der Dichter hin und schrieb der Guten, Bescheidenen in einem herrlichen Trostbriefe die Worte:

»Ich erkenne Deinen ruhigen, heiteren Geist in dieser Stimmung nicht mehr, Geliebte! Deine Zweifel hättest Du nicht, wenn meine Liebe für Dich einen lebhafteren Ausdruck gehabt, wenn ich mehr Worte dafür gehabt hätte, was Du meinem Herzen bist. Aber diese Zweifel werden bei Dir aufhören, wenn Du mich ganz kennst, wenn Du mit meinem Wesen vertraut genug geworden bist, um zu wissen, in welche Sprache sich meine Empfindungen kleiden. Auch meine Liebe ist still, wie mein ganzes übriges Wesen. Nicht aus einzelnen raschen Aufwallungen, aus dem ganzen Zusammenklang meines Lebens wirft Du sie kennen lernen. – Und Du, Teure, erhalte mir Deine Zufriedenheit, die stille, sanfte Gleichheit Deiner Seele, die mir so wohltätig werden soll, die meinen unruhigen Geist liebevoll zurückrufen wird. Laß mich immer, immer in den tiefsten Grund Deiner Gedanken blicken, und wenn alles trübe und umwölkt ist um uns her, so laß Deine Seele mir hell sein!«

Die Wolkenschatten wollten aber noch immer nicht ganz weichen, wenngleich sie jetzt von einer andern Seite her fielen. Es stand wirklich eine Wolke am Liebeshimmel des Paares, die Ungewißheit, wie die »chère mère«, die von dem Verhältnis, in welches Lottchen zu dem Dichter getreten war, noch nicht wußte, dasselbe nehmen würde. Es war dies um so zweifelhafter, da die früher berührte Hofdamenidee der Frau von Lengefeld, namentlich vollends seit sie selber Prinzessinnen-Aja am Rudolstädtischen Hofe geworden, immer bestimmter entwickelt, um nicht zu sagen fix geworden war. Gegen fixe Ideen ist aber bekanntlich sehr schwer anzukommen.

Da mußte denn der »hilfreiche Genius«, Schwester Karoline, wieder die vermittelnde Hand rühren, um fixe Ideen und anderweitige Hindernisse zu beseitigen.

Sie tat es und zwar mit Erfolg, denn eine Frau kann, was sie will, nämlich wenn sie nur das will, was sie ihrem innersten Herzensdrange zufolge wollen muß. Karoline wollte die Schwester und den Freund glücklich sehen, wie hätte sie da nicht eine vortreffliche Diplomatin sein sollen? Sie machte die »chère mère« vorläufig mit der Sachlage bekannt und ließ dabei geschickt miteinfließen, daß der Herzog von Weimar Schillers Professur in Jena unzweifelhaft mit einem fixen Gehalte dotieren werde, sowie, daß der Freiherr von Dalberg, Koadjutor zu Erfurt, in hoher Achtung vor dem Genius des Dichters die bestimmte Absicht ausgesprochen hätte, denselben, sobald er Kurfürst (von Mainz) geworden sein würde, den niedrigen Sorgen des Lebens zu entheben.

Frau von Lengefeld nahm diese Eröffnungen auf, wie eine Frau von Herz und Verstand tun mußte. Es geht zwar die Sage, sie habe einige Augenblicke den Kopf so bedenklich geschüttelt, daß ihre hohe Frisur in bedrohliches Schwanken geraten sei, aber wir glauben nicht daran.

Oder wenigstens mußte das Kopfschütteln schon ganz vorüber und vergessen gewesen sein, als ihr Schiller, auf von schwesterlicher Hand gebahntem Wege zum Ziele vorschreitend, unlange darauf eines Dezembertages sagte:

»Ich liebe Lottchen, und ich gebe die Entscheidung über das Glück meines Lebens in Ihre Hände, verehrte Frau.«

Denn wäre noch etwas wie Kopfschütteln oder dergleichen vorhanden gewesen, so hätte ja die »chère mère« den Freiwerber nicht so mütterlich gut ansehen und ihm nicht so freundlich und vertrauensvoll sagen können:

»Ja, ich will Ihnen das Beste und Liebste, was ich noch zu geben habe, ich will Ihnen mein gutes Lottchen geben.«

Der Frühling kam mit jenen »sanften Tagen«, die ein Landsmann und Nachfolger Schillers so schön besungen hat. Der Himmel heiterte endlich wieder sein grämlich Antlitz auf, und aus Freude darob begann ihm die Erde entgegenzugrünen. O, alte und ewig junge Hochzeitsfeier zwischen dem himmlischen Vater und der heiligen Muttererde, millionenmal schon vollzogen und doch immer wieder so jünglingshaft und jungfräulich, wie tröstest du unglückliche, wie beflügelst du glückliche Herzen!

Die Vögel dachten schon daran, ihre Nester zu bauen, und da Vögel und Dichter, wie weltbekannt, mitsammen in enger Verwandtschaft stehen, so war es ganz in der Ordnung, daß Schillers Wohnung in Jena Veränderungen unterworfen wurde, welche andeuteten, daß es mit der Junggesellenschaft ihres Inhabers zu Ende ginge.

Wenige Tage darauf fuhr in der Morgenfrühe ein Wagen bei der Kirche des Dorfes Wenigenjena vor.

Die Sonne schien hell in die stille Dorfkirche, deren Türe sich hinter dem Dichter, und seiner Braut, die zwischen ihrer Mutter und ihrer Schwester einherging, geschlossen hatte.

»Nach welchem Formular wünschen Sie getraut zu weiden?« fragte der bereitstehende Pastor den Bräutigam.

»Nach dem altherkömmlichen, welches einst auch bei der Trauung meiner geliebten Eltern in Anwendung kam,« erwiderte Schiller. »Ich glaube, das wird mir Segen bringen.«

Frau von Lengefeld geleitete den Schwiegersohn, Karoline die Schwester zum Altar. Der Pastor nahm seine Stelle ein. Die Hände des Paares wurden vereinigt, die weihenden Worte darüber gesprochen.

Dann warf sich Lotte an die Brust der Mutter, und Karoline umarmte den Bruder.

Still verging der Tag, und als die stillere Nacht kam, fand sich das junge Paar in seiner bescheidenen Häuslichkeit allein. Was bedürfen und wollten sie mehr?

Aber teilnehmende Menschen wollten den Neuvermählten doch ihre Sympathie bezeugen.

Von Freunden des Dichters geführt, kamen die Studenten mit Klarinetten, Geigen und Waldhörnern die Straße herauf, bildeten drunten vor dem Hause einen Kreis und stimmten den Gesang an:

Freude, schöner Götterfunken.

Das war eine sinnige Wahl. Wie eine helle Feuerflamme schlug jene Strophe des Liedes, welche das Kredo des Dichters so mächtig ausprägt, prächtig zum Nachthimmel empor:

Festen Mut in schweren Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind!
Männerstolz vor Königsthronen –
Brüder, gält' es Gut und Blut –
Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!

Dann erscholl ein lautes: »Hoch der Bräutigam! Hoch die Braut! Quod felix faustumque sit!«

Ein schallender Tusch der Instrumente und die Ständchenbringer zogen ab. Aber aus der Ferne tönten noch einmal gedämpfteren Lautes die Worte herüber:

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib umschlungen,
Mische seinen Jubel ein!

Wie klang das schmeichelnd und lockend hinauf in die Brautkammer, wo beim Scheine der schüchternen Lampe zwei Glückliche aus trautester Nähe einander selig in die Augen sahen!


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