Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Auf Hohenasperg. – Ein alter Bekannter. – Der Verfasser des »Siegwart«. – Von Feuer- und Wassergeistern. – Eine Schubartische Huldigung. – Ein Stück deutscher und amerikanischer Geschichte. – Vom deutschen Sumpfdrachen und vom »edlen« Rieger. – Sängers Fluch.

»Bei Gott, heute heißt es nicht für mich: Gefangner Mann, ein armer Mann! sondern vielmehr: Gefangner Mann, ein froher Mann! – Hätte Tag meines Lebens nie geglaubt, daß mir's auf dieser verwünschten Erdwarze, auf meinem Scherbenberg, Aschberg, Tränenberg da oben so wohl ums Herz werden könnte. Ist ja eine himmelblaue Gottesgnade von oben! – Schenkt ein, liebe Menschenkinder! Du, Herzbruder Miller, Ihr, Schiller, Prachtkerl von einem Poeten, und Sie, liebwerter junger Freund aus Amerika, schenkt ein und stoßt an mit mir! Es lebe, was wir lieben; die Freiheit, die Poesie, die Kunst, die Freundschaft, das Vaterland! Hurra!«

An die Zimmerdecke, welche diesen Trinkspruch auffing, hatte jedenfalls seit ihrem Bestehen noch kein solcher geklungen, wenn überhaupt einer. Es war ein bedenklich einfaches Gemach mit vier weißen Kalkwänden, die aber nicht sehr weiß aussahen. Eine Pritsche mit zerwühlten Bettstücken in einer Ecke, ein Tisch mit ein paar Stühlen, ein sinnreich auf eine Art Pfahlwerk gelegtes Brett, bedeckt mit einem kleinen Chaos von Büchern und Skripturen, das war das Mobiliar der Stube, die man dennoch um ihres Bewohners willen mittels eines starken und engen Eisenstäbegitters vor dem Fenster von außen verwahren zu müssen geglaubt hatte. Aber wie kerkerlich und ärmlich die Stube auch immer aussah, sie war doch ein üppiges Prachtzimmer, verglichen mit dem schrecklichen unterirdischen Gelaß im Turme drüben, in welchem ihr Insasse das erste Jahr seiner Gefangenschaft auf Hohenasperg verjammert hatte.

Und da saß er mit drei Besuchern an dem Tische, auf welchem Flaschen und Gläser standen, der berühmte Gefangene der Bastille von Württemberg, Christian Friedrich Daniel Schubart. Er war dicker geworden, schwammiger als damals, wo wir ihn von der Solitude aus ins Exil wandern sahen. Der gelbe Schatten der Gefängnisluft lag auf seinem Gesicht, und seine Haare bedurften des Puders kaum mehr, um grauweiß zu erscheinen. Aber im übrigen war er der Alte geblieben, war er immer noch der Schubart, welcher in der Glorie seines genialen Leichtsinns vorzeiten in den Weinstuben von Ludwigsburg, Augsburg und Ulm Witze sprühend, aufklärerische Zornblitze schleudernd, bedenkliche Kapitel aus der höflichen Skandalchronik illustrierend das Entzücken der einen, das Ärgernis der andern seiner Zuhörer gewesen. Auch seine Züge zeigten noch die alte seltsame Mischung von Genie und Gemeinheit, hochherziger Stürmerei und schlaffer Zerknirschung; aber das Unglück hatte inzwischen die Gedankenfurche zwischen den Brauen des Mannes tiefer gegraben, und in seinem Augenaufschlag wurde zuweilen ein gewisses etwas bemerkbar, was zwischen frommer Schwärmerei und frommer Heuchelei bedenklich schillerte.– Das pädagogische Experiment, welches Herzog Karl durch den Festungskommandanten, Generalmajor Rieger, seit fünf Jahren an Schubart hatte vollziehen lassen, war in der Tat nicht ganz mißlungen, insofern es Rieger glücklich dahingebracht hatte, die ursprüngliche Zerfahrenheit des Gefangenen noch beträchtlich zu erhöhen. Es war dem pietistischen General nämlich geglückt, dem Poeten und Musiker eine gewisse servile Heuchelei anzudressieren, durch welche dann bei Gelegenheit der angeborene Titanismus Schubarts immer wieder gar wunderlich durchschlug. – Jetzt war Rieger tot, etwa vor Monatsfrist inmitten eines seiner jähen Zornanfalle durch einen Herzschlag weggerafft, und unter dem Regiment des neuen Kommandanten von Hohenasperg, des humanen Generals von Scheler, atmete der Gefangene ordentlich neu auf.

Es war heute nicht zum erstenmal, daß Schiller den seiner Familie von alters her befreundeten Unglücklichen besuchte. Er war im vorigen Jahre bei ihm gewesen, doch mehr auf Betreiben Riegers als aus eigenem Antrieb, denn Verschiedenheit des Alters und der Lebensstellung hatten einen Verkehr verwehrt, der ohnehin, solange Schiller in der Akademie sich befand, eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Aber als die ›Räuber‹ erschienen waren, hatte der Kommandant von Asperg den Einfall, die beiden Dichter zusammenzubringen. Rieger war nämlich neben seinen frömmelnden Anfällen auch Anfällen von Schöngeisterei ausgesetzt, und in einem derselben hatte er Schillers Freund Hoven vermocht, den Verfasser der epochemachenden Tragödie zu einem Besuche auf dem Asperg einzuladen. Rieger führte den Dichter zu seinem Gefangenen und stellte ihn demselben als einen Doktor Fischer vor. Schubart, sei es, daß er in dem jungen Regimentsarzt den Knaben Fritz wirklich nicht wiedererkannte, sei es, daß er schlau genug war, dem General die beabsichtigte Überraschungsszene nicht verderben zu wollen, genug, er geht auf das von Rieger in Gang gebrachte Gespräch über die ›Räuber‹ ein, liest dem angeblichen Doktor Fischer eine enthusiastische Rezension über das Stück vor und drückt schließlich den Wunsch aus, den Dichter wieder einmal persönlich zu sehen.

»Da steht er vor Ihnen,« sagt Rieger, worauf Schubart Schiller mit Freudentränen um den Hals fällt. Seither waren die beiden Poeten in einigem Verkehr miteinander geblieben, und erst gestern hatte die in Stuttgart lebende Gattin des Gefangenen Schiller einen Gruß von ihrem Manne bestellt. In jener kraftgenialischen Manier, die in Schubarts Briefen vom Asperg mit pietistelndem Gewimmer und erhabenen Zornausbrüchen so seltsam wechselte, hatte er an seine Frau geschrieben: »Schiller ist ein großer Kerl – ich lieb' ihn heiß – grüß' ihn!«

Angeregt durch diesen Gruß, hatte der Dichter seinem Freunde Raleigh, der sich rüstete, von Stuttgart abzureisen, den Vorschlag gemacht, den armen Gefangenen zu besuchen. So waren sie denn bei guter Morgenzeit nach Ludwigsburg herausgeritten, hatten sich dort von Hoben, der infolge militärärztlicher Inspektionen, die er auf dem Asperg vorzunehmen hatte, daselbst wohlbekannt war, eine Empfehlung an den Kommandanten mitgeben lassen und waren dann zu Fuße die Wegstunde von Ludwigsburg bis zu dem berühmten, isoliert in der Ebene stehenden Hügel herausgewandert, welchem Schubart die Namen: verwünschte Erdwarze, Tränenberg und noch ganz andere, etwas weniger reinliche gegeben hatte.

Am Fuße des Aspergs, da, wo ein den bezeichnenden Namen Schwitzgäßle führender Fußweg steil zu der ersten Umwallung emporführte und wahrscheinlich noch emporführt, hatten die beiden einen Mann eingeholt, der offenbar das gleiche Ziel verfolgte und den seine Kleidung und ein gewisses, nur dem ganz ungeübten Auge nicht auffälliges eckig-feierliches Gebaren als einen protestantischen Geistlichen signalisierten. Man hatte sich begrüßt und beim langsamen Hinansteigen durch das Schwitzgäßle hatte ein Wort das andere gegeben, so daß die beiden Freunde, bevor man das äußere Tor der Festung erreichte, wußten, sie hätten den Münsterprediger Miller von Ulm vor sich, den gefeierten Verfasser der Klostergeschichte »Siegwart«, und derselbe sei, auf einer Reise nach Heilbronn begriffen, gekommen, seinen Freund Schubart zu besuchen. Schiller hatte den würdigen Mann, der, in den ersten Dreißigern stehend, in seinen Zügen die geistliche Amtsmiene wenig, desto mehr dagegen die sanfte Warmbrüderlichkeit seiner Dichterei hervortreten ließ, mit Herzlichkeit als Bruder in Apollo begrüßt, was ein paar Jahr später kaum noch geschehen sein dürfte, denn binnen kurzem sollten die tiefgehenden Unterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen der großen literarischen Bewegungspartei jener Zeit schroff und immer schroffer hervortreten. Sämtliche Mitglieder dieser Partei, welche das deutsche Leben mit ganz neuen Kulturkeimen befruchtet hat, waren Stürmer und Dränger. So die Hainbündler im Norden, Goethes rhein- und mainländische Genossenschaft im Westen, der Schubart-Schillersche Kreis im Süden von Deutschland. Sie alle verdienten reichlich die Bezeichnung als Revolutionäre, Wühler, Umstürzler, Anarchisten, womit man im neunzehnten Jahrhundert politische Kinder zu schrecken gelernt hat. Aber während weitaus die meisten der Stürmer und Dränger über den revolutionären Sturm und Drang gar nie hinauskamen und in den trüben Wogen einer von Grund aus aufgewühlten Zeitstimmung versanken, war es nur wenigen Auserwählten, streng genommen nur zweien, gegönnt, über die türmenden Fluten hinweg die Gestade einer neuen identischen Welt zu erblicken und den Nachen der deutschen Bildung mit fester Hand dorthin zu lenken, wo im Sonnenlichte des modernen Griechentums die leidigen mittelalterlichen Gespensterfratzen erblassen mußten. Das war jedoch eine erst noch bevorstehende Entwicklungsphase des deutschen Geistes. Zu der Zeit, von welcher wir hier handeln, war selbst ein Goethe noch über seine Ziele unklar, und was die Masse der literarischen Bewegungsmänner angeht, so konnte man sie mit einer aus der Naturwissenschaft entlehnten Bezeichnung füglich in Vulkanisten und Neptunisten einteilen. Zu den Feuergeistern gehörten die Goethe, Klinger, Schiller, zu den Wassergeistern, welche die Welt statt mit Feuer mittels einer Tränenflut vom Bösen und Philisterhaften reinigen wollten, über welcher Tränenflut die Taube der christlichen Liebe schweben sollte, den Ölzweig der Empfindsamkeit im Schnabel, gehörten die meisten Anhänger Klopstocks, die Hölty und Miller, die Jakobi und Lavater. Mitten inne zwischen den Feurigen und Wässerigen hielt sich eine Anzahl von Schaukelmännern, die bald in Flammen aufloderten, bald in Tränen zerflossen. Ein rechter Typus dieser Fraktion war der Gefangene von Hohenasperg.

Nachdem die drei Besucher der Festung die militärischen Förmlichkeiten, welche mit dem Beschreiten der Tore, Zugbrücken und kasemattierten Aufgänge verbunden waren, durchgemacht, hatten sie von dem Kommandanten ohne weitere Umstände die Erlaubnis erhalten, nach Belieben mit Schubart zu verkehren, dessen Haft damals aus dem Stadium grausamer Einkerkerung schon lange in das mildere, wenn auch nicht weniger rechtlose der sogenannten Festungsfreiheit übergegangen war. Raleigh, welcher von Schiller erfahren, daß der Gefangene neben andern Poeteneigenschaften alten Stils auch die eines perennierenden Durstes besitze, hatte dafür gesorgt, daß aus dem Wirtshause der Festung ein ausreichender Weinvorrat in Schubarts Zelle geschafft wurde, und unter dem Einfluß dieses erheiternden Getränkes, mehr aber noch, zu seiner Ehre sei es gesagt, unter dem Einfluß der Freude über das Wiedersehen Millers und Schillers war der gefangene Poet zu jener erhöhten Stimmung gelangt, von welcher wir zu Anfang des Kapitels eine Probe gegeben. Eine weitere kam sogleich.

Während nämlich die drei Besucher ihre Gläser niedersetzten und Miller einen gar bedenklichen Blick auf das offenstehende Fenster warf, fuhr Schubart nach dem erwähnten, mit Büchern und Papieren beladenen Tisch, kramte hastig in dem Chaos herum, riß endlich ein Papier daraus hervor und sagte:

»Lieber Schiller, Herzenskerl, ich habe Euch meinen Dank für die Zusendung Eurer Anthologie noch nicht abgestattet, muß es jetzt tun. Habe das Buch gelesen und Respekt! sag' ich. Ha, Euer Feuer hat die Flamme in meinem Herzen, die ich schon ganz niedergebrannt glaubte, wieder einmal entzündet. Hört meinen Dank!«

Und sofort begann er mit Pathos zu lesen:

»Dank dir, Schiller, für die Wonne,
Die deinem Gesang entquoll!
Meines Berges Genius, der Riese,
Ein Schätzer hohen Sangs,
Lauscht' dir, daß der Kolbe von Stahl
Entsank seiner wolkigen Rechten!

Auch ich schlang deinen Gesang,
Wie der Langdurstende
Mit wollüstig geschlossenem Auge
Schlürft aus des Baches Frische.

Sah nicht des eisernen Gitters Schatten,
Den die Sonne malt
Auf meines Kerkers Boden!

Hörte nicht Fesselgeklirr am wunden Arm,
Denn du sangst!
Schiller, du sangst!

Deiner Lieder Feuerstrom
Stürzte tönend nieder vor mir;
Und ich horchte seinem Wogensturze,
Hoch empor stieg meine Seele
Mit dem Funkengestäube
Seiner Flut!«

So ging das Gedicht noch lange fort und allmählich in eine immer schwindelndere Höhe hinauf, wo es zuletzt in halb unartikulierten Lauten von Seraphen und Cheruben, von Höllenschlund, Gnade und Verklärung verklang. Es war eine echt Schubartsche Rhapsodie. Die Muse des unglücklichen Mannes zeigte auch hier, wie nur überhaupt zu oft, ein verschwommenes Nebelgesicht, über welches einzelne Silberblicke des Genius hinleuchteten.

Schiller saß recht wie auf Nadeln. Diese Ovation kam ihm bis zur Lächerlichkeit unpassend vor. Er wußte, als Schubart geendigt, nur mit wenigen abgebrochenen Worten die überstiegene Huldigung als unverdient abzulehnen, und hütete sich Raleigh anzusehen, weil er den Freund ironisch blicken zu sehen fürchtete. Miller dagegen fand das Gedicht, weil im Geschmacke der Klopstockschen Schule gehalten, ganz vortrefflich und lobte es höchlich, worauf Schiller, um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, das Gespräch auf den Dichter des ›Messias‹ lenkte. Da waren nun Miller und Schubart recht in ihrem Element. Der letztere schlug vor, des verehrten Meisters Gesundheit zu trinken, und nachdem es geschehen, sagte er:

»Ihr solltet mal meinen Miller erzählen hören, wie er und seine Göttinger Dichtergenossen an Klopstock sich herausbildeten, wie sie den Hainbund gestiftet haben, um das alte Bardentum zu erneuern. Miller, Bruderherz, erzähl uns davon!«

Der gute Münsterprediger, bei dieser Erinnerung an seine Universitätsjahre warm werdend, ließ sich nicht lange bitten. Es gibt in der Menschenseele Saiten, die nie erschlaffen, sondern erklingen, so oft sie berührt werden. Er schilderte zuerst in etwas trockenem Predigerton, wie sich zu Anfang der siebziger Jahre ein Kreis von strebenden Männern und Jünglingen in Göttingen zusammengefunden, die alle mehr oder weniger poetisch begabt waren, wie dann aus den Zusammenkünften von Boie, Göckingk, Voß, Hölty, Klaudius, Bürger, Hahn, den beiden Stolberg und Miller selbst allmählich ein förmlicher Dichterbund entstand, mit festgefügter Ordnung, der Hainbund, zu dessen Schutzpatron Klopstock gekürt wurde, dessen Gelübde auf »Religion, Tugend, Empfindung und reinen, unschuldigen Witz« lautete und der sich auf ein (freilich ganz unhistorisches und willkürliches) Ideal von altem Germanentum stützte. Ein kritischer Geist konnte den patriotischen Glauben dieser Jünglinge, die Schäden der Zeit und des Vaterlandes mit der Panazee Klopstockschen Teutonismus heilen zu können, sehr wunderlich finden. Aber wie Millers Ton von der Warme seiner Erinnerungen allmählich höher und höher gefärbt wurde, klang das alles in seiner Erzählung so treuherzig, so echt deutsch naiv und vertrauensvoll! Seine tiefgemütliche Ausdrucksweise, die das zeitweise Hinabgleiten in sentimentale Weichheit überhören ließ, machte anschaulich, daß, wenn auch das aus harmloser Idyllik und idealischem Nationalgefühl seltsam gemischte Bestreben der Hainbündler, das Poetische zu verwirklichen, mißlang und mißlingen mußte, dennoch diesem Bunde die Anerkennung gebühre, zur Erfrischung der öffentlichen Meinung, zur Verjüngung deutschen Sinnes wesentlich mitgewirkt zu haben. Wie edel steht, insbesondere dem anderweitigen wüsten Studententreiben jener Tage gegenüber, dieser Göttingische Hainbund da, in dessen Mitte die lange verschollen gewesenen Worte: Deutsches Vaterland! Deutsche Nation! Deutsche Sitte! zuerst wieder als heilige anerkannt wurden.

»Ach, wie wird mir so frei und glücklich ums Herz,« fuhr Miller in seiner Erzählung fort, »wenn ich an den zwölften September des Jahres 1772 denke. Da gingen wir, Voß, die Seele unseres Bundes, Hölty und die andern Freunde noch des Abends nach einem nahegelegenen Dorfe. Der Abend war heiter und der Mond voll. Wir überließen uns ganz den Empfindungen der schönen Natur. Wir fanden im freien Felde einen kleinen Eichengrund, und da kam uns allen sogleich zu Sinne, den Bund der Freundschaft in diesem Hain zu beschwören. Wir umkränzten die Hüte mit Eichenlaub, tanzten, uns bei den Händen haltend, um den heiligen Baum herum, riefen Mond und Sterne zu Zeugen unseres Bundes an und gelobten uns ewige Treue. Dann beschlossen wir, unsere schon vorher festgesetzten Versammlungen behufs der Vorlesung und Beurteilung neugefertigter Gedichte und ihrer Eintragung ins Bundesbuch noch regelmäßiger und feierlicher zu halten. – Voß hat nachmals jene Weihestunde in einer Ode, betitelt: Die Bundeseiche, verewigt. Daraus klingen mir noch frisch im Gemüte die Strophen:

Wir, reger Freundschaft Jünglinge, wandelten
Feldwärts im Mondlicht, und von geeichelten
Laubkränzen all' umhüllt die Scheitel
Fügten wir Bund mit getreuem Handschlag.

›Wem anvertraut ward heiliger Genius,
Den lautre Wahrheit ewiger Kraft, zu schaun,
Was gut und schön sei, was zum Äther
Hebe vom Wahn und Gelüst des Staubes.

Voll stiller Ehrfurcht ahn' er die Göttlichkeit,
Die Menschen einwohnt, weiseren Altertums
Aufflug (der Freiheit Schwing' erhöht ihn!)
Merkend in Red' und Gesang und Hochtat.

Durch Harmonien dann zähm' er des Vaterlands
Anwachs, ein Orpheus, Lehrer der Frömmigkeit
Und Ordnung, unbiegsam dem Ansehn,
Frank, ein Verächter dem Neid und schamhaft!‹

So Wort und Handdruck. Hell aus der ziehenden
Duftwolke blinkt' uns unter dem Ast der Mond
Und leis' herab im dunkeln Wipfel
Säuselte Klang, wie von Geisterharfen.

Den zweiten Juli, Klopstocks Geburtstag, haben wir einmal in feierlicher Bundesversammlung herrlich gefeiert, wie nur immer unsere Armut es gestattete. Eine lange Tafel war gedeckt und mit Blumen geschmückt. Daran saßen wir Bardenschüler, mit Eichenlaub bekränzt. Obenan stand ein Lehnstuhl für Klopstock ledig, aber die sämtlichen Werke des teuren Mannes darauf, sein im Geiste Gegenwärtigsein andeutend. Unter dem Stuhl lag Wielands ›Idris‹ zerrissen. Die Fidibus waren aus Wielands Schriften gemacht. Boie, der nicht rauchte, mußte doch auch einen anzünden und auf den ›Idris‹ stampfen. Hernach tranken wir in Rheinwein – welchen beizuschaffen wir manchen Tag trockenes Brot gegessen hatten – Klopstocks Gesundheit, Luthers und Hermanns Andenken und das Verderben des Sittenverderbers Wieland. Wir sprachen von Freiheit, die Hüte auf dem Kopf, vom deutschen Vaterland, von Tugendgesang. Zuletzt verbrannten wir Wielands ›Idris‹ und Bildnis.«

Schubart blickte zur Seite, denn dieses Autodafé gefiel ihm kaum besser, als es Schiller gefiel, der von Wielands Verdiensten um die deutsche Geisteskultur eine ganz andere Vorstellung hatte als die einseitigen Teutonen des Hainbundes.

Der gute Münsterprediger, in seine Erinnerungen vertieft, fuhr unbefangen fort:

»Wenn ich an jene Tage weihevoller Freundschaft und hochfliegender Begeisterung zurückdenke, kommen sie mir wie ein seliger Traum vor. Wie war es uns heiliger Ernst mit unserer Liebe zu allem Guten und Schönen! Wie schwärmten wir für den ›Messias‹, für Ossian, für das Vaterland, für Tugend und Freundschaft! Wie lebten wir einer im andern und alle für einen! Noch jetzt bebt mir das Herz vor Wehmut, wenn ich mich an die schmerzlichen Stunden erinnere, wo unser trauter Kreis allmählich sich lichtete. Ach, der schwerste Abschied war der von den Gebrüdern Stolberg, die es nicht verschmäht hatten, ihr reichsgräfliches Wappenschild in unserem Bardenhain aufzuhängen. Was war das für ein Abend voll tiefster Seelentraurigkeit! Einigen sah man geheime Tränen des Herzens an – des jüngeren Grafen Gesicht war fürchterlich – die schrecklichen drei Stunden, die wir noch in der Nacht beisammen waren, wer kann die beschreiben? Die Tränen blieben nach und nach aus. Jetzt schlug es drei Uhr. Nun wollten wir den Schmerz nicht länger verhalten und suchten uns wehmütiger zu machen.«

Warum nicht gar! dachte Schiller. Er hatte die überstiegen empfindsame Phase der kraftgenialischen Periode längst hinter sich. Schubart war gerührt oder stellte sich wenigstens so an. Raleigh endlich konnte ein Lächeln über diese Erinnerung an exorbitant breiweiche Freundschaftlerei nicht unterdrücken.

Miller bemerkte es, und es wandelte den guten Prediger mit dem Taubengemüte, der seit jenen Szenen tränenseliger Schwärmerei doch auch ein Jahrzehnt älter geworden, halb und halb das Gefühl an, er könnte sich ein bißchen lächerlich gemacht haben. So sagte er denn zu Raleigh:

»Ich vermute, mein werter Herr, die Stimmungen, welche meine Erzählung darlegte, kommen Ihnen seltsam und verwunderlich vor.«

»Aufrichtig gestanden, ja,« erwiderte der Amerikaner. »Wie sehr ich auch durch die Schilderungen meiner teuren Mutter und meines guten Onkels Bechtold auf die Eigentümlichkeiten Deutschlands vorbereitet sein mochte, dennoch habe ich mich in dieselben noch nicht sehr zu finden vermocht. Was ich unlängst aus dem Munde des originellen Doktor Armbruster über die Geniewirtschaft am Hofe von Weimar, was ich andern Ortes über die Seelenkämpfe ausgezeichneter Menschen in katholischen Lebenskreisen, und was ich heute endlich von Ihnen, Herr Münsterprediger, über das Treiben einer vielberufenen Dichtergenossenschaft vernommen habe, das alles macht zusammen ein Bild von deutschem Leben aus, welches in meine amerikanischen Anschauungen nicht passen will. Jedes Land entwickelt sich in seiner eigenen Weise, seiner eigenen Natur gemäß, ich weiß es – und ferne sei es von mir, von dem Heimatlande meiner Mutter gering zu denken – aber, verzeihen Sie mir, meine Freunde, das vermag ich nicht zu verhehlen, daß ich fürchte, Deutschland werde noch lange, lange Zeit brauchen, bis es dahin kommt, eine Urkunde aufzustellen und zu realisieren, wie sie unser Kongreß am 4. Juli 1776 aufgestellt und das amerikanische Volk seither von Tag zu Tag mehr realisiert hat.«

»Ach,« rief Schubart elektrisiert aus, »die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten!«

Und mit von Enthusiasmus leuchtendem Gesichte deklamierte er gehobenen Tones die Eingangssätze des glorreichen welthistorischen Dokuments, das noch immer und überall jedes nicht in Selbstsucht und Servilismus verholzte Menschenherz höher schlagen gemacht hat. Es übte jetzt auch in dem Dichtergefängnis auf Hohenasperg seine Wirkung, wie damals allenthalben im zivilisierten Europa, und ehe sich's Raleigh versah, war er in ein belebtestes Gespräch über den Unabhängigkeitskampf seines Landes verwickelt. Der Strom seiner Erinnerungen riß ihn fort. Er erzählte, wie sein väterliches Gut am Potomak in der Nähe der Besitzung der Familie Washington gelegen sei und wie die beiden Familien gute Nachbarschaft mitsammen gehalten. Da habe er den Mann, dessen Name der erlauchteste der modernen Geschichte werden sollte, Georg Washington, den jetzigen Obergeneral der Vereinigten Staaten, schon von Kindheit an achten und lieben gelernt. Er schilderte des großen Mannes stattliche Persönlichkeit, sein ernstes, intelligentes Gesicht, die edle Haltung, das würdevoll ruhige Benehmen, die männliche Anmut, womit er zu Pferde saß, die Lauterkeit seiner Seele, seinen verständigen, in allen Gefahren und Nöten standhaften Patriotismus. Er malte den begierig Horchenden die Szene aus, wie Abgeordnete des Kongresses zu Mount Vernon erschienen, um Washington seine Berufung zum Obergeneral anzukündigen, und wie der Erwählte mit Worten einfacher Herzlichkeit seinen Entschluß kundgegeben, die ihm auferlegte unermeßlich schwierige Pflicht auf sich nehmen zu wollen. Da habe er, Raleigh, seiner Mutter und seinem Oheim die Erlaubnis abgerungen, einen Adjutanten des Obergenerals, der in eiliger Sendung nach Massachusetts hinaufging, in den Krieg begleiten zu dürfen, und dort, vor Boston, habe er zum erstenmal in einem Treffen gestanden.

Das sei an jenem denkwürdigen 16. Juni 1775 gewesen, an welchem Tag die Engländer, geführt von den Generalen Gage, Howe und Pigot, aus Boston rückten, um den von der amerikanischen Miliz während der Nacht leicht befestigten Bunkershügel zu erstürmen. Prahlerisch hätten die Rotröcke gesagt, die rebellischen Bauern, schlecht bewaffnet und schlecht diszipliniert, wie sie waren, würden vor ihrem ersten Angriff zerstieben wie Spreu vor dem Winde. Aber die Schlacht, obgleich die amerikanischen Verschanzungen zuletzt den vereinigten und wiederholten Angriffen der englischen Armee und Flotte erlagen, hätte den Feind eines andern belehrt und mit einem furchtbaren Verluste hätte derselbe die Einsicht erkauft, daß es mit der Besiegung der Amerikaner nicht so schnell und leicht gehen dürfte. Raleigh schilderte dann im einzelnen den Gang des Treffens, welches für die Amerikaner die Wirkung eines Triumphes hatte, insofern es ihnen Selbstvertrauen einflößte; er beschrieb das entsetzliche Getöse der Schlacht, den Donner der Geschütze, das Platzen der Bomben, das scharfe Knallen der amerikanischen Rifles, das Geschrei der Kämpfenden. Er wußte als Augenzeuge und Mithandelnder eine Menge heroischer Einzelzüge anzuführen und veranschaulichte seinen Zuhörern die Erscheinung des hochherzigen Bauerngenerals Putnam, wie derselbe in Hemdärmeln, mit einem Hieber, der von seinen muskulösen Schultern herabhing, und mit vom Pulverdampf geschwärztem Gesicht auf dem Kampfplatz umherritt, überall anwesend, wo Gefahr und Not am größten war. Tief ergriffen schilderte der Erzähler auch den Heldentod des edlen Patrioten Warren, der auf dem Bunkershügel fiel und dessen Verlust als ein allgemeines Unglück empfunden und betrauert wurde. Ein Freund hatte sich bemüht, Warren abzuhalten, daß er sein kostbares Leben in dieser Stunde aufs Spiel setze; aber der Treffliche habe sich zur Antwort ins dichteste Kampfgewühl gestürzt, mit dem Ausruf des alten Römers: Dulce et decorum est, pro patria mori.

»Ja,« sagte Schiller, still erglühend, »ja wohl ist es süß und ruhmvoll, zu sterben fürs Vaterland! Ach, wie unglücklich müssen wir Deutschen bei Anhörung solcher Großtaten uns fühlen. Gegen solches gehalten, wie ärmlich ist auch das beste, was wir tun können. Wir mühen uns ab im Reiche der Träume und kommen nicht dazu, die rettende Brücke zur Wirklichkeit hinüber zu schlagen.«

»Nur nicht hoffnungslos!« tröstete Miller. »Auch die Stunde wird und muß einst kommen, wo der Deutsche die hohen Ideale, die er in der Brust trägt, zu verwirklichen anfängt.«

»Ich hoffe es,« sagte Schubart, »und gewiß alle, die es gut meinen mit dem Vaterlande, hoffen es. Aber, liebe Freunde, verhehlen dürfen wir uns nicht, daß die Sonne einer besseren, freieren und glücklicheren Zeit wohl erst unsern Enkeln und Urenkeln aufgehen wird. Ach, daß uns ein Held und Retter erstünde, welcher den Sumpfdrachen der deutschen Philisterei endlich erschlüge. Dieser Drache ist Deutschlands gefährlichster Feind. Haben ihn die Sonnenpfeile des Genies, welche ein Lessing, ein Goethe auf ihn abdrückten, getötet? Nein, sie haben dem trägen Ungeheuer kaum den Schuppenpanzer geritzt. Was hab' ich selbst im Kampfe mit dem scheußlichen Gewürm für Leid und Unbill erfahren! Als ich zu Augsburg die ersten Blätter meiner ›Deutschen Chronik‹ erscheinen ließ, hatte ich am Schlusse der Anzeige gesagt: ›Und nun werf' ich mit jenem Deutschen, als er London verließ, meinen Hut in die Höhe und spreche: O England, von deiner Laune und Freiheit nur diesen Hut voll!‹ Gleich stand der Bürgermeister Kuhn im Senat auf und perorierte: ›Es hat sich ein Vagabund hereingeschlichen, der begehrt für sein heilloses Blatt einen Hut voll englischer Freiheit! Nicht eine Nußschale voll soll er haben.‹ Natürlich wurde der Druck meines Blattes sogleich untersagt und mußte ich es in Ulm erscheinen lassen. So war die Freiheit einer freien deutschen Reichsstadt beschaffen. Im übrigen ist das noch eine der mildesten Quälereien, die mir von seiten der deutschen Philisterei widerfahren sind. Ich könnte Dutzende von ärgeren anführen. Aber tiefstes Herzeleid hat mir doch eine Begegnung zu Kirchheim an der Teck bereitet. Damals, als mich der elende Judas, der Klosteramtmann Scholl auf württembergisches Gebiet gelockt hatte und ich nach meiner Verhaftnahme in Blaubeuren durch den Major Varnbühler von diesem im Schlitten nach dem Asperg geschleppt wurde, übernachteten wir auf dieser Jammerreise in dem genannten Städtchen. Ich wurde in der Wirtsstube von ledernen Philistern des Ortes bewacht, und da raunten sich meine Wächter laut genug einander in die Ohren: ›Das ist der Schubart, der Malefizkerl! Man wird ihm mal den Grind herunterfegen!‹ Ich sah, daß ihnen mein Unglück ordentlich Freude machte. Und auch für solche Dreckseelen hatte ich gekämpft, gelitten, war ich verfolgt und in Banden!«

Der Münsterprediger, dem die Wendung des Gesprächs nicht recht behagen mochte, schlug vor, auf den Wall hinauszugehen und sich an der berühmten Aussicht von demselben hinab zu erfreuen. Dem sanften Miller war alles Gewaltsame zuwider, denn von den aufgebauschten Tendenzen des Hainbundes war ihm nur mehr die empfindsame geblieben.

Sie gingen hinaus und umwandelten den Wall. Der Anblick des in sommerlicher Fülle zu ihren Füßen sich ausbreitenden schwäbischen Unterlandes war prächtig, doch fehlt der Landschaft das Auge, das Wasser. Die in geringer Entfernung voneinander aufgestellten Wachtposten gaben zu dem Wort Festungsfreiheit einen eigentümlichen Kommentar ab. Raleigh konnte sich nicht enthalten, zu sagen, er wäre nicht imstande, täglich von dem Wall hinab die Freiheit da draußen zu erblicken, ohne Leib und Leben an den Versuch zu setzen, sie zu gewinnen.

»Ja, das traue ich Ihnen zu, werter Freund,« bemerkte Schubart darauf. »Die Narbe da auf Ihrer Wange gibt Zeugnis, daß Sie etwas, alles sogar wagen könnten, um nicht eine so jahrelange Mißhandlung, wie ich sie erfuhr und erfahre, ertragen zu müssen. Aber was wollen Sie, daß so ein armes Kerlchen von schwäbischem Poeten und Musikus tun soll?«

»Ei,« entgegnete Schiller, »ich bin auch nur ein armes Kerlchen von schwäbischem Poeten, lieber Schubart, aber ich glaube fast, ich würde es machen wie mein Freund Raleigh.«

»Ja,« sagte der Gefangene, »Ihr beide seid jung, und Jugend hat hohen Mut. Aber ich? Ich bin ein gebrochener Mann, bin nur noch eine Ruine. – Seht,« fuhr er fort und deutete auf den Turm, in dessen Verlies er zuerst eingekerkert gewesen, »seht, wenn ihr einmal ein Jahr lang da unten gesessen hättet, da würde wohl auch euch das beste Mark in den Knochen vertrocknen. O Freunde, ihr wißt nicht und kein Mensch außer mir kann es ermessen, was alles ich auf diesem verfluchten Fleck Erde gelitten! War ich nicht diesem wunderlichen Pedanten und Despoten, diesem Rieger auf Gnade und Ungnade preisgegeben? War ich nicht wie ein Klumpen Wachs in seiner gefühllosen Eisenfaust, die den letzten Rest von Männlichkeit aus mir herauspreßte? Ach, man wird schnell, sehr schnell alt und schlecht in einer solchen Hölle, deren Beherrscher zugleich furchtbar und lächerlich war.«

Und nun erzählte er in einem aus Ingrimm und Humor seltsam gemischten Tone von dem kürzlich verstorbenen General. Rieger, als Kommandant eines Truppenkorps, in welchem die Desertierlust epidemisch grassierte, war auf allerlei wunderliche Heilmittel dieser Krankheit verfallen. Er hatte den Soldaten täglich im Festungshof zum Tanze aufspielen lassen, bis sie müde zum Umsinken waren: denn, hatte er gesagt, dann lassen sie sich's vergehen, ans Davonlaufen zu denken. Sie mußten auf Kommando tanzen, gerade wie sie zum Gassenlaufen, Lattenliegen und Krummgeschlossensein kommandiert wurden. Auch zum Komödienspielen richtete Rieger die armen Teufel ab, und da wurde denn Schubart zur Verfertigung von allerlei Schau- und Singspielen kommandiert. Es wurde auf dem Asperg eine förmliche Bühne errichtet, deren Schauspieler Soldaten waren. Auch der Herzog wohnte mitunter den Vorstellungen bei, aber nie fiel ein Blick der Gnade auf den unglücklichen Dichter, der in dieser Sklavenfrone sein Talent vergeuden und, immer auf Kommando, den Fürsten und den General in Prologen lobhudeln mußte, während seine geschändete Feder doch lieber glühende Flüche aufs Papier geschleudert hätte. Es fehlte bei diesem Treiben nicht an wahrhaft unglaublichen grotesken Vorkommnissen. Einmal, zum Geburtstage des Generals, hatte Schubart auf Befehl ein Stück verfertigt, dessen Prolog mit den Worten anfing: »Edler Rieger!« Bei Anhörung derselben klatschte der General, höchlichst erbaut, in die Hände und rief: »Dakapo!« und abermals mußte der Prologsprecher anheben: »Edler Rieger!«

»Ach, meine Freunde,« sagte der gefangene Dichter, von seiner Erzählung zu wildester Empörung der Seele gestachelt, an die Einfassungsmauer des Walles vortretend, »ach, wenn Flüche, in schlaflosen Nächten auf tränenbenetztem Lager hervorgesprudelt, die Luft verfinstern könnten, wahrlich, ich sage euch, zwischen hier und Stuttgart müßte sie für alle Ewigkeit verfinstert sein. Da hinaus habe ich Verwünschungen gegen meine Verfolger geworfen, die einen Teufel erbeben machen könnten.«

Der gute Münsterprediger faßte den Aufgeregten beschwichtigend bei der Hand, aber Schubart machte sich mit einer Bewegung voll Seelenadel von dem Ängstlichen los, erhob seine Arme und fuhr fort:

»Dir aber, o mein geliebtes deutsches Land, dir fluche ich nicht, nein, dir nicht! Und wenn mir mit Foltern befohlen würde, dir zu fluchen, die Flüche müßten sich gleich denen Bileams in der Schrift zu Segenssprüchen wandeln. – O Vaterland, Gott weiß, ich habe dich geliebt! Noch sind sie nicht alle tot deine freien Biederseelen; aber sie ächzen in den Fesseln des Despotismus, sie jammern über das Verderben ihrer Kinder, sie setzen sich wie Elias unter die Wachholderstaude und sprechen: Es ist genug, so nimm, o Herr, meine Seele zu dir! – Segen über dich! Wann ich versammelt werde zu meinem Volke – denn auch nach dem Tode und in künftigen Ewigkeiten hoff' ich euer Mitgenosse zu sein, ihr meine deutschen Brüder – so will ich dort noch flehen für dein Heil. Für alle die unzähligen Freuden, die mir deine Sprache, deine Sitten, deine großen Köpfe, deine weisen Männer, deine sanften Frauen, deine Kinder, deine Berge, deine Täler, deine Flüsse, deine Luft, deine Städte, deine Dörfer, deine Gärten gemacht haben, nimm meinen tausendfachen Tränendank! Und nun – noch einige Spannen Erde von dir zu meinem Grabhügel – dann leb' ewig wohl!«

Nachdenklich, bewegt, erschüttert verließen die beiden Freunde mit dem Münsterprediger die Festung, jeder damit beschäftigt, die empfangenen Eindrücke sich zurechtzulegen. Unter der Wölbung des Tores stand Schiller einen Augenblick still, faßte den Freund am Arme und sagte laut und nachdrücklich:

»Was auch kommen möge, hier herein – niemals!«


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