Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Zweites Kapitel.

Ein Spinnwebfaden von Hoffnung. – »Sie wollen mir also schlechterdings beweisen, daß es Treue auf Erden gebe?« – Von einem fürstlichen Sonderling.

»Sie haben also das Fräulein gesehen, mein Bester?« fragte der Prediger, welcher am Abend desselben Tages, große Rauchwolken aus seiner Meerschaumpfeife blasend, seinem Gaste zur Seite im Pfarrgarten hin und her wandelte.

»Gesehen und gesprochen,« gab William Raleigh zur Antwort.

»Darf ich erfahren, wo?«

»Bei dem japanischen Tempel, am Eingang zur Fasanerie. Der schöne Lenzmorgen hatte sie in den Park hinausgelockt, ich trat sie an. Sehen Sie, dort!«

Und so sprechend trat Raleigh an den Gartenhag und deutete mit der Hand talwärts.

Die ländliche Predigerwohnung mit ihrem Garten lag an der Mittagsseite einer Halde, die aus dem Wiesengrunde sanft zu waldbekrönten Höhen anstieg. Kirche und Pfarrhaus bildeten die höchsten Punkte des Dorfes, dessen unregelmäßige Gassen sich drunten weit in die Niederung vorstreckten. Die Feldmark der Gemeinde wurde durch einen schönen Fluß geteilt, dessen geschlängelten Lauf man vom Pfarrgarten herab weit in die Ebene hinaus verfolgen konnte. Ließ man dort droben die Blicke den Fluß aufwärts gleiten, so sah man ihn aus einem Tale hervorkommen, welches von in malerischen Formen auf- ragenden, mit kühnen Felspartien geschmückten Waldbergen umringt war. Die Talsohle hatte man in einen Park nach englischem Geschmack umgewandelt, welcher allmählich in Deutschland über den französischen den Sieg davongetragen. Der kleine, aber lebhafte Fluß durchzog diesen Park und speiste mit seinem Wasser einen See, dessen Spiegel die Kuppen der herzoglichen Villa Eremitage zurückwarf.

Von da, wo der Prediger und sein Gast standen, übersah man den ganzen Park, und so konnte Raleigh seinem Wirte leicht die Stelle bezeichnen, wo sich auf einer Hügelterrasse ein turmartiges, über und über mit grellen Farben bemaltes, orientalisch aussehendes Gebäude erhob.

»Ah, dort, bei dem Berge Sinai?« fragte der Pfarrer mit bitterem Lächeln.

»Berg Sinai? Ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, der geschmacklose Turm dort, den Sie für einen japanischen Tempel ansahen, heißt ja so; doch davon später. Erzählen Sie mir lieber von Ihrer Zusammenkunft mit dem Fräulein. Sie wissen, meine Neugierde wird durch meine Teilnahme für sie einigermaßen entschuldigt.«

»Vollkommen, mein verehrter Freund. Hören Sie denn! Fräulein Lauretta hat mich freundlicher empfangen, als ich hoffen konnte. Ich bemerkte, daß sie, obgleich immer frisch und schön wie die jüngste der Rosen, nachdenklich aussah, um nicht zu sagen traurig, und ich glaubte zu bemerken, daß meine plötzliche Erscheinung nichts Mißfälliges für sie hatte. Etwas wie stille Würde lag über sie gebreitet, etwas, das verbot, daran zu denken, daß man diesem edlen Geschöpf dereinst den Namen Turbinella gegeben. Und doch blitzte dann auch wieder plötzlich der kecke und unstete Humor, die launige Unruhe von früher in den Augen des Mädchens auf. Sie hatte mich kaum erblickt, als sie, auf das Buch deutend, welches sie in der Hand trug, lebhaft sagte: ›Sehen Sie, ich lese Kabale und Liebe– zum wievielten Mal! Unser teurer Freund Schiller hat mit diesem Drama, soviel ich davon verstehe, einen bedeutenden Fortschritt gemacht. Ach, wie hat er darin die Sünder unserer Zeit gebrandmarkt! Aber sagen Sie, wo ist der Dichter, und wie geht es ihm?‹ – Ich konnte nur antworten, daß mein edler und berühmter Freund noch immer in Mannheim lebe.– ›Und hat er,‹ fragte Lauretta weiter, ›noch keine passende Lebensgefährtin gefunden?‹ Ich verneinte und setzte hinzu, Doktor Armbruster oder, wie er in Stuttgart heißt, der Sammetdoktor hätte mir geschrieben, daß er den Dichter neulich in Mannheim besuchte. Da habe ihm Schiller geklagt, seine Stellung als Theaterdichter sei eine höchst mißliche und verdrießliche, denn es sei mit dem Schauspielervolke nicht auszukommen. Zudem werde er von einer Leidenschaft gepeinigt, die er als eine miserable bezeichnen müsse, ohne sich doch davon losmachen zu können. So sehne er sich denn sehr nach einer Veränderung seiner Lage. – ›Armer Schiller!‹ sagte Lauretta, und tief bewegte mich das innige Gefühl, womit sie dies sprach und die Worte hinzufügte: ›Die gewaltsame Spannung der Seelensaiten unseres teuren Freundes wird nicht eher nachlassen, bis eine geliebte Frauenhand lind und beschwichtigend darüber fährt. Aber es muß ein seltenes Wesen sein, das ihn wirklich und dauernd beglücken soll: ein sanftes, anspruchsloses, im höchsten Grade aufopferungsfähiges Weib und doch so feinorganisiert und hochgebildet, daß es dem hohen Fluge dieses großen Geistes mit liebevollem Verständnis folgen kann‹«

»Aus diesen Äußerungen, lieber Freund, blickt selber ein feinorganisiertes, gebildetes und edelfühlendes Wesen,« bemerkte der Prediger. »Sie steigern mein Interesse für die junge Dame.«

»O, Sie sollten Lauretta erst selber sehen und reden hören! Es ist dann geradezu unmöglich, ihre Stellung zu dem Abenteurer oder gar zu dem Herzog in schiefem Lichte zu erblicken.«

»Immerhin jedoch –«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, und kann es keinem, welcher Lauretta nicht genau kennt, verargen, wenn ihm ihr Betragen leichtfertig und unweiblich vorkommt. Ich aber war heute so glücklich, einen tiefen Blick in ihre Seele tun zu dürfen, und weiß jetzt, daß mein Vertrauen auf ihre Reinheit ein ebenso wohlbegründetes als unwandelbares war. Mir scheint, sie ist zum Bewußtsein ihres glänzenden Elends gekommen, und ich glaube, sie hat einsehen gelernt, daß es nicht gut tue, den launenhaften Eingebungen einer überreichen Phantasie nachzuleben. Lauretta hat mir aus freien Stücken, mit einem Zutrauen, welches mich beglückte, die Geschicke ihrer Kindheit mitgeteilt. Es ist eine trauervolle Geschichte. Haß gegen den Mann, in welchem sie zugleich ihren Vater und den Verderber ihrer Mutter erblicken mußte, und eine gewisse rebellische Originalitätssucht, wie sie ja überhaupt zur Signatur unserer Zeit gehört, das waren die bewegenden Motive dieses Mädchenlebens. Wäre Lauretta ein Mann gewesen, so würde sie vielleicht ein großer Poet oder Künstler, vielleicht aber auch ein großer Verbrecher wie Karl Moor geworden sein. So jedoch gab sie nur dem unglückseligen Hange nach, das Imaginäre, das Poetische, das in ihr trieb und gor, verwirklichen zu wollen, und ließ sich durch ihren Trotz gegen ihr Schicksal oder gegen die Menschen, die sie nicht verstand oder verachtete oder haßte, auf die Abenteuerbahn werfen.«

»Eine gefährliche Bahn, doppelt gefährlich für ein junges und schönes Mädchen.«

»Allerdings. Und doch hat sie sich mit dem Schmutz derselben nicht einmal die Fußsohlen beschmutzt. Das ist ein Wunder, aber ein tatsächliches.«

»Hm, an Wunder kann ich nicht glauben.«

»Glauben Sie in diesem Fall immerhin daran, verehrter Freund. Es gibt nun einmal Naturen, an welche der gewöhnliche Maßstab nicht gelegt werden kann.«

»Und weiter?«

»Mir plauderten lange mitsammen. Wie gerne hätte ich ihr gesagt, was mich bewegte, wie ich ihre Lage beklagte, wie es mich glücklich machen würde, sie diesen abnormen und unglücklichen Verhältnissen entreißen zu dürfen. Aber ich wußte aus Erfahrung, wie vorsichtig man auftreten mußte, wollte man ihren Stolz nicht verletzen. Ich mochte nicht Gefahr laufen, sie durch ein wohlgemeintes, aber unzeitiges Wort wieder von mir zu jagen. Lauretta ihrerseits fühlte wahrscheinlich, was mir auf dem Herzen lag; aber während ich schwieg in dem Glauben, meine Anwesenheit schon müßte ihr meine Gesinnungen für sie deutlich genug dolmetschen, schien sie, wie damals an der Teufelsbrücke auf dem Gotthard, diese Anwesenheit durchaus nicht auffällig zu finden. Wir sprachen von dem und diesem. Von dem bizarren orientalischen Bauwerk zum Beispiel, vor welchem wir standen. Lauretta nannte es ein Ausrufungszeichen im Buche der Torheit unserer Tage. ›Der Scharlatanismus,‹ sagte sie, ›hat es angegeben, die Unvernunft hat es ausgeführt.‹ Nun suchte ich die Rede auf den Conde Fenix und auf den Herzog zu lenken, und sie ging ganz unbefangen darauf ein. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß sie die Bekanntschaft des Sizilianers im Sprechzimmer von Gotteszell gemacht. Der Mann habe sie amüsiert. Sie bezeichnete ihn als einen Menschen, der es im Lügen so weit gebracht, daß er selber an seine Lügen glaube, wenigstens mitunter. Was den Herzog betreffe, so sei derselbe für gewöhnlich ein Stumpfsinniger und zuweilen ein Narr, welcher, indem er das Original spiele, allen Menschen das Wohlgefallen am Originellen gründlich verleiden könnte. Im Verlaufe des Gespräches warf sie die Äußerung hin, sie erinnere sich, daß der Sammetdoktor einmal zu der Frau Intendantin von Seeger gesagt, das Glück bestehe darin, daß man sich fest gewöhne, das Leben als eine Komödie zu betrachten, die einem zuliebe aufgeführt werde, jedem zuliebe, wenn man nur die rechten Augen und Ohren dafür habe. Aber, fügte sie bei, die meisten Menschen spielen ihre Rollen so schlecht, daß das Stück langweilig wird. Auch der Conde und der Herzog seien im Grunde klägliche Spieler, und daher beginne die Posse sie zu langweilen. Nur der Oberhofprediger sei ein taktfester Komödiant.«

»Ja freilich,« rief der alte Rationalist zornig aus. »Der infame Schleicher fällt nicht aus der Rolle, bis man ihm die schnöde Larve vom Gesicht reißt.«

»Lauretta,« fuhr Raleigh fort, »fühlt, wenn mich nicht alles täuscht, das Bedürfnis, aus dieser nichtigen und gefahrvollen Scheinexistenz herauszukommen. Darauf deutete mir ihr Wort, das Leben sei am Ende überhaupt kein Spiel, sondern bitterer Ernst, welcher ernsthaft angefaßt sein wolle. Ich begriff, wie wichtig es sei, diese Stimmung des geliebten Mädchens zu benutzen, und suchte eben nach passenden Worten, um sie über ihre Stellung klar zu machen, als sie mich plötzlich fragte: ›Aber, Herr Raleigh, was wollen Sie denn eigentlich an diesem Ort?‹ – ›Wie können Sie so fragen, Fräulein?‹ entgegnete ich. ›Sie sind ja hier!‹ – ›Aber wie kamen Sie denn hierher?‹ – ›Auf Ihren Spuren, Fräulein, die ich vom Gotthard nach Genf, von Genf nach Mailand, von Mailand nach Venedig, von Venedig nach Wien, von Wien hierher verfolgte.‹ Sie errötete und blickte mich mit einem Ausdruck an, der mich besorgen ließ, die Erklärung, welche in meinen Worten lag, habe sie erzürnt. Dann umflog ein reizend schelmisches Lächeln ihre Lippen, und halblaut sang sie die Strophe, aus einer altenglischen Ballade:

݆ber die Berge,
Über die Wellen,
Unter den Gräbern,
Unter den Quellen,
Über die Fluten und Seen,
Über der Abgründe Steg,
Über Felsen, über Höhen
Findet Liebe den Weg.‹

Ich vermag nicht zu sagen, verehrter Freund, welches Entzücken und welche Pein zugleich für mich in den süßen Tönen einer Stimme lag, die so rein aus der schönen Brust emporstieg. War der alte Geist des Spottes wieder in dem Mädchen erwacht? Hörte ich Lauretta, die mir ein Zeichen der Anerkennung meiner Beharrlichkeit geben wollte? Oder hörte ich die Turbinella, welche diese Beharrlichkeit verhöhnte? Mein Herz schnürte sich zusammen, aber der Kampf löste sich glücklicherweise bald. Lauretta sah mich lange und forschend an. Aber in diesen großen, wunderbaren Augen kicherte jetzt kein Spott; es wollte mir sogar scheinen, ihr strahlender Glanz sei von einem feuchten Fluidum halb verhüllt. ›Sie wollen mir also schlechterdings beweisen, daß es Treue auf Erden gibt?‹ sagte sie lächelnd zu mir. – ›Ja,‹ entgegnete ich, ›das will ich und mir ist, als könnte ich nie müde werden, es zu wollen.‹ – Sie zog den Handschuh aus, reichte mir ihre Hand und sagte sanft: ›Dank, o viel Dank! Nach so vielen Enttäuschungen, wie tut das wohl!‹ – Dann zog sie ihre Hand langsam aus der meinigen und sagte mir Lebewohl. – ›Auf Wiedersehen, teures Fräulein?‹ fragte ich. – ›Ja, wenn Sie wollen, auf Wiedersehen, mein Freund,‹ erwiderte sie. So trennten wir uns, und nun werden Sie begreifen, daß ich Ihnen sagen konnte, ich sei ein Hoffender. Mein Verstand möchte mir freilich einreden, meine Hoffnung sei nur ein Spinnwebfaden, aber dennoch –«

»Dennoch,« fiel der Prediger ein, »hängt Ihr Herz an diesem Spinnwebfaden, als wäre er ein Ankertau. Und warum nicht? Ich bin auch einmal jung gewesen und weiß, wie stark solche Hoffnungsfäden sind. Allein auch nicht mit den Augen eines Liebenden angesehen, scheint mir die Sachlage so übel nicht. Sie haben, soviel ist klar, durch Ihre Ausdauer, welche in unserer Zeit – wenngleich diese ein so überschwengliches Buch wie den Werther entstehen sah – gewiß sehr selten ist, das Interesse des Mädchens erregt. Das ist schon viel, alles vielleicht. Die junge Dame wird nicht umhin können, mit den Männern, welche sie bis dahin kennen lernte, einen zu vergleichen, der so treulich, redlich und beharrlich um sie warb, sozusagen wie Jakob um Rahel. Außerdem besitzt, Ihren Schilderungen zufolge, Fräulein Lauretta neben Schönheit und Geist auch eine gute Dosis gesunden Menschenverstandes. Sie hat daher sicherlich einsehen lernen, daß das Glück einer Frau nicht in der Phantastik einer Laufbahn bestehen könne, welche, und würde sie auch rein nur aus artistischer Laune verfolgt, unter allen Umständen zuletzt die weibliche Würde höchlich gefährden muß. Jawohl, das Leben ist kein leichtes Komödienspiel, sondern schwerer Ernst. Sei dieses Wort Ihrer Erkorenen uns ein Zeichen, daß das deutsche Blut in ihren Adern über das welsche den Sieg davongetragen und daß die einfache Sprache Ihrer Neigung den Weg zu einem Herzen gefunden habe, welches offenbar ein besseres Los verdient als das, von romantischen Grillen ruhelos hin und her geworfen zu werden. Also nur mutig vorwärts! Sie dürfen das für Sie erregte Interesse der jungen Dame nicht wieder erkalten lassen. Durch die Gefälligkeit meiner Freunde in der Stadt besitzen Sie jetzt ja ein Mittel, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht sich Eingang in den Park und die Eremitage zu verschaffen. Und lassen Sie sich noch sagen: indem Sie sich selber dienen, erweisen Sie auch diesem Lande einen großen Dienst. Wenn Sie das Fräulein für sich gewinnen, so entreißen Sie dem Sizilianer den Magnet, mittels dessen er den unglücklichen Fürsten an sich fesselt. Mit dem Verlust dieses Magnets endigt die Macht des falschen Magus.«

»Und Sie glauben, daß der Herzog wieder auf einen besseren Weg gebracht werden könne?«

»Leider nein, aber doch auf einen weniger gefährlichen. Wenigstens kann erreicht werden, daß die Torheit des Fürsten wieder eine harmlosere Richtung nehme.«

»Er ist also eine vollständig zerrüttete Natur?«

»Ja, das ist das rechte Wort. Jugendsünden, Jugendsünden, lieber Freund, die Rasereien ebenso toller als vorzeitiger Ausschweifungen haben, wenn auch nicht seinen starken Körper, so doch sein Gemüt unheilbar zerrüttet. Sein Vater war ein roher Despot, der an der Verwilderung des Sohnes seine Freude hatte. So war der Prinz, als er zur Regierung gelangte, schon auf jener Stufe der Verderbtheit angekommen, wo der Unterschied von gut und böse aufhört. Mit einem Wort, er war und blieb das, was die Franzosen einen Blasé nennen. Ihm ist alles zum Ekel geworden, und indem er sich selbst verachten muß, glaubt er die Menschen zu verachten. Vielleicht hätte er in diesem Lebensüberdruß still dahinvegetiert, wenn nicht von Zeit zu Zeit seine Blasiertheit plötzlich wieder in die wildeste Begierde umspränge, und wenn sich ihr nicht häufig die ungeheuerste Eitelkeit, die ungemessenste Großmannssucht gesellte. Jener Umstand hat satanische Orgien zur Folge, dieser die tollsten Extravaganzen und grotesksten Bizarrerien, wie erst gestern die Hauptstadt wieder eine solche sah. Was hat er nicht alles schon angestellt in seiner krankhaften Sucht nach dem Seltsamen! Er erschien öffentlich als Frau wie Nero, er trug heute eine schwarze und morgen eine rote Perücke, er ließ seine Tafel mit Fleischspeisen und Vegetabilien besetzen, die in allen Graden der Fäulnis sich befanden, er goß kölnisches Wasser an den Salat und beging hundert dergleichen Verrücktheiten mehr.«

»Aber warum sperrt man den Menschen nicht ins Narrenhaus? Bei uns in Amerika würde er keine drei Tage regieren.«

Der Prediger blies langsam eine gewaltige Rauchwolke in die Luft und sagte:

»Mein lieber junger Freund, vergessen Sie nicht, daß Sie sich dermalen unter einem Volke befinden, dessen Geduld erst acht Tage nach der Ewigkeit zu Ende gehen wird.«

Raleigh lächelte. Der alte Rationalist zuckte die Schultern und fuhr fort: »Seit einiger Zeit scheint es auch mit der körperlichen Gesundheit des Herzogs übel zu stehen. Er ist ein Schlafwandler geworden. Aber auch wachend erhebt er sich, wie mir der alte Kastellan der Eremitage schaudernd mitgeteilt hat, oft vom nächtlichen Lager und durchwandelt die Gemächer und Korridore des Schlosses, entsetzliche Flüche und wilde Klagerufe ausstoßend, wie von Furien gepeitscht. Es soll herzzerreißend mit anzusehen sein. Schreckliche Visionen suchen ihn heim, und der Hofmaler mußte solche Gesichte nach des Herzogs Angaben in der großen Galerie der Eremitage malen, schöne Frauenleiber, welche in Schlangen auslaufen, Männer mit grünen Haaren, den Triumphzug des Todes über die ganze Erde; Engelsköpfe auf Dämonenkörpern und dergleichen Eingebungen einer kranken Phantasie mehr. Wo es aber einmal mit der leiblichen und geistigen Gesundheit aus ist, da fängt überall die Schwärmerei an, da ist allem Unsinn Türe und Tor geöffnet, da können sich Magnetismus, Geisterseherei, ägyptisches Maurertum und Goldkocherei breit machen, da wachsen reiche Ernten für die Scharlatane.«


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