Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Der geneigte Leser wird in ein altväterliches Gasthaus geführt und muß eine kurze Abschweifung des Autors sich gefallen lassen. – Die »Bande« in der Geniesherberge. – »Unser großer Fritz.« – Ein nationalschwäbisches Mahl. – Anch' io sono pittore! – »Der Dichter der ›Musarion‹ und des ›Oberon‹ hoch!« – Kulturgeschichtliche Fragmente aus den Denkwürdigkeiten des Sammetdoktors. – »Die Turbinella ist entführt!« – Die verlorene Wette.

Die Hauptstadt Schwabens ist jetzt nicht mehr das engbegrenzte, winkelige Stuttgart des vorigen Jahrhunderts. Nach allen Seiten hin hat sie sich seitdem gewaltig gedehnt und gestreckt, und man hat Mühe, aus ihrer jetzigen großstädtischen Physiognomie gewisse alte kleinstädtische Züge herauszufinden, die für manchen, vorab für uns, eine klassische Bedeutung haben. Viele derselben haben sich in dem rastlosen Wechsel der Dinge schon bis zur Unkenntlichkeit verwischt, da und dort aber hat sich einer ziemlich unverändert erhalten. Das Haus, in welches wir den Leser zunächst führen, ist so ein Zug.

Kommst du die prächtige Weinsteige herab, von deren Höhe aus gesehen Stuttgart den imposantesten Anblick gewährt, so führt dich dein Weg über den Wilhelmsplatz. Hier hast du zur Linken ein ganz neues Quartier, die verlängerte Hauptstädterstraße, die sich bis zum Tübinger Tore hinauszieht, zur Rechten dagegen die alte oder eigentliche Hauptstädterstraße, die mit zu dem um den Marktplatz her gelegenen Kern der Stadt gehört. Durchwandelst du diese Straße, so bemerkst du ungefähr in der Mitte derselben, linker Hand, das Gasthaus zum Ochsen, welches augenscheinlich aus einer Zeit stammt, wo die Gasthäuser noch keine Paläste waren, dafür aber reingehaltene Weine im Keller hatten. In Wahrheit, das Wirtshaus zum Ochsen ist nicht mit der Zeit fortgeschritten. Wir können das aus eigener Erfahrung bezeugen. Vor Jahren, als wir das Glück hatten, Stuttgarter Luft zu atmen, die im Sommer freilich etwas weniger aromatisch ist, da hatten wir vielfach Gelegenheit, zu bemerken, daß die Räume des Hauses noch recht altväterisch eingerichtet waren. Es gab da auch keinen ellenlangen Speisezettel mit französischen Rubriken, aber die gute Wirtin – leicht sei ihr die Erde! – war zu jeder Stunde des Tages und der Nacht bereit, uns ganz vortreffliche schwäbische Hausmannskost zu bereiten. Eine jener modernen Weinkarten, die von den Fortschritten der Weinverfertigungskunst so vielnamiges Zeugnis ablegen, war auch nicht vorhanden, wohl aber unverfälschter Landwein von alten guten Jahrgängen. Ich sehe sie noch, meine guten, jetzt in alle Winde und auch schon in verschiedene Gräber zerstreuten Gesellen von damals, wie wir uns, oft in später Abendstunde, aus den Stürmen des »tollen Jahres« in die Stille der alten Wirtsstube zum Ochsen mit ihrer verräucherten Balkendecke zurückzogen, um ein lautes und vielgeschäftiges Tagewerk mit einer gemütlichen Plauderstunde zu beschließen.

An einem der ersten Maiabende des Jahres 1782 war unter dem Dache des bezeichneten Gasthauses in der erwähnten Stube ein langer Tisch gedeckt, als sollte eine außerordentliche Gasterei stattfinden. Und so war es auch, denn William Raleigh hatte es sich schon lange ausgebeten, die Freunde seines Freundes einmal bewirten zu dürfen, und er hatte diese Absicht heute zur Ausführung gebracht, da es sich gerade so glücklich traf, daß so ziemlich der ganze Kreis der kraftgenialischen Bande in Stuttgart versammelt war. Hoven war heute von Ludwigsburg herein-, Konz, der früheste Jugendgespiele Schillers, von Vaihingen herabgekommen.

Raleigh stieg die Treppe hinauf und traf oben den Wirt, den berühmten Meister Dickbauch, wie er in vertraulicher Weise von der Bande genannt wurde, oder auch Ochsenjörgle, welche schwäbische Zusammenziehung des Titels »Ochsenwirts Georg« dem Herbergsvater aus seinen Knabenjahren her geblieben war. Der würdige Mann, dessen umfangreiches Untergestell von einer weißen Schürze bedeckt war und dessen hochrotes Vollmondsgesicht eine Speise- und Weinkarte nach alter Manier repräsentierte, stand unter der geöffneten Türe der Gaststube, die in derselben getroffenen Anordnungen mit Befriedigung überblickend und von Zeit zu Zeit eine Frage oder einen Befehl nach der Küche hinüberschickend. Dort war seine würdige Ehehälfte in vollem Regimente begriffen, und es legten von der Ersprießlichkeit ihres Waltens unterschiedliche appetitliche Düfte, die aus dem dunkeln Gang hervordrangen, vollgültiges Zeugnis ab.

Der Meister Dickbauch, begrüßte den jungen Amerikaner, von dessen Reichtum er ganz unmenschliche Vorstellungen hatte, mit größtem Respekt und bückte sich so tief, daß ihm der dicke Zopf dabei holzgerade aufrecht im Nacken stand.

»Ist alles bereit, Herr Wirt?«

»Alles fix und fertig, mein hochzuverehrender Herr. Es kann jeden Augenblick aufgetragen werden.«

»Aber die Stube ist ja noch ganz, leer. Wo sind denn meine Herren Gäste?«

»O, Herr Jeremle, an denen fehlt's nicht. Sie parteln allweil nur noch ein bißle da draußen auf der Kegelbahn.«

Und damit wies er auf eine offenstehende Hintertüre, durch welche lustige Ausrufungen, vermischt mit dem Rollen der Kugeln und dem Geprassel der fallenden Kegel, hereinschollen.

Raleigh ging auf die Türe zu, aber in demselben Augenblick brach ein Schwarm junger Männer durch dieselbe auf den Hausflur herein.

Voran ging mit rotem Gesicht und unordentlicher Frisur der lärmende Leutnant Kapff, hemdärmelig, wie die meisten übrigen, den Uniformfrack nachlässig über den Arm geworfen. Dann kam noch ein Militär, der wackere Scharffenstein, wie Kapff Leutnant im Gablenzischen Infanterieregiment. Hierauf folgten zwei Zivilisten, Petersen und Reichenbach, an der herzoglichen Bibliothek angestellt. Diesen traten zwei junge Männer nach, deren Namen nachmals berühmt wurden, Dannecker und Zumsteeg, jener Bildhauer, dieser Musiker, jener bestimmt, die Züge seines Akademiegenossen in Marmor zu verewigen, dieser schon damals wie später trachtend, den Liedern des angebeteten Jugendfreundes die Schwingen seelenvoller Melodien zu leihen. Zuletzt kamen noch zwei von etwas ernsterer Haltung als die andern, der am Militärwaisenhause zu Ludwigsburg als Arzt angestellte Hoven und der angehende Prediger Konz, dessen schwarzer Habit gegen die mehr oder weniger geniemäßig freie Tracht seiner Freunde auffällig genug abstach. Konz hatte im Tübinger Stift seine Studien gemacht, und die burschikose Stimmung lag also hinter ihm, während sie bei seinen Freunden, deren Studententon in der Akademie nicht hatte laut werden dürfen, nachträglich jetzt erst recht in Saft und Blüte stand.

»Kreuzmillionenschock!« schrie Kapff in die tumultuarischen Begrüßungen hinein, womit die Bande ihren Bewirter empfing. »Da riecht's ja wie in Mohammeds Paradies. Bei der Gurgel von Sankt Falstaff, ich schwöre, beim heutigen Symposion alle Leutnants zu übertreffen, deren Appetit und Durst jemals, seit die Welt steht, zu ihrer Gage in himmelschreiendem Mißverhältnis gestanden hat.«

»O, mein edler Böotier,« sagte Petersen, »du brauchst nicht zu schwören, man kennt deine kriegerische Vertilgungswut hinlänglich. Ich will mich neben dich setzen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn du mir heute abend nicht vollauf Stoff liefertest zu einem bedeutsamen Kapitel für mein unsterbliches, stupend gelehrtes Werk, betitelt: Über die Nationalneigung der Deutschen zum Trunke.«

»Nimm dich bei der eigenen Nase, Grobianissime Grobianorum!« versetzte Kapff.

»Still, gute Bierkanne, still, alter Weinschlauch!«

»Fort, du Aalhaut, du getrocknete Rinderzunge, du gelehrte Schneiderelle!«

»Hilf Himmel, sie mißhandeln schon wieder den Shakespeare,« bemerkte Zumsteeg.

»Ja, und der Kapff brüllt gleich dem rauhen Pyrrhus, gleich Hyrkaniens Leu'n,« meinte Reichenbach.

»Aber der Petersen brauchte das Maul auch nicht so voll zu nehmen,« sagte Hoven mit trockener Kaustik. »Weißt du noch, Herr Bibliothekarius Petersinn, wie dich der Meister Dickbauch zu titulieren pflegt, daß, dir Freund Schiller einmal zur Zeit, als die Stammbuchepidemie unter uns grassierte, in dein Stammbuch schrieb: Wenn du gegessen und getrunken hast und NB. satt bist, so sollst du den Herrn deinen Gott loben.«

»Ach was,« brummte Petersen, »laß doch mal die altgebackenen Schnurren von der Akademie und bittet lieber unfern werten Amphitryo von jenseits des Meeres, daß er das Essen auftragen lasse.«

»Jetzt hast du recht, Petersilie!« schrie Kapff und machte es sich auf einem Stuhle bequem, denn die lärmende Bande hatte sich inzwischen in die Gaststube begeben. »Wo ist denn der Schwerenöter, der alte Ochsenjörgle? – Ah, seid Ihr da, Meister Dickbauch? Jetzt hört mal! Keinen von Euren Ränken und Schwänken heut', alter Sektverfälscher! Es gilt die Ehre der schwäbischen Küche, der schwäbischen Weine, merkt's Euch! Ihr wißt, ich wittere einen Tropfen Wasser in einer Maß Wein auf hundert Schritte weit, und wenn ich irgend eine Teufelei an Eurem Essen oder Eurem Getränke vermerke, so schwör' ich, so wahr ich allen meinen Gläubigern von Herzen das Himmelreich wünsche, Ihr sollt auf Eurem eigenen Tischtuch da geprellt werden, wie nur je der große Sancho Pansa in einer spanischen Venta geprellt wurde.«

»O, Herr Jeremle, Herr Leutnant, ist das a mol wieder g'schwätzt!«

»Was, Ihr wollt rebellieren, Ihr Bettzerdrücker, Pferderückenbrecher und Weinsteinmuseum?«

»Gott behüte! Rebellieren, ich? Nein, das tut halt kein guter Altwürttemberger. Jedennoch vom Geprelltwerden ist meines Vaters Sohn kein Freund, und herrentgegen, wissen's, Herr Leutnant, für das Himmelreich bin ich, glaub' ich, noch nicht reif genug.«

»Da hast du's, Kapff,« lachte Scharffenstein. »Der Meister Dickbauch führt keine schlechte Klinge, und war die Anspielung nicht fein, so mag sie doch treffend gewesen sein.«

»Ja,« erwiderte Kapff großartig, »da seht Ihr, daß durch den Umgang mit Leuten von Geist sogar ein Ochsenjörgle passabel witzig sein lernt. Im übrigen, liebe Kinder, war der Tag extraordinär heiß, und ich habe Durst für zehn Millionen Schock Leutnants.«

»Aber, liebe Leute,« sagte Raleigh, welcher deutsches Blut genug in den Adern hatte und noch jung genug war, um sich ohne allzu große Anstrengung in den Ton der Bande finden zu können, »aber, liebe Leute, warum schenkt ihr euch nicht ein? Mit Flaschen ist ja der Tisch da einstweilen sattsam versehen, denk' ich.«

Kapff ließ sich das nicht zweimal sagen und streckte die Hand nach dem Labequell aus. Allein Dannecker hielt ihn ab, indem er sagte:

»Nein, du sollst dich gedulden, altes Sektfaß, wie wir andern, bis alle da sind. Es fehlt noch unser Schiller –«

»Ja,« fiel Petersen mürrisch ein, denn er hätte den Beginn des Gelages jedenfalls ebenso gern beschleunigt wie der durstige Leutnant, »ja, das muß ich sagen, der Schiller macht sich neuestens rar. Seit vollends die AnthologieAnthologie auf das Jahr 1782, Gedruckt in der Buchdruckerei zu Tobolsko. heraus ist, wozu wir andern doch auch unser Scherflein beigesteuert, und alle jungen und alten Weiber von den darin stehenden Lauraoden reden, trägt er den Kopf hundert Ellen hoch.«

»Petersen,« rief Dannecker mit dem ganzen Feuer einer jungen Künstlerseele, »Petersen, um was ich bitt', schwätz' nicht so dumm! Unser Schiller hochmütig? Du weißt recht wohl, daß er die beste Seele von der Welt ist. Aber, wenn er auch den Kopf bedeutend höher trüge als wir, so wißt ihr wohl, daß er Grund genug dazu hätte.«

»Freilich, freilich,« bemerkte Kapff grämlich, »maßen mein berühmter Stubenbursch einen bedeutend längeren Hals hat als wir andern. Wo er nur stecken mag? Gewiß läßt er den Verrina geschwind noch den Doria oder sonst einen beliebigen Tyrannen abmucken. Ja, liebe Kinder, es geht oft schauerlich mörderisch zu in unserer Höhle auf dem kleinen Graben drüben.«

»Donner und Doria!« rief Scharffenstein. »Seid mir saubere Kerls, das muß ich sagen. Ist das 'ne Art, von unserm großen Fritz zu reden? Ihr kennt mich und wißt, daß ich kein serviler Tropf bin, aber ich sag', ich beuge mich willig und freudig vor der imponierenden Superiorität des Dichters der ,Räuber'.«

»Bravo!« riefen Dannecker und Zumsteeg wie aus einem Munde.

»Das versteht sich doch von selber, Schwerenot!« grämelte Kapff. »Übrigens ist der Windbeutel, der Zuccato. auch noch nicht da.«

»O, der wird wieder irgend 'ner Schürze nachstreichen,« sagte Reichenbach. »Ihr wißt, er will sich selbst und andern Leuten mit aller Gewalt weißmachen, er sei ein Don Juan erster Sorte.«

»Auch fehlt noch der Sammetdoktor.«

»Hier, hier!« ließ sich die Stimme des Genannten von der Treppe her vernehmen, und sogleich trat er in der ganzen Pracht seiner sammetnen Erscheinung ins Zimmer, grüßte umständlich und sagte:

»Hier bin ich, liebe Jungen, Goldherzen, Titanen, Mondverschlinger und Erderschütterer! Wollen wir den Öta auf den Pelion stülpen, wie? Wollen wir geschwinde noch zum Zeitvertreib, bevor es Nacht wird, etwas weniges die Welt verbessern? Sagt an! Oder wollen wir die Nachteule mit einem Kanon aufstören, der einem Leinweber drei Seelen aus dem Leibe haspeln könnte?«

»Hurra!« schrien die jungen Leute und drängten sich lachend um den alten Humoristen.

Inzwischen war auch Schiller unvermerkt eingetreten und hatte mit seinem Hut und Degen geschwinde auch Rock und Krawatte beiseite gelegt; denn das war Stil in der Geniesherberge, und zwar so sehr, daß sogar der alte Herr Armbruster mit unter possenhaften Zeremonien von seiten Petersens und Zumsteegs ihm geleisteter Beihilfe aus seinem Scharlachsammetgehäuse sich herausschälte.

Meister Dickbauch, mit echtem Wirtsinstinkt fühlend, daß in der Person des Regimentsmedikus, von dessen literarischer Bedeutung er freilich nur eine ganz nebelhafte Vorstellung hatte, der eigentliche Ehrengast erschienen sei, zog seine weiße Zipfelmütze von seinem würdigen Haupte, machte eine untertänige Reverenz vor dem »gnädigen Herrn aus Amerikanien«, wie er Raleigh betitelte, und eilte auf einen bejahenden Wink von diesem stracklichst nach der Küche, den Hausgang mit dem Rufe erfüllend: »Anrichten, ihr Weibsbilder, anrichten und auftragen!«

Und es ward angerichtet und aufgetragen: ein schwäbisches Essen jede Schüssel. Da war ein nationales »Voressen«, bestehend aus gehackten Nieren und Lebern, in einer einladend duftenden Brühe schwimmend und nachdrücklich unterstützt von Dampfnudeln, welche, den Gästen ihre braungelb gebackenen Unterseiten verlockend entgegenhielten. Dann kam das Haupttreffen »unendlicher« Schweinebraten mit Sauerkraut, »Schunken« von der klassischen blaßroten Farbe, ferner ein ganzes Geschwader von Blut-, Leber- und Bratwürsten, und endlich die oberschwäbischen »Knöpfle« und die unterschwäbischen »gebräkelten Spätzle« – alles so vollendet zubereitet, daß, wären damals konstitutionelle Vertrauensvota schon üblich gewesen, ein solches, und zwar ein solennes, der Frau »Ochsenjörglin« sicherlich nicht entgangen sein würde.

In Ermangelung dessen brachten die Gäste der würdigen Wirtin ein tatsächliches Vertrauens- und Dankvotum. Denn, o, Wie ließen sie sich's schmecken! Und mit welcher patriarchalischen Würdigkeit saß der Sammetdoktor, welchem der Ehrenplatz oben an der Tafel eingeräumt worden, dem vaterländischen Mahle vor! Er hatte die Serviette oben in den Hemdkragen gesteckt und die ärztliche Perücke abgelegt, so daß der Schnee seines kurzgeschorenen Scheitels einen hübschen Kontrast zu seinen roten Backen bildete. Er wußte jedes Gericht mit einer Anekdote zu spicken, jedes Glas Wein mit einem Witz zu würzen, denn der alte Herr war heute in rosigster Laune.

Und alle waren so. Daß aber Schillers Antlitz heute ganz ungewöhnlich freudig leuchtete, hatten sie zu bemerken erst dann Zeit, als der Hauptsturm des Appetits auf Schüsseln und Flaschen glücklich vollführt worden war.

Dann sagte der dem Dichter gegenüber sitzende Scharffenstein:

»Lieber Fritz, dein Gesicht ist ja heute ein veritabler Maitag. Ist etwa von Dalberg aus Mannheim in betreff deines neuen Trauerspieles eine günstige Epistel eingetroffen?«

»Das nicht, Alterle, aber eine Epistel ist eingetroffen von anderwärts her, die mich noch mehr erfreut. Sie ist aus Weimar datiert. Da sieh!«

Er zog einen Brief hervor und reichte ihn dem Freunde über den Tisch hin, und nun ging rings ein Fragen neugieriger Teilnahme los.

»Von Wieland!« sagte Scharffenstein.

»Ah, von Wieland?« lautete ein vielstimmiges Echo. »Vorlesen! Vorlesen!«

»Silentium!« schrie Kapff, mit dem Messer auf den Tisch schlagend.

»Darf ich?« fragte Scharffenstein, und Schiller nickte bejahend, indem er sagte: »Ich hatte an Wieland geschrieben, um mir von dem großen Dichter ein Urteil über die ›Räuber‹ zu erbitten. Mich drängte es, einmal von kompetenter Stelle ein solches zu vernehmen, und da hab' ich denn gerade vorhin eine Antwort erhalten, die mich fast glauben macht, es sei nicht zu vermessen, wenn ich sage: Anch´io sono pittore

»Ihr braucht nicht zu erröten wie ein Backfischchen, dem sein erster Liebhaber zum erstenmal sagt, daß es schön sei,« bemerkte der Sammetdoktor, als der junge Dichter rot wurde, wie betroffen über das selbstbewußte Wort, welches ihm entschlüpft war. »Wißt Ihr, lieber Sohn, Ihr seid ein Kerl, dessen Landsmannschaft dem liebenswürdigsten aller deutschen Poeten schon recht sein kann. Und jetzt lest, wilder Krieger Scharffenstein.«

Der Brief wurde vorgelesen, und da war keiner in dem ganzen Kreise, dem er nicht wohlgetan hätte. Als ob der junge Ruhm des Dichters der »Räuber« einen Abglanz auf seine Freunde werfe, so angenehm fühlten sich alle von dem Lobe berührt, welches Wieland seinem Landsmann spendete. Sein Schreiben war sachgemäß, human und landsmännisch warm. Er würdigte ohne Rückhalt das Ungewöhnliche und Seltene der frühzeitigen Leistung Schillers, flocht einen feinen Wink über die Klippen ein, welche dem Genius des jungen Dichters drohen könnten, und prophezeite demselben eine schöne Zukunft.

»Die Gläser gefüllt!« rief Petersen. »Ich stürze einem jeden einen Schoppen, der sich etwa weigern sollte, den Toast bis zur Nagelprobe zu trinken, den ich feierlich vorschlage. Christoph Martin Wieland, der Dichter der ›Musarion‹ und des ›Oberon‹, dreimal hoch!«

Der Toast wurde jubelnd getrunken und gewissenhaft wurden die geleerten Gläser der geforderten Nagelprobe unterworfen.

Dann ging der Brief des gefeierten Mannes am Tische herum. Jeder wollte die schöne, reine Schrift betrachten, den eleganten Stil bewundern und den wohlwollenden Inhalt noch einmal für sich genießen.

»Ja, liebe Jungen,« nahm der Sammetdoktor das Wort, »ja, der Wieland, das ist ein Männle! Er ist, Spaß beiseite, neben meiner Wenigkeit oder Würdigkeit einer der wenigen gescheiten Menschen, welche dermalen in Europa leben. – Sie sehen, mein werter Sir,« schaltete er ein, zu Raleigh gewendet, »ich bin höflich, ich spreche bloß von Europa; denn nach den neuesten Vorgängen in Ihrem Vaterlande unterliegt es keinem Zweifel, daß drüben in der neuen Welt nicht nur eine winzige Minorität, sondern sogar die ungeheure Majorität merkwürdig gescheit sein muß. – Ja, wenn ihr den Papa Wieland sehen würdet, da kriegtet ihr Respekt. Und wißt ihr, warum? Weil der Wieland ein großer Mensch ist ohne eine Spur von Prätension. Ist lieblich das, versichere euch. Der Mann spricht gerade so elegant und liebenswürdig warm, wie er schreibt.«

»Sie haben also das Glück, ihn persönlich zu kennen?« fragte Raleigh.

»Und ob!« versetzte der Doktor. »Ihr wißt ja, liebe Jungen, ich hatte die Ehre, das goldene Zeitalter oder, wenn ihr wollt, die Flegeljahre der Weimarer Geniewirtschaft mitdurchzumachen oder wenigstens mitanzusehen.«

»Sieht es der wunderliche alte Mensch wieder auf eine seiner Schnurren ab oder ist's ihm Ernst?« fragte der stille Konz den neben ihm sitzenden Hoven.

»Das möchte schwer vorauszusagen sein,« erwiderte der Gefragte. »Indessen unterliegt es keinem Zweifel, daß unser alter und ewigjunger Freund wirklich längere Zeit in Weimar sich aufgehalten und die Bekanntschaft Goethes, Herders, Wielands und anderer Koryphäen gemacht hat.«

»Doctor venerabilis, carissime Ahasvere!« bat Petersen mit komischen Reverenzen, »tuet auf die Schatzkammer Eurer Erinnerungen! Ich weiß, Ihr schreibt in Euren Mußestunden an Euren Memoiren, und obgleich ich Euch als Freund wünsche, daß Ihr leben bleibet in saecula saculorum, so hege ich als Gelehrter sozusagen dennoch den stillen Wunsch, Ihr möchtet wenigstens noch bei meinen eigenen Lebzeiten in den Scheol fahren, damit ich die Ehre und das Vergnügen haben könnte, besagte Memoiren zu edieren.«

»Hol Euch der Teufel, Bibliothekarius!« entgegnete der Sammetdoktor lachend. »Ich hoffe noch lange genug zu leben, um auf Euerm Grabe etliche Tränen freundschaftlicher Rührung vergießen zu können.«

»Fackelt doch nicht so lange, alter Bursch!« schrie Kapff. »Ich seh' es Eurer Nasenspitze an, daß Ihr ebenso gern erzählen möchtet, als wir zu hören begierig sind.«

»So, Ihr setzt mir Eure Leutnantslampe auf die Brust, wilder Krieger? Wenn ich nun den Humor hätte, das Maul zu halten?«

»Das wären mir Humore!« sagte Schiller. »Laßt die Kerle schwatzen, Doktor, und gebt uns ein Kapitel aus Euren Denkwürdigkeiten zum besten.«

»Ja, tun Sie das, bester Doktor!« bat Raleigh.

»Ei, alle Wetter, wenn es mein Goldstern, mein Herzblatt, unser Fritz und item unser edler Wirt aus Virginien haben wollen, da hilft kein Widerstreben. Aber sagt, liebe Jungen, soll ich im Kurialstil oder im Fakultätsstil erzählen?«

»Warum nicht gar!«

»Zum Teufel damit!«

»Erzählt im privatmenschlichen, in Eurem eigenen Stil!«

»Ah, ihr seid höflich, liebe Kinder! Ihr traut mir einen eigenen Stil zu? Wohl, werde mich bemühen, euer Zutrauen einigermaßen zu rechtfertigen. – Also paßt auf! Ich blättere in dem Buche meiner Erinnerungen und, wißt ihr was? Ich will euch den Gefallen tun, in eurem Kraftgeniestil zu referieren.«

Man rückte näher zusammen, die Gläser wurden frisch gefüllt, die Pfeifen angezündet und der Sammetdoktor hob an:

»Warum und wie ich nach Weimar kam, liebe Jungen, kann euch völlig gleichgültig sein; genug, ich kam in das Mekka der deutschen Genies zur Zeit, als – aber, me Hercule! da fällt mir ein, daß gute Erzähler mittels der Anwendung von Kontrasten wirken. Will daher kontrastierend verfahren, indem ich zuvörderst in besagtem Buch um diverse hundert Seiten rückwärts blättere. Treffe da auf eine Stelle, welche euch dartun kann, wie vor fünfzig und etlichen Jahren Gelehrte und Literaten in deutschen Landen traktiert wurden. Ist, versichere euch, für junge Genies, für Titanen, Weltverbesserer und Himmelsstürmer, was ihr doch alle mehr oder weniger sein wollt, sehr belehrend, die Namen Friedrich Wilhelm und Karl August, Potsdam und Weimar zusammenzuhalten. Ergibt sich da ein staunlicher Gegensatz, welcher künftigen Literaturen und Historikern Stoff zu vielen und dicken Büchern liefern kann. – Wohl, liebe Jungen, das wäre mein Proömium. Jetzo nehme ich, mit Verlaub, einen Schluck Wein und stürze mich, eingedenk des alten gescheiten Kerls, des Horaz, medias in res«.

Habt ihr schon von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. gehört? Denke, ihr habt von ihm gehört und wißt, daß er ein gekrönter Korporal jeder Zoll war, welcher seinen erstgeborenen Sohn, den Fritze, der sich seither ganz passabel notabel gemacht hat, nicht gerade überzärtlich behandelte. Es ist sogar eine brutale Tatsache, daß er den Querpfeifer und Poeten, wie er ihn titulierte, in einem seiner Wutanfälle mal ums Haar mit der Vorhangsschnur erdrosselt hätte, von späteren ähnlichen väterlichen Liebesbezeigungen nicht zu reden. Gehen uns aber nichts an, diese Familiengeschichten; sind das Privatsachen, wißt ihr, und da heißt es: Chacun a son goût. Hatte nun einmal der Preußenkönig solche kuriose Geschmäcke. Unter anderen auch den für ›lange Kerls‹. Solche für die Potsdamer Garde zusammenzusuchen, mit allen Mitteln, um jeden Preis, durchstreiften seine Werber ganz Europa. Gab es da in besagtem Regimente Kerle von ganz unvernünftig langer Länge. Hatte den König, der sonst sparsam war wie 'ne alte Jungfer, das Stück von eintausend bis zu fünftausend Talern gekostet. Ja, für einen Kerl aus Irland, den längsten aller langen, hatte er neuntausend Taler bezahlt. Wohl, große Herren, wißt ihr, müssen ihren Spaß, ihr Privatvergnügen haben, ist das recht und billig. Kommen freilich diese Späße uns Kleinen gewöhnlich teuer zu stehen. Tut das aber nichts; ist die Ordnung Gottes so, liebe Jungen, wißt ihr? Haben gegen diese Einrichtung alle Kraftgenies von Luzifer, Kain, Hiob und Prometheus an bis herab auf euch, liebe Jungen, nichts auszurichten vermocht. Ist die ganze Welt nur ein kolossaler, unendlicher Speise- und Verdauungsprozeß, und besteht die wahre Philosophie des Lebens darin, möglichst lange vor dem Gespeist- und Verdautwerden sich zu bewahren.

Habe von Späßen der großen Herren gesprochen, nicht? Wohl, kam mich der Langekerlsspaß des seligen, was sag' ich? – hochseligen Preußenkönigs teuer zu stehen. War in jungen Jahren ein erklecklich langer Kerl und studierte in Halle. Sah mich aber von da urplötzlich und sehr rasch und ganz und gar gegen meinen Willen in die Potsdamer Gardekaserne versetzt. Seid ihr jemals, liebe Kinder, mehrere Tage und Nächte lang in einer sargähnlichen, festverschlossenen, verfluchten Kiste gereist, die oben am Deckel mit etlichen Löchern zum Atmen versehen war? Nicht? Nun seht, in dieser, wie wir Schwaben sagen, artigen Manier ließ man mich meine unfreiwillige Übersiedelung von Halle nach Potsdam bewerkstelligen. Sehr unbequem das, versichere euch. Lief übrigens das Abenteuer noch ziemlich gnädig ab. Hatte nämlich die verdammte Muskete nicht lange zu tragen, maßen ich die Ehre hatte, die persönliche Bekanntschaft des Königs zu machen. Seine hochselige Majestät, vermerkt habend, daß eine gute Dosis schwäbischer Grütze unter meiner Schädeldecke vorhanden, item eine ziemlich respektable Anzahl medizinischer Kenntnisse, im weiteren meine Hände eine erträgliche chirurgische Geschicklichkeit besaßen, geruhte allergnädigst, mich in seine persönlichen Dienste zu nehmen, allwo ich im ganzen zwar ein Hundeleben, im einzelnen aber viel Amüsement hatte. Sah und hörte da erstaunlich kuriose Dinge.

Könnt euch, liebe Kinder, von dem am damaligen preußischen Hof im Schwange gehenden Ton schon daraus eine Vorstellung machen, daß ich euch sage, was der König von dem großen Leibniz hielt, welcher bei der gelehrten Königin-Mutter einen so bedeutenden Stand gehabt. Friedrich Wilhelm erklärte diesen berühmten Philosophen für einen zu gar nichts tauglichen, selbst zum Schildwachtstehen unbrauchbaren närrischen Kerl.«

Ein homeristisches Gelächter brach an der Tafelrunde los. Nur Schiller blieb ernsthaft und sagte unwillig:

»Welche Barbarei!«

»Ja, mein Söhnchen,« fuhr der Sammetdoktor fort, »fein ging es da nicht zu; aber ich stelle mir trotzdem vor, künftige Geschichtschreiber werden den Hof Friedrich Wilhelms I. und sonderheitlich das berühmte Tabakskollegium in der Sittenbildergalerie des Jahrhunderts nicht ungern als ein Gegenbild zu dem französisch-frivolen und französisch-liederlichen Wesen der meisten übrigen Höfe aufstellen. Dürfte zwar dieses deutsch-bidere Wachtstubencharakterbild ein seltsames, aber nicht ungesundes und uninteressantes Kabinettsstück abgeben. Muß euch daher von besagtem Tabakskollegium, in welches ich vermöge meines Dienstes Zutritt hatte, mehr erzählen. Waren da in den königlichen Schlössern zu Berlin, Potsdam und Wusterhausen eigene Tabaksstuben nach holländischer Manier eingerichtet. Hier verbrachte der König mit seinen Generalen, Ministern und sonstigen Gästen die Abende. Saßen da die Herren mit ihren breiten Ordensbändern um einen großen Tisch herum, auf welchem holländische und deutsche Zeitungen lagen. Sie rauchten aus langen Tonpfeifen, und auch wer nicht rauchte, wie der alte Dessauer und der kaiserliche Gesandte Seckendorf, mußte dem König, zu Gefallen mit einer unangebrannten Pfeife im Munde wenigstens so tun. Hatte auch jeder einen weißen Deckelkrug mit Duckstainer Bier vor sich stehen. Da diskutierte man und machte wichtige Staatsangelegenheiten gesprächsweise ab. Dabei war es des Königs Hauptgaudium, fürstliche Besuche durch das starke Bier betrunken zu machen und durch den Tabaksqualm in Übelkeit zu versetzen. Und, o, wie wurde dem Hauptzeitvertreiber, dem hochgelehrten Gundling, im Tabakskollegium mitgespielt! Die Gelehrten, den Adel und die Kanzleimenschen zu verhöhnen, häufte der König auf den Pedanten eine Masse von Würden. Er ernannte ihn zum Freiherrn mit sechzehn Ahnen, zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, welches ganze Institut aber jährlich nur dreihundert Taler kosten durfte, ferner zum Oberzeremonienmeister, zum Kriegs- und Hofkammerrat, zum Geheimen Finanzrat und Hofhistoriographen. Bei alledem mußte sich der Würdenträger zur Zielscheibe der ungeheuerlichsten Schnurren hergeben, die sein Leben mehrmals gefährdeten. Es war ein verhältnismäßig noch harmloser königlicher Spaß, daß der arme Gundling beim Nachhausegehen aus dem Tabakskollegium die Türe seines Zimmers zugemauert fand und die ganze Nacht mit vergeblichem Suchen derselben zubringen mußte. Einmal bombardierte man ihn auf seiner Stube mit Raketen und Schwärmern. Ein andermal ließ der König dem Betrunkenen einen von den Bären, die zu Wusterhausen gehalten wurden, ins Bett legen, und nur ein glücklicher Zufall entriß den Armen der tödlichen Umklammerung der Bestie. Da er sich aber allgemach abnutzte, berief der König, um ihn durch eine Nebenbuhlerschaft wieder aufzufrischen, den gelehrten Faßmann, welcher, wie ihr wißt, durch seine ›Gespräche im Reiche der Toten‹ damals einen Namen sich gemacht. Eines Abends mußte Faßmann im Tabakskollegium eine Satire auf Gundling vorlesen. Da ist der Verhöhnte so rabiat geworden, daß er dem Pasquillanten die zum Anbrennen der Pfeifen mit glühenden Torfkohlen gefüllte Pfanne ins Gesicht warf. Der Faßmann, nicht faul, packt in Gegenwart der Majestät seinen Gegner, kriegt ihn unter und bearbeitet ihm einen gewissen Körperteil mit der heißen Pfanne dermaßen, daß der Gemißhandelte mehrere Wochen lang nicht sitzen konnte. Endlich ist der arme Gundling an vielem Trinken gestorben und in einem leeren Weinfaß begraben worden. An seine Stelle trat der Magister Morgenstern. Zwischen diesem und den Professoren an der Universität Frankfurt an der Oder veranstaltete der König eines Tages eine feierliche Disputation über das Thema: Gelehrte sind Salbader und Narren. Herrgott, was war das für ein merkwürdiger Aktus! Ich sehe den Morgenstern noch auf dem Katheder stehen, in einem blausammetnen, mit großen roten Aufschlägen versehenen, über und über mit silbernen Hasen gestickten Rock, mit roter Weste, mit einer kolossalen, bis zu den Kniekehlen hinabhängenden Perücke, statt des Degens einen Fuchsschwanz an der Seite. Nachdem unter ungeheurem Hallo der Studenten die Disputation eine Stunde gewährt, ließ der König innehalten, beglückwünschte Morgenstern, drehte sich um, pfiff und klatschte mit den Händen, was alle Anwesenden nachmachten. – Seht, liebe Kinder, so wurden vor fünfzig Jahren die Wissenschaften und ihre Vertreter in unserem Vaterlande behandelt.«

»Sie waren auch danach,« bemerkte Schiller. »Wäre es doch eine Entweihung der Wissenschaft, wenn man den Gundling, Faßmann, Morgenstern und ähnliche Gesellen ihre Jünger nennen wollte. Gewiß dürfen wir mit Befriedigung sagen, daß auf diesem Gebiete seit fünfzig Jahren und namentlich in den letzten zwanzig Jahren ein bedeutender Fortschritt erzielt worden ist. Die deutsche Wissenschaft, die deutsche Literatur hat gelernt, sich zu fühlen. Unser Klopstock, unser Lessing, unser Wieland haben sie zu einer Würde erhoben, welche über Beschimpfungen von seiten gekrönter oder ungekrönter Korporale erhaben ist. Unsere Literatur hat sich ihre Stellung in der Gesellschaft erobert, und sie hat das ganz aus eigener Kraft getan, ohne die Vornehmen und sogar trotz ihnen. Ihr wißt, liebe Freunde, zur Stunde, als wir den Dichter des Götz und des Werther in den Räumen der Akademie so ruhig, so sicher mit Fürsten verkehren sahen, da fühlten wir alle, daß in Deutschland endlich neben der Souveränität der Gewalt auch die Souveränität des Geistes zur Geltung und Anerkennung gekommen sei.«

»Ja,« nahm der Sammetdoktor wieder das Wort, »andere Zeiten, andere Sitten, andere Menschen, andere Musen. Dem Himmel sei Dank für diese Abwechselung in der Tragikomödie des Lebens und der Geschichte! Und Ihr habt ganz recht, lieber Schiller, daß Ihr auf die größere gesellschaftliche Bedeutung, welche die Literatur neuestens gewonnen, einen nachdrücklichen Akzent legt. Wäret ihr in England gewesen, liebe Kinder, und hättet ihr, wie ich, dort gesehen, was die Literatur ausrichten kann, wenn sie sich mit dem Leben verbündet – doch, zum Teufel, ich glaube gar, ich fange an zu philosophieren wie ein Schulfuchs. Was geht mich alten Kerl, der nichts mehr vom Leben will als ein bißchen Unterhaltung, all das literarische und nichtliterarische Lumpenzeug an? – Aber da gerade von Goethe die Rede war, wohl, so muß ich euch sagen: der verstand es, und wie verstand er es! Glaubt ihr Grünlinge, sein Götz, sein Werther, seine Sturm- und Dranglieder allein hätten es getan? Fehlgeschossen! Allerdings haben diese Dichtungen, soweit ich sie verstehe, die Stimmung unserer Zeit wunderbarlich getroffen. Es rumort darin prächtig der ungestüme Sehnsuchtsdrang einer Gesellschaft, der es in ihrer Haut zu enge geworden. Das mußte packen, hinreißen, staunen machen. Aber um den Dichter mit Fürsten verkehren zu machen, wie mit seinesgleichen, da gehörte noch etwas anderes dazu. Wißt ihr was? Des Mannes sieghafte Persönlichkeit. Seht, wäre ich ein frommer Heide, wie ich bekanntlich ein frommer Christ bin – lacht nicht, ihr ungläubigen Satanasse! – so würde ich sagen, Vater Zeus habe den Johann Wolfgang Goethe geschaffen, allen Menschen ein Wohlgefallen zu sein. Nie habe ich all mein Lebtag einen Mann gesehen, der es wie dieser Poet in der Gewalt gehabt hätte, allen Männern Respekt, allen Weibern Liebe einzuflößen. Er bezaubert beide, Männlein und Weiblein, sagte mir einmal Papa Wieland, und da hättet ihr sehen sollen, wie der liebenswürdige Mensch auf Goethe hinsah mit von väterlicher Liebe leuchtenden Augen. Hatte der Wieland nicht vollauf Grund, auf Goethe erbost zu sein, der ihn mit der Farce ›Götter, Helden und Wieland‹ so derb verspottet hatte? Aber nichts da! Der Goethe kam nach Weimar wie ein junger Gott, kam, sah und siegte. Wieland war mit unter den ersten Besiegten. Habe Gelegenheit gehabt, die Abschrift eines Briefes zu sehen, in welchem Wieland wenige Tage nach Goethes Ankunft an Jakobi schrieb, seine Seele sei so voll von Goethe wie ein Tautropfen von der Morgensonne.

Wohl, befand mich gerade unten im alten Wien, als ein aus Norddeutschland heimkehrender Freund, welcher auf seiner Reise Weimar berührt hatte, mir die unerhörte Märe mitteilte, der Herzog Karl August habe mit dem Dichter Goethe die vertrauteste Freundschaft auf du und du geschlossen und an seinem Hofe die flotteste Geniewirtschaft etabliert, welche je die Welt gesehen. Da gehe es hochgenialisch her und die Genies verkehrten mit den Hofdamen wie die lieben Engelein im Paradiese, obgleich nicht gerade darauf zu schwören sei, daß dabei die paradiesische Unschuld immer eingehalten werde. Wurde mächtig neugierig, und da mich Geschäfte eigentümlicher Art bald darauf nach Sachsen führten, verfehlte ich nicht, Weimar zu besuchen. Hatte dort mancherlei Konnexionen, auch am Hofe, insonderheit durch den Geheimrat Bode, mit welchem ich angedeuteter Geschäfte halber schon seit längerer Zeit in Verkehr gestanden hatte.

Gut, war also da, und seht, ich alter Knabe schwamm bald lustig mit in dem wildgenialischen Strom. Der Goethe hatte es allen angetan, hatte, wie sich Papa Wieland ausdrückte, alle »wütig« gemacht vor unbändiger Lebenslust. O Himmel, was war das für ein Wechsel von Jagden, Trinkgelagen, Komödien- und Liebesspiel! Und über all dem Teufelszeug, das da an der Tages- und Nachtordnung war, schwebte einer glänzenden Lichtwolke gleich die stets zu Ernst und Scherz fertige Poesie Goethes. Was war da für ein beständiges Kommen und Gehen von wandernden Genies, welche oft in einem Aufzuge zu Weimars Toren einzogen, der es, wie man halb im Scherze, halb im Ernste sagte, nötig machte, daß Bertuch, des Herzogs Schatzmeister, in seine Rechnungen eine stehende Rubrik einführte, welche mit an deutsche Genies ausgeteilten Hosen, Westen, Strümpfen und Schuhen ausgefüllt war. Über das Eigentum gingen unter diesen Leuten sehr wunderliche Begriffe um. Das studentische ›Schießen‹ war eine stehende Mode. Der Goethe habe oft zu Bertuchs Frau geschickt, um sich ein Schnupftuch, oder in die herzogliche Garderobe, um sich weiße Kanevasbeinkleider und dito Weste, obligate Artikel der Genietracht, holen zu lassen. Unter den Kommenden und Gehenden sah ich auch den halbtollen Lenz und den aus zynischem Stoizismus und Rousseauschem Naturenthusiasmus zusammengesetzten Klinger, Dichterbrüder Goethes von Strasburg her. Der erstere meldete dem Freunde seine Ankunft mit den Worten: »Der lahme Kranich ist angekommen und sucht, wo er seinen Fuß hinsetzen«; der andere las eines Abends in zahlreicher Gesellschaft eines seiner neuen Sturm- und Drangtrauerspiele vor, bis Goethe aufsprang und davonlief mit den Worten: »Was für verfluchtes Zeug ist's, was du da wieder einmal geschrieben hast! Das halte der Teufel aus!« Der stoische Klinger ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen, sondern steckte ruhig sein Manuskript ein und sagte nachdenklich: »Kurios! Das ist nun schon der zweite, mit dem mir das heute begegnete.«

Die oberste Patronin der Geniewirtschaft am Weimarhofe war die Herzogin-Mutter Amalia. Diese gemütvolle, leichtlebige Frau, welche mit Wieland den Aristophanes in der Ursprache las, hatte an all den tollen Schwänken eine rechte Seelenfreude. Denkt euch, der Goethe hat sich im Zimmer der hohen Frau im Übermut kraftgenialischer Ausgelassenheit manchmal mit aufgelösten Haaren auf dem Bodenteppich gewälzt, während Papa Wieland in der Sofaecke neben der Herzogin sein Mittagsschläfchen machte. Man lebte da mit der Ungeniertheit der olympischen Götter. Neben dem Dorfe Stützerbach waren die beiden ländlichen Schlösser der Herzogin Amalia, Ettersburg und Tieffurt, die Lieblingsschauplätze dieses Götterlebens. Auf der Terrasse von Ettersburg wurden jene oft ganz aus dem Stegreif angehobenen Komödien und Operetten aufgeführt, in welchen die Herzogin und ihr Hoffräulein, die witzige Luise von Göchhausen, dann der Herzog Karl August und sein Bruder Konstantin, ferner Goethe, Knebel, Bode und Bertuch, endlich die Hofherren Wedel und Einsiedel Rollen übernahmen. Da sah und hörte ich auch die herrliche Korona Schröter spielen und singen, da sah ich dem liebenswürdigen Märchenerzähler Musäus in der Rolle des Kranken in der Hans Sachsschen Posse vom Narrenschneiden durch Goethe, welcher den Arzt machte, die einzelnen Narrenpüppchen aus dem Leibe schneiden. Oft wurden die dramatischen Spiele, womit Zigeunerwirtschaften und andere Mummereien aller Art sich verbanden, abends mitten im Walde bei Fackelschein und auf improvisierten Waldbühnen gegeben.

Es ist wahr, manchmal erreichte die genialische Ausgelassenheit eine Höhe des Übermutes, welcher vor Kränkungen von Freunden keineswegs zurückschrak. Sah ein paar schnackische Exempel dieser Art mit an. Erinnere mich, daß mal, zur Feier des herzoglichen Geburtstages, zu Ettersburg eine von dem mutwilligen Oberhofmeister Einsiedel verfaßte Farce, betitelt: Orpheus und Eurydice, aufgeführt wurde, durch das vorhin erwähnte Personal natürlich. War das Stück nichts anderes als 'ne fürchterliche Parodie von Wielands ›Alceste‹ und hatte Papa Wieland das sonderliche Vergnügen, diese Parodie mit anzuhören. Machte lange gute Miene zum bösen Spiele, der Wieland, als aber das Ding gar zu arg wurde, als die Arie: ›Weine nicht, du Abgott meines Lebens!‹ auf die allerschnurrigste Art, unter Begleitung des Posthorns, abgeleiert und auf den Reim Schnuppe ein ewiglanger komischer Triller gesetzt ward und die zahlreiche Versammlung ganz wütend Da capo! schrie, da wurde euch der Gute doch fuchsteufelswild, lief davon und beklagte sich tags darauf über den ›unsauberen Geist der Polissonnerie‹, der in die Leute gefahren sei. Jedoch der Goethe hatte den Beleidigten bald wieder versöhnt.

Müßt aber nicht glauben, liebe Kinder, daß in jenen Tagen der Weimarer Geniewirtschaft aller Ernst in dem rauschenden Strudel der Zerstreuungen untergegangen. Gab da, versichere euch, auch Stunden, die ich, falls ich ein Poet wäre, Stunden der höchsten Weihe nennen würde. Eine solche Stunde war mir in dem Gartenhäuschen Goethes zu erleben vergönnt. Stand und steht dieses Gartenhäuschen, ungefähr zwanzig Minuten von der Stadt entfernt, am sogenannten Stern im herzoglichen Park inmitten hochwipfeliger Baumgruppen. Hierher flüchtete sich Goethe aus dem kraftgenialischen Gedränge. Hier hat oft in einsamer Nacht die Muse ihn geküßt – alle Wetter, ich werde unwillkürlich poetisch! Hier gestattete er nur seinen Vertrautesten Zutritt, hier verlebte er die besten Augenblicke seiner Freundschaft mit Karl August, einer Freundschaft, die meines Wissens ganz einzig in der Geschichte dasteht. Ein glücklicher Zufall verschaffte mir den Eintritt in die Einsiedelei des Genius. Ich hatte Gelegenheit gehabt, der Geliebten Goethes, der Frau von Stein, einen Dienst zu erweisen. Eine merkwürdige Frau, diese Charlotte von Stein. Sie ist nicht schön, ist um sieben Jahre älter als ihr Geliebter, aber sag' euch, ich lernte den Zauber, welcher ihn an sie fesselte, begreifen. Es umgibt sie eine Atmosphäre der Anmut, in welcher einem unbeschreiblich wohl zumute wird. – Wohl, Frau von Stein führte mich in dem Gartenhäuschen ein, und da hat uns in einer schönen Sommernacht der Goethe ein wunderbares Gedicht vorgelesen oder vielmehr Fragmente eines wunderbaren Gedichtes, die, wie er sagte, teilweise noch während seines Aufenthalts in Straßburg entstanden waren. Es waren Szenen eines Dramas, so eigentümlich, so originell, so dämonisch, daß mir etwas auch nur entfernt Ähnliches niemals vorgekommen. Das Gedicht behandelt die alte Sage vom Doktor Faust, der den Teufel beschwört und ihm seine Seele verschreibt. Aber wie tief ist dieser Stoff erfaßt, wie kühn umgeformt! In titanischer Verzweiflung empört sich der Held gegen die Schranken des Menschendaseins und will, erfüllt vom schmerzlich süßen Gefühl der Unendlichkeit, die Fesseln der Endlichkeit zerbrechen. Dem idealischen Stürmer zur Seite schreitet der Träger des Prinzips der Verneinung, der sarkastische Dämon Mephistopheles, dessen Philosophie, wenn ich mich recht erinnere, sich zusammenfaßt in den Versen: ›Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.‹ – Ah, sag' euch, wäre mir erquicklich, sehr erquicklich, wenn es dem Goethe beliebte, mit dem ganzen Werk hervorzutreten, bevor ich zur Grube fahre.

Doch zum Henker mit dem Grabgedanken! Es lebe das Leben! Gäbe es nur von Zeit zu Zeit immer wieder so 'ne Auffrischung, wie ich damals zu Weimar eine an mir erfuhr. Denkt euch, Kinder, den alten Sammetdoktor, wie er unter den Weimarer Genies in der Werthertracht lustig sich umtrieb. Ja, beim Jupiter, so tat ich, machte die tollsten Schnurren mit, war ungeheuer liebenswürdig, verliebte mich auch schier teufelsmäßig und machte Verse, daß es krachte.«

»Nun, da hört alles auf!« rief Petersen lachend aus. »Ihr, Doktor, Ihr machtet Verse? Da sage noch einer, es gäbe keine Mirakel.«

»Hat sich was zu mirakeln!« entgegnete der alte Herr. »Besitzt etwa ihr Grünlinge das Monopol des Versemachens? Kommt, seid gute Bursche, schenkt mir mein Glas voll und dann paßt auf! Will euch ein Lied singen, eine Litanei auf das Menschenleben, die ich dem Rousseau abgelauscht und ganz ordentlich in Verse und noch obendrein in Musik gesetzt habe.«

Er leerte das vollgeschenkte Glas mit einem Zuge, räusperte sich und fing mit seiner kräftigen Stimme zu singen an:

»Wahrlich, wahrlich, arme Jammersöhne
Sind wir hochgepriesne Herrn der Welt,
Von Beginn an, bis die letzte Träne
Aus des armen Schächers Auge fällt.
Schlüpfen wir kaum erst aus unsrer Tonne
In dies große, weite Narrenhaus,
Grüßen wir schon mit Geheul die Sonne,
Alles Elend fühlen wir voraus.
Trägt der Knabe seine ersten Hosen,
Steht schon ein Pedant im Hinterhalt,
Der ihn hudelt, ach, und ihm der großen
Römer Weisheit auf den Rücken malt –«Bekanntlich schrieb man dieses Gedicht Schiller zu, und lange galt die Meinung, derselbe habe es in seinem sechzehnten Jahre verfaßt. Der Irrtum ist aber jetzt dargetan, und die Autorschaft Armbrusters kann leicht nachgewiesen werden.

Aber der Sammetdoktor konnte sein Lied nicht zu Ende bringen, denn in der Öffnung der hastig aufgerissenen Türe erschien plötzlich der Jägerleutnant Zuccato und rief ohne Umstände in die überraschte Tafelrunde herein:

»Eine ungeheure Neuigkeit! Die Turbinella ist entführt!«

Die Bande fuhr von ihren Sitzen auf und umringte mit tumultuarischen Fragen den Ankömmling.

Nur Armbruster und Raleigh blieben sitzen, aber dem letzteren entfuhr ein halb unterdrückter Ausruf, und seine Stirne wurde bleich. Der alte Arzt blickte ihn scharf an und sagte:

»Mein werter Sir, ist Ihnen unwohl? Geschwind, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen.«

»Es ist nichts,« entgegnete der Virginier, ein Lächeln erzwingend. »Bemühen Sie sich nicht, lieber Doktor.«

»Erstickt mich nur nicht, vendre del diavolo!« schrie Zuccato, sich Luft machend. »Ihr sollt ja alles wissen, was ich selber weiß.«

»Nun, was weißt du denn?« – »Heraus damit!« – »Von wem wurde die Turbinella entführt? Wie? Wo? Wann? Wohin?«

»Ja,« sagte der Sammetdoktor, zu dem jungen Dalmaten sich wendend, »sag an, mi fili: ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando

»Ah, Sie sind auch da, weisester aller Doktoren?« entgegnete Zuccato. »Und auch Sie, Herr Raleigh? Ei, ja richtig, war ja große Gasterei – hatte es in meiner Konsternation ganz vergessen. Suchte Sie eigentlich, habe eine Bestellung für Sie. – Aber nicht wahr, wer hätte das gedacht? War, auf Ehre, wie aus den Wolken gefallen. – Ein verfluchter Kerl, der Chevalier! – 's wird gewiß ein ungeheures Geschrei in der Stadt absetzen. – Die Binetti –«

»Ei, so schwatz du und der Teufel!« fiel ihm Kapff in die Rede. »Kreuzmillionenschock, hat man je einen so wirbeligen Kerl, so einen verdrehten Haspel, so einen Sparrefantel gesehen? Wirft alles durcheinander wie Kraut und Rüben. Muß ich dich katechisieren, Junge?«

Und der lustige Leutnant stellte sich vor seinen Kameraden von den Jägern und tat, Haltung und Nasalstimme eines bekannten überfrommen Predigers der Residenz nachahmend, die Frage:

»Also die Turbinella wurde entführt?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von dem Teufelskerl, von dem Chevalier.«

»Wohin?«

»Bis nach Schorndorf. Dort wurde während des Pferdewechsels das Paar eingeholt.«

»Von wem?«

»Von dem Generaladjutanten des Herzogs.«

»Das Abenteuer war also schlecht vorbereitet gewesen?«

»Es scheint nicht. Aber die Binetti, bei welcher der Chevalier während seines Hierseins häufig aus und ein ging, wollte wissen, das Paar sei bei einem Rendezvous von dem Ludwigsburger Schloßgarteninspektor Walter belauscht worden, und dieser habe dem Herzog beizeiten einen Wink gegeben.«

»Hm, ziemlich unverständlich das, Schwerenot! Und man hat das flüchtige Paar hierher zurückgebracht?«

»Nein, nicht das Paar, nur den Chevalier.«

»Oho, der sitzt wohl fest? Wahrscheinlich schon auf dem Asperg, in den Klauen des frommen Sünders, des Generals Rieger?«

»Nein, man hat ihn laufen lassen.«

»Was? Wie ging das zu?«

»Weiß nicht. Die Binetti tat freilich so, als wüßte sie davon.«

»Hol der Teufel die alte Schachtel! Aber die Turbinella?«

»Wurde nicht hierher zurückgebracht.«

»Wohin denn?«

»Weiß nicht. Die Binetti wußte bloß oder wollte bloß sagen, daß der Generaladjutant mit dem Fräulein weiter das Remstal aufwärts gereist sei.«

»Mysteriös das!«

»Verteufelt! – Aber ich muß nun eine Bestellung der Binetti an Herrn Raleigh ausrichten.«

Dies sagend zog Zuccato ein kleines versiegeltes Paket aus der Brusttasche und übergab es dem jungen Amerikaner, an welchen die Adresse lautete.

Raleigh löste Schnur und Siegel. Eine hübsche Anzahl holländischer Dukaten und ein Billett fielen aus dem Umschlag auf den Tisch. Ohne die ersteren zu beachten, griff Raleigh nach dem zweiten, und während er es las, konnten die neugierig auf ihn schauenden jungen Männer bemerken, daß Röte und Blässe rasch auf seinen Zügen wechselten.

»Liebe Freunde,« sagte er dann mit seiner gewohnten Ruhe, »der Herr Chevalier ist ein Mann von Welt. Er hat mir vor seiner Abreise von hier angezeigt, daß er eine zwischen uns schwebende scherzhafte Wette verloren gebe, und hat, wie ihr seht, den Betrag derselben seinem Schreiben beigelegt.«

Während dann die jungen Leute, über die große Neuigkeit des Tages umständlich sich auslassend, ihren Kameraden Zuccato von neuem ins Gebet nahmen, stand Raleigh, ohne Aufsehen zu erregen, von seinem Platze auf, zog Schiller an ein Fenster, schob ihm das Billett in die Hand und sagte:

»Lies es für dich.«

Das Billett war französisch geschrieben und hatte diesen Inhalt:

»Mein Herr! Ich habe meine Wette verloren und gebe mir die Ehre, Ihnen im Anschluß den Betrag durch meine gütige Freundin, die Schauspielerin Binetti, zu übermachen. Ich füge das für einen Mann meines Schlages demütigende Geständnis hinzu, daß ich auch im Falle des Gelingens meines verunglückten Entführungsplans kaum jemals die Aussicht gehabt hätte, sagen zu können, daß ich die Wette gewonnen. Dieses Mädchen ist das seltsamste, unnahbarste und unbesieglichste Geschöpf, welches ich je kennen gelernt. – Das Abenteuer hätte für mich schlimm ablaufen können. Der Herzog sei im ersten Augenblick vor Zorn außer sich gewesen. Die Binetti half mir aus der Patsche durch Verwendung ihres Liebhabers, des ...schen Gesandten. Vielleicht begnügte man sich auch nur deshalb, um weiteren Eklat zu vermeiden, damit, mir zu befehlen, auf der Stelle die Residenz und das Land zu verlassen. Ich gehorchte natürlich schleunigst. Da ich aber annehmen muß, daß Sie sich für Fräulein L. interessieren, sage ich noch, daß ich während der schnöden Katastrophe meines Unternehmens in Schorndorf zu ergattern wußte, das Fräulein würde in ein Frauenkloster der Reichsstadt Gmünd gebracht werden. – Hiermit habe ich die Ehre, Sie zu grüßen und mich zu nennen Ihren ergebenen Diener G.C. Chevalier de Steingalt


 << zurück weiter >>