Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Zweites Kapitel.

»Und Poesie auch ist's, wenn man zu zweit durch eine blühnde Frühlingslandschaft reit't.« – Von der alten Reichsstadt Gmünd. – Eine Gewissensfrage. – Begegnung mit einem Sauerbrunnentrinker. – Ein Paßwort. – Von Lorenzodosen und Geheimbünden. – Wiederum eine Abschweifung, aber keine subjektive.

Wie die Anatomie des Schmerzes und der Schwermut ist auch die der Lust und des Frohsinns schon in vielen und guten Büchern abgehandelt worden. Aber was ist eigentlich das Vergnügen? Ein Zustand des Behagens, in welchem die Dinge der objektiven Welt auf den Geist und die Leiblichkeit des Subjekts gleich angenehm einwirken. Wie hölzern klingt das, wie gar nicht vergnüglich! Es dürfte überhaupt unmöglich sein, eine allgemeine Definition eines Begriffes zu geben, welcher in so unendlich viele Nuancen zerfällt, als es Menschen gibt. Der große Doktor Johnson, welchen viele Engländer noch jetzt für einen Poeten halten und welcher Carlyle zufolge sogar ein Held war, erklärte es für das höchste Vergnügen, in einer guten englischen Postchaise auf einer guten englischen Straße hinzurollen. Sein Zeitgenosse Goldsmith behauptete, das höchste Vergnügen sei, auf einem Sofa ausgestreckt liegend einen guten Roman zu lesen, und um dieses Vergnügen seinen Mitmenschen zu ermöglichen, schrieb der Gute selber einen der besten aller Romane. Ich selbst war einst einem Manne befreundet, welcher alles Ernstes der Überzeugung lebte, das höchste Vergnügen bestehe darin, einem schönen Mädchen zuzusehen, welches mit graziösen Fingern seinem Geliebten eine Orange zum Genusse zubereite. Nämlich, setzte ich hinzu, wenn man das Glück hat, dieser Geliebte zu sein, was er aber für eine verdammlich-egoistische Verdrehung seiner Ansicht erklärte. Ich meinte dann, wenn auch nicht das absolut höchste, doch jedenfalls ein höchstes Vergnügen sei es, in jungen Jahren, wo noch die Pulse leicht und fröhlich schlagen, mit einem guten Kameraden zur Seite unter blauem Himmel auf schnellen Rossen durch einen blühenden Frühlingsmorgen hinzureiten, und mein Philosoph des Vergnügens tat mir die Ehre an, kopfnickend zu sagen, das sei in der Tat nicht ohne.

Die Poesie dieser Situation mochten auch die beiden jungen Männer, welche in der Frühe eines hellen Maimorgens die Straße von Stuttgart nach Kannstatt hinabritten, mit Behagen einatmen. Wir erkennen in den Reitern Schiller und seinen Freund Raleigh, welche, wie die Mantelsäcke hinter ihren Sätteln andeuteten, zu einer längeren Reise gerüstet waren. Der Dichter, welcher heute nicht die fürchterliche Feldschereruniform, sondern einen bürgerlichen Anzug trug, der seinen Gliedmaßen größere Freiheit gestattete, der Dichter insbesondere fühlte sich augenscheinlich sehr wohl und ließ sich in seiner heiteren Stimmung auch nicht durch den Umstand beeinträchtigen, daß das rasche Pferd, welches er ritt, von Zeit zu Zeit durch gewisse ungeduldige Bewegungen zu erkennen gab, es sei vollständig überzeugt, daß sein dermaliger Reiter zu den in der edlen Reitkunst minder Erfahrenen gehörte.

Des schönen Morgens und des Glückes froh, für einige Tage der lästigen Fesseln seiner dienstlichen Stellung entledigt zu sein, sagte er zu dem schweigsam neben ihm reitenden Freunde:

»Es kommt mir, lieber William, fast wie ein Traum vor, daß ich da mit dir auf Abenteuer ausreite. Noch gestern hätte ich so eine Episode in der Einförmigkeit und Jammerseligkeit meiner Existenz für eine wunderliche Phantasie halten müssen. Wie hast du's nur angestellt, mich für eine ganze Woche aus meiner Feldschererei loszueisen?«

»Das machte sich leicht,« erwiderte Raleigh. »Wie du weißt, hatte ich früher Gelegenheit, die Bekanntschaft deines Regimentschefs, des Generals Augé, zu machen und denselben einige Stunden lang von dem amerikanischen Krieg zu unterhalten. Als ich dir gestern meinen Entschluß, ins Remstal hinaufzugehen, mitteilte und dir dabei den Wunsch, mich zu begleiten, anmerkte, ging ich zu dem General und erbat und erhielt von ihm für dich Urlaub auf eine Woche. Das ist alles. – Doch nein; um ganz ehrlich zu sein, muß ich dir sagen, daß ich bei der Sache auch mein eigenes Interesse im Auge hatte. Du sagtest mir, daß du zur Zeit, als du mit deinen Eltern in Lorch lebtest, von diesem württembergischen Grenzort aus häufig nach der nahgelegenen alten Reichsstadt gekommen seiest.«

»Ja freilich. Mein Vater war damals als Werbeoffizier in Lorch stationiert und mußte in seinen Geschäften oft viele Tage hintereinander in Gmünd zubringen. Da besuchte ihn dann die Mutter und nahm Phinele und mich mit.«

»Du kennst also die Stadt?«

»Wie eben ein Knabe von acht und neun Jahren eine Stadt kennen kann. Mein Vater wurde schon 1768 von Lorch weg nach Ludwigsburg versetzt, und ich bin seither noch nie wieder ins Remstal hinaufgekommen. Aber der Schauplatz meiner kindlichen Anschauungen und Spiele ist mir in lieber Erinnerung geblieben, um so mehr als sie von einem Kameraden geteilt wurden, von dem stillen Konz, welchen du bei unserem Symposion im Ochsen kennen gelernt hast. Der dritte in unserem Bunde war Christoph Moser, der Sohn des strengen, aber wackeren Ortsgeistlichen. Wir drei Knaben wollten sämtlich Theologen werden. Der alte Moser war unser Lehrer in den Rudimenten des Wissens, und obgleich nur seine Strenge damals als grausame Härte erschien, sah ich später doch ein, daß ich Grund hatte, seiner dankbar zu gedenken, und so gab ich dem in den ›Räubern‹ auftretenden Geistlichen den Namen Moser.«

»Wie glücklich seid ihr Dichter! Allem, was ihr achtet oder liebt, vermögt ihr Leben zu verleihen über Tod und Grab hinaus. – Um aber auf Gmünd zurückzukommen – was ist denn das für eine Art Stadt?«

»Eine in einem schönen Wiesentale gelegene, durch ihre Goldschmiedsarbeiten und den lebhaften Handel damit weitbekannte, dabei echt katholische alte Reichsstadt. Ich hörte sagen, ihr Name komme von dem lateinischen gaudia mundi her, und so viel wenigstens ist gewiß, daß die Sitten der Gmünder dieser Ableitung des Namens ihrer Stadt nicht widersprechen. Sie sind ein sehr lebenslustiges Volk, aber auch ein sehr gutmütiges, gastfreies und umgängliches. Daß ich ihre Katholizität betonte, mag daher kommen, daß ich in Gmünd zuerst eine Anschauung von dem katholischen Wesen erhielt und dasselbe deshalb auf mich, den streng lutherisch erzogenen Knaben, einen sehr lebhaften Eindruck machte. Wie wunderbar erschien mir die erste Feier des Fronleichnamsfestes, wobei die ganze Stadt ein blühendes Festgewand angezogen hatte und Rat, Bürgerschaft und Geistlichkeit in Pompentfaltung wetteiferten. Wie eigen fühlte ich mich angemutet, als ich in der Stadtpfarrkirche, einem mächtigen gotischen Bauwerk, zum erstenmal ein solennes Hochamt zelebrieren sah. Unser Verstand mag sagen, was er will, er wird dem katholischen Kult nie den ungeheuren Vorzug bestreiten können, daß er höchst bedeutsam auf eine der Grundkräfte des Menschen – vielleicht die edelste – auf die Phantasie einwirkt. Der protestantischen Kirche fehlt allzusehr das Element der Schönheit. Der Mensch kann nicht vom Brote allein leben, und wäre es auch himmlisches Manna. – Auch die Möncherei, die ich in meinen Knabenjahren in Gmünd kennen lernte, wenigstens in ihren Äußerlichkeiten, übte einen starken Reiz auf meine Einbildungskraft. Die Stadt ist voll von Klöstern, von schwarzen, braunen und weißen Kutten. Es gibt da, wenn ich mich recht erinnere, Dominikaner, Augustiner, Franziskaner und Kapuziner. Außerdem zwei Nonnenklöster, eins in, ein zweites außerhalb der Stadt. In der Kirche des letzteren, welches an der Straße nach Aalen gelegen und, glaub' ich, ein Ursulinerinnenkonvent ist, sah ich eine Novize einkleiden. Es war ein schönes junges Mädchen. Ich weiß noch, daß ich weinen mußte, als ich die langen blonden Haare des armen Kindes unter der unerbittlichen Schere fallen und den schwarzen Schleier über den so gemißhandelten Kopf und das bleiche Antlitz decken sah. Das Kloster heißt Gotteszell.«

»Ein passender Name für einen Ort fürwahr,« bemerkte Raleigh bitter, »wo junge Mädchen von allem abgesperrt werden, was das Leben süß und schön macht. Denke dir die wunderbar schönen Haare Laurettas unter der Klosterschere fallend. Schon die bloße Vorstellung könnte einen toll machen. – Du sprachst von dem Elemente der Schönheit im katholischen Kult. Nun ja, ein solches ist darin vorhanden, und unser protestantischer Gottesdienst dagegen ist von einer Gemüt und Phantasie abstoßenden Nüchternheit. Du solltest mal erst so ein puritanisches Bethaus in Neu-England sehen. Das ist so steifleinene Prosa, daß, damit verglichen, euer lutherischer Ritus und unser anglikanischer noch hohe Poesie sind. – Aber, lieber Freund, mag mir auch das Puritanertum herzlich zuwider sein, ein standhafter Protestant will ich sein und bleiben.«

»Freilich, freilich,« versetzte Schiller heiter. »Du protestierst, daß Lauretta ihrer schönen Haare beraubt werde, und, beim olympischen Zeus! ich schließe mich deinem Protest mit ganzer Seele an. Indessen, glaube mir, Fräulein Windsbraut wird die heilige Schere von ihren Locken entfernt zu halten wissen. Es ist ganz und gar kein Grund zu der Befürchtung vorhanden, daß sie sich ohne weiteres werde zu einem Nönnchen machen lassen. Ich möchte wetten, schon jetzt tanzt das ganze Kloster, wo sie sich befindet, nach ihrer Pfeife.«

»Aber welches Kloster ist dies? Befindet sie sich überhaupt in einem Kloster? Hat man den Chevalier nicht vielleicht absichtlich irre geführt?«

»Hm, nach alledem, was du mir über diesen Mann sagtest, scheint er mir keiner zu sein, dem man so leicht eine Nase dreht. Sein Billett an dich trägt auch durchaus den Stempel der Aufrichtigkeit. Überdies kommt es mir ganz glaubhaft vor, daß man dem wilden Kind einstweilen ein Kloster zum Aufenthalt anwies. Der Herzog, weißt du, gehört selber der katholischen Konfession an, und obgleich er in religiösen Dingen viel zu liberal denkt, als daß er es je hätte unternehmen wollen, seine Württemberger zu seinem Glauben zu bekehren, so mag ihm doch gerade bei diesem Vorkommnis die Beobachtung eines katholischen Brauches ganz passend geschienen haben. Für ein Mädchen, das den Einfall hatte, sich entführen zu lassen, ist ein zeitweiliger Aufenthalt in einem Kloster gar nicht so übel gewählt. Ich sehe darin um so weniger etwas Bedrohliches, als ich überzeugt bin, daß bei dem ganz entschieden lebhaften Interesse, welches Karl dem Fräulein von jeher bezeigte, Lauretta gewiß Mittel und Wege finden wird, ihre klösterliche Haft abzukürzen.«

»Höre, lieber Freund, eine Gewissensfrage! Glaubst du, Fräulein Lauretta sei die Tochter des Herzogs?«

»Ich möchte es glauben, denn viele Anzeichen sprechen dafür, wie ich dir schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt. Aber deine Frage bestimmt zu beantworten, dürften nur der Herzog oder Lauretta selbst oder vielleicht auch die Generalin Wimpfen imstande sein.«

Raleigh schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sagte er:

»Sei alledem, wie ihm wolle, Lauretta soll und muß erfahren, daß sie treue Freunde habe.«

Unter diesem Gespräche hatten die beiden Reisenden die Neckarbrücke bei Kannstatt passiert und waren durch die stillen Gassen des alten Ortes geritten. Als jenseits desselben ihre Pferde langsam die gen Waiblingen zu ansteigende Straße hinanschritten, bemerkten die Freunde vor sich einen Fußgänger, dessen Scharlachrock in der Morgensonne glänzte.

»Schwerenot, so wahr ich lebe, der Sammetdoktor!« rief Schiller aus.

»Ei freilich, der Sammetdoktor,« versetzte der Genannte, sich umkehrend und in seiner gewohnten zeremoniösen Weise grüßend.

Die Freunde hielten ihre Pferde an und erwiderten den Morgengruß.

Der alte Herr drückte den goldenen Knopf seines mächtigen Rohrstocks an die Nase, blinzelte schelmisch und sagte:

»Glück auf, Meine irrenden Herren Ritter, Messieurs les chevaliers sans peur et sans reproche! Also an diesem gesegneten Morgen, wo anständige Leute, nachdem sie da drunten in dem alten Nest ihren Sauerbrunnen getrunken haben, einen der Gesundheit zuträglichen Spaziergang machen, reitet eine tatendurstige Jugend auf Abenteuer aus? Soll ich sagen, wie der Held de la Mancha und sein edler Sancho Pansa? Oder vielleicht wie der große Sir Hudibras und sein tapferer Knappe Ralf? Denn die Fahrt geht, scheint es, hinauf ins katholische Land, und da ist es wahrscheinlich à la Hudibras auf Bekehrungen abgesehen.«

»Doktor, seid Ihr des Teufels?« sagte der Dichter lachend. »Wer hat Euch gesagt, daß wir ins katholische Land wollen? Ich fange nun doch bald zu glauben an, daß Ihr, wie die Leute sagen, einen spiritus familiaris besitzt.«

»Einen spiritum familiarem, lieber Sohn, wenn es Euch beliebt. Auf die Frage wen oder was setzt man den Akkusativum, wißt Ihr? Ja, freilich besitze ich so einen dienstbaren Geist, meinen gesunden alten Menschenverstand. Der sagt mir, ihr Herren seid zwar nicht auf Drachen oder Ungläubige aus, wohl aber nach einem gewissen irrenden Fräulein, nomine Turbinella.«

Raleigh, dem diese Mitwisserschaft des Sammetdoktors nicht sehr angenehm war, vermochte eine Bewegung der Ungeduld nicht zu unterdrücken. Sie entging dem Falkenauge des alten Herrn nicht, aber er ließ sich dadurch sein Konzept nicht verrücken. »Ich will euch nicht lange aufhalten,« sagte er, »denn ich sehe es meinem wertgeschätzten Herrn Amerikaner an, daß er Eile hat. Im übrigen liebe ich es, wenn Jugend abenteuerlustig ist. Also nur frisch zu! Aber wie der Jugend die Tat, so steht dem Alter der Rat an. Will euch daher raten, etwas weniges; nachher könnt ihr taten, wie es euch beliebt.«

Schiller gab seinem Freunde mit den Augen einen Wink und erwiderte:

»Ja, ratet uns, lieber Doktor, denn ich sehe nun schon, daß Ihr wißt, wohin wir wollen und warum wir dorthin wollen.«

»Freilich, freilich. Ihr meint, es dürfte der göttlichen Turbinella in dem Gmünder Kloster, in welches man sie getan, um für einen kuriosen Seitensprung Buße zu tun, schier zu langweilig werden, nicht wahr? Ihr meint ferner, es sei eure bitterliche Pflicht und Schuldigkeit, der schönen Dame zur Abkürzung dieser langweiligen Situation zu verhelfen, so oder so, nicht wahr? Wohl, gefällt mir das, bei allen Göttern aller Mythologien! Gefielen mir all mein Lebtag derartige Schnurren, wobei der Mensch mit einem Fuß oder auch mit beiden über die prosaischen Polizeischranken keck hinwegspringt. Will euch aber was sagen, liebe Kinder. Maßen Fürsicht bekanntlich die Mutter der Tapferkeit ist, müßt ihr vor allen Dingen gehörig fürsichtig sein. Was ihr auch unternehmen wollt, bedenkt, ihr unternehmt es als Ketzer in einem katholischen Lande und habt es dabei mit der hochwürdigen Geistlichkeit zu tun. Ihr versteht mich? Auch mit dem Magistrat einer freien – lucus a non lucendo – Reichsstadt könnt ihr es zu tun bekommen, und in letzter Instanz mit dem Herzog von Württemberg. Nehmt euch daher gehörig in acht! Sollte mir leid tun, euch in eine dumme Schwulität hinein geraten zu sehen, veritabel leid. Hütet euch vor Anwendung gewaltsamer Mittel! Haben nicht die größten Feldherren und Staatsmänner auf die Anwendung von Gewalt verzichtet, wo immer sie mit der List ausreichen konnten? So taten sie, ist ein historisches Faktum. Wohl, seid also listig, gescheit, klug wie die Schlangen und laßt andere einfältig sein wie die Tauben. Und – ah, da fällt mir ein, lieber Schiller, Ihr seid ein Schnupfer.«

»Was soll nun das wieder?«

»Werdet es sogleich hören. Hier nehmt eine Prise aus dieser meiner Dose und dann tut mir den Gefallen, dieselbe als ein pretium affectionis von dem alten Armbruster einzustecken. Ist zwar nur eine schon ältliche und, wie Ihr seht, ganz unscheinbare Horndose, könnte sie Euch und Eurem Freunde aber dennoch von einigem Nutzen sein.«

»Wieso denn?«

»Paßt nur auf! Lebt da droben in der Nähe von Gmünd, in den Bergen des Aalbuch ein alter Mann, der Pater Aloisius, als Einsiedler. Er hatte seine Klause und Kapelle auf dem Bernhardusberg, weswegen er vom Volke der Umgegend gewöhnlich nur der Bernharduspater genannt wird. Ist selbiger Bernharduspater der Mann, welchen ich, obgleich meine Ansichten über Welt und Menschen von den seinigen bedeutend differieren, unter allen Menschen am meisten achte. Ist 'ne Art Heiliger, der Aloisius; ein wunderlicher, meinen die Leute, ein wirklicher, sag' ich. Könnte jetzt Abt von Waiblingen oder von Zwiefalten sein, wenn er gewollt hätte. Wollte ein einfacher Konventual bleiben und ist zuletzt ein armer Einsiedler geworden. Trotzdem aber könnte er euch unter Umständen sehr nützlich sein; denn er hat in jener ganzen Gegend bei Weltlich und Geistlich einen großen Stand. Er ist sozusagen der gute genius loci, daneben ein rechter Kosmopolit, ein Gelehrter, ein Theosoph, die Fleisch und Bein gewordene Milde, Wahrhaftigkeit und Heiterkeit, ohne eine Spur von süßlichem Nebengeschmack. Er hat viel gesehen und erlebt, auch viel Unglück. Aber es ist auf dem Grunde seiner Seele davon keine Schärfe oder Säure zurückgeblieben. Summa: ein Prachtmensch.«

»Ihr schildert ein Ideal, Doktor.«

»Ist auch eins, der Pater Aloisius, so ich je eins gesehen. Sag' euch, wenn euch in eurem vorhabenden Unternehmen irgendeiner Beistand leisten kann oder will, so ist's der Bernharduspater. An ihn wendet euch. Ihr werdet es in keiner Hinsicht bereuen.«

»Aber wie sollen wir uns bei ihm einführen?«

»Bah, der Aloisius hat seine Türe noch keinem verschlossen. Um euch jedoch alle weitläufigen Präambeln zu ersparen, rat' ich: bietet dem Pater eine Prise aus meiner Horndose und sprecht dabei die Worte: Bruder Serapion grüßt den Bruder Spiridion.«

»Ein mysteriöses Paßwort!«

»Ja, wenn ihr wollt; aber sag' euch, es wird den Bernharduspater zu eurem Freunde machen.«

»Desto besser. Aber sagtet Ihr nicht, Doktor, der Pater heiße Aloisius?«

»Das ist sein Klostername. Aber ich merke, die Namen Serapion und Spiridion kitzeln eure Neugierde. Kann euch einstweilen nicht helfen. Wendet sie an, die Namen nämlich, wie ich euch sagte; die gute Wirkung wird nicht ausbleiben. Damit basta und gute Verrichtung, auch gute Fürsicht – verstanden? Und schließlich guten Morgen!«

Damit kehrte er sich ab und ging rasch den Weg nach Kannstatt hinunter, ohne weiter Rede zu stehen. »So ist er,« sagte Schiller. »Er sagt sein Sprüchlein und geht ab.«

»Ich kann aus diesem Manne nicht klug werden,« bemerkte Raleigh. »Woher weiß er alles? Er scheint voll Teilnahme und Wohlwollen, und doch – darf man ihm trauen?«

»Ich bürge für ihn. Er meint es gut mit uns, gar kein Zweifel. Auch wundert es mich nicht, daß er bei seinen vielerlei Verbindungen, welche bis in die höchsten Regionen der Residenz hinaufreichen, das Geheimnis von Laurettas Aufenthalt in einem Gmünder Kloster bereits erlickert, wie wir Schwaben sagen.«

Indem die Freunde ihre Pferde wieder in Gang setzten, zog Schiller die Dose des Sammetdoktors hervor und betrachtete sie aufmerksam. Es war eine ganz einfach aus Horn gearbeitete Dose, die jedoch einige eigentümliche Kennzeichen hatte. Auf dem Deckel stand nämlich in halbverwischten goldenen Lettern der Name Lorenzo, und als der Dichter den Deckel öffnete, fand er auf der Rückseite desselben oben das Wort Perfectibilitas und weiter unten den Satz: Lux vincet tenebras! geschrieben.

Er wies seine Entdeckung dem Freunde hin und sagte:

»Hm, es scheint mit dieser Dose doch eine eigene Bewandtnis zu haben. Lorenzo? Lorenzo? Der Doktor heißt nicht so. Es kann der Name eines Freundes sein, von welchem er die Dose zum Geschenk erhalten. Vielleicht der eigentliche Name des Bernharduspaters, auf dessen Bekanntschaft ich ungemein begierig bin.«

»Wart mal,« versetzte Raleigh, die Dose näher betrachtend. »Mir ist, als müßte ich ein ganz ähnliches Stück von Schnupftabaksbehälter schon früher gesehen haben. Wo nur? Ja, auch auf jener Dose stand der Name Lorenzo. – Ah, ich hab's! Drüben in meinem Vaterland war es und in den Händen des heldischen Deutschen, der so glorreich für unsere Sache focht und von Washington so hoch geschätzt wird, in den Händen des Barons von Steuben sah ich eine solche Dose. Es muß doch wohl etwas dahinter stecken.«

»Freilich, freilich, und jetzt hab' auch ich's! Wie dumm, daß mir die Sache nicht gleich eingefallen. Ich hörte bei der Frau von Wolzogen, einen Reisenden, der mit dem Gleimschen Kreise in Halberstadt und mit dem Jakobischen in Pempelfort viel verkehrt hatte, davon sprechen. Diese Dose ist eine sogenannte Lorenzodose«

»Eine Lorenzodose?«

»Ja. Erinnerst du dich des Franziskanermönchs Lorenzo in Sternes ›Sentimentale Reise‹? Diesem und der Freundschaft zu Ehren, welche der gute Yorik mit ihm schloß, kamen diese Dosen auf, soviel mir bekannt, hauptsächlich auf Anregung der Gleim und Jakobi, die ja aus der Freundschaftlerei eine Art Kultus zu machen suchten. Am Besitz solcher Dosen sollten sich die Anhänger desselben erkennen, und diese Art Freimaurerei der Freundschaft hat ohne Zweifel viele ehrenwerte Männer miteinander in Verbindung gebracht, ist aber sicherlich auch von manchem Lump ausgebeutet worden, wie ja dies auch bei der eigentlichen Freimaurerei der Fall ist.«

Raleigh fixierte den Freund scharf und machte mit der Hand einige seltsame Zeichen, die aber der Dichter nicht verstand, worauf jener sagte:

»Du sprichst mit nicht sehr großem Respekt von dem ehrwürdigen Maurerorden, und doch sind demselben, wie ich hörte, in Weimar vor kurzem Männer wie Goethe, Herder und der Herzog Karl August beigetreten.« »So? Es mag sein. Ich kenne übrigens die Maurerei allzusehr nur vom Hörensagen – die populären Fabeleien darüber glaub' ich natürlich nicht – um im besonderen mir ein Urteil über den Gegenstand erlauben zu dürfen. Im allgemeinen aber darf ich wohl sagen, daß ich allem Mysterienhaften abgeneigt bin. Warum so geheimnisvoll tun? Was wahrhaft gut, edel, schön ist, soll frei und offen hervortreten wie das Licht, wie die Sonne. Was kann, was will eine Gesellschaft, welche die Erkenntnis zu monopolisieren trachtet?«

»Aber wer sagt dir, daß die Maurerei das tut? Ist es bei dem Bildungsgrade der Massen ratsam, edle Wahrheiten sogleich auf den offenen Markt zu werfen? Würden sie dort verstanden? Nein, mißverstanden und entweiht. Die Wahrheit soll sein wie die Sonne, ja. Aber vermögen die blöden Augen der Menge den Anblick dieser Sonne unvorbereitet zu ertragen? Mitnichten. Zu allen Zeiten hat es edle Geister gegeben, welche die Notwendigkeit erkannten, in wohlbehüteten engeren Kreisen das Licht der Erkenntnis erst an Kraft und Macht zunehmen zu lassen, damit es dann, in die freie Luft gebracht, vom Zugwind der Vorurteile nicht mehr ausgelöscht werden könne. So das Licht der Vernunft, der Humanität, der Toleranz und Bruderliebe zu pflegen, um es, wenn die rechte Stunde gekommen, aller Welt zu enthüllen, das ist die Aufgabe, welche sich der Maurerbund gestellt hat.«

»Gewiß eine erhabene Aufgabe! Aber, alle Wetter, du sprichst so begeistert davon, daß ich am Ende in dir selbst einen Meister vom Stuhl zu venerieren habe?«

»Nein,« entgegnete Raleigh ernst. »Ich bin einstweilen nur ein bescheidener Geselle am Bau des Tempels Salomonis.«

»Also doch auf dem Wege zum Meisterstuhl? Doch verzeih, lieber Freund, den leichten Ton, in welchem ich von einer, wie ich jetzt merke, dir heiligen Sache rede. Es gibt vieles, welches wir, als anderen heilig, achten müssen, auch wenn es unserem eigenen Wesen widerstrebt. Mir nun widerstrebt alles Mysterienwesen. Es mag dasselbe zu allen Zeiten edle Geister angezogen haben, aber gewiß ist auch, daß es zu allen Zeiten von der Arglist mißbraucht wurde, um die Augen der Menschen zu blenden und ihre Gemüter zu verwirren. Wie gesagt, ich liebe die Verhüllung der Wahrheit mit symbolischen Draperien überhaupt nicht. Die Wahrheit ist schön. Die Schönheit aber, o, ist sie nicht doppelt herrlich in der keuschen Hüllenlosigkeit ihrer Reize?«

»Lieber Freund, dein Geist schreitet in den Regionen der Ideale mit einer Sicherheit einher, die ich beneiden könnte. Aber meine Natur ist mehr auf die Wirklichkeit gestellt. Du nimmst die Menschen, wie sie sein sollten, ich nehme sie, wie sie sind. Sie bedürfen der Formen, der Symbole, der Verhüllungen, ja vielleicht sogar der Gaukeleien. Bringt das nackte Marmorbild einer griechischen Göttin auf den rohen Menschen die erhebende Wirkung hervor wie auf den gebildeten, auf den Künstler? Kann die nackte Wahrheit die Menge gewinnen? Erinnere dich doch daran, was du heute schon von der Wirkung des katholischen Kultus gesagt. Da hast du die Macht der Symbolik. Übrigens, was die Mängel der Maurerei betrifft, so teilt sie nur das Los alles Menschlichen. Es wohnt ihr aber die Kraft der Regeneration inne, und gerade in Deutschland hat sich für das in die Maurerei eingeschlichene dunkelmännische Gift bereits ein Gegengift gefunden. Du hast wohl schon vom Illuminatismus gehört?«

»Nur Unbestimmtes. Professor Abel sprach mir unlängst davon. Die Illuminaten sollen eine Sekte der Freimaurer sein, gestiftet von dem Professor Adam Weishaupt in Ingolstadt. Abel fand es seltsam, daß dieser aufklärerische Versuch gerade in Bayern seinen Ursprung nahm, einem Lande, welches man so ziemlich als das deutsche Böotien zu betrachten gewohnt war.«

»Kam nicht auch Gutes aus Nazareth? – Die illuminarische Bewegung scheint mir von großer Bedeutung zu sein. Sie kann eine zeitgemäße Reform der Maurerei zuwegebringen. Und wart mal, zeig mir doch die Dose des Sammetdoktors. Das Wort Perfectibilitas, welches auf der Innenseite des Deckels steht, spielt, wie ich hörte, eine vortretende Rolle unter den Formeln der Illuminaten, und der Spruch: Lux vincet tenebras! ist wohl nichts anderes als ein illuminarisches Symbolum. Jetzt ahne ich den Zusammenhang der Sache. Der Sammetdoktor ist, wie ich weiß, Maurer. Wahrscheinlich ist er auch Illuminat, was auch der Einsiedler sein mag, an welchen er uns gewiesen hat.«

»Du kannst recht haben. So erklärt sich auch der sonderbare Gruß, den er uns aufgetragen. Serapion und Spiridion sind wohl illuminarische Ordensnamen. Sieh, sieh! Nun, ich habe nichts dagegen, einen Illuminaten kennen zu lernen, welcher zugleich Mönch und Anachoret ist. Auch Losungswort und Glaubensbekenntnis des Ordens lass' ich mir von Herzen gefallen. Vervollkommnung! und: Das Licht wird die Finsternis besiegen! Amen von ganzer Seele. – Aber sieh mal, da unten ist das Remstal, und wir werden sogleich in Waiblingen sein.«

Wir lassen die Freunde in das alte Hohenstaufenstädtchen Waiblingen einreiten und von da ihres Weges talaufwärts weiterziehen, während wir den geneigten Leser einladen, uns auf einem kurzen kulturgeschichtlichen Ausflug zu begleiten, dessen Zweck ist, das vorstehende Gespräch zu kommentieren.

Das achtzehnte Jahrhundert ist ohne Zweifel eins der merkwürdigsten in der Weltgeschichte. Wer den unermeßlichen Reichtum seiner Erscheinungen unter dem kärglichen Begriff der Zopf- und Reifrockzeit zusammenfassen zu können glaubt, beurkundet damit nur eine klägliche Unwissenheit. Wir halten dafür, daß der allgemeine Charakter jener großen Zeit am richtigsten sich bezeichnen lasse durch die hier nur scheinbar sich widersprechenden Worte zerstörend-schöpferisch. Innerhalb dieses allgemeinen Charakters welche Gegensätze im besonderen! In kaleidoskopisch buntem Nebeneinander erscheinen hier die kühnste Abstraktion und die raffinierteste Genußsucht, mystisch-verzücktestes Fühlen und das edelste wissenschaftliche und dichterische Streben, philisterhaftestes Verrottetsein und revolutionärstes Denken und Trachten, kolossale Laster und reinster Idealismus, zynischer Skeptizismus und kindlichster Glaube, verhärtetste Selbstsucht und sentimentalste Schwärmerei, schamloseste Wegwerfung alles Vaterländischen und glühendste Regungen des Patriotischen Gefühls. Es ist ein Sittenbild, das, in künstlerischer Vollendung dargestellt, wechselsweise tiefes Grauen und tiefes Entzücken einflößen müßte. Die Masse der Nation, wozu auch viel vornehmer Pöbel gehörte, steckte noch tief im Mittelalter, während die auserwählten Geister ihrem Volke um Jahrhunderte vorauseilten. Zwischen diesen und der stumpfsinnigen Menge, was klaffte da für eine ungeheure Kluft! Während die Klopstock, Lessing, Kant, Herder, Goethe ihre unsterblichen Geistestaten verrichteten, während Friedrich II. und Joseph II. vom Throne herab Revolution machten, sagte noch ein adelsstolzer Graf und hoher Beamter: »Ein Mensch von bürgerlicher Herkunft kann nichts Ordentliches gelernt haben.« Wie hier ein schroffer Gegensatz sich herausstellt zwischen der Konservierung feudalistischer Barbarei und der neuen Stellung, welche das deutsche Bürgertum mittels des Sturmschritts der nationalliterarischen Bewegung im Kulturleben der Nation sich errungen hatte, so anderwärts besonders auf dem religiösen Gebiete. Wir sprechen nicht von den konfessionellen Reibungen und Feindseligkeiten, von den theologischen Zänkereien und Stänkereien: wir berühren nur die beiden Gegenpole des Rationalismus und des Mystizismus, zwischen welchen, buntest nuanziert, das religiöse Fühlen und Glauben unserer Väter, Großväter und Urgroßväter sich bewegte.

Es war die Zeit der Aufklärung, aber es war zugleich die Zeit der Mysterien. Ein extremer Rationalismus, in seinem Bestreben, alles Wunderbare und Geheimnisvolle zu erklären, zu verwerfen, auszurotten, eine Art gefrorenen Fanatismus entfaltend, machte alle weniger Prosaischen Gemüter einer gewissen Schwärmerei geneigt, die bei vielen gar leicht in Wundersucht und Mysterienkram ausschlug. Andere Motive kamen hinzu. Auf der einen Seite hatte der intrigenhafte Charakter der Politik den Sinn für freie Bewegung in der Öffentlichkeit vernichtet, auf der andern suchte und fand die übersättigte Genußsucht in dem Spiel mit Geheimnissen, und wären es auch noch so läppische gewesen, einen neuen Anreiz. Hieraus erklärt es sich unschwer, daß die Aufklärer auf den Gedanken kamen, den Geheimbundapparat auch zu ihrem Vorteil zu benutzen, was aber im ganzen und großen mißlingen mußte, weil die Idee der Freiheit zu ihrem Gedeihen schlechterdings Licht und Luft der Öffentlichkeit nötig hat. Selbst beste und begeistertste Fortschrittsmänner übersahen das gänzlich, und so ist es im Hinblick auf die unermeßliche geistige Regsamkeit des achtzehnten Jahrhunderts begreiflich, daß geheime Orden wie Pilze aufschossen. Wunderbarer Irrtum des Menschengemütes! Ein tiefes, glühendes Sehnen nach allseitig freier Entwickelung und Entfaltung der Individualität ging durch jene ganze Zeit, und dennoch unterwarfen sich Hunderte, Tausende, oft gerade die Strebsamsten, dem Zwange komplizierter Geheimbundsysteme, ließen sich die Fesseln einer oft ebenso lästigen als albernen Symbolik gefallen und schwuren unbedingten Gehorsam – unbekannten Oberen.

Die Grundlage der aufklärerischen Geheimbündlerei war und blieb der Freimaurerorden. Die maurerischen Legenden von einem unvordenklichen Alter dieser Genossenschaft haben der historischen Kritik unserer Tage nicht standzuhalten vermocht. Der berühmte Orden, über welchen noch vieler Orten unter dem Volke ganz abgeschmackt ungeheuerliche Vorstellungen herrschen, ist, obgleich auf die Erinnerung an die mittelalterlichen Baugilden oder Bauhütten gegründet, bekanntlich von verhältnismäßig jungem Ursprung. Die genannten Baugilden des Mittelalters hatten in Deutschland, in Frankreich, in England ihre eigene Gerichtsbarkeit gehabt, und daher hießen ihre Mitglieder Freie Maurer, Franc-maçons, Free-masons. Mit der mittelalterlichen Baukunst waren diese Genossenschaften von Künstlern und Handwerkern allmählich in Verfall geraten. Am längsten hielten sich die Baubrüderschaften in England, und hier erfuhren sie unter der Regierung Georgs I. ihre Umbildung zur modernen Freimaurerei. Im Jahre 1717 wurde zu London die erste große Loge (lodge, nur eine Übersetzung des deutschmittelalterlichen Wortes Bauhütte) gestiftet. Die äußere Organisation der Logen, die Rangordnung der Mitglieder (Lehrlinge, Gesellen, Meister, Meister vom Stuhl), die Symbole (Hammer, Kelle, Winkelmaß, Schurzfell), die Losungen und Zeremonien, wurden aus den alten Bauhütten herübergenommen. Aber die Logen waren jetzt nicht mehr Zünfte von Künstlern und Handwerkern, sie waren die mittels komplizierten Zeremoniells vor dem profanen Haufen abgeschlossenen Vereinigungspunkte freier und gebildeter Männer aller Stände. Der Freimaurerbund war keine handwerksmäßige Gilde mehr, sondern ein reinmenschlicher Bund, dessen Wahlspruch: Toleranz und Nächstenliebe! lautete und der, mit Verwerfung aller trennenden konfessionellen und konventionellen Schranken, darauf ausging, den Menschen auf den Adel seines eigenen Wesens zu stellen.

Von England aus verbreitete sich die Freimaurerei über den Kontinent und kam hier sehr rasch in Aufnahme. Auch in Deutschland. In der Blüte seiner Reinheit und Wirksamkeit verband er eine Menge durch Geist und Lebensstellung ausgezeichneter Männer durch das Band geheimer Brüderschaft. Wir nennen nur Friedrich den Großen, welcher als Kronprinz Maurer geworden war und auch als König den Orden schätzte, bis er aus demselben trat, weil ihm die mystische Spektakelei, zu welcher die Logen mißbraucht zu werden anfingen, höchlich mißfiel. Auf diesen Mißbrauch gründeten die geheimbündlerischen Abenteurer, deren Glanzperiode um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufging, ihre industrieritterlichen Spekulationen. Die Geheimnissucht, welche sich, vielfach mit der pietistelnden Richtung verwoben, aus den früher berührten Gründen der Gesellschaft bemächtigt hatte, kam diesem unsauberen Treiben zu Hilfe. Wie es immer geht: wenn die Leute Wunder haben wollen, so finden sich Wundertäter. Von Wien her veröffentlichte Mesmer die in betreff der magnetischen Materie von ihm gemachten Beobachtungen, und der szientiven Seite des Magnetismus gesellte sich alsbald eine mystische. Zur selben Zeit führte in Schwaben der Pater Gaßner den Skandal seiner Wunderheilkunst auf, und trieb zu Leipzig der Kaffeewirt Schröpfer seine Geisterbeschwörungen, bis er, von der Wucht seiner Gaunereien erdrückt, zum selbstmörderischen Pistol greifen mußte. Ein anderer Wundermann, der Graf Saint-Germain, Alchimist, Diamantenverfertiger und Lebenselixierbesitzer, berührte, nachdem er mit seinen chemischen Künsten und seinem Diamantenschatz eine Weile Ludwig XV. und die Pompadour ergötzt hatte, ebenfalls den deutschen Boden und starb in den Armen seines Verehrers, des Prinzen Karl von Hessen, Statthalters von Schleswig-Holstein.

Alle diese Erscheinungen hingen mit der Freimaurerei zusammen. Denn ungefähr seit 1760 hatte sich innerhalb der letzteren eine sogenannte Geheimlehre auszubilden angefangen, welche behauptete, daß uralte Weisheit, von Moses und Zoroaster herstammend, durch Vermittelung des Templerordens auf einen gewissen Christian von Rosenkreuz und durch diesen auf andere Meister des Wissens (Adepten) vererbt worden sei. Diese Disziplin, bei Licht betrachtet auf dunkelmännische Intrigen, auf mystisch-kabbalistischen Aberwitz und Scharlatanismus hinauslaufend, gab vor, das Geheimnis des »Steins her Weisen« zu besitzen, das heißt der Verwandlung unedler Metalle in Gold, und der Bereitung des Lebenselixiers, welches den rosenkreuzerischen Adepten eine unendlich lange Lebensdauer sichere. Die Rosenkreuzerei begann die Maurerei zu überwuchern. Leute, namentlich aus den höheren Ständen, welche mühelos in den Besitz solcher, wie sie wähnten, mit sehr realen Vorteilen verbundener Weisheit zu gelangen suchten, drängten sich massenhaft den Logen zu. Pfiffige Scharlatane und berechnende Reaktionäre stifteten die sogenannten inneren Systeme und das System der strikten Observanz, wo außer den herkömmlichen drei Johannisgraden noch eine Menge höherer Weihungen statuiert und mit rosenkreuzerischen Symbolen, Hieroglyphen, Eidschwüren und phantastischen Zeremonien kurzsichtige und vertrauensvolle Mysteriensüchtlinge geblendet und genasführt wurden. Die Maurer der strikten Observanz waren, daher der Name, zu striktem Gehorsam gegen die unbekannten Oberen verpflichtet, deren geheimnisvoller Großmeister unter dem Titel des Ritters von der roten Feder (Eques a penna rubra) verehrt wurde.

Das System der strikten Observanz erfuhr aber von seiten der ihren ursprünglichen Tendenzen treu gebliebenen, aufklärerischen Maurerei energischen Widerstand, und auf einem großen Freimaurerkonvent in Wilhelmsbad bei Hanau im Jahre 1782 unterlag es der von Bode und Knigge geführten Opposition, so daß statt seiner das System der sogenannten eklektischen Maurerei für die deutschen Logen angenommen wurde. Es erklärten die Führer dieser Richtung damals offen, der Zweck des Ordens sei die Vernichtung des Aberglaubens und aller Despotie. Hierin nun fiel die Freimaurerei mit dem Illuminatenorden zusammen, welchen im Jahre 1776 zu Ingolstadt der Professor Weishaupt in Verbindung mit dem Studenten Zwacky) gestiftet hatte, und welchen dann der Freiherr von Knigge, unter dem Ordensnamen Philo bekannt, maurerisch organisierte. Schon 1778 zählte der Illuminatismus in Bayern, Franken und Tirol zwölf Logen, in Wien ausgezeichnete Männer wie Sonnenfels zu seinen Mitgliedern und verbreitete sich durch die Bemühungen Bodes und anderer Brüder auch nach Mittel- und Norddeutschland.


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