Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

In einer Fensternische. – Die Zauberlaterne des Oberhofpredigers versagt den Dienst. – Ein wandelnder Höllenbreughel – Die Magnetiseuse. – Verraten! – Gerettet! – »Nur fort von hier!«

Der Herr Oberhofprediger war zum Souper nach der Eremitage befohlen worden, hatte aber mißfällig bemerkt, daß seine anerkannt bedeutende Unterhaltungsgabe heute ihrer gewöhnlichen Wirkung auf den Herzog verfehlte. Der Fürst blickte zerstreut, gab unzusammenhängende Antworten und zog sich bald zurück, worauf der würdige Geistliche, welchem das Seelenheil des Hofes anvertraut war, mit dem Conde Fenix in eine Fensternische des Speisesaales trat.

Dort entspann sich zwischen den beiden Herren ein flüsternd geführtes Gespräch.

»Mein lieber Graf,« sagte der Hofprediger, »Se. Durchlaucht scheint in mißlicher Stimmung zu sein. Haben Sie bemerkt, daß er zu wiederholten Malen mit dem Ausdruck der Ungeduld nach dem leergebliebenen Platz sah, wo Signora Lauretta an der Tafel zu sitzen pflegt?«

»Ich habe es bemerkt, das heißt, ich bemerkte nicht erst jetzt, daß der Fürst seiner Geduld überhaupt müde ist.«

Ein Blick, welchen der Hofprediger wohl verstand, kommentierte diese Worte des Sizilianers.

»Es ist noch Zeit,« sagte der Geistliche. »Wo es sich um die Erreichung eines so großen Zweckes handelt, werden sich wohl Mittel ausfindig machen lassen, einer vorzeitigen Ungeduld Schranken zu setzen.«

»Ich zweifle,« versetzte der Conde achselzuckend.

»In diesem Falle müssen wir uns auf die Klugheit und Festigkeit der Signora verlassen. Wie kam es, daß sie nicht zum Souper erschien?«

»Sie erschien auch nicht zum Diner. Ihre Laune ist überhaupt seit gestern morgen unerträglich. Sie hielt sich heute den ganzen Tag in ihr Zimmer verschlossen und weigerte sich, mich zu sprechen.«

»Wie? Sie beunruhigen mich ernstlich, mein Lieber. Sie wissen, was diese Ziffer in unserer Rechnung zu bedeuten hat.«

»Gewiß, aber –«

»Aber?«

»Ich fürchte, der Herzog hat den Entschluß gefaßt, die Rechnung in seiner Weise abzuschließen.«

»Das soll, das darf nicht sein! Unser ganzer Plan stände auf dem Spiele. Und Sie wissen, die Befehle unserer Oberen sind sehr bestimmt.«

»Ich weiß es, allein wenn ich die Sachlage genau überlege, will mir scheinen, man sollte den Herzog gewähren lassen.«

»Wie, Sie meinen?«

»Ich meine, je heftiger der Ausbruch eines Vulkans ist, desto größer ist nachher seine Erschöpfung.«

»Ich verstehe, indessen –«

»Indessen kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß der Herzog dermalen zu sehr aufgeregt ist, um so willenlos zu sein, wie wir ihn wünschen müssen.«

»Sie wollen doch nicht sagen, er sei stutzig geworden?«

»Allerdings will ich das sagen, mein lieber Bruder. Aufgestachelt aus seiner gewöhnlichen Erschlaffung, ist dieser Mensch wahrhaft unberechenbar. Als ich heute mühsam daran arbeitete, unser Netz fester um ihn her zu ziehen, durchbrach er es jeden Augenblick mit Äußerungen, die mich befürchten lassen, sein Geist sei noch lange nicht umnebelt genug. Das wilde Tier in ihm ist erwacht. Solange es nicht seinen Willen gehabt, wird der Herzog an unserem Gängelbande nicht dahin sich leiten lassen, wo wir ihn haben wollen.«

»Sie könnten recht haben,« sagte der Hofprediger nachdenklich.

»Ich habe recht,« versetzte der Conde mit hochmütiger Entschiedenheit.

»Aber wenn an dieses – an dieses Intermezzo unseres Stückes eine Katastrophe sich knüpfte?«

»Desto besser. Die Schlangenpeitsche der Gewissensfurie ist ja solchen Naturen gegenüber in geschickten Händen ein wirksamstes Werkzeug. Wir werden es bei Gelegenheit schon zu handhaben wissen. Ich, lieber Bruder, ich wünsche eine Katastrophe, denn ich bin überzeugt, sie und nur sie wird uns sicher und rasch zum Ziele führen.«

»Wenn es sein muß, sei es!«

»Gut. Werden Sie hier im Schlosse übernachten?«

»Warum?«

»Weil ich wünsche, sehr lebhaft wünsche, daß Sie sobald als möglich mit der Signora sprächen. Ihre Störrigkeit muß beseitigt werden, sonst spielt sie uns am Ende noch einen Spuk. Sie wissen, Lauretta hört Sie gerne plaudern. Plaudern Sie ihr Dinge vor, die geeignet sind, sie wieder in bessere Laune zu versetzen. So, wie sie sich heute anstellte, könnte sie uns leicht um irgend eine günstige Gelegenheit bringen, und doch ist die Zeit so kostbar.«

»Allerdings, um so mehr, da die Machinationen unserer Gegner von der Loge immer bedrohlicher werden. Am Ende suchen und finden die Führer des gegen uns angezettelten Komplotts eine Stütze an den Agnaten des herzoglichen Hauses. Schon ist das Gerücht im Lande und außerhalb des Landes verbreitet, der Herzog sei gar nicht mehr zurechnungsfähig, folglich auch nicht mehr regierungsfähig.«

»Sehen Sie, wir müssen uns eilen; der Boden hier beginnt mir unter den Füßen zu brennen und – der Herzog ist sehr ungeduldig. Ich wiederhole es, sprechen Sie mit der Signorina. Es hängt alles davon ab, sie wenigstens bis zu einem gewissen Grade geschmeidig zu machen. Aber, lieber Bruder, hüten Sie sich, ihr auch nur den hundertsten Teil eines Blickes hinter den Vorhang zu gestatten. Ihr rasender Stolz würde alles in Frage stellen.«

»Seien Sie ganz ruhig, mein Lieber. Die Signora soll nicht hinter, sondern nur auf den Vorhang blicken. Aber ich werde denselben so glänzend bemalen, daß sie kein Weib sein müßte, wenn sie nicht geblendet werden sollte. Das Hauptbild, welches meine Zauberlaterne auf besagten Vorhang werfen wird, soll eine Herzoginkrone sein.«

»Ob Sie die Sache nicht zu leicht nehmen? Vergessen Sie nicht, daß wir es mit ein paar Augen zu tun haben, welche schärfer, viel schärfer blicken als die eines gewöhnlichen Weibes –«

»Die aber dennoch nicht scharf genug sein werden, zu bemerken, ob das Gold der erwähnten Krone echtes oder nur Katzengold sei.«

»Wer weiß? Ich gestehe, dieses seltsame Wesen beginnt mir Furcht einzuflößen, und deshalb –«

»Sie stocken?«

»Deshalb muß die erste beste Gelegenheit, ein Ende zu machen, beim Schopfe gefaßt werden.«

»Wohl, aber mit Vorsicht! Was wir zu vermeiden haben, ist Geräusch und Lärm. Ein unzeitiger Ausbruch könnte unsere ganze Berechnung zuschanden machen. Was meinen Sie, wenn ich versuchte, die junge Dame noch heute zu sprechen? Es ist ohnehin noch gar nicht sehr spät.«

»Machen Sie immerhin den Versuch – die Zeit drängt.«

Die Herren standen auf, und der Oberhofprediger winkte einen der Diener herbei, welchem er den Auftrag erteilte, in seinem Namen Signora Lauretta um eine Unterredung zu bitten.

»Ich besorge, es ist vergeblich,« sagte der Conde, als der Diener weggegangen.

»Vielleicht doch nicht,« entgegnete der geistliche Würdenträger. »Ich schmeichle mir, bei der jungen Dame einen Stein im Brette zu haben.«

Das kluge Gesicht des im besten Mannesalter stehenden Theologen trug gewöhnlich den Ausdruck einer heiteren Würde, gepaart mit einem Lächeln, das jedem gewinnend vorkommen mußte, welcher noch nicht wußte, daß es ein stereotypes, ein gefrorenes war. Als er die angeführte zuversichtliche Äußerung tat, wurde jedoch für einen Augenblick um seinen wohlgeformten Mund ein Zug von Selbstbewußtsein, um nicht zu sagen von Selbstgefälligkeit sichtbar, welche den Sizilianer zur Seite blicken machte, um ein flüchtiges Hohnlächeln zu verbergen.

Er hatte jedoch unrecht, denn nach kurzer Frist kehrte der abgeschickte Diener zurück mit der Meldung, die Signora promeniere in der großen Galerie und erwarte daselbst Se. Wohlehrwürden.

Die große Galerie war ein prachtvoller Saal in länglicher Form und auf beiden Seiten mit korinthischen Säulen von weißem Marmor besetzt. Die Wandflächen hinter diesen Kolonnaden, sowie der gewölbte Plafond, waren über und über mit Fresken bedeckt, in welchen ein trefflicher Künstler seine Pinsel dazu hergegeben hatte, die Ausgeburten einer wahnwitzigen Phantasie in Farben zu verkörpern. Es waren da die Malereien, von denen der Pastor Stahlherz zu seinem Gaste gesprochen. Die Decke nahm der Triumphzug des Todes ein, und hier, wie in den Wandgemälden, war alles Groteske, Wilde, Ungeheuerliche vereinigt, was nur je eine fratzenhafte Einbildungskraft à la Höllenbreughel ersinnen konnte. In der taghellen Beleuchtung, womit ein mächtiger Kronleuchter die Galerie überströmte, traten diese monströsen Bildungen widerwärtig grell hervor.

An diesem Orte fand die Unterredung zwischen Lauretta und dem Oberhofprediger statt, von welcher wir nur den Ausgang mitzuteilen haben.

Es hieße dem geistlichen Würdenträger großes Unrecht antun, wollte man leugnen, daß er ein vollendeter Weltmann und Höfling war. Das, was die Diplomaten Kontenance nennen, das ist die vollständige Beherrschung der Mienen, des Blickes, der Stimme und der Gebärden, ist niemals vollkommener gesehen worden als bei dem Oberhofprediger. Dennoch aber mußte er sich ganz ungewöhnlich zusammennehmen, um durch die Überraschung, welche ihm die Stimmung der jungen Dame bereitete, sich nicht außer Fassung bringen zu lassen. Diese Laune – wenn es eine war – kannte er nicht an ihr. Er hatte für dieses Gespräch Ironie, Witz und prickelnde Phantastik bereitgehalten, und nun konnte er von allen diesen schönen Dingen keinen Gebrauch machen. An dem ruhigen Ernste Laurettas glitten alle seine Fechterstreiche wirkungslos ab, und mit den Phantasmagorien, welche er aus seiner Zauberlaterne hervorgehen ließ, haperte es so bedeutend, daß er insgeheim seine ungeschickte Hand verwünschte. Besonders mißlich mußte es mit der Erscheinung der fraglichen Herzoginkrone zugegangen sein, denn Lauretta hatte es nicht einmal der Mühe wert gehalten, einen Blick darauf zu werfen.

Sei es, daß er in der Verwirrung darüber deutlicher mit der Sprache herausgegangen, als er eigentlich gewollt, sei es, daß Lauretta jetzt nur aussprach, was sie längst wußte, sie sagte zuletzt:

»Das Fazit Ihrer Rechnung, mein würdiger Herr, ist also: Sie wollen den Herzog dieses Landes zum Abtrünnigen machen.«

»Signora, Ihrem Scharfblick bleibt nichts verborgen.«

»O, mein Herr, die Fäden Ihres Puppenspiels sind so dick, daß auch ein weniger scharfes Auge sie sehen muß. Was aber mich betrifft, so bin ich gerade zwei Tage zu alt, um eine Rolle in Ihrer Komödie zu übernehmen.«

»Zwei Tage zu alt? Was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts anderes, als daß ich seit gestern zu der Einsicht gelangte, es gäbe Dinge, womit der Mensch nicht spielen soll.«

»Und dieser kleinbürgerlichen Ansicht wollten Sie die Hoffnung, nein, die Gewißheit einer glänzenden Zukunft opfern?«

»Mein Herr, ich will sagen, ich verstehe Sie nicht, um Ihnen die Beschämung zu ersparen, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie ein wehrloses Mädchen beleidigen.«

So sprechend deutete sie dem Hofprediger durch eine Verbeugung an, daß sie das Gespräch für beendigt ansähe, als mit einmal die in der Galerie herrschende Stille durch einen lauten Tumult unterbrochen wurde.

Die Flügeltüre am oberen Ende des Saales ward aufgerissen, und der Sizilianer stürzte herein, höchst aufgeregt und mit dem Ausdruck des Grauens rückwärts schauend.

»Der Herzog hat seinen Anfall!« flüsterte er hastig. »Es überfiel ihn, als ihn der diensttuende Kammerdiener entkleiden wollte. Um des Himmels willen, Signora, erproben Sie Ihre magnetische Kraft an ihm! Horch, er kommt!«

Und der fürstliche Nachtwandler kam wirklich.

Langsam schritt er die Galerie herab, während sich dieselbe im Augenblick mit erschrockener Hofdienerschaft füllte.

Es war eine unheimliche Szene.

Schlürfenden Trittes, mit weitgeöffneten glanzlosen Augen vor sich hinstierend, ging der Herzog vorwärts, gerade auf die Stelle zu, wo Lauretta mit dem Hofprediger und dem Conde stand. Sein vornüber gebeugter Körper schlotterte unter krampfhaften Zuckungen. Das gelöste Haar flatterte wild um das blasse Gesicht. Er trug einen Rock von Rosasammet, eine Weste à l'avenant von Drapd'or, kostbare Spitzen, Schuhschnallen von Brillanten, blitzende Ringe an den Fingern; aber der Reichtum dieses Anzugs kontrastierte höchlich mit der Unordnung desselben. Alles hing nur so an der hagern, schlotternden Gestalt, welche in dem hellen Licht des Saales um so gespenstiger aussah.

Man hatte glauben können, eine der Höllenbreugheleien an den Wänden sei plötzlich lebendig geworden.

Der Nachtwandler ging immer zu, ohne auf die rechts und links aus seinem Wege Weichenden im geringsten zu achten. Seinen zuckenden Lippen entquoll ein unartikuliertes Gemurmel.

Als er die entgegengesetzte Flügeltüre der Galerie erreicht hatte, stieß er einen markdurchschneidenden Klageschrei aus und verschwand in der Türöffnung.

»Wir müssen ihm folgen, Signora,« sagte der Sizilianer dringend. »Sie müssen ihm die Hände auflegen. Sie wissen ja, wie beruhigend das immer auf den Unglücklichen wirkt.«

»Es ist ein gräßlicher Anblick!« entgegnete Lauretta. »Mir graut davor.«

»Aber Fräulein,« bemerkte der Hofprediger, »Sie werden doch zum Dank für gewährte Gastlichkeit einem armen Kranken Ihre Hilfe nicht entziehen wollen? Das wäre ja wie Mord.«

Er bot ihr den Arm. Sie schlug denselben aus, ließ sich aber mit einer zustimmenden Gebärde von den beiden Herren hinausbegleiten.

Der Herzog war die große Treppe hinabgestiegen, hatte die Vorhalle durchmessen, schritt unter den Säulen des Portikus hinweg auf den Perron hinaus, ging die Stufen desselben hinab, über den Pleasure Ground und betrat die Allee, welche am Ufer des kleinen Sees hinaus in den Park führte.

Es war eine stürmische Märznacht. Der Wind fuhr pfeifend durch die Baumwipfel und zerriß von Zeit zu Zeit die schwerfällig am Himmel dahintreibenden Wolken, wo dann für kurze Momente die halbvolle Mondsichel ihr bleiches ungewisses Licht durch die Nebeldünste herabrieseln ließ.

Die Dienerschaft eilte mit Windlichtern und Laternen herbei, aber der Sizilianer winkte die Leute, welche ihrem Herrn folgen wollten, gebieterisch zurück, indem er sagte, es bedürfte bloß der Signora.

Damit legte er Lauretta vorsorglich einen Mantel um die Schultern, nahm ein Windlicht zur Hand und trieb zum Vorwärtsgehen.

Lauretta zögerte einen Augenblick, den Fuß in die unwirtliche Nacht hinauszusetzen, dann stieg sie mit ihren beiden Begleitern entschlossen die Freitreppe hinab.

In die Allee eingetreten, sahen sie die Gestalt des nachtwandelnden Fürsten bald vor ihnen herwanken.

Lauretta ging mutig voran.

In diesem Augenblicke näherte der Sizilianer seinen Mund dem Ohre des Hofpredigers und flüsterte ihm ein paar Worte zu.

Der Hofprediger nickte bejahend, worauf der Conde laut sagte:

»Die Signora wird heute alle ihre magnetische Kraft nötig haben. Der Anfall ist, wie mir der Kammerdiener des Herzogs mitteilte, stärker als irgend einer der früheren. Augenscheinlich ist die höchste Gefahr für das Leben des Fürsten vorhanden.«

»Meinen Sie wirklich, lieber Graf?« fragte der geistliche Herr.

»Gewiß. Aber sehen Sie, der arme Herzog biegt von der Allee ab. Wohin will er?«

Lauretta blieb stehen und sagte über die Schulter zurück:

»Ihre Besorgnisse scheinen mir sehr übertrieben, Monsieur. Ein Todkranker hat nicht die Kraft, so weit zu gehen, und –«

»Signora,« unterbrach sie der Sizilianer lebhaft, »ich muß Ihnen des bestimmtesten widersprechen. Solche epileptische Zufälle enden leicht mit Starrkrampf und Apoplexie, kurz, die materia vitae –«

»Lassen Sie die kunterbunten Phrasen, von denen Sie, vermute ich, gerade soviel verstehen wie ich.«

Der Hofprediger verbiß ein Lächeln über diese Zurechtweisung des Magus und sagte:

»Eilen wir, Sr. Durchlaucht Hilfe zu bringen. Dieser bedarf er jedenfalls, ob nun sein Zustand mehr oder weniger gefährlich sei. Sehen Sie, er tritt in den kleinen Pavillon, welchen man, glaub' ich, den Pavillon der Flora heißt.«

Das in Rede stehende Gebäude, rechter Hand von der großen Allee inmitten eines dichten Bosketts gelegen, hatte in seinem Äußeren die Form eines griechischen Tempels und in seinem Inneren nur ein einziges Gelaß, welches, zur Abhaltung vertraulicher Zirkel in der Sommerzeit bestimmt, mit großer Pracht und Üppigkeit eingerichtet war. Draußen lief rundherum ein Säulengang. Die Fenster reichten bis zum Boden herunter, verschwanden aber hinter den niedergelassenen Gardinen von blauer Seide. Tapeten vom nämlichen Stoff, gelb, mit silbernen Arabesken, bedeckten die Wände. In der Mitte des Zimmers erhob sich über einem großen, von exotischen Blüten schimmernden Blumentisch die Statue der Frühlingsgöttin. Den Hintergrund nahm ein mächtiger Diwan ein, nach orientalischer Weise aus mit blaßrotem Atlas überzogenen Polstern aufgebaut.

Eine vor dem Blumentisch von der Decke herabschwebende silberne Hängelampe verbreitete ein gedämpftes Licht in dem traulichen Räume, der so angenehm durchwärmt war, als wäre das Feuer im Kamin soeben erloschen. Hatte dieser einsame Ort noch so spät Besuch erwartet?

Nicht gerade diese Frage, aber doch etwas wie leiser Argwohn fesselte beim Eintreten den Fuß Laurettas nahe bei der Türschwelle an den Boden. Sie schlug die Kapuze des Mantels, welche ihren Kopf verhüllt hatte, zurück und warf einen durchdringenden Blick auf den Hofprediger, welcher denselben ruhig aushielt.

Ein röchelndes Ächzen kam von dem Diwan her.

»Hören Sie den unglücklichen Mann?« flüsterte der Geistliche. »Eilen Sie, Fräulein, die hilfreiche Kraft auf ihn wirken zu lassen, womit der Himmel Sie gesegnet hat.«

Lauretta mußte wohl an diese Kraft glauben, da sie mittels derselben schon zu verschiedenen Malen die Nervenkrämpfe des Herzogs gestillt hatte. Sie näherte sich mit ihrem Begleiter dem Diwan, auf welchem sich der Kranke hin und her warf. Er fieberte am ganzen Leibe, seine Glieder zuckten, Schweiß stand auf seiner Sinne, und von seinen halbgeschlossenen Augen war nur das Weiße sichtbar. Sein Atem ging pfeifend und vermischte sich mit einem schrecklichen Stöhnen, das ihm die Brust sprengen zu wollen schien.

Bei diesem Anblick lebte in Laurettas Seele nur noch das Mitleid, jenes himmlische Erbarmen, welches mit dem ersten Weibe geboren wurde und nur mit dem letzten sterben wird.

Sie überwand Verachtung und Abscheu und hob ihre Manipulationen an, wie der Sizilianer sie dieselben gelehrt hatte. Sie näherte die Flächen ihrer erhobenen Hände dem Gesicht des Kranken bis auf einen kleinen Zwischenraum und führte so die sogenannten magnetischen Striche aus.

Die wohltätige Wirkung zeigte sich fast augenblicklich. Die ungestümen Bewegungen des Patienten ließen nach, die Zuckungen verminderten sich, der Atem ging leichter, das schreckliche Ächzen, hörte auf.

Lauretta fuhr in ihrer mitleidigen Verrichtung fort.

Aber was machte sie plötzlich innehalten?

Ihr Blick war zufällig in den großen Spiegel über dem Diwan gefallen, und der zeigte ihr, wie soeben der Hofprediger und der Conde das Gemach verließen und die Türe hinter sich zuzogen.

War das nicht auch das leise Geräusch des Schlüssels, welcher von draußen im Türschloß gedreht wurde?

Wie ein vernichtender Blitz schoß ihr der Gedanke durch die Seele:

Ich bin verraten!

Das war ein lähmender Moment.

Aber er ging noch vorüber. Der Mut Laurettas beschwichtigte ihren Instinkt der Gefahr. Sie erinnerte sich, daß die magnetische Manipulation früher den Herzog immer in einen tiefen Schlaf versenkt hatte, und so machte sie sich mit angehaltenem Atem wieder an ihr Werk.

Es schien den gewohnten Erfolg haben zu wollen, denn der Patient ward immer ruhiger.

Schon durfte sie hoffen, daß der panische Schrecken von vorhin ein eitler gewesen sei, als der Herzog plötzlich halben Körpers sich aufrichtete, die Augen aufschlug und sie mit einem Blick ansah, der ihr das Blut in den Adern stocken machte.

Es frohlockte eine dämonische Bosheit in dem fahlen Bleiglanz dieser Augen, während um die dünnen blutlosen Lippen des Mannes, zwischen welchen spitze Zähne sichtbar wurden, ein faunisches Grinsen spielte.

Dieses Gesicht hatte nichts Menschliches mehr: es war das des wilden Tieres, welches sich auf seine Beute, werfen will.

Aber noch hielt ihr Stolz Lauretta aufrecht. Sie richtete sich zur vollen Höhe ihrer schönen Gestalt auf und schleuderte dem Herzog einen niederschmetternden Blick zu. Dann wandte sie sich, um mit einem Sprunge die Türe zu erreichen.

Aber es war zu spät.

Die muskulösen Arme des Herzogs preßten sich um ihren Leib, er riß sie zu sich nieder, bedeckte ihre Wangen mit wütenden Küssen und zischelte ihr mit heiserem Lachen ins Ohr:

»Endlich, süßes Täubchen, bist du mein!«

Sie rang den Verzweiflungskampf der Gazelle in den Klauen des Tigers, und ein Schrei, welcher die Decke des Pavillons sprengen zu sollen schien, stieg jählings aus ihrer Brust empor:

»William Raleigh, zu Hilfe!«

War das Bild des Mannes, welcher ihr bewiesen, daß es Treue auf Erden gab, in diesem schrecklichen Moment plötzlich vor ihre Seele getreten? Oder war es nur eine zufällige Eingebung der Agonie?

Aber wie? Gab von draußen der Sturm Antwort auf den verzweifelten Hilferuf? Fuhr er so wütend gegen das Fenster dort?

Ein Stoß – ein Krachen der Fensterrahmen – ein Klirren der zertrümmerten Scheiben – der Herzog stutzt – Lauretta stößt ihn mit einem wilden Aufschwung ihrer Kraft zurück, sie entschlüpft seiner Umschlingung, springt auf und muß es für eine Täuschung ihrer Sinne halten, daß der Gerufene zwischen ihr und dem Fürsten steht.

Und ein größeres Wunder, als die Erscheinung Raleighs war, ging in diesem Moment in Lauretta selber vor. Sie blickte zum erstenmal mit dem Auge, womit das Weib den Mann ansieht, auf Raleigh. Er erschien ihrer Schwäche und Schutzbedürftigkeit, deren sie heute zum erstenmal und so furchtbar innegeworden, schön wie ein Held.

Und wirklich, der junge Mann war schön und heldisch anzusehen in der Blässe seines Zornes, wie er so dastand, mit der linken Faust den entsetzten Herzog auf die Polster niederdrückend und mit der Rechten den blanken Degen erhebend.

»Soll ich den Elenden töten, Lauretta?« fragte er.

Sie klammerte sich an ihn. Ihre Erschütterung machte sich in einem Schluchzen laut, welches sie vergebens zu verhalten suchte.

»Nein, mein Freund, mein Retter!« erwiderte sie, mühsam nach Fassung ringend. »Er ist nicht wert, von Ihrer Hand zu sterben. O, fort von hier, nur fort!«

»Und wohin?«

»Wohin Sie wollen. Nur fort!«

Raleigh beugte sich zu dem Herzog nieder und sagte mit einem Ausdruck, der nicht mißzuverstehen war:

»Eine Bewegung, ein Laut, und du hast den kalten Stahl zwischen den Rippen!«

Dann hüllte, er mit der Sorgfalt eines zärtlichen Vaters Lauretta in ihren Mantel und reichte ihr den Arm. Als er aber bemerkte, daß die Geliebte auf ihren Füßen wankte, hob er sie leicht auf seine Arme.

Sie ließ es geschehen und verbarg den Kopf an seiner Brust. Er warf noch einen drohenden Blick nach dem Diwan und schritt mit seiner teuren Last durch die Öffnung des zertrümmerten Fensters hinaus in den Säulengang und von da weiter in die stürmische Nacht.

Der Herzog, von dessen Charakterzügen die Geschichte auch den aufgezeichnet hat, daß er kein Gewehr abfeuern hören und wie König Jakob I. von England keinen Degen entblößt sehen konnte, lauschte, bis das leichte Geräusch von Raleighs Fußtritten sich verloren hatte. Dann taumelte er auf, reckte und dehnte sich, stieß ein tolles Lachen aus und sagte:

»Diable, die Entwickelung der Farce hat der Exposition und Knotenschürzung nicht entsprochen, sehr nicht. Aber ein veritabler Theatercoup war's immerhin, c'est vrai. Wer nur dieser Orlando furioso ist, der da plötzlich vom Himmel oder vielmehr so plump in meine Schäferstunde hereinfiel? Er hat übrigens seine Sache gar nicht übel gemacht, c'est vrai. Das verteufelte Mädchen! Sie hat uns doch alle bis zuletzt artig trompiert, c'est vrai. Es muß da ein ganzer Roman dahinter stecken, und ich will ihn selber schreiben, diesen Roman. Ja, ein Autor will ich werden – das ist was Neues. Ein Herzog von S. G. gedruckt, das ist noch nie dagewesen im heiligen römischen Reiche deutscher Nation. Hurra!«


 << zurück weiter >>