Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Die Wachtparade. – Vom leidenschaftlichen Rieger und vom listigen Montmartin. – Die Zähmerin des fürstlichen Wilden. – Ein Stück Justiz von ehemals. – Der Großschulmeister. – Militärakademie und Ecole des Demoiselles. – Reu' und Leid. – Eine weiße Krähe. – Der Philosoph von Hohenheim.

Im vorigen Jahrhundert, zur Zeit, als Herzog Karl von Württemberg noch von der Illusion befangen war, man könne mittels Soldatenspielerei ein großer Fritz werden, hatte das tägliche Aufziehen der Wachtparade dem Fürsten eine eifrigst ergriffene Veranlassung geboten, militärischen Pomp zu entfalten. Selbst die derben Lektionen, welche der große Fritz seinem ehemaligen Zögling im Siebenjährigen Krieg erteilte, hatten Karls Soldatenspielwut nicht abgekühlt. Noch lange blieb die Wachtparade ein Glanzpunkt des Residenzlebens von Stuttgart, und der Ort, wo sie stattfand, der Platz zwischen der Stiftskirche, dem (alten) Schloß und dem Prinzenbau, gab mehr als einmal die Szene für eine bedeutsame württembergische Haupt- und Staatsaktion. Hier ereilte den berüchtigten Pfarrerssohn Philipp Friedrich Rieger, einen der Matadore aus Karls wilder Zeit, sein böses Geschick. Vier Jahre hindurch war der leidenschaftlich brausende Mann, vom Hauptmann rasch zum Oberst und geheimen Kriegsrat aufgestiegen, im Bunde mit dem Minister Montmartin ein Hauptwerkzeug grausamer Willkürherrschaft gewesen. Von ihm vornehmlich waren die schnöden Mittel ausgesonnen und ins Werk gesetzt worden, welche zur Herbeischaffung und Ausrüstung des Korps von 12 000 Mann dienten, das der Herzog 1759 an den mit Preußen kriegenden französischen Hof verhandelte. Aber der kalte, listige Montmartin, welcher nach des trefflichen württembergischen Geschichtschreibers Pahl Ausdruck das Böse planmäßig und mit Überlegung tat, war des leidenschaftlichen Mitgünstlings überdrüssig geworden und wußte ihn beim Herzog als Verräter zu verschwärzen. Um 28. November 1762 erfolgte Riegers Sturz. Als er an diesem Tage, der Wachtparade anzuwohnen, aus dem Kanzleibogen auf den Schloßplatz heraustrat, stürzte der Herzog auf ihn zu und riß dem Überraschten mit dem Ruf: »Schändlicher Verräter!« den Orden von der Brust. Ein bereitstehender Wagen brachte den Gefallenen nach dem Asperg und von da nach der Bergfeste Hohentwiel, wo er ohne Urteil und Recht vier Jahre lang in einem grauenhaften, Kerker schmachtete. Da hat er sich bekehrt, das heißt, aus einem brutalen Werkzeug der Tyrannei wurde er ein Pedant und Frömmler, der, sich nebenbei etwas damit wußte, ein Schöngeist zu sein. Einige Zeit nach seiner Freigebung, die ebenso willkürlich verfügt ward wie seine Einkerkerung, versöhnte sich der Herzog 1775 mit ihm und machte ihn zum Generalmajor und Kommandanten von Hohenasperg.

Montmartin gesellten sich als willfährige Helfershelfer die gewissenlosen Finanzkünstler Wittleder und Gegel, sowie die Juden Seidel und Seligmann. Sein Regiment, einzig und allein darauf gestellt, mittels beispielloser Aussaugung des Landes dem Herzog eine bis zum Wahnsinn gehende Verschwendung zu ermöglichen, währte bis 1766. Damals nämlich gab es noch in Deutschland eine Schranke landesherrlicher Tyrannei: die Reichsgewalt. Ohnmächtig nach außen, war sie, besonders wenn ein von Haß gegen das Anrecht glühender Mann, wie Kaiser Joseph II. war, sie handhabte, nach innen noch »kompetent« und kräftig genug, frevelnde Duodezdespoten zur Räson zu bringen. Die württembergischen, Stände brachten ihre Beschwerden vor den Reichshofrat, welcher die Sache sofort an Hand nahm, Montmartin, einer drohenden Untersuchung schlau zuvorkommend, verlangte und erhielt seinen Abschied, ging aber nicht mit leerer Hand. Denn abgesehen von der reichen Beute, die er mitnahm, mußte das arme Land die Verdienste seines vieljährigen Quälers und Aussaugers mit einem jährlichen Ruhegehalt von 4000 Gulden belohnen. Nachdem jedoch der böse Dämon des Herzogs entfernt war, kam zwischen diesem und seinen Ständen, unter Vermittelung des Reiches, eine Vereinbarung zustande; der sogenannte Erbvergleich, welcher 1770 die Grundsätze feststellte die den bisherigen Mißbrauchen und Wirrsalen ein Ziel setzen sollten.

Herzog Karl war dazumal in eine Lebensregion gelangt, wo die souveräne Brutalität der Leidenschaften allmählich dem Zügel der Vernunft sich fügen lernt. Das vorhin genannte Jahr war für den heißblütigen Fürsten die Wendung zu einer solchen Zügelung. Der Erbvergleich schuf ihm eine äußerliche Schranke, zu einer innerlichen wurde ihm sein Verhältnis, zu der klugen Franziska, die er gerade damals ihrem Gatten entführte. Das war letzte große Schlag, welchen seine Leidenschaft tat. Der Rückschlag blieb nicht aus, und es war ein wohltätiger. Wenn auch an und für sich ein grell unsittliches, wurde das Verhältnis des Fürsten zu der Gräfin von Hohenheim zu einer Quelle des besseren. Franziska lehrte den unsteten, zwischen Großmannssucht und Ausschweifung hin und her geworfenen Mann den Segen der Häuslichkeit kennen. Sie lenkte seinen Drang, tätig zu sein, zu wirken, zu schaffen, zum tüchtigen und ersprießlichen. Mancherlei Fehlgriffe blieben natürlich auch jetzt nicht fern: manches wohlangefangene Werk verkümmerte, weil es nur in der Weise eines fürstlichen Steckenpferdes behandelt wurde, und Grillen und Launen walteten allzuoft da, wo Einsicht, Umsicht und Beharrlichkeit hätten zur Stelle sein sollen. Trotzdem jedoch heißt es nur gerecht sein, zu sagen, daß die Regierung Karls in ihrer zweiten Hälfte zu den besten gehört, welche Württemberg überhaupt gehabt hat.

An zeitweiligen Rückfällen in die gewaltsame Despotenstimmung fehlte es freilich nicht, und war so ein Rückfall, vielleicht der schmählichste von allen, des Herzogs Attentat auf Schubart, welcher nach seiner Verweisung aus Ludwigsburg in den Maingegenden, dann in Augsburg und endlich in Ulm sein geniales Vagabundenleben führte. In der letztgenannten Reichsstadt war er allmählich zu größerer Stetigkeit gelangt. Hier schrieb er seine »Deutsche Chronik«, allen staatlichen und kirchlichen Dunkelmännern zu Haß und Tort. Das war wohl die Hauptursache seines Unglücks. Schubarts Publizistische Tätigkeit war nach vielen Seiten hin unbequem. Auch dem Herzog von Württemberg, der freilich, da Schubart weder in seinen Diensten stand, noch überhaupt sein Untertan war, gar kein Recht an ihn hatte. Ob die Gräfin von Hohenheim die Abneigung Karls gegen den genialen Mann verstärkte, ist nicht recht klar. Schubart selbst war davon überzeugt, und man kann ohne Bedenken zugeben, daß die nicht sehr feinen, wohl aber sehr derben Wirtshausscherze, welche der Poet schon in Ludwigsburg über die »Donna Schmergelina« hatte verlauten und in Ulm in gesteigertem Maße ausgehen lassen, in den Ohren der Dame – und sie gelangten dahin – nicht sehr angenehm geklungen haben müssen. Indessen hatte sich Schubart nicht irgend eine Verfehlung gegen die Gesetze der Reichsstadt Ulm zu Schulden kommen lassen, und so war ihm auf diesem Boden nichts anzuhaben. Aber seine Feinde wußten sich zu helfen. Der damalige kaiserliche Ministerresident zu Ulm, General von Ried, setzte sich, gegen den unvorsichtigen Publizisten aufgereizt, in Beziehung mit Herzog Karl, und dieser hatte Diener, welche in Vollziehung seiner Befehle vor keiner Schmach zurückschraken. Schubart ward mittels einer argen List, die er in seinem Leichtsinn nicht bemerken wollte, auf württembergisches Gebiet gelockt, nach Blaubeuren, dort gefangen genommen und sofort nach dem Asperg geschleppt. Der Herzog und die Gräfin von Hohenheim kamen nach der Bergfeste, ausdrücklich in der Absicht, die Einkerkerung des Unglücklichen in ein finsteres unterirdisches Gelaß mit anzusehen. Nach Jahresfrist erst wurde ihm ein leidlicheres Gefängnis eingeräumt. Zehn Jahre, von 1777 bis 1787, hat er auf dem Asperg gesessen. Ihm zu sagen, warum, hat man nie der Mühe wert gehalten.

Fast könnte man auf den Gedanken kommen, Herzog Karl habe die schnöde, an Schubart verübte Gewalttat vor sich selbst dadurch zu beschönigen gesucht, daß er sie für ein pädagogisches Experiment ansah. Er wollte diesen ungewöhnlichen Geist nach seiner Schnur ziehen, mochte derselbe nun biegen oder brechen. Jede Selbständigkeit des Genius wie des Charakters war ihm tödlich verhaßt. Selbständig sollte, soweit seine Macht reichte, nur einer sein, er, Herzog Karl. Den vollen Glauben an das Dogma seiner Macht und Unfehlbarkeit übertrug er auch auf seine Stellung als Großschulmeister seiner »militärischen Akademie«, welche zur gleichen Zeit, wo die herzogliche Residenz von Ludwigsburg wieder nach Stuttgart zurückverlegt wurde, von der Solitüde in die alte Stadt am Resenbach herabgezogen ward. Am 18. November 1775 fand der Abzug der Zöglinge mit ihren Lehrern und Vorgesetzten von dem einsamen Waldschlosse statt. Die Eleven waren an, diesem Tage in großer Uniform, in hellblauen Ärmelwesten, weißen Beinkleidern, Kragen und Ärmelaufschlägen von schwarzem Plüsch. An jeder Seite des Kopfes vier Papilloten in zwei Etagen und Puder, darüber ein kleiner dreieckiger Hut, den Rücken hinab ein langer Zopf. So marschierte der Trupp die Hasenbergsteige herab und wurde am Rotenbildtor von dem Herzog empfangen. Er setzte sich zu Pferde an die Spitze des Zuges und führte denselben durch die mit vivatrufenden Menschen angefüllten Straßen hinab zur »herzoglichen Militärakademie«, jenem weitläufigen Bauwerk, welches, hinter dem neuen Schlosse gelegen, heutzutage durch die Neckarstraße in den Umfang der Stadt eingeschlossen wird, damals aber noch unvollendet war. In diesen Räumen, welche, obgleich ihre Bestimmung eine ganz andere geworden, Akademie heißen, hat Herzog Karl viele Jahre lang oh Hunderten von Zöglingen sein pädagogisches Zepter geschwungen. Unfern von dieser Anstalt, die, halb Kloster, halb Kaserne, später – 1781 – als vom Kaiser Josef zur Universität erhoben, den Namen der Hohen Karlsschule erhielt, unfern davon, jenseits der heutigen Planie, war im alten Schlosse die »Ecole des Demoiselles« untergebracht, eine Art Seitenstück zu der Akademie, geleitet von der Frau Oberstin von Seeger, der Gattin des Intendanten der Karlsschule.

Der Herzog begnügte sich jedoch, nicht damit, seinen Untertanen und der Welt das Schauspiel eines zum Schulmeister im großen Stil gewordenen Fürsten zu geben. Es war in ihm ein starker Zug vom Alkibiades. Die Leute sollten von ihm sprechen, um jeden Preis. Daher denn auch jene beispiellose Überraschung, welche den guten Altwürttembergern am 11. Februar 1778, dem fünfzigsten Geburtstage Karls, zuteil ward. An diesem Tage wurde von allen Kanzeln des Landes ein herzogliches Reskript verlesen, worin der Fürst förmlich Reu' und Leid machte. Er sei, hieß es in diesem merkwürdigen Erlaß unter anderem, nur ein Mensch und derohalben von dem Grade der Vollkommenheit beständig weit entfernt geblieben. So hätte es denn nichts anders sein können, als daß teils aus angeborener menschlicher Schwachheit, teils aus nicht genügsamer Kenntnis und sonstigen Umständen viele Ereignisse sich ergeben, die, wenn sie nicht geschehen, wohl für jetzo und das künftige eine andere Wendung genommen hätten. Er, der Herzog, betrachte den heutigen Tag als die zweite Periode seines Lebens, als ihm von Gott geschenkt zu dem Zwecke, als wahrer Landesvater für seine getreuen Untertanen zu sorgen, auf daß es Württemberg wohlgehe.

Man würde fehlgreifen, wollte man diese von der Kanzel verkündigte Zerknirschung Karls für eine pure Komödie ansehen. In diesem Manne mischte, sich Großes und Kleines, Hohes und Läppisches gar seltsam. Er beabsichtigte mit dem erwähnten Reskript Gutes, keine Frage; aber daß ihn dabei die Vorstellung einer theatralischen Wirkung, eines Operneffekts gekitzelt habe, ist ebenfalls unzweifelhaft. Im übrigen stand er jetzt unter dem dauernden und heilsamen Einfluß der Gräfin von Hohenheim. Er erhob nach dem Tode seiner Gemahlin, der Bayreuther Prinzessin, das geliebte Franzele förmlich zu seiner Frau. Franziskas Gebaren bei der Katastrophe Schubarts war unstreitig das tadelnswertester Rachsucht. Wie hätte sie sonst der Einkerkerung des Unglücklichen beiwohnen mögen? Aber man darf auch nicht vergessen, daß der zynische Spötter ihr weibliches Gefühl tief verletzt hatte. Alles in allem hat die Gräfin von Hohenheim sicher viel Gutes gestiftet und noch mehr Böses verhindert. Sie wird wohl so ziemlich die einzige fürstliche Maitresse sein, an deren Andenken kein Fluch, wohl aber Segen haftet, eine weiße Krähe also, wofern diese Vergleichung eine nicht zu ungalante ist.

Franziska unterstützte die erwachende Neigung des Herzogs zu ländlicher Stille und Zurückgezogenheit. Karl hätte dieser zwar auf seiner Solitude froh werden können, allein seine Baulust war noch lange nicht gesättigt. Er wollte sich auf dem Garbenhof, einer unweit von Stuttgart auf der Höhe der Filder gelegenen umfangreichen Domäne, welche im Mittelalter dem Geschlechte der Bombaste von Hohenheim gehört hatte, ein Landhaus bauen. Aber wie gewöhnlich ging auch hier seine anfangs bescheidene Absicht bald ins Weite und Große. Aus dem Landhause wurde ein prächtiger Palast, dessen Fenster eine herrliche Aussicht auf den Bergzug der schwäbischen Alb gewähren. Nebengebäude erhoben sich rings, und das Ganze schloß ein umfangreicher Park ein, voll der kunstreichsten Anlagen und Wasserwerke. Diese Stätte, heute eine landwirtschaftliche Anstalt von europäischem Rufe beherbergend, ward der Lieblingsaufenthalt des Fürsten und blieb es bis zu seinem Tode. Von hier aus regierte er, hier pflanzte er, der württembergischen Landwirtschaft manche vortreffliche Anregung gebend, und hier vergnügte er sich daneben mit seinem Franzele an ländlichen Festen. Kam er nach Stuttgart, so verbrachte er seine meiste Zeit in der Akademie. Droben in Hohenheim wurde es allmählich still und immer stiller um den alternden Fürsten her, der zumeist nicht in den prachtvollen Gemächern des Schlosses, sondern in den gedrückten Zimmern des Wirtschaftsgebäudes zu wohnen liebte. Für gewöhnlich war Prunk und Glanz ganz verbannt; nur ein kleiner Kreis von Erwählten hatte Zutritt. Es war da mehr die Haushaltung eines reichen Gutsbesitzers als der Hofhalt eines souveränen Fürsten. Der Philosoph von Sanssouci mochte ihm vorschweben, wenn er sich für den Philosophen von Hohenheim angesehen wissen wollte. Aber verglich man sein jetziges Walten mit seinem früheren Schalten, so konnte man den Anspruch auf Philosophentum einigermaßen begründet finden.


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