Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Viertes Kapitel,

welches dartut, daß der Käfig nicht immer den Adler zähmt, sowie, daß der Sammeldoktor zuweilen bedenkliche Novellen in seinem Neuigkeitskasten hatte.

Die Schwüle eines Hochsommertages brütete auf dem Talkessel von Stuttgart und machte sich auch unserem Dichter drückend fühlbar, welcher in dem Arrestantengelaß der Hauptwache lässig auf der harten Pritsche ausgestreckt lag. Die vierzehn Tage seines Arrestes gingen aber mit heute zu Ende, und so verscheuchte die Aussicht auf baldige Erlösung aus dieser niederdrückenden Lage einigermaßen die schwermütigen Gedanken, welche Gefängnis und Einsamkeit in dem jungen Mann wachgerufen hatten.

Er sprang auf, trat an das offene Fenster und blickte durch das Eisengitter in den stillen Hofraum hinaus. Dort zwitscherten Sperlinge und wühlten sich, die Federn sträubend, in den Staub des Bodens ein, als wollten sie, da ihnen das Wasser fehlte, ein Sandbad nehmen, wie die Araber in der Wüste.

»Glückliche Vögel!« seufzte Schiller. »Wer Flügel hätte wie ihr! – Aber habe ich denn nicht wenigstens Seelenflügel? – O, heilige Poesie, holde Trösterin, wie dank' ich dir! Wie überallhin, bist du mir auch an diesen abscheulichen Ort gefolgt und hast mir das kummervolle Herz geschwelgt und in süße und stolze Träume gewiegt. Und dich möchte ein herzlos tyrannischer Wille von mir trennen? Nein, das soll, das darf, das wird nie geschehen! Rüste dich, brutale Gewalt, mit allen deinen Schrecken, ich verachte dich und biete dir Trotz! – O, meine gute Christophine hat recht, und Lauretta – wo mag das arme wilde Kind jetzt umirren? – hat ebenfalls recht. Der heimatliche Boden weigert meinem Talent das Gedeihen. Vielleicht, falls ich mir eine so stolze Hoffnung gestehen darf, werden kommende Generationen meiner Landsleute dereinst geneigt sein, anzuerkennen, ich wäre nicht unwert gewesen, daß das alte Schwabenland mich milder gepflegt hätte. Aber jetzt – nicht nur dieser Raum da mit seinen kahlen schmutzigen Wänden, ganz Württemberg kommt mir wie ein Gefängnis vor und sein Himmel wie eine eherne Decke, die mich zu erdrücken droht. Ich will und muß fort!«

Er ging eine Weile hastig auf und ab, trat dann zu dem mit Papieren bedeckten Tisch und durchlas nachdenklich ein großes Blatt, welches er mit den raschen Schriftzügen seiner Hand angefüllt hatte.

»Ja,« sagte er, »so ist's recht! Sie haben mir Zeit und Muße – Kerkermuße – zum Nachdenken gegeben, wohlan, sie sollen erfahren, daß ich dieselbe gut benutzte. Sie sollen erfahren, daß es nicht immer ungestraft bleibt, einem Poeten willkürlich einzukerkern. Ich bin kein wankelmütiger, gebrochener Schubart, der schmeichelnd die Hand leckt, welche ihn schlägt. Zum abschreckenden Exempel sollte ich mir den Gefangenen vom Hohenasperg nehmen, befahl der Herzog. Jawohl, ich tue es, aber in meinem Sinne. Ich will nicht an Geist und Charakter bankrott werden wie dieser unglückliche Mann. Sie werden von mir nie einen Prolog zu hören bekommen, welcher anhebt: Unsterblicher Karl! oder: Edler Rieger! – In diesem Drama, dessen Plan die Kerkermuße mich aussinnen ließ, will ich sie zeichnen, wie sie sind, alle, alle! Ich will dich zeichnen in deiner Nichtigkeit, Verderbtheit und Gemeinschädlichkeit, kriechendes, schmarotzendes, kabalierendes Hofgewürm! Man soll mit den Fingern auf euch deuten können. Und auch du, liebwerter Monsieur Walter, tückischer Zuträger, sollst mir nicht entgehen. Ich will euch zeigen, daß der Dichter nicht allein, wie ihr glaubt, dazu da ist, seine Zeitgenossen zu amüsieren, sondern auch und vielmehr, sie zu richten und der ganzen Sippschaft und Wirtschaft der Tyrannei, Bosheit, Dummheit und Niederträchtigkeit ein unvergänglich Brandmal auf die Stirne zu drücken. Du aber, schuldvolles und doch so edles Weib, du sollst finden, daß die grausame Demütigung, welche mir in deiner Gegenwart widerfahren, dennoch das Gefühl der Dankbarkeit nicht in mir erstickte. Du hast mir eine Regung frauenhafter Güte bezeigt in jener furchtbaren Stunde der Prüfung, ich setze dir dafür dankbar ein Denkmal. Wenn es in einer Kotlache steht, so ist das nicht meine Schuld; aber ich will Sorge tragen, daß in den Zügen meiner Lady Milford die Menschen die deinigen erkennen und mit Teilnahme, Nachsicht und Mitleid betrachten sollen. Ah, mein Herr Herzog von Württemberg, du hast mich einen Abstraktor und Wolkenwandler gescholten; gut, du sollst finden, daß ich die allerwirklichsten Steine vom Boden der Wirklichkeit aufgelesen, um sie dem Despotismus ins Angesicht zu schleudern. Ich habe in Fiesko die Tyrannei in der Vergangenheit gebrandmarkt, jetzt will ich sie in der Gegenwart brandmarken. Ein Gemälde meiner eigenen Zeit soll mein neues Drama sein. Wird es ein lichtloses Nachtstück, was kann ich dafür? Läßt nicht Shakespeare seinen Hamlet mit Recht sagen, der wahre Zweck des Schauspiels sei, der Natur den Spiegel vorzuhalten, der Tugend ihre eigenen Züge, der Schmach ihr eigenes Bild und dem Jahrhundert den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen? – So mir je die Muse günstig gewesen, sei sie es mir jetzt, damit die, welche nach uns kommen, sagen können: Ja, so war jene Zeit, so waren sie, von denen unsere armen Väter tyrannisiert würden. O, möchten unsere Söhne und Enkel – wie heiß wünsche ich es! – hinzufügen können: Es ist anders geworden, besser, freier und menschlicher!«

Nach diesem leidenschaftlichen Selbstgespräche durchflog, der Dichter noch einmal Schema und Personenverzeichnis seines neuen dramatischen Entwurfes. Dann nahm er rasch die Feder, strich den Titel »Luise Millerin«, welcher an der Spitze des Blattes stand, und schrieb dafür: »Kabale und Liebe – ein bürgerliches Trauerspiel.«

Er malte sich das Thema, welches er in dem Stücke dramatisch gestalten wollte – das vergiftende und verderbliche Hereingreifen einer verrotteten, selbst in ihren besten Tendenzen unheilvoll wirkenden vornehmen Welt in die Kreise ehrbar bürgerlicher Sitte, die Darstellung der Konflikte idealischer Neigungen und Leidenschaften mit den gemeinen Gelüsten und lichtscheuen Ränken einer herz- und sittenlosen Beamten- und Höflingswelt – in Gedanken weiter aus und konnte eine unwillige Regung nicht unterdrücken, als das Zurückschieben des Riegels an der Türe eine Störung von draußen ankündigte.

In der Türe erschien aber ein Freund, der Leutnant Scharffenstein, welcher heute auf Wache war.

»Ich denke,« sagte er, »mein liebster Arrestant wird nichts dagegen haben, wenn ich ihm die Langeweile durch Einführung eines Besuches verkürze. Eigentlich geht's gegen das Reglement, aber da der visitierende Hauptmann schon seine Runde gemacht hat, so will ich's in Gottes Namen auf mich nehmen.«

»Ja, nehmt's in Gottes Namen auf Euch, wilder Kriegsmann und berühmter General in spe,« sagte die Stimme des Sammetdoktors, auf dem Gange draußen. »Einstweilen aber macht Platz, damit anständige Leute hanc in speluncam eintreten können.«

Scharffenstein trat beiseite und ließ den alten Herrn eintreten, welcher von einem blonden, schüchtern blickenden und schüchtern auftretenden jungen Manne begleitet wurde.

»Unterhaltet euch nur hübsch ohne Lärm, damit ihr mich in keine Schwulität bringt,« ermahnte der Leutnant. »Du weißt, Freund Schiller, seit einiger Zeit ist der große Brummbär droben in Hohenheim in brummigster Laune, und da glauben ihm alle die kleinen und kleinsten Bären hier unten untertänigst nachbrummen zu müssen.«

»Das ist der Lauf der Welt, edle Seele im Leutnantsrock,« sagte der Doktor. »Seid Ihr nie eines Sommerabends an einem Fröschetümpel vorbeigegangen? Wenn da so ein alter, großer, vom souveränen Gefühl seiner Froschheit aufgeblasener Frosch sein Brekekekex anstimmt, gleich fallen alle die kleinen und kleinsten Frösche mit ihrem Koaxkoax ein. Die Moral von dieser naturgeschichtlichen Parabel ist, daß dermalen alle Philistäer und Philistäerinnen von Stuttgart, deren Zahl, Gott weiß es, ungefähr gerade so groß ist wie die Einwohnerzahl unserer löblichen Residenzstadt, ihr schadenfrohes Koaxkoax über einen gewissen Poeten nomine Friedrich Schiller anstimmen, maßen sie vernahmen, der Hauptfrosch des Pfuhls habe ein ungnädiges Brekekekex über besagten Poeten verlauten lassen.«

Scharffestein zog sich zurück, um den gefangenen Freund und seine Besucher beizeiten von etwaigen Störungen benachrichtigen zu können, und jetzt tat der Sammetdoktor erst in aller Form seine Begrüßung ab und präsentierte dem Dichter seine Dose mit Spaniol.

»Ihr sprecht von dem verdammten Geklatsche unserer Philister und Fraubasen, Doktor,« sagte Schiller; »aber was geht das mich an? Wüßte ich nur, ob der Brief, worin ich die Meinigen über die mir zugestoßene Fatalität zu beruhigen suchte, die gewünschte Wirkung getan. Meine gute Mutter –«

»Läßt ihren Fritz schön grüßen,« fiel der alte Herr ein.

»Wie?«

»Ja seht, lieber Sohn, ich duselte heute früh so meinen Morgenspaziergang den Hafenberg hinauf, und weil der Morgen so frisch war, ging ich immer vorwärts durch den Wald, und ohne zu wissen wie war ich mit einmal auf der Solitude. Da sah ich ganz zufällig Eure Mutter und das gescheite Mädchen, Eure Schwester Christophine, und da es gerade so mein Humor war, tröstliche Dinge zu reden, so tät ich's, und es ist mir nicht übel geraten, denk' ich.«

»Dank Euch, mein alter, mein treuer Freund! Aber sprecht mir nicht davon, daß Ihr bloß zufällig nach der Solitude gekommen. Ihr wolltet meiner Mutter Trost bringen, Doktor – ich dank' Euch von Herzen!«

»Bah, bah, hat sich was zu danken! Aber, Donner und Doria! wie neuestens die Bande zu schwören pflegt – ach, lieber Schiller, ich, fürchte, nebenbei gesagt, mit der Bande hapert's, und sie wird sich wohl auflösen – der Hauptmann fehlt ihr, und überhaupt scheint hier alles aus dem Leim gehen zu wollen – das kommt daher, daß die jungen Genies sich flügge fühlen und die Flügel probieren möchten. Hm, ja, was wollt' ich sagen? Richtig! Daß ich der unhöflichste Mensch von der Welt sei. Entschuldigen Sie mich, meine Herren. Ich beeile mich, meine Ungeschliffenheit möglichst gut zu machen.«

Und mit der Förmlichkeit eines Zeremonienmeisters stellte er die beiden jungen Männer einander vor, indem er sagte:

»Mein lieber Sohn, ich habe die Ehre, Euch hier einen jungen Künstler, Herrn Andreas Streicher, zu präsentieren, welcher Eure werte Bekanntschaft zu machen wünscht. Er ist Musiker von Beruf und ein Mensch von Ingenium. – Herr Streicher, ich beehre mich, Ihnen meinen Freund Schiller vorzustellen, den Dichter der ›Räuber‹, nebenbei Regimentsmedikus bei Augés Grenadieren und praesenti momento Arrestant.«

Schiller blickte, dem jungen Musiker die Hand gebend, in ein sanftes, intelligentes und dabei echt schwäbisches Gesicht, denn es fehlte demselben der launige Zug um den Mund nicht. Streicher seinerseits erwiderte voll Herzlichkeit den Handdruck des Dichters, vermochte aber dessen freundliche Begrüßung nur mit abgebrochenen Worten zurückzugeben.

»Ah,« sagte der Sammetdoktor lachend, »ich sehe, wie es steht. Der gute Streicher erwartete, in dem Verfasser der ›Räuber‹ einen wilden Kerl, ein ungeheuerlich aussehendes Kraftgenie zu finden, und kann sich nun vor Erstaunen nicht fassen, einen so zivil und manierlich sich darstellenden Regimentsmedikus vor sich zu haben. Ist's nicht so?«

Der Dichter lächelte. Streicher wurde rot wie ein verschämtes Mädchen. Dann faßte er sich und sagte:

»Ich gestehe, ich hatte mir von der Persönlichkeit Herrn Schillers eine andere Vorstellung gemacht. Ich konnte mir nicht denken, daß man noch so jung und doch schon so berühmt sein könne.«

Das war, Schiller fühlte es, mehr als ein gewandtes Kompliment: es war der herzliche Ausdruck des naiven Enthusiasmus einer jungen Künstlerseele.

Der Dichter kam der treuherzigen Annäherung des Musikers mit offenem Wohlwollen entgegen. Er fühlte aus dem Gespräch über Poesie und Musik, welches sich jetzt entspann, und in dessen Fortgang ihm Streicher mitteilte, daß er sich zu einer Reise nach Hamburg vorbereite, um dort unter dem Sohne des großen Bach, dem bekanntem Karl Philipp Emanuel Bach, die Komposition zu studieren, aus diesem Gespräche fühlte er mit sicherem Instinkte heraus, daß ihm in dem jungen Künstler ein neuer und treuer Freund sich genähert habe.

Und so war es. Der Jüngling, welcher ihn im Gefängnis aufgesucht hatte, um ihm seine Huldigung darzubringen, sollte ihm in den trübsten vielleicht und jedenfalls ruhelosesten und sorgenvollsten Tagen seines Lebens ein lieber Genosse werden.

Als der junge Musiker erst seine mädchenhafte Befangenheit gegenüber seinem neuen Bekannten, welcher nur um ein paar Jahre älter als er selbst und doch »schon so berühmt war«, überwunden hatte, gab er Schiller Gelegenheit, mit Vergnügen der Ausdrucksweise dieses reinen und enthusiastischen Gemütes zu horchen. Der gute Andreas verhielt sich zu seiner Kunst wie Schiller zu der seinigen, aber da ihm noch in vollem Maße die jugendliche Sorglosigkeit zu eigen war, so erfaßte er das Leben mit einem Idealismus, an welchem gleichsam noch der Tau des Schöpfungsmorgens hing, den der rauhe Wind der Erfahrung schon von der Seele des Dichters geschüttelt hatte.

Schiller erhielt im Verlaufe des Gespräches nicht nur zum erstenmal eine klarere Vorstellung, was die großen Tondichter Bach und Händel, Benda und Hiller, Haydn und Gluck für die deutsche Kunst getan und was Mozarts Genius gegenwärtig für sie tue, sondern er gewann auch die Überzeugung, daß ihm hier ein Freund zugeführt sei, dessen ideale Natur höchst wohltuend und anregend auf die seinige wirken werde. Hat er doch das Bedürfnis der Anregung von gleichgestimmter Seite her sein Leben lang lebhaft empfunden und diese Empfindung unlange nach der hier geschilderten Szene in den Worten ausgesprochen, auch der feurigsten Phantasie und der tätigsten Schöpfungskraft sei eine elastische Feder nötig, die sie in Schwung bringen und darin erhalten müsse, und die Maschine werde noch erwartet, die sich ewig selbst forttreibe, ohne aufgezogen zu werden.

Dem Schicksal dankbar für eine Gunst, welche er zu dieser Stunde doppelt empfand, benahm sich der Dichter gegen den neuen Freund mit der ganzen Liebenswürdigkeit, die ihm verliehen war. Der junge Künstler wurde förmlich bezaubert und faßte für Schiller eine schwärmerische Zuneigung. Daß der Dichter viel und oft eine solche Anhänglichkeit einflößte, daraus sproßten die tröstlichsten Rosen seiner dornenvollen Lebensbahn. Es hat vielleicht wenige Menschen gegeben, die von ihren Freunden, Männern und Frauen, so innig geliebt wurden, wie Friedrich Schiller es wurde.

Auch der Sammetdoktor erwies sich teilnahmevoll, in seiner Art freilich, die es liebte, in pathetische Stimmungen plötzlich ein humoristisches Capriccio hineinschnurren zu lassen.

Als man sich endlich trennen mußte, fragte der alte Herr den Dichter noch, ob Raleigh seit seiner Abreise nichts von sich habe hören lassen, und da der Gefragte verneinte, sagte er:

»Ja, der wird jetzt in den schweizerischen Alpen so viel Herrliches zu schauen haben, daß ihm die Lust vergeht, an die Stuttgarter Misere zurückzudenken. Ich lobe das; man muß dem Augenblicke voll und ganz zu leben wissen. Vielleicht begegnet er auch in jenem wundervollen Lande seiner treulosen Flamme wieder. Ich meine so eine entfernte Andeutung von dieser Möglichkeit in einem dieser Tage von Lavater an mich eingegangenen Briefe gefunden zu haben.«

»Wie, Doktor, was sagen Sie?«

»Nun, nun, lieber Schiller, nur nicht so hitzig! Es ist nur eine unklare Vermutung von mir, weiter nichts. Aber was ich Euch noch sagen wollte, lieber Sohn – halt, lassen Sie mich doch gefälligst ganz kollegialisch Ihren Puls fühlen. – Hm, ich möchte Euch freundschaftlichst eine baldige, eine recht baldige Luftveränderung anraten – aus puren Gesundheitsrücksichten, versteht sich. – Unser Freund Streicher da streicht auch demnächst ab, und er tut wohl daran. Junge Leute, absonderlich Poeten und Musiker, müssen die Welt sehen. Sie sind auch, die Poeten und Musiker nämlich, ganz passende Kumpane, um mitsammen eine Reise zu tun, vermut' ich. – Ja, und wißt Ihr auch schon, Herr Kollega, dessen Puls ich bedenklich aufgeregt finde, die große Neuigkeit? Vielleicht wird dadurch die seit einiger Zeit merkwürdig schlechte Laune unseres allergnädigsten Landesherrn wieder verbessert. Er erwartet seinen Bruder Friedrich Eugen und dessen Tochter, seine Nichte, die Großfürstin Maria Feodorowna, mit ihrem Gemahl Paul, dem künftigen Kaiser von Rußland, zu Besuch. Es werden ungeheure Vorbereitungen zum Empfang der hohen Herrschaften getroffen. Es soll bei dieser Gelegenheit hoch hergehen, ganz wieder im alten Prachtstile Herzog Karls. Eine Unzahl von Gästen wird erwartet. Es wird ein Getümmel, Getreibe und Gelärme geben, daß einem poetischen Gemüte, vermut' ich, angst und bang werden könnte, bis zum – Davonlaufen. – Ja, und, halt' mal, auch das noch! Denkt Euch, lieber Schiller, der Schubart, der närrische arme Kerl hat, hört' ich, dieser Tage hierher geschrieben, der Herr General von Scheler habe ihm gesagt, es sei wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich, daß er, Schubart nämlich, bald einen Bruder in Apollo auf dem Asperg begrüßen würde, zu längerem Beisammensein daselbst. Der Herzog habe ihm, dem General, das eigenmündig mitgeteilt. – So, jetzt ist mein Neuigkeitskasten geleert. – Adieu, lieber Schiller, und nehmt meinen Glückwunsch, daß Ihr morgen aus dieser verwünschten Spelunke loskommt. Es wohnt sich häßlich hinter vergitterten Fenstern und – es lebe die Freiheit!«


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