Johannes Scherr
Novellenbuch. Erster Band
Johannes Scherr

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Fünftes Kapitel.

welches zunächst zeigt, daß Herder mit Grund sagen konnte: »Wer ausharret, wird bekrönt!« – sodann von Postwagen und Posthörnern, von Wiedersehen und Abschied handelt und endlich mit orientalischen Versen schließt.

»Reden Sie gut und sanft mit ihr,« sagte am Abend des folgenden Tages die greise Lebensgefährtin des Predigers zu Raleigh, welchen sie im Garten aufgesucht hatte. »Ja, recht gut und sanft müssen Sie mit ihr reden. Das arme Kind hat soviel gelitten.«

»Seien Sie unbesorgt, verehrte Frau,« entgegnete der junge Mann. »Wie könnte ich denn anders als so zu Lauretta sprechen? Aber sagen Sie, wie geht es ihr? Hat sie sich ausgeruht, hat sie sich gefaßt?«

»Sie besitzt eine starke Seele, aber dennoch wird eine peinliche Erinnerung noch lange in derselben nachzittern. Im übrigen ist sie gesund und gefaßt. Meine Hausmittel haben das leichte Fieber vollständig bewältigt –«

»Wie dankbar bin ich Ihnen, verehrte Frau, für Ihre hilfreiche Güte!« fiel Raleigh lebhaft ein. »Ich wäre gestern in einer peinvollen Lage gewesen, wenn sich Ihr Haus nichts als ein gastlicher Zufluchtsort mir aufgetan hätte.«

»Aber das verstand sich doch von selbst.«

»Ja, für Ihre Herzensgüte, verehrte Frau, und für den Edelmut Ihres trefflichen Gatten war das etwas Selbstverständliches. Mich quält jedoch das Bedenken, ob ich nicht den Zorn des Herzogs auf Ihr gastliches Dach gelenkt.«

»Darüber brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. So, wie wir den Herzog kennen, wird er, auch wenn er Ihr und Fräulein Laurettas Hiersein erführe, die Sache auf sich beruhen lassen. Erstlich, weil er feig ist, und zweitens, weil er aus Erfahrung weiß, daß mit meinem guten Alten nicht zu spaßen ist. Ich möchte fast wetten, daß mein Mann Nachrichten aus der Stadt mit heimbringt, die Sie über die Folgen Ihres gestrigen Abenteuers völlig beruhigen werden. Sie wissen, der Herzog hat in aller Frühe dieses Tages die Eremitage verlassen, nachdem er Befehl gegeben, das wunderliche Bauwerk, den Berg Sinai, sofort zu demolieren.«

»Ja, und Fräulein Lauretta gestattet mir also, sie zu sehen?«

»Sie wünscht es, und glauben Sie mir, Sie werden empfangen werden, wie Ihre Hingebung es verdient.«

So war es auch.

Lauretta kam dem treuen Freunde stillgefaßt entgegen. Die liebevolle Besorgnis, welche sich beim Anblick der Blässe ihrer Wangen in Raleighs Augen verriet, tat ihr Wohl bis ins innerste Herz.

»Sie sollen sich nicht beunruhigen, mein edler Freund,« sagte sie, indem sie ihm einen Stuhl zurechtrückte. »Ich bin ganz wohlauf, gewiß, ich bin es.«

Und mit ihrem reizenden Lächeln fügte sie hinzu:

»Wie könnte es auch anders sein, wenn man sich in so treuer Hut weiß?«

»Fräulein,« sagte er, »ich habe mir diese Unterredung erbeten, um eine Bitte an Sie zu richten –«

Er hielt inne, als er zu bemerken glaubte, daß bei seinen Worten ein leises Zittern über die schöne Gestalt hinlief.

»Sprechen Sie, mein Freund,« sagte sie, indem sie, sich bezwingend, ihm gegenüber Platz nahm, »aber gestatten Sie, daß ich Ihnen zuvor sage, daß bis zu meinem letzten Atemzuge die Dankbarkeit, die ich Ihnen schulde, in meiner Seele leben wird. Sie müssen freilich,« fuhr sie erregter fort, während ihre Wangen sich röteten, »Sie müssen freilich mit nur allzu gutem Grunde glauben, ich sei ein undankbares Geschöpf. Ich jagte in törichtem Übermut einem Phantom nach, statt das wahre Glück an meinem Wege zu beachten. O, wievieles Leid und welche qualvolle Beschämung wären mir erspart worden, wenn ich damals in Gmünd Ihrem Edelmute vertraut hätte! Doch wozu helfen Klagen? Es ist vorüber.«

»Lassen Sie es vorüber sein, Lauretta. Sehen Sie, dahin geht die Bitte, von welcher ich sprach. Ich möchte Sie so gerne glücklich wissen. Daher lassen Sie die Vergangenheit vergangen sein und ruhen für immer. Ein rechter Mensch lebt ja stets in der Gegenwart. Indem er diese frisch und froh anfaßt, baut er sich die Zukunft.«

»Ich verstehe Sie, Raleigh. Ihre Großmut möchte mir jeden Vorwurf ersparen, und doch ist alle Ihre Milde unvermögend, mich vergessen zu machen, welches schnöde und hartnäckige Unrecht ich an Ihnen begangen.«

»Armes Kind, schon wieder von Vergangenem? Aber wohlan, wenn Sie glauben, mich falsch beurteilt zu haben – denn darin kann doch wohl nur das Unrecht bestehen – haben Sie es nicht glänzend gutgemacht? Haben Sie mich nicht den Triumph erleben lassen, daß ich annehmen darf, Sie überzeugt zu haben, es lebe kein Mensch, der es besser mit Ihnen meine als ich?«

»Ich weiß es,« versetzte sie leise.

»Glauben Sie nicht, Lauretta, ich hätte das gesagt, um Ihren Dank herauszufordern. Ich möchte daraus bloß die Berechtigung ableiten, Ihre Zukunft sicherzustellen.«

»Immer gütig und selbstsuchtslos!«

»O glauben Sie das nicht!« rief Ryleigh aus, unfähig, seine tiefe Bewegung länger zu bemeistern.

Sein Ton, sein Blick verrieten ihr die Gefühle des Freundes, und sie hätte müssen kein Mädchen sein, wenn sie nicht geahnt hätte, was kommen mußte.

Er fuhr fort:

»Sie stehen einsam in der Welt –«

»Ich war es, bis –«

»Bis?«

»Bis ich Ihre Treue erkannte.«

Ein helles Freudenleuchten überflog Raleighs Stirne. Lauretta senkte vor seinem Blick das Auge. Dann schlug sie es zu ihm auf, ohne Leidenschaft, aber auch ohne Bangen und voll Vertrauen.

»Lauretta,« sagte er, »Sie haben nie das friedliche Glück eines liebevollen Familienlebens gekannt.«

»Ach nein, und vielleicht war dieses Mißgeschick das Grundmotiv aller meiner Verirrungen.«

»Drüben, jenseits des Ozeans, in meinem Vaterlande, dessen Freiheit jetzt durch einen glorreichen Frieden doppelt gesegnet ist, dort am Ufergelände des schönen Potomak steht ein wohlgeborgenes Haus, beschattet von Sykomoren und Lebenseichen. Von dort späht eine zärtliche Mutter sehnsüchtig den Fluß hinab, ob denn noch immer keine Barke ihr den lange zögernden Sohn zurückbringe. Er würde doppelt willkommen sein, wenn er der alten Frau auch eine Tochter mitbrächte –«

»Raleigh –«

»Eine Tochter, deren Anblick der Mutter das lange Ausbleiben des Sohnes begreiflich machte.«

»Großmütiger Mann, Sie werben um die Hand einer Abenteurerin?«

»Vorgestern, Lauretta, sagte ich unserem trefflichen Wirte, der Weg, den Sie gegangen, habe mit seinem Staub und Schmutz nicht einmal bis zu Ihren Fußsohlen hinangereicht.«

»Dürfte ich mich überreden, William, daß Sie mich achten könnten?«

»Wie könnte ich Sie denn sonst lieben?«

»Und wenn – wenn Ihre Mutter Sie fragt: Wen bringst du mir da ins Haus?«

»Dann werde ich antworten: Ein Wesen, das mich und dich glücklich macht, Mutter, und hierauf wird sie sagen: Gottes Segen über euch, Kinder! Wir wollen glücklich sein.«

»Das ist die Sprache des Herzens, einfach und wahr wie die Natur, wie die Redlichkeit. Könnte ich hoffen, Ihnen alle Ihre Güte, Großmut und Treue wenigstens einigermaßen zu vergelten, William.«

»Sie werden es, Lauretta, gewiß, Sie werden es.«

»Ich möchte Ihnen so gerne glauben! Ist mir doch, als hätte ich in wenigen Tagen, in wenigen Stunden sogar viele Jahre verlebt, Jahre voll Bitterkeit. Aber glauben Sie mir, was ich erfahren, soll nicht verloren sein. Ich weiß jetzt, daß das Weib nicht geschaffen ist, auf sich selbst zu stehen und ihr Glück selber zu schmieden, sondern –«

»Sprechen Sie, liebes Herz!«

»Sondern es von einem starken, redlichen und gütigen Manne zu erwarten.«

»Und glauben Sie, Lauretta, daß ich von ganzer Seele entschlossen bin, alles zu tun, was ich nur immer kann, um dieser vertrauungsvollen Erwartung zu entsprechen?«

»Ich glaube es, William, nein, ich weiß es.«

Sie legte ihre Hand in seine dargebotene und sagte:

»Wenn Sie diese Hand begehren, William, hier ist sie. Glauben Sie mir, es wird nicht meine Schuld sein, wenn das Herz ihr nicht nachfolgen sollte. Doch, teurer Freund, bedenken Sie sich noch einmal! Diese Hand ist leer, sie ist die einer Bettlerin –«

»Ja, einer Bettlerin, die einen Krösus bereichern könnte. Aus dieser Hand empfange ich eine Fülle von Glück.«

»Möchte es so sein! Das wenigstens – sehen Sie mir diese letzte Regung des Stolzes nach – das wenigstens glaube ich sagen zu dürfen, daß an der Hand, welche Sie in der Ihrigen halten, nichts Unreines haftet.«

Er zog sie, an sich, und sie widerstrebte nicht dem sanften Zwange. Er küßte die feuchten Augen der Errötenden, und sie berührte mit ihren Lippen leise die Narbe auf seiner Wange.

»O, William,« flüsterte sie, »schon dieses Ehrenzeichen hätte Sie mir achtungswert und teuer machen sollen.«

»Warum, Kind? War es denn etwas so Bedeutendes, ein paar Tropfen Blutes zu opfern, wo Tausende braver Männer freudig ihr Leben darbrachten?«

»Es muß so schön sein für einen Mann, für das Vaterland zu kämpfen!«

»Ja, Herz, es ist schön, und zukunftsreich ist auch das Land, für welches dieser gute Kampf gefochten wurde. Ich liebe es heiß, und das beweise ich ihm aufs neue, indem ich ihm eine solche Bürgerin zuführe. Doch verzeihe, Geliebte, wenn gerade die Erinnerung an Amerika eine Sorge in mir erweckt, welche auszusprechen vielleicht unzart ist. Darf ich reden, Lauretta?«

»Wie du nur fragen kannst, William! Bist du nicht von dieser Stunde an mein Herr? Und macht es mich nicht glücklich, dir gehorsam zu sein?«

»Wie gut du bist! Aber der Gehorsam in der Ehe muß ein gegenseitiger sein oder vielmehr, ein gutes Weib ist im Grunde stets die Herrin. Gehorchend herrscht ihr.«

»Wohl, so will ich gehorchend herrschen,« sagte Lauretta, und ein Lächeln, welches ihren Verlobten entzückte, führte auf ihr schönes Antlitz einen Widerschein ihrer früheren Heiterkeit zurück. »Befiehl du mir, William.«

»Nein, ich wünsche nur. Es ist die höchste Zeit, daß ich in mein Vaterland zurückkehre. Hätte auch meine Mutter keine Ansprüche auf mich, so geziemte es doch dem Bürger eines Freistaats nicht, länger müßig in der Fremde herumzuschwärmen. Vielleicht nimmt neben meinen Privatgeschäften auch der öffentliche Dienst, welcher nach der ungeheuren Verwirrung dieses Krieges gewiß vieler Hände bedarf, meine Kräfte in Anspruch. Dennoch, wenn du den leisesten Wunsch hegtest, noch eine Zeitlang in Europa zu leben –«

»O nein, nein! Ich lasse hier nur Erinnerungen zurück, zwischen denen und mir das Weltmeer bald, recht bald fluten mag. Und wenn du noch zu dieser Stunde gehen willst, ich folge dir.«

»Ich danke dir von Herzen, und – laß es mich gestehen – ich habe es, nachdem du einmal mein Werben erhörtest, nicht anders erwartet. Aber, teures Kind, wir haben eine weite Reise vor uns – und –«

Sie verstand sein Stocken und den Blick, welcher dasselbe begleitete. Einen Augenblick bebte sie in mädchenhafter Scheu, aber dies hochherzige Wesen wußte nichts von Ziererei. Sie fühlte, der Schicksalswurf war getan, für immer. Alles andere war nicht mehr der Rede wert. So sagte sie denn:

»William, du bist mir alles, Vater und Mutter, Bruder und Schwester, du kannst also nichts von mir verlangen, was sich nicht geziemte. Ich vertraue dir ganz, und wenn du glaubst, daß es mir nur gezieme, mit einem legitimen Beschützer zu reisen, so –«

»Dank dir, du Gute, Liebe, Verständige!« rief er mit inniger Freude aus, und in seinem Jubel setzte er hinzu: »Jetzt fehlt uns nur noch der Pfarrer.«

»Nein, der ist schon da,« sagte die Stimme des Predigers, der unvermerkt eingetreten war.

Raleigh führte frohbewegt dem würdigen alten Herrn seine Braut entgegen.

»Ich bin ein Mann von der alten Schule,« sagte der Pastor, »und lass' es mir daher nicht nehmen, meinen Glückwunsch der schönen Braut auf die Stirne zu küssen.«

Er tat, wie er sagte, und setzte dann hinzu:

»So hat sich denn alles glücklich gefügt, liebe Kinder! Freut mich herzlich und des Himmels Segen über euch! Auch den der Kirche sollt ihr haben, morgen schon, wenn ihr wollt.«

Raleigh blickte fragend auf Lauretta.

Sie barg das errötende Haupt an seiner Schulter und flüsterte:

»Dein Wille ist mein Wille.«

»So ist's recht,« sagte der alte Herr. »Also morgen. Und wir haben auch gar keine Störung der Hochzeit zu besorgen, denn sehen Sie, Freund Raleigh, die Geschichte in der Residenz hat richtig den Verlauf genommen, welchen ich voraussetzte. Sobald der Herzog in die Stadt zurückgekommen war, hat der Herr Magus den Laufpaß bekommen, und zwar, wie ich hörte, in sehr unliebsamen Worten. Der Hofprediger, der infame – doch genug, er ist seines Amtes entlassen. Der Herzog denkt bereits gar nicht mehr an die ägyptische Schnurre, aber zum Ersatz mußte er sogleich eine andere haben. Raten Sie, auf was er jetzt verfallen ist? Aber Sie können es unmöglich erraten. Einen Roman will er schreiben, ja, und auch drucken lassen! Er hat sich schon alles Ernstes dahintergesetzt, wie mir der Herr Kanzlei sagte. Nun, das ist wenigstens eine harmlose Torheit. Glück zu!«

Einige Tage darauf fuhr in einem thüringischen Flecken, welcher an der großen Straße von Leipzig nach Frankfurt am Main liegt, eine Extrapostchaise, in welcher ein Herr und eine Dame saßen, beim Posthause vor, im nämlichen Augenblick, wo von der entgegengesetzten Seite her der Frankfurter Postwagen bei der Station anlangte, so daß das Blasen der beiden Postillione ineinanderklang.

Während der Extrapostreisende, welcher rasch weiter wollte, bei dem dienstfertig herbeigeeilten Postmeister die Beschaffung neuer Pferde betrieb, scholl es aus dem Schlage des Frankfurter Wagens plötzlich im Tone freudiger Überraschung:

»Raleigh!«

Beim Tone dieser Stimme fuhr die Dame, welche in der offenen Chaise sitzen geblieben, halb in die Höhe. Dann zog sie ihren Reisepelz fester um Schultern und Nacken und verharrte ruhig auf ihrem Platze.

Der Amerikaner trat an den Schlag des Postwagens, gerade als derselbe heftig aufgerissen wurde.

Einer der Passagiere sprang heraus, wickelte sich aus seinem Mantel und – »Schiller!« rief nun seinerseits Raleigh froh überrascht aus.

Die Freunde lagen sich in den Armen, und nachdem die ersten ungestümen Fragen über das Woher und Wohin ausgetauscht, sagte William, den Dichter teilnahmevoll betrachtend:

»Du hast dich, seit wir uns nicht mehr sahen, sehr zu deinem Vorteil verändert, bist reifer, männlicher und sogar schöner geworden, lieber Friedrich.«

»Danke für das Kompliment, lieber Alter,« entgegnete Schiller lachend. »Ich bin ein wahres Ungeheuer von Schönheit, das ist bekannt. Wenigstens war das seinerzeit im Ochsen zu Stuttgart bekannt genug. Ach, die schönen wilden Träume und Wirklichkeiten der Jugend, wie sind sie mir schon so fern gerückt! Das Leben ist doch ein schrecklicher Wirbel. Aber man muß sich fest und oben halten, sonst wird man beiseite geschleudert.«

»Und wie sind deine Verhältnisse, deine Aussichten, deine Hoffnungen?«

»Meine Verhältnisse sind dermalen eigentlich gar nicht, das heißt, ich bin wieder zwar nicht vogelfrei, aber doch frei wie ein fahrender Poet. Lieber William, mir ist oft, als würde ich das mein Leben lang bleiben, und doch kommen Stunden, ja, und immer häufiger kommen sie, wo ich eine brennende Sehnsucht nach einer stillumfriedigten Häuslichkeit empfinde. Wäre mir nur die Fähigkeit gegeben, das Leben an einer seiner Ecken zu packen! Allein ich glaube, ich muß schon warten, bis es eine geschicktere Hand für mich tut. Halbwegs und sogar etwas mehr, als halbwegs bin ich übrigens willens, den idealischen Regionen einstweilen den Rücken zu kehren und mich auf dem Gebiete der Lebensprosa anzubauen, sei es als Arzt, sei es als akademischer Dozent. In Mannheim könnt' ich es nicht mehr aushalten. Das Theatervolk ist eine schreckliche Rasse, welche mich mit Verdruß und Beschämung erkennen machte, daß meine Ansicht von der Bühne als einer ästhetischen Bildungsanstalt für die Nation nicht durchzuführen sei, wenigstens dort und gegenwärtig nicht. Vielleicht dringt dieser Gedanke später doch durch. Für jetzt gehe ich nach Sachsen, wohin treffliche Freunde mich eingeladen.«

»Ich freue mich zu sehen, daß deine Mannheimer Widerwärtigkeiten dich wenigstens nicht entmutigt haben.«

»Entmutigt? Nein. Mein bisheriges Streben war auch nicht ganz erfolglos. Meine Dramen machen die Runde auf den deutschen Bühnen, und ich habe mir an der Hand meiner Muse sogar die Rückkehr in die Heimat erzwungen.«

»Ich weiß es. Unser Freund, der Sammetdoktor, schrieb mir, die ›Räuber‹ seien in Stuttgart unter ungeheurem Beifall aufgeführt worden.«

»Ja, und auch ›Kabale und Liebe‹. Meine Mutter und meine Schwestern wohnten der Darstellung bei, und beim Heraustreten aus dem Theater beglückwünschte sie das Publikum. Die gute Mutter schrieb mir, sie sei vor Beschämung und Freude fast in den Boden gesunken. Siehst du, das ist doch auch etwas. Hinterher beschwerte sich der Adel freilich bei dem Herzog, und die Wiederholung des Stückes wurde untersagt. Aber sie wissen jetzt doch wenigstens daheim, daß der Fritz Schiller kein Lump ist. Und weißt du auch, daß du in mir einen neugebackenen Herzoglich Weimarischen Rat vor dir hast? Hab Respekt, Mann, sag' ich.«

»Das hab' ich. Aber wie kamst du denn zu dieser Würde?«

»Man ermunterte mich, dem Herzog Karl August, als er zu Neujahr bei der landgräflichen Familie zu Darmstadt zu Besuch war, mich vorstellen zu lassen. Ich ging hinüber, wurde gnädig aufgenommen und las im Kreise der Fürstlichkeiten den ersten Akt meines ›Don Karlos‹ vor, worauf mir der Herzog den Ratstitel verlieh. Doch genug jetzt von mir und laß uns von dir sprechen. Du siehst so glücklich und zufrieden aus.«

»Dazu hab' ich auch alle Ursache.«

»Freut mich. Und du kehrst also nach Amerika heim?«

»In aller Eile, aber nicht allein.«

»Wie?«

»Komm,« sagte Raleigh und führte den Freund zu seinem Wagen, wo er scherzhaft zeremoniös hinzufügte: »Ich beehre mich, dir hiermit meine junge Frau vorzustellen.«

Die Dame schlug Pelz und Schleier zurück und bog sich mit holdem Erröten über den Wagenrand.

»Lauretta?« stieß Schiller in höchster Überraschung hervor.

»Ja, Lauretta, teurer Freund,« sagte sie freundlich und bot dem Staunenden die Hand. Er fühlte nicht, daß diese Hand leise in der seinigen zitterte.

»Wie ist das möglich? Träume ich?« fragte er, vergeblich sich bemühend, seiner Überraschung Herr zu werden.

»Glücklicherweise träumst du nicht,« erwiderte Raleigh lächelnd.

»Aber wie ist das so gekommen?«

»Du sollst alles erfahren. Von Paris aus, wo wir uns einige Tage aufhalten müssen, schreib' ich dir – mein Wort darauf! Es ist ein ganzer Roman.«

»Und – und – Lauretta, teure Freundin, sind Sie glücklich?«

Sie zog ihre Hand zurück, reichte sie ihrem jungen Gatten und sagte mit einem Nachdruck, der Raleighs Augen von Freude leuchten machte:

»Ich bin glücklich!«

»O dann ist alles gut!« rief der Dichter hochbewegt aus. »Alle besten Wünsche, die je aus Freundesbrust kamen, über Sie, Lauretta, und über dich, William!«

»Wir nehmen sie an,« erwiderte die schöne junge Frau, »und sie seien uns ein glückliches Vorzeichen zur Reise übers Weltmeer und durch das Leben. Möchten wir bald, recht bald von Ihnen hören, teurer Freund, daß auch Sie Ruhe und Glück gefunden.«

Aber es mußte geschieden sein. Der Postillion auf dem Sattelpferde blies sein Signal, die Pferde zogen an und dahin rollte der Wagen des jungen Paares. Der Dichter sah ihm mit feuchten Augen nach. Raleigh bog sich aus der Chaise und winkte dem Freunde noch einen Abschiedsgruß zu.

Schiller hoffte sehnlich, auch Lauretta müßte noch einen Blick nach ihm zurücksenden; aber sie fuhr hin, ohne sich umzusehen. Das tat ihm doch bitterlich weh – er konnte ja nicht wissen, daß ihr unter ihrem Schleier schwere Tränen über die Wangen rollten – und als nun der Wagen hinter den Bäumen der Heerstraße verschwunden war, da wandelte den Dichter das Gefühl an, als sei jetzt erst seine Jugend hinter ihm versunken, unwiederbringlich versunken und verschollen.

Das abermalige Schmettern des Posthorns rief, den Betäubten zur Weiterreise. Wäre der mahnende Klang nicht der eines, deutschen Posthorns, und wäre Hafis damals schon in Deutschland bekannt gewesen, der deutsche Dichter hätte mit dem persischen sprechen können:

O horch! der Karawanenglocke Stimme gellt,
Und wieder in das weite, wüste, wilde Feld
Des Lebens ist die heißbetränte Fahrt gestellt.


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