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Die Freunde

Unter den Brücken der Stadt hindurch floß der Strom, breit und ruhig. Die unzähligen Lichter, die von den Laternen der Uferstraßen und den Fenstern der Häuser auf ihn herunterstrahlten, spiegelten sich in seinem dunklen Wasser, das sich mit leisem Rauschen zwischen den gewaltigen steinernen Pfählen hindurchzwängte, über die der Zug der heimkehrenden Spaziergänger ging und die Straßenbahnen mit rasselndem Gepolter hinüberdröhnten.

Weiter oberhalb der Stadt, wo die Häuser allmählich spärlicher wurden und die Straßen sich vom Fluß zurückzuziehen schienen, breiteten sich Wiesen aus, die weit und flach bis zum Horizont sich erstreckten, wo eben ein fernes Gewitter hinter einer dunklen Wolkenwand mit unruhigem Aufflammen die Gegend beleuchtete.

Über diese Wiesen führte der Kriegspfad der Knaben. Sie schlichen dort hinter den eingebildeten Feinden her. Unerhörte Taten der Kühnheit wurden vollbracht und unzählige Skalpe erbeutet. Piddl schwang seinen Tomahawk wie ein Mohikanerhäuptling, und Röhnholz und Barg spielten ihre Rollen als Siouxindianer mit gleicher Ausdauer. Bis auf den Unfall des dicken Langlotz, der unversehens in einen Wassergraben gefallen war und so wenig indianischen Gleichmut bewiesen hatte, daß er spornstreichs nach Hause gelaufen war, war alles gut abgelaufen. Man hatte unter den Bleichgesichtern furchtbar aufgeräumt. Endlich aber gebot die »Giftige Schlange« Halt.

Alle warfen sich auf Kommando ins Gras.

»Ich glaube, wir können jetzt vorläufig das Kriegsbeil begraben,« sagte Barg, der vom Laufen ermüdet war und zugleich fürchtete, bei gar zu spätem Nachhausekommen eine Behandlung zu erfahren, die der Würde eines Indianerhäuptlings nicht entsprechen würde.

»Aber es hat ja eben erst neun Uhr geschlagen,« rief Piddl. »Wann mußt du denn zu Hause sein?«

»Neun?« sagte Barg. »Dann ist es wirklich am besten, wenn wir für heute das Kriegsbeil begraben.«

»Ach was,« rief Piddl, noch glühend vom Spieleifer. »Kommt mit, wir wollen uns bis zum Flusse schleichen. Vielleicht liegt das Boot wieder da, das wir da neulich gesehen haben. Damit können wir heute abend fein ein bißchen fahren!«

»Jawohl,« sagte der »Große Hund« und sprang auf, entzückt von dem Vorschlag. »Es ist dunkel genug, und heute abend wird das Boot doch nicht mehr gebraucht.«

Die »Giftige Schlange« zögerte.

»Wem gehört das Kanu?« fragte er.

»Das ist egal,« rief Piddl.

»Ganz egal,« pflichtete der »Große Hund« bei.

»Wenn der ›Fliegende Pfeil‹ es wagen will,« entgegnete der Häuptling mit unnachahmlicher Würde, »ich habe nichts dagegen. Ihr seid zu zweien stark genug.«

Der »Große Hund« und der »Fliegende Pfeil« sahen ihren Häuptling erstaunt an. Ihr Respekt sank in diesem Augenblick auf einen bedenklichen Tiefstand herab.

»Geh in deinen Wigwam zu deiner Squaw,« höhnte Piddl.

»Was glaubt ihr denn?« knurrte die »Giftige Schlange« wütend. »Es ist neun vorbei, und ich kriege die schönste Senge, wenn ich nach halb zehn zu Hause komme.«

Der durchgebläute Siouxhäuptling schien den beiden andern ein so komisches Bild, daß sie in Lachen ausbrachen.

»›Großer Hund‹, bist du bereit?« fragte Piddl, ohne Barg weiter zu beachten.

»›Fliegender Pfeil‹, ich folge dir!« rief Fritz Röhnholz.

Die beiden standen auf und verließen Barg, der sich ärgerlich und verstimmt auf den Nachhauseweg machte, nach wenigen Schritten stehenblieb, sich aus die Lippen biß, den andern beiden unentschlossen nachsah, die in der tiefer sinkenden Dämmerung bald seinen Augen entschwanden, um dann schneller als vorhin auf die Stadt zuzueilen.

Piddl hatte den Platz am Flusse, wo das Kanu an seiner Kette zu liegen pflegte, bald wieder entdeckt. Es war ein großes, schwerfälliges Ruderboot, ohne Kiel, aus mächtigen Eichenbohlen erbaut und für ein paar Knabenhände beinahe zu schwer zu regieren. Die meiste Mühe aber machte die Ankerkette.

Sie war an einem armdicken Pfahl befestigt, der in den Ufersand getrieben war.

Die Knaben zerrten und rissen daran, ohne sie lösen zu können. Nach einigen vergeblichen Anstrengungen verfiel Piddl darum auf die Idee, lieber den Pfahl aus der Erde zu ziehen und mit der Kette ins Boot zu nehmen.

Beide strengten ihre Kräfte an, rüttelten und zerrten, bis der Pfahl in dem lockeren, nassen Ufersande allmählich nachgab und sich nach einigen Minuten aus dem Boden ziehen ließ.

Herzklopfend von der Anstrengung und von der Aufregung, die ihnen das Abenteuer verursachte, schoben sie ihn mit der Kette ins Boot, sprangen selbst nach und waren im Begriff abzufahren, als sie bemerkten, daß auch die Ruder auf dem Boden des Bootes festgekettet lagen.

Aber ein Zurück gab es nun nicht mehr. Das Boot war bereits vom Strom erfaßt und trieb langsam und geräuschlos weiter und weiter vom Lande ab.

»Ohne Ruder sind wir verloren,« flüsterte Fritz Röhnholz aufgeregt und ein wenig angstvoll.

»Wozu haben wir den Pfahl?« fragte Piddl zurück, und beide machten sich daran, die Kette, welche die Ruder hielt, mit dem untergeschobenen Pfahl zu sprengen.

Endlich brach sie, und die Ruder lagen frei.

»Wir müssen zu zweien rudern,« riet Piddl. »Der Strom geht heute abend zu stark. Es scheint Ebbe zu sein.«

Unregelmäßig klangen die Ruderschläge der Knaben über das Wasser hin, die das Boot stromaufwärts zu rudern versuchten, damit sie nicht zu weit abwärtstrieben und nachher die Möglichkeit hatten, das Boot an seinen Liegeplatz zurückzubringen.

»Ich glaube, wir zwingen's nicht,« sagte Piddl.

Er fühlte, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterzurieseln begann. Keuchend vor Anstrengung ließ er das Ruder ruhen.

Das Boot lag schwer wie Blei im Wasser und war in der ganzen Zeit kaum einige Meter weitergerückt, während das Wasser mit leise klatschenden, gurgelnden Wellen unter dem Bug ihnen eine rasche Fahrt vorgetäuscht hatte. Aber ein Vergleich mit der Stelle, wo das Boot angekettet gelegen hatte, dort, wo die alte Weide ihre Zweige über den abenddunklen Strom neigte, bewies deutlich, wie sehr sie sich geirrt hatten.

Auch Fritz Röhnholz hatte sein Ruder sinken lassen. Nun hörte das Klatschen der Wasser unter dem breiten Bug des Schiffes auf. Lautlos trieb es mit dem Strom abwärts, der Stadt zu, die zu beiden Seiten des Flusses ihre Mauern emporschob.

Ein Kahnschiffer trieb auf trägem Boot langsam vor ihnen her. Der weiche, laue Wind des schwülen Abends vermochte das schwere Segel seines Kahnes nicht zu spannen: so hatte er keine andre Mühe, als auf das Steuer zu achten, damit er die Tonnen vermied, die das Fahrwasser begrenzten. Von fern kam den Knaben ein Lustdampfer nach, der, mit Menschen gefüllt, wieder zur Stadt strebte. Lustig klang die Musik der Kapelle vom Deck des Schiffes über das stille Wasser herüber.

»Verdammte Geschichte!« sagte Piddl und griff wieder nach seinem Ruder. »Wir müssen es noch mal versuchen, Fritz! Wenigstens müssen wir dem Dampfer da aus dem Wege gehen, daß wir nicht in die Wellen hineinkommen, die der wirft.«

Beide begannen wieder zu rudern. Weil sie jetzt mit dem Strom fuhren, kamen sie bald aus der Fahrrinne heraus und trieben nun näher am Ufer hin. Aber unaufhaltsam ging die Fahrt flußabwärts, und ehe sie sich versahen, hatten sie die Stadt erreicht, wo sich die steinernen Bollwerke der Ufer zu beiden Seiten des Flusses wie die Mauern einer uneinnehmbaren Festung vor ihnen erhoben. Oben aber reckten sich Packhäuser mit rauchgeschwärzten Giebeln hoch und schmal in die abenddunkle Luft.

»Wenn wir hier nur anlegen könnten – ich spränge aus dem Schiffe und ließe es einfach treiben,« flüsterte Piddl seinem Freunde zu, der bleich am Ruder saß und ebensowenig wußte, was er raten oder beginnen sollte.

»Das geht nicht,« antwortete er. »Wir müssen sehen, daß wir in den Hafen kommen. Da sind Steigleitern am Bollwerk. Vielleicht können wir da 'nauf.«

»Das ist aber noch 'ne gute Strecke, bis wir da sind,« flüsterte Piddl.

Es war dunkler und dunkler geworden. Der Himmel hatte sich stärker bewölkt, und die Blitze des fernen Gewitters leuchteten heller und drohender hinter den Wolken auf.

Ganz leise meldete sich jetzt auch der Donner. Er ging mit einem dumpfen, schütternden Stoßen durch die warme, schwüle Luft.

Der Dampfer hinter ihnen hatte schon Lichter gesetzt, und man hörte deutlich die Räder, wie sie mit ihren Schaufeln schäumend das Wasser schlugen.

Lautlos führte der Fluß den Kahn weiter stromabwärts und trieb ihn unter der Brücke durch, wo das eingeengte Wasser sich rauschend zwischen den Pfeilern hindurchzwängte. Aber immer noch war kein Ende der unfreiwilligen Fahrt abzusehen. An verankerten Bockschiffen, die lang und niedrig, mit gewölbten Rücken auf dem Wasser lagen, ging es langsam, aber unaufhaltsam vorüber, an Seglern, die mit gerefften Leinen von der Mannschaft wieder zu ihren Liegeplätzen zurückgerudert wurden, an den Tonnen, die das Fahrwasser begrenzten und leise unter dem Druck des strömenden Wassers hin und her rollten, als badeten sie sich voll Behagen nach dem heißen Tage in dem laulichen Wasser.

Wieder war eine Brücke passiert, und das Bild des Stromes wurde bunter und bunter. Vergnügungsdampfer kehrten von der See heim, stampften mit keuchenden Maschinen den Strom hinauf, pfiffen und tuteten und ließen ihre Kapellen spielen, über und über mit Lampions behängt. Aber lautlos und still glitt der Kahn mit den beiden Knaben zwischen all der Unruhe hindurch.

Piddl stand der Schweiß auf der Stirn. Man mußte aufpassen wie ein Luchs. Wie leicht konnten sie von einem Dampfer im Dunklen überrannt, von einem Segelboot angerempelt werden, kentern und rettungslos ertrinken!

Um Fritz nicht mutlos zu machen, schwieg er und lugte nur krampfhaft nach vorn, um hin und wieder durch ein paar Ruderschläge dem Boote eine andre Richtung zu geben, das sich immer wieder breit vor den Strom legte und nur widerwillig bei heftiger Anstrengung der Knaben sich dazu bequemte, die Nase in der Fahrtrichtung zu halten.

Nun fielen die ersten Regentropfen, schwer und warm. Mit hörbarem Klatschen fielen sie auf die Dielen des Bootes.

»Piddl,« flüsterte Fritz, »nun regnet's auch noch.«

»Meinst du, ich bin blind?«

»Ne,« sagte Fritz, und in sein Gesicht trat ein weinerlicher Ausdruck. »Ich wollte, wir hätten das Schiff gelassen, wo's lag.«

»Das wollt' ich jetzt beinahe auch!« höhnte Piddl giftig. »Paß nur auf dein Ruder auf. Das ist besser als die dumme Rederei. Wir müssen hier gleich am Hasenkopf sein ...«

Krampfhaft ruderten sie dem Blitzlicht entgegen, das die Hafeneinfahrt anzeigte.

Der Regen war stärker und stärker geworden. Er fiel jetzt in rauschenden Strömen, sprang in hüpfenden Tropfen von den Bänken des Bootes wieder empor und durchnäßte die Knaben in wenigen Augenblicken.

Jetzt waren sie vor der Hafeneinfahrt. Ein riesiger Ozeandampfer schickte sich an, seine Ausreise anzutreten. Ein Schlepper halte den Koloß rückwärts aus dem Hafen gezogen und half ihm nun wenden.

Erst im letzten Augenblick sahen die Jungen die beiden Schiffe und rissen das Boot herum, das nun langsam zwischen Schlepper und Dampfer hindurchtrieb. Das Schleppseil fierte eben über ihren Köpfen hin.

Im selben Augenblick erscholl auf dem Schlepper, wo der Steuermann das treibende Boot entdeckt haben mußte, ein wüstes Schimpfen. Ein Hagel von Seemannsflüchen prasselte auf die Jungen nieder, die die Gefahr erst ganz begriffen, in der sie geschwebt hatten, als sie längst an der Hafeneinfahrt vorübergetrieben waren.

»Was nun?« fragte Piddl, der zuerst wieder Worte fand.

»Hier werden die Ufer gleich flacher,« flüsterte Fritz. »Wir gehen hier einfach an Land, ketten das Boot fest und kneifen aus. Wir müssen nur erst an dem Steindamm vorbei sein, der hier am Ufer entlang läuft.«

Endlich, nach einer Viertelstunde, hatten sie wieder Boden unter den Füßen! Das Boot hatten sie mit dem Pfahl, an dem es befestigt gewesen war, vor Anker zu legen versucht, und nun liefen sie über die nachtdunkle Marsch, alle Augenblicke von den Blitzen geblendet, die heller und leuchtender geworden waren.

Nach wenigen Minuten war das Gewitter ganz nahe.

Der Regen rauschte wie ein Gießbach herab, und der Donner fuhr jetzt mit kurzen, knatternden Schlägen durch die aufflammenden Lüfte.

»Wir müssen uns hinschmeißen,« schrie Fritz seinem Freunde mit ängstlicher Stimme zu, und beide warfen sich in das nasse Gras, das sie mit feuchter Kühle empfing.

Plötzlich hörte nun der Regen auf.

Auf dem weiten Felde wurde es totenstill. Aber diese Stille dauerte nur wenige Sekunden, dann begann das Wetter erst recht zu toben. Der Donner fuhr mit prasselnden Schlägen durch die Luft, und die Blitze flammten grell über dem weiten nachtdunklen Felde auf.

Keiner der beiden sprach ein Wort mehr.

Piddl lag, das Gesicht auf den Boden gedrückt, und wagte kaum zu atmen. Eine Angst hatte ihn ergriffen, die sein Blut in dumpfen Stößen durch die Adern trieb, ihm die Kehle zusammenschnürte und seine Gedanken verwirrte.

Im nächsten Augenblick wird der Blitz dich treffen! Er muß dich treffen! Es ist unmöglich, daß er dich nicht trifft! dachte er. Dumpfe Verzweiflung erfüllte ihn. Vorhin im Boote, als sie sich unvermutet zwischen dem Riesendampfer und seinem Schlepper hindurchbugsieren mußten, hatte ihn die Geistesgegenwart nicht verlassen. Aber jetzt war es mit seiner Fassung vorbei.

Der grelle Schein eines Blitzes und der Donner, der darauf folgte, kurz und prasselnd, als würde mit einem Schlage das Dach des Himmels zertrümmert, betäubten ihn und ließen seine Glieder erzittern. Er hatte die Empfindung, daß er sich wie ein machtloser Wurm auf der Erde krümme, den im nächsten Augenblick der Fuß eines Riesen zertreten würde.

In regungsloser Stille standen die Halme des Grases um ihn herum. Zeder Blitzstrahl, der mit grellem Licht durch die Nacht fuhr, leuchtete bis in das tiefste Dickicht der Halme hinein, als bleibe auch nicht das geringste Winkelchen vor dem leuchtenden Feuer des Himmels verborgen.

Gewiß, es war ein Unrecht, daß er das Boot dort oben von seinem Platze gelöst hatte, daß er die Kette gesprengt hatte, welche die Ruder hielt, und er würde es in seinem Leben nicht wieder tun. Aber er hatte ja das Boot nicht stehlen wollen. Er hatte es ja nur zu einer kurzen Fahrt auf dem Strome benutzen wollen. Aber nun kam die Strafe für seine Untat.

Plötzlich hörte er zwischen der demutsvollen Stille, die zwischen den Schlägen des Donners über dem Felde lag, einen Vogel fingen.

Ein Weidensänger sang in den Uferweiden des Flusses zwitschernd sein Nachtlied.

Tröstend drang das Lied des kleinen Vogels, der irgendwo im Dunkel unbekümmert auf seinem Zweige saß, an das Ohr des Knaben.

Sollte das Wetter wirklich vorübergehen, ohne ihn getroffen zu haben?

»Fritz,« flüsterte er, von leiser Hoffnung erfüllt.

»Nu?« fragte der zurück.

»Hörst du den Vogel?«

»Ich hör' ihn wohl.«

»Sollte das Gewitter vorbei sein?«

»Weiß nicht!«

Aber die Blitze wurden matter, der Donner verzog sich mehr und mehr, und nach einigen Minuten konnten die Knaben aufstehen und der Stadt zutraben.

Es war ein Dauerlauf, wie sie selten einen gemacht hatten.

Erst vor der Winkelgasse machten sie halt und schlugen ein langsames Tempo ein.

»Na, meine Mutter wird 'ne schöne Angst gehabt haben,« flüsterte Piddl.

»Das ist 'n Übergang,« tröstete Fritz Röhnholz, noch schnaufend von dem langen Laus. »Denk' mal an mich! Die Senge, die ich kriegen werde!«

»Auch 'n Übergang!«

»Na, ich danke! Halt' bloß reinen Mund!«

»Wenn ich nur wüßte, ob das Boot wieder an seinen Platz kommt! Ich glaube, ich schliefe besser.«

»Willst wohl schlafen!«

»Das sagst du!«

»Na, so was! Mußt nicht dran denken! Das Boot wird schon einer auffischen.«

»'s soll mich wundern!«

»Sieh, deine Mutter hat noch Licht.«

»Dacht' ich mir,« rief Piddl. »Na, gute Nacht!«

* * *

Wie Verbrecher an den Ort ihrer Tat, zog es die Jungen an den Liegeplatz des Bootes zurück. Schon am übernächsten Abend gingen sie voll Spannung und Neugierde hinaus. Ihr Erstaunen war grenzenlos. Das Boot lag ruhig wieder an seinem alten Platz. Ein alter Mann hockte darin und mühte sich, das Wasser herauszuschöpfen, das auf dem Boden stand.

»Was hab' ich gesagt!« flüsterte Fritz Röhnholz.

»Famos!« rief Piddl, dem beim Anblick des friedlich vertäuten Bootes ein Mühlstein vom Herzen gefallen war.

Der Schiffer war noch mit Wasserschöpfen beschäftigt, als die Knaben herangekommen waren.

»Woll'n mal sehen, wie er's wiedergekriegt hat!« flüsterte Fritz. Schlendernd näherte er sich dem Ufer.

»Unkel, ist dat din Schipp?« rief er zu dem Alten hinüber.

»Wullst et mi afköpen?« lächelte der, seine Arbeit unterbrechend.

»Wi kummt all dat Water im Schipp?«

Umständlich erzählte ihnen der Alte, wie sich das Schiff vorgestern beim Gewittersturm losgerissen haben müsse und gewiß davongetrieben sei. Der Pfahl sei wohl zu schwach gewesen. Und einer der großen Dampfer, die so große Wellen würfen, müßte es dann wohl voll Wasser geschlagen haben. Er habe heute Nachricht vom Strandamt bekommen und es eben wiedergeholt.

Fritz sah sich währenddessen ein paarmal triumphierend nach Piddl um. Der Alte ahnte ja gar nicht, wie es in Wirklichkeit gewesen war.

»Süllt wi di 'n beten helpen?« fragte er nun.

Das ist mehr als frech, dachte Piddl.

»Mintroegen, wenn ji Lust hebbt,« rief der Schiffer zurück, zog das Schiff an der Ankerkette langsam ans Land und ließ die Jungen einsteigen.

Piddl griff gleich nach der kleinen Holzschaufel und begann eifrig zu schaufeln.

»Lat sinnig angahn!« mahnte der Schiffer.

Aber Piddl war es, als müsse er mit dieser Arbeit einen Teil seiner Schuld wieder abtragen. Unermüdlich schöpfte er und hielt nicht eher inne, als bis der letzte Tropfen entfernt war. Sein Gewissen schlug ihm so, daß er am liebsten alles eingestanden hätte.

»Viellicht hebbt sick ok Jungs schippert und hebbt dat Boot naher drieben laten,« nahm Fritz jetzt das Gespräch wieder auf.

»Glöw ick nich,« sagte der Alte, ein Stück Kautabak hinter die Backe schiebend. »Darto is dat Boot to swar.«

Jetzt hielt es Piddl nicht länger.

»Et is aber doch so, und wi sind dat wesen!« sagte er und gestand plötzlich die ganze Geschichte vom Sonntag abend.

Fritz Röhnholz war sprachlos. »Du bist verrückt!« rief er ihm leise und wütend zu und spähte, ob er nicht mit einem kühnen Tellsprung das Boot verlassen könne.

»Rackertüg!« schimpfte der Schiffer, der nicht wußte, ob er lachen oder wütend sein sollte.

»Laten Se sick doch nicks ansnacken!« versuchte Fritz die Situation zu retten. »He lugt jo.«

Jetzt war Piddl sprachlos.

»Esel!« knurrte Fritz leise. Damit sprang er aus dem Schiffe, das sich langsam an seiner Kette gedreht hatte.

Auch Piddl verließ jetzt das Schiff.

»Ji willt woll ole Lüe up't Spill kriegen,« schalt der Schiffer ihnen nach.

Aufgeregt gingen sie wieder auf die Stadt zu.

»Na,« sagte Fritz Röhnholz, als sie außer Hörweite waren, »du kannst dir gratulieren, daß das so abgelaufen ist. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn wir 'ne ordentliche Lage mit 'nem Tauend gekriegt hätten. So Schiffer sind nicht sauber.«

»Dafür ist aber nun alles in Ordnung,« frohlockte Piddl.

»Bild' dir doch so was nicht ein! – In Ordnung? Der glaubt ja kein Wort von dem, was du ihm erzählt hast.«

»Das ist denn seine Schuld!« beharrte Piddl, dem die Beichte, die er freiwillig abgelegt hatte, soviel wie eine Buße war.

»Man muß sich aber mächtig in acht nehmen, mit dir dumme Streiche zu machen,« knurrte Röhnholz ärgerlich. »Du bist 'n netter Indianer! 'n Plappermaul biste!«

»Spiel' dich doch nicht auf!« antwortete Piddl gereizt.

»Was?« schrie Röhnholz. »Erst verrätst du die ganze Geschichte, und dann willste noch 'n Wort haben?«

Dabei gab er Piddl einen Rippenstoß, daß er zur Seite taumelte.

Das war das Signal zum Kampf.

Wie ein paar wütende Tiger gingen sie aufeinander los und wälzten sich im nächsten Augenblick auf der lehmigen, vom Regen durchweichten Erde.

Die Prügel, um die sie tagelang heimlich gezittert und um die sie sich so sorgfältig gedrückt hatten, erteilten sie sich nun unerwarteterweise selbst und freigebiger, als eigentlich nötig gewesen wäre.

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