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Fifi

Ich weiß, es gibt unzählige Hundegeschichten, geschriebene und ungeschriebene, und die ungeschriebenen, die nur in den Familien fortleben, in denen sie sich einst zugetragen haben, sind vielleicht die rührendsten und ergreifendsten.

Die Geschichte, die ich erzählen will, ist eine der letzteren. Jeder in unsrer Familie erinnert sich noch an Fifi. Eine Tante von mir, die niemals einen Zeichenstift, noch viel weniger einen Pinsel in die Hand genommen hat, behauptet trotzdem jedesmal, wenn die Rede auf Fifi kommt, daß sie das Tier heute noch malen könne. Dabei war Fifi, das muß im Interesse der Wahrheit gleich vorweg gesagt werden, durchaus kein »Bild«. Sie war, wenn man ihre Rasse unbedingt festgestellt sehen will, vielleicht am nächsten den Pinschern verwandt. Böswillige behaupteten zuweilen, daß Fifi auch einen Dackel in ihrer Ahnenreihe gehabt haben müsse, wobei sie mit boshaftem Lächeln nach Fifis Beinen schielten. Aber das war eine Übertreibung und eine Verdächtigung, die nur Neid- und Spottsucht aussprechen konnte. Allerdings, Fifi hatte keine Ursache, stolz auf ihre Ahnenreihe zu sein. Nur ihre Mutter war mit Sicherheit bekannt, während über ihren Vater eigentlich nie richtige Klarheit entstanden ist. Ich hatte Fifi als Knabe von ländlichen Verwandten beim Abschied nach einem Ferienaufenthalt geschenkt erhalten und sie in einer leeren Zigarrenkiste, säuberlich auf weichem Heu gebettet, nach Hause getragen. Damals war Fifi erst vor drei Tagen zur Welt gekommen. In einem leeren Abteil des Schweinekobens hatte ihre Mutter auf einem Bündel Stroh ihre Kinderwiege eingerichtet. Fünf hoffnungsvolle Sprößlinge lagen dort, gelb und ohne Abzeichen wie die Mutter, die schwarzen Nasen dicht aneinandergedrückt und sich gegenseitig warm haltend, wenn Flora einmal in dringenden Geschäften abwesend war. Mit geschlossenen, noch blinden Augen lagen sie da, als wüßten sie, in was für eine Welt der Niedertracht sie geboren worden waren, eine Welt, auf die es sich nicht lohnte, neugierig zu sein.

Ich war Feuer und Flamme für Floras Kinderstube, und es verging wohl kaum eine Stunde am Tage, in der ich nicht wenigstens einmal nach den Tieren gesehen hätte.

Als ich fortging, schenkte man mir Fifi.

Ahnte Flora, daß eines der fünf jungen Hundeschicksale sich zu erfüllen anschickte, als ich Abschied nahm und das kleine Wesen, das man mir überantwortet hatte, vorsichtshalber noch einmal gründlich am Busen der Mutter sich satttrinken ließ?

Ich packte das Tierchen dann, wie gesagt, in eine leere Zigarrenkiste, die ich mit Heu, so sorgfältig es ging, gepolstert und mit Bindfaden ebenso sorgfältig verschnürt hatte, und nahm dann etwas ungeduldigen Abschied; wünschte ich doch nichts sehnlicher, als recht bald mit meiner Bürde zu Hause sein zu können.

Unterwegs ließ es das kleine Vieh an lebhaften Protesten gegen die zum mindesten eigentümliche Behandlung, die ihm zuteil geworden war, durchaus nicht fehlen. Es quiekte zuweilen ganz jämmerlich in seiner Kiste, und meine heimliche Sorge, ob ich es wohlbehalten nach Hause bringen würde, wuchs mit jeder Minute. Gewiß war es auch für einen Hund keine Kleinigkeit, drei Tage alt vom Herzen der Mutter und aus seinem warmen Nest genommen zu werden, in einem tabaksduftenden Holzkistchen, das einem Sarge ähnlicher sah als einer Wiege, einige Stunden weit über Land transportiert zu werden, um zu guter Letzt noch eine mehrstündige Eisenbahnfahrt zu überstehen.

Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß meine Mutter angenehm überrascht war, als ich ihr nach einer besonders liebevollen Begrüßung die Zigarrenkiste auf den Schoß stellte und die Enthüllung mit den Worten einleitete: »Erschrick nicht, Mutter, es ist keine Ratte drin!« Vorsichtig löste ich die Schnüre und überließ es dann meiner Mutter, den Deckel zu heben.

Vielleicht ist meiner Mutter in diesem Augenblick ähnlich zumute gewesen, wie weiland der Tochter Pharaos, als ihre Dienerin das bekannte Kästchen aus dem Nil zog ... Ein mitleidiger Blick traf das Hündchen, das in diesem Augenblick instinktiv seine Schnauze ein wenig in die Höhe hob, um sein mir längst bekanntes klägliches Quieken und Winseln von neuem zu beginnen. Aber der Fall lag hier doch schwieriger als seinerzeit der ähnliche in Ägypten. Woher sollten wir eine Mutter nehmen, die das Hündlein nährte?

»Mit einem Gummisauger und einer Flasche wird es gehen,« schmeichelte ich und jubelte auf, als ich hörte: »Du kannst es versuchen.«

Triumph! Ich hatte gewonnen, und die bange Sorge, wie man meine Kühnheit, ohne Erlaubnis einen Hund ins Haus zu bringen, aufnehmen würde, war geschwunden. Mit leichtem Herzen sprang ich davon, die nötigen Sachen zur Aufzucht meines jungen Hundes zu besorgen.

Einen Hund zu besitzen, war immer mein sehnlichster Wunsch gewesen, und es war nicht zum erstenmal, daß ich versucht hatte, einen ins Haus zu schmuggeln. Einmal schon war mir ein junger Mops auf der Straße nachgelaufen und bis in das Haus gefolgt, und ein andres Mal ein Spitz. Aber jedesmal hatte sich zu meinem Leidwesen der Eigentümer des Tieres bald gemeldet, und ich hatte mit schwerem Herzen von den Tieren wieder Abschied nehmen müssen. So etwas war diesmal ausgeschlossen. Ich hatte einen Hund und durfte ihn sogar selbst großziehen. In wenigen Minuten war ich mit Flasche und Gummisauger zurück, und meine Ammendienste konnten beginnen.

Ich muß gestehen, das Hündchen benahm sich dabei anstelliger, als ich erwartet hatte. Nach einigem Sträuben hatte es durchaus begriffen, um was es sich handelte. Es sog aus Leibeskräften.

Noch an demselben Abend wurde der Säugling getauft. Mein Bruder schlug die unmöglichsten Namen vor: Nero, Wallenstein, Kastor, Phylax.

Aber von dieser Reihe war kein einziger zu gebrauchen, denn es handelte sich um eine sie.

Wir durchsuchten die ganze Weltgeschichte nach berühmten Frauennamen, aber keiner wollte uns passend erscheinen. Die Überlegungen währten Stunden und wurden mit einem Eifer fortgesetzt, der der Wichtigkeit der Sache entsprach.

Ich weiß nicht, wie wir dann endlich auf den prosaischen Namen Fifi verfallen sind, aber bei diesem Namen blieb es.

Wer beschreibt die Qual und Sorge der nächsten Wochen. Fifi war wirklich ein unruhiger Säugling. Zwei- bis dreimal des Nachts weckte uns das erbärmliche Quieken Fifis, die hungrig in ihrem Korbe, den wir zur Vorsicht in unsre Kammer gestellt hatten, umherkroch, um getränkt zu werden.

Wer weiß, wie fest ein Knabe schläft, wird ermessen können, wie groß unsre Liebe zu Fifi war, und wie energisch sie uns an ihre Rechte zu erinnern wußte.

Aber wie gedieh Fifi auch! Sie hielt nicht eher im Trinken inne, als bis sie sich an dem reichlich fließenden Quell ihrer Sehnsucht bis zur Kehle vollgesogen hatte und wie ein gefüllter Schlauch wieder in ihren Heukorb gelegt wurde.

Nach neun Tagen öffnete sie zum erstenmal die Augen. Ich weiß nicht, ob sie erstaunt war, sich ohne Mutter und Geschwister statt im Schweinestall zu Blockwinkel in einer städtischen Etagenwohnung zu finden. Schwarz und blank wie ein paar Jetperlen saßen die kleinen Augen in dem faltigen Gesichtchen, und uns dünkte, sie blickten sofort mit anerkennenswerter Intelligenz in die Welt.

Nach wenigen Tagen kamen die ersten Spaziergänge in Fifis Dasein, die allerdings, wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, mehr ein Spazierrutschen auf dem Bauche darstellten, da Fifi bei unsrer Pflege mit jedem Tage einem Gummiball ähnlicher geworden war. Mein Vater nannte Fifi in dieser Zeit nur »die Nudel«, was uns jedesmal ein wenig verstimmte, wenn wir auch das Treffende dieser Bezeichnung nicht zu bestreiten vermochten – aber trotz allen Spottreden gedieh Fifi vortrefflich. Nach einigen Wochen begann sie zu bellen, was allerdings einem verunglückten Quieken ähnlicher klang als einem wirklichen Bellen, aber nichtsdestoweniger hätte es mich beinahe zu einem Indianertanz hingerissen.

Brauche ich zu sagen, daß Fifis Intelligenz mit jedem Tage zunahm, daß sie bald ein Wunder darstellte an Klugheit und Fassungsgabe, und daß es in einem Umkreise von drei Stunden keinen Hund gab, der es nur entfernt mit Fifi hätte aufnehmen können? Ihre Glieder wuchsen zusehends in gefälligere Proportionen hinein, und wenn Fifi bei ihrer Behendigkeit (da sie so früh das Gehen erlernt hatte, war es kein Wunder) wie ein rollender Fußball durch die Stube kugelte, sich mit ihren Zähnchen in einem vorgehaltenen Taschentuche festbiß, daß man sie damit von der Erde aufheben konnte, ohne daß sie Miene machte, loszulassen, so ahnte jeder, der nicht von absoluter Bosheit erfüllt war, daß Fifi ein außerordentlicher Hund werden würde, schnell und tapfer wie Achill.

Fifi lernte alles, was Hunde je gelernt haben. Sie gehorchte aufs Wort, gab die Pfote, wartete auf, stellte sich tot, sprang über den vorgehaltenen Stock, ließ den schönsten Leckerbissen unbedingt liegen, den man »für die Katze« bestimmt hatte, naschte nicht, ging ins Wasser, wenn man es ihr befahl, und bewies immer so viel Anstand, wenn sie bei feuchtem Wetter spazieren gewesen war, sich erst vor der Haustür von der Luft trocknen zu lassen, ehe sie das Haus wieder betrat. Sie sah einem an den Augen ab, ob man spazieren gehen wollte und vielleicht die Absicht hatte, sie mitzunehmen, und das Beste an ihr war, was sie zu einer Perle in den Augen aller Familienmitglieder machte: sie mied jeden Verkehr mit andern Hunden. Wie eine Rakete schoß sie auf der Straße nach jedem Köter, der ihr in den Weg kam, und wenn es der aristokratischste aller Hunde und ihr mehr als das dreifache an Größe überlegen war. Ich habe mit vor Freude klopfendem Knabenherzen die größten Hunde vor ihr ausreißen sehen.

Nur ein einziges Mal kam sie schief dabei an. Eine gefährliche Dogge, die während der Nacht nicht gut geschlafen haben mußte, verstand keinen Spaß, faßte unsre Fifi, die in ihrer gewohnten reizenden Dreistigkeit mit gefletschten Zähnen auf sie losstürzte, am Genick und warf sie so unsanft auf das Pflaster, daß sie winselnd liegenblieb und um Gnade bat, die ihr nach einigen Sekunden prüfenden Schnüffelns auch gewährt wurde. Trotzdem konnte es Fifi sich nicht versagen, an der nächsten Straßenecke das gewohnte Exempel, das so oft ohne Rest aufgegangen war, mit dem nächsten Köter zu wiederholen.

Eines Tags war Fifi verschwunden, und mit diesem Tage begann, ohne daß es jemand von uns ahnte, sich ihr eigentliches Schicksal zu erfüllen.

Niemals war Fifi bisher länger als ein paar Stunden allein vom Hause abwesend gewesen. Man hätte eine Wette darauf machen können, sie nach ihrem Morgenausflug, der sie zuweilen durch das ganze Stadtviertel führte, zum Mittagessen plötzlich wieder zurückkommen zu sehen. Also, wer beschreibt unser Erstaunen, als sie eines Tags nicht zurückkam.

Wir warteten in einiger Beklemmung den ganzen Nachmittag auf sie. Ich war in mein Zimmerchen hinaufgestiegen, meine Hausaufgaben anzufertigen – aber wohl zehnmal stieg ich die enge Treppe wieder herunter, die in unsre Wohnung führte, und fragte mit scheinbarer Gleichgültigkeit: »Ist Fifi immer noch nicht zurück?« und jedesmal war meine Frage vergeblich. Niemand wußte etwas von ihrem Verbleib. Am Abend begannen wir, sie zu suchen. Ich wanderte alle Straßen und Alleen ab, die ich mit ihr auf meinen Spaziergängen zu berühren pflegte, pfiff verzweifelt an jeder Ecke den bekannten Pfiff, auf den Fifi, wenn sie in Hörweite gewesen wäre, mit fliegenden Ohrlappen herbeigeeilt wäre – alles vergeblich. Ich hegte immerhin noch einige Hoffnung, daß mein Bruder, der absichtlich einen andern Weg eingeschlagen hatte, sie irgendwo angetroffen haben könnte. Aber auch diese Hoffnung wurde zuschanden, als ich heimkam. Von Fifi war nichts zu sehen und zu hören gewesen.

Unsre Trauer um die Entschwundene wuchs von Stunde zu Stunde, und doch mußten wir uns entschließen, heute, ohne Fifi wiedergesehen zu haben, zu Bett zu gehen.

Auch der nächste Tag, der wieder voll Hoffnung begann, brachte uns Fifi nicht zurück, und ebensowenig die folgenden. Wochen vergingen, und keine Fifi ließ sich sehen. Wir erließen in den Zeitungen einen Steckbrief hinter ihr, warnten vor dem Ankauf und setzten dem Wiederbringer eine hohe Belohnung aus. – Vergeblich, alles vergeblich! Fifi war verschwunden und blieb es.

Zum großen Unglück wechselten wir nach einigen Wochen die Wohnung und verzogen nach einem weitentfernten Viertel der Stadt. Damit entschwand wieder eine Hoffnung, Fifi jemals wiederzusehen. Man konnte ja bisher noch immer annehmen, daß sie vielleicht auf irgendeinem Hinterhofe heimtückisch in Haft gehalten wurde. Würde sie eines Tags frei werden, so war hundert gegen eins zu wetten, daß sie zu uns zurückkehren würde, und wenn man sie auch monatelang zurückgehalten hatte. Aber mußte es nicht unmöglich für sie sein, unsre neue Wohnung zu finden?

Wir Knaben machten uns die abenteuerlichsten Vorstellungen über ihren Verbleib und betrachteten dabei jeden, der sie gekannt hatte, mit heimlichem Mißtrauen. Denn es war ja sicher: nur einer, der Fifis vortreffliche Eigenschaften kannte, ihre verblüffende Intelligenz einmal zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte, konnte an ihr zum Dieb geworden sein. Ihr Äußeres war ja viel zu wenig verlockend, um jemand zum Diebstahl zu reizen. Dazu kam, daß sich das Tier eigentlich von niemand berühren ließ, und jeder Versuch, es anzulocken, noch immer fehlgeschlagen war. Dabei hatte Fifi eigentlich keine Feinde. Es war keiner, der ihr etwas Übles nachsagen konnte, und soviel wir wußten, hatte sie sich auf der Nachbarschaft stets friedlich und manierlich benommen. Auch daß sie einen Streifzug mit fremden Hunden unternommen hätte, war bei der ausgesprochenen Abneigung, die sie bisher gegen das andre Geschlecht bewiesen hatte, so gut wie ausgeschlossen. Wo um alles in der Welt steckte Fifi?

Es mochten bereits Monate seit dem Tage vergangen sein, an dem die Hündin verschwunden war, und unsre Hoffnung, sie eines Tags trotzdem noch zurückkehren zu sehen, war auf den Nullpunkt gesunken. Ja, ein stiller Beobachter hätte annehmen können, daß wir die Verschwundene bereits vergessen hätten – so sehr bemühte sich jeder, das Gespräch nicht wieder auf das Tier zu lenken, dessen unerklärlicher Verlust uns allen so nahegegangen war.

Eines Abends schlenderte ich, von einem Gange in die innere Stadt heimkommend, langsam meinen Weg zurück, der durch eine der belebtesten Geschäftsstraßen führte, als ich plötzlich, aus meinen Gedanken aufschreckend, einen Auflauf von Menschen an einer Straßenecke gewahrte, aus dessen Mitte das jammernde Heulen eines Hundes erklang, der jedenfalls abscheulich geprügelt wurde. Die Töne trafen mein tierfreundliches Herz wie Dolchstöße.

Ich ging unwillkürlich rascher und drängte mich zwischen die Menschen, die lächelnd beieinander standen und sich schon wieder zu zerstreuen begannen. Ich fragte jemand, was es gebe. »Ah, nichts,« sagte der Angeredete, ein Handwerker in einem blauen Kittel, »ein Hund hat da im Schlächterladen eine Kalbskeule vom Tresen heruntergeholt. Er hat eben vom Schlächter seine Senge gekriegt.«

Gott, nein, wie sah der Köter aus! Noch zitternd von den handfesten Schlägen und derben Fußtritten des Schlächters, am Nacken aus einer Wunde blutend, die ihm der Hund des Schlächters beigebracht haben mußte, lag das Tier furchtsam an den Saumstein gedrückt und wagte sich augenscheinlich noch nicht wieder zu rühren, in Furcht, daß die Schläge von neuem herniederprasseln möchten.

Teilnahmsvoll bückte ich mich, ohne viel auf die Umstehenden zu achten, und streichelte den arg zugerichteten Sünder. Kaum aber hatte ich meine Hand einigemal über seinen Kopf gleiten lassen, als das Tier, vor Freude winselnd, an mir aufsprang, mir die Hand leckte und so auffällig seine Freude zu erkennen gab, daß ich stutzig wurde. Sollte es –? Ich trat einen Schritt zurück, um das volle Licht einer Straßenlaterne auf das Tier fallen zu lassen, das noch immer wie besessen an mir aufsprang, ohne auf seine blutende Nackenwunde zu achten, und in ein wahres Freudengeheul ausgebrochen war.

Wahrhaftig! Es war Fifi, unsre lange gesuchte Fifi!

Aber wie sah Fifi aus! Sie war wirklich kaum wiederzuerkennen. Bauch und Pfoten mit festgetrocknetem Schmutz bedeckt. Nacken und Rücken mit dem Blut ihrer Wunden befleckt! Auch ein treueres Auge als das meinige hätte sie unmöglich gleich wiedererkannt. Um den Hals trug sie einen zusammengeknoteten Strick, mit dem sie jedenfalls einmal festgebunden gewesen sein mußte, denn es hing noch ein Ende daran herunter, das deutlich bewies, daß Fifi das Tau durchgenagt hatte.

Ich glaube, ich bin selten aufgeregter nach Hause gekommen, als an diesem Abend. Mit dem Rufe »Fifi ist wieder da!« stürzte ich in die Wohnstube, und im selben Augenblick rollte Fifi, alle gute Erziehung vergessend, wie ein schmutziger Fußball, sich überschlagend und wie ein Brummkreisel umherirrend, in die Stube, wollte alle zugleich begrüßen, unter allen Tischen und Stühlen zugleich sein, stieß von Zeit zu Zeit ein kurzes Freudengebell aus und beruhigte sich nicht eher, als bis ihr mein Vater ein energisches »Kusch dich, Fifi!« zurief. Dann aber bemühten sich alle, Fifi in einen etwas salonfähigeren Zustand zu versetzen. Die Badewanne wurde aus ihrem Winkel auf dem Hausboden wieder hervorgezogen und Fifi in warmem Wasser gründlich gebadet, ihre Wunden ausgewaschen und der entsetzliche Strick, der sich mit den Nackenhaaren zu einem unentwirrbaren Durcheinander verflochten hatte, entfernt. Zwischendurch kam dann auch aus mir in gewiß zuerst ziemlich unverständlichen Brocken die Geschichte des ersten Wiedersehens mit Fifi heraus.

Allerhand Vermutungen tauchten auf, wo Fifi gewesen sein könne. Ein ganzer Roman spann sich um das Tier, das nach dem Bade, in seine Decke gewickelt, jetzt ruhig dalag, und nur zuweilen hörte man das leise Klopfen des wedelnden Schwanzes auf dem Fußboden, wenn jemand im Gespräch den Namen Fifi erwähnte.

Es war ganz klar, der Hund war eingefangen gewesen, und das lange Zeit jedenfalls. Schließlich war es ihm geglückt, zu entkommen. Fifi hatte dann unsre bisherige Wohnung leer gefunden und hatte darum vielleicht wochenlang die Stadt durchstreift. Merkwürdig blieb nur, warum keiner unsrer früheren Nachbarn uns von der Rückkehr des Tieres Meldung gemacht hatte.

Es mußte doch diesem oder jenem aufgefallen sein, daß der Hund vor unsrer früheren Wohnung auf das Öffnen der Haustür gewartet hatte, und das hatte Fifi sicher getan.

Eines aber warf alle Berechnungen über den Haufen: Fifi hatte in der Zeit ihrer Abwesenheit Junge gehabt. Das war kein Zweifel. Das Gesäuge bewies es. Hatte sie ihre Jungen im Stiche gelassen? War die Liebe zu uns größer gewesen als ihre Mutterliebe?

Beinahe mißbilligende Blicke trafen den Hund, als wir uns die Konsequenzen ausmalten. Glaubte Fifi vielleicht, daß auch ihre Kinder mitleidige Pfleger finden würden, die sie mit Flasche und Gummisauger großzuziehen entschlossen waren, wie wir es einst an ihr getan hatten?

Ach, wir ahnten nicht, wieviel heldenmütiger Fifi gehandelt hatte, wußten nicht, daß unsre Berechnungen einen jämmerlichen Riß hatten und unsre Rechnung nur zum geringsten Teile stimmte.

Am folgenden Morgen, in aller Frühe, gab Fifi uns unzweideutig zu verstehen, daß sie sich unmöglich länger bei uns aufhalten könne. Sie schützte unaufschiebbare Geschäfte vor und kratzte ungeduldig an der Tür.

Ich war entschlossen, sie nicht ohne Begleitung auf die Straße zu lassen, und rüstete mich zu einem Spaziergang. Aber wer beschreibt mein Erstaunen, als ich im Hinaustreten die Hündin wie einen abgeschossenen Pfeil davoneilen sah. Kein Rufen, kein Pfeifen lockte sie zurück. Die Anhängliche, die mir durch Feuer und Wasser gefolgt wäre, die keiner hätte zurückhalten können, sah sich nicht einmal nach mir um! Nach wenigen Sekunden war sie verschwunden. Einigermaßen ärgerlich kehrte ich ins Haus zurück.

»Sie ist wieder fort, die Ausreißerin!« rief ich verstimmt und hängte meinen Hut wieder an den Nagel. »Das hat man nun davon!«

»Vielleicht will sie in Zukunft ihre Liebe zwischen ihrem neuen Herrn und uns teilen,« meinte mein Vater, und der Gedanke ärgerte mich eigentlich noch mehr.

»Niemand kann zween Herren dienen,« erklärte ich und war entschlossen, Fifi, wenn sie zurückkehrte, nicht wieder freizulassen. An der Leine sollte sie wieder die Straße betreten. Vielleicht kam man dann ja auch einmal dahinter, wer der Unverschämte gewesen war, der sich das Tier angeeignet hatte.

Am andern Morgen erst fanden wir Fifi zurückgekehrt. Sie lag vor der Haustür, demütig mit dem Schwanze wedelnd, mit allen Zeichen der Zerknirschung und Reue.

Als ich ihr die Haustür öffnete, kroch sie auf dem Bauche langsam näher, als wüßte sie, daß man mit ihrem Verhalten unmöglich zufrieden sein könne.

Ich schalt sie denn auch gebührend aus und zupfte sie am Ohr, was sie mit einem Versuch, zärtlich meine Hand zu lecken, beantwortete.

Auffallend war nur, wie ausgehungert das Tier zu sein schien.

Besaß denn ihr Pflegevater so wenig Herz, daß er die Anhänglichkeit des Tieres, das monatelang sein unrechtmäßiges Eigentum gewesen war, mit Fasten und Kasteiungen belohnte?

Fifi fraß sich bei uns gehörig satt, legte sich dann eine Stunde gemächlich und mit allen Zeichen der Befriedigung an ihren gewohnten Platz in der Wohnstube, begehrte aber schon nach kurzer Zeit wieder hinausgelassen zu werden.

Diesmal kam sie an die Leine. Sie hob sich bittend auf die Hinterfüße, winselte leise durch die Nase und zog mehrmals den Kopf zurück, als ich ihr die Leine anlegen wollte.

Unbequem genug mochte ihr ja die Maßregel sein, aber da half nichts. Ich wollte nicht wieder als der Dumme auf der Straße stehen, wenn sie spornstreichs zu ihrer neuen Herrschaft zurückkehrte.

Auf der Straße begann nun ein merkwürdiges Spazierenlaufen. Fifi drängte so ungestüm vorwärts, daß ich Mühe hatte, ihr zu folgen. Mehreremal machte ich den Versuch, einen andern Weg einzuschlagen, aber ich merkte deutlich, daß Fifi ein ganz bestimmtes Ziel im Auge haben mußte, das sie mit Beharrlichkeit verfolgte. Ich ließ ihr also ihren Willen und folgte ihr, gespannt, wohin sie mich führen würde.

Sie schlug den Weg nach einem entlegenen Stadtviertel ein. Aber immer noch schien sie das Haus ihres neuen Gebieters nicht erreicht zu haben, und ihr Vorwärtsdrängen hatte noch um nichts nachgelassen.

Zuletzt führte sie mich in eine Straße, die sich zwischen mächtig ausgedehnten, hölzernen Schuppen hinzog, unter denen allerhand Baumaterialien lagerten, bis sie plötzlich auf eine schadhafte Stelle in der Holzplanke zustrebte, welche die Straße begrenzte. Sie zwängte sich an dieser Stelle durch die Einzäunung hindurch und bat, da sie nicht weiter konnte, winselnd, von der Leine gelassen zu werden. In begreiflicher Neugier, was geschehen würde, entsprach ich ihrem Wunsche und sah nun Fifi unter einem Stapel Holz verschwinden, der, auf dicken Balken gelagert, unter sich eben Platz für ihren Körper ließ.

In diesem Augenblick durchschaute ich die Situation. Fifi mußte unter dem Holze dort ihre Jungen zur Welt gebracht haben und hielt sie gewiß noch jetzt darunter verborgen. Eine Ahnung von dem, was das Tier in der Zeit seines Umherirrens in der Großstadt durchgemacht haben mochte, überkam mich. Eingefangen und wochenlang festgelegt, lieblos behandelt, kärglich gefüttert und von Sehnsucht nach »Haus« gequält, hatte es die Hündin endlich fertig gebracht, zu entkommen. In ihrer Treue war sie ohne Frage sofort wieder nach unsrer Wohnung geeilt, hatte aber das Haus verschlossen und leer gefunden und war nun der Vagabondage preisgegeben gewesen. Wochenlang war sie nun planlos in der Stadt umhergeirrt, immer bedacht und von der Erfahrung gewitzigt, nicht wieder in fremde Hände zu fallen. Von Hunger gequält, hatte sie sich mühselig durchgeschlagen, sich von den Abfällen auf den Straßen genährt, ohne eine neue Heimat zu finden, ohne eine solche zu wollen, nun sie die alte endgültig verloren – bis das kommende große Ereignis ihres Lebens sie zwang, eine schützende, ruhige Stelle zu suchen, wo sie einigermaßen sicher vor Verfolgungen war. Die hatte ihr der menschenleere, weite Bauhof geboten, wo nur selten einmal ein Arbeiter zwischen den Holzstapeln und Steinhaufen auftauchte, um etwas zu holen oder fortzutragen.

Also die Mutterliebe war es gewesen, die das Tier gestern wieder von dannen geführt hatte, und Mutterliebe war es auch gewesen, die es verleitet hatte, gegen alle Gewohnheit und Erziehung, den Raub im Laden des Schlächters zu begehen, bei dem man sie so grausam bestraft hatte.

Eine ganze Tragödie schien mir in Fifis Schicksal zu liegen, ein Bild des Großstadtlebens, das hier einem heimatlos gewordenen Hunde so übel mitgespielt hatte ...

Da kroch Fifi, vergnügt mit dem Schwanze wedelnd, auch schon wieder aus ihrem Versteck, in ihrem Maul eines der kleinen Hündchen, das sie mir zu Füßen legte. Und dann blickte sie zu mir auf, als wolle sie fragen: Na, was sagst du denn dazu? Ist das nicht famos? Aber es ist nicht bloß eins, es sind drei!

Sie kehrte sofort in ihr Versteck zurück, um die Geschwister des Kleinen, das ich auf den Arm genommen hatte, ebenfalls herbeizuschleppen. Die Jungen sahen genau so aus, wie Fifi einst selbst, als ich sie in der Zigarrenkiste nach Hause trug. Was blieb mir andres übrig, als die Jungen, die noch nicht die Augen geöffnet hatten, in die Taschen meines Überziehers zu schieben und mit nach Hause zu nehmen?

Meiner Mutter schien der unerwartete Segen etwas reichlich gespendet, aber in Anbetracht des ungewöhnlichen Falles – Fifi war eine Heldin, das war keine Frage! Sollte man etwa ihre verzweifelten und entsagungsvollen Kämpfe der letzten Tage, ihre Standhaftigkeit und Treue, ihre Mutterliebe und Klugheit damit belohnen, daß man ihre Jungen dem Tode überlieferte? Sollte man die Mühen ihres sorgenvollen Mutterherzens verachten, den Zwiespalt und den langen stillen Kampf, in den das Schicksal sie gestellt und den sie erfolgreich überwunden hatte, durch ein Urteil beenden, das an Grausamkeit alles übertroffen hätte, was Fifi bisher geschehen war? Wer hätte im Ernst eine solche Forderung erheben mögen?

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