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Peter Grau

Draußen vor der Stadt, inmitten grüner Felder und Wiesen, lag ein altes Landhaus. Niedrige Lindenbäume mit gestutzten Kronen standen ringsherum, und in dem Obstgarten, der vom Haus bis an die ersten Kornfelder reichte, standen alte Apfelbäume mit breiten Kronen und geweißten Stämmen.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien, und der Wind ging leise durch die Kronen der Bäume. Die Buchfinken schlugen vor und hinter dem Hause, und Sonnenblumen und Feuerlilien schauten wie leuchtende Fackeln über die niedrige Weißdornhecke, die den Blumengarten umschloß. Die Hühner gackerten in Scheunen und Ställen, und ein großer Hahn mit einem leuchtend roten Kamme krähte alle Augenblicke sein »Kikeriki – wer will wat von mi?« in die stille, warme Luft hinaus. Ein Bienenschwarm, der sich unter den Obstbäumen an einem Ast festgesetzt hatte, zog plötzlich mit lautem Summen ins Feld, wo die Luft vor Wärme leise flimmerte.

Trotz der sommerlichen Hitze war alles voll Fröhlichkeit und Leben auf dem Hofe. Die Mägde standen am Brunnen, scheuerten die Milcheimer rein und schwatzten und lachten, und aus den Viehställen scholl das Zischen der Häcksellade in den Hof hinaus. Die Knechte schnitten dort Haferstroh zum Futter für die Pferde.

Nur einer war da, der mißmutig und unzufrieden war. Das war ein alter Esel, der an einen Birnbaum angebunden im Obstgarten stand und verdrießlich das saftige, grüne Gras vor sich abweidete. Er kannte das Geräusch schon, das die Mägde drüben am Brunnen mit ihren Eimern machten, und merkte daran, daß wieder einmal die Melkzeit herangekommen war, wo er auf die Weide hinausgeführt wurde, damit er die schweren Kübel voll Milch, die ihm an kräftigen Gurten über den Rücken gehängt wurden, in der glühenden Mittagshitze nach Hause schleppe.

Es dauerte denn auch nicht lange, bis die beiden Mägde, die Gesichter mit holländischen Mützen gegen die Sonne geschützt, vom Brunnen her durch den Garten kamen, den Esel losbanden, ihm die Milchkessel über den Rücken hängten und ihn mit sich hinaus auf die Wiese zogen, die hinter dem Hause lag und von einer Schar schwarzfleckiger Kühe beweidet wurde.

Träge und mißmutig folgte ihnen der Esel. Die Sonne brannte ihm heiß auf sein graues Fell, und die Hitze war so groß, daß er am liebsten stehengeblieben wäre oder sich hinter der Hecke in den Schatten gelegt und alle viere von sich gestreckt hätte.

Konnten nicht auch die Mägde die Milch einmal nach Hause tragen? Und warum machten sie den Weg immer zweimal? War es eine anständige Aufgabe für einen Esel, Milch zu schleppen? Was bekam er denn dafür, daß er jeden Tag dreimal, morgens, mittags und abends, die Kübel mit Milch von mehr als einem Dutzend Kühen nach Hause schleppte? Das bißchen Gras und Heu, von dem man auf dem Gute wirklich im Überfluß hatte, war doch nicht der Rede wert!

»Hopp! Vorwärts! Nicht stehenbleiben!« schrie ihm plötzlich die Jungmagd zu und gab ihm einen kräftigen Klapps mit einer Gerte, die sie sich aus der Hecke gebrochen hatte.

Ja, so war es. Kaum ging man etwas langsamer, um einen Gedanken zu Ende zu bringen, so bekam man schon unfreundliche Worte und Schläge obendrein. So ein Sklavenleben! Nein. Er dankte wirklich! Besonders, seitdem die Marie auf dem Gute war, war es nicht mehr auszuhalten! Immer sollte er flinker gehen, als er es gewohnt war! Da mußte dem Fleißigsten die Lust vergehen!

Endlich war man am Ziel, und er konnte wieder stillstehen und zusehen, wie die Kühe gemolken wurden. Es machte ihm ordentlich Spaß, daß die Rotbunte nicht stehen wollte und der Jungmagd immer wieder davonlief, wenn sie eben meinte, sich zum Melken setzen zu können. Das geschah ihr recht! Mochte sie einmal ordentlich schwitzen und hinter der Kuh herlaufen!

Am Abend aber riß dem Esel wirklich die Geduld. Statt der Jungmagd, die im Hause zu tun hatte, ging nämlich der Kleinknecht mit zum Melken, und das war ein ganz Gefährlicher! Der ging niemals ohne Peitsche mit hinaus. Weil er mit den Pferden noch nicht fahren durfte – das ließ sich der Großknecht nicht nehmen –, so wollte er dafür dem Esel mit der Peitsche das Laufen beibringen, und hui! sauste die Peitschenschnur dem Esel um die Ohren, daß es nur so pfiff, und klatschend fielen ein paar Hiebe auf seinen Rücken, daß er einen ärgerlichen Bocksprung machte ...

»Wir wollen dir mal das Laufen beibringen, du alter Faulpelz!« schrie der Knecht vergnügt und knallte mit der Peitsche, als hätte er eine Pistole abgefeuert.

Schachmatt kam der Esel wieder zu Hause an, und kaum daß ihm die Milchkübel abgenommen waren, jagte man ihn mit ein paar neuen Peitschenhieben auf die Wiese hinaus, wo er sein Abendbrot suchen mochte.

Na warte, sagte der Esel. Ihr mögt euch einen Dümmeren suchen, als ich bin! Das halte aus, wer Lust hat!

Tiefsinnig trabte er die Wiese hinunter, die langen Ohren gesenkt und den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, als erwarte er noch einen Schlag zum Gutenachtgruß zu bekommen.

So kam er bis an den Graben, der die Wiese von der Straße trennte. Das soll und muß das letztemal gewesen sein! sagte er bei sich und maß den Graben mit seinen Blicken aus. Wirklich! Es mußte nicht allzu schwer sein, hinüberzukommen. Ich will nicht Peter Grau heißen, wenn ich nicht zur Nacht auf und davon gehe! Was soll ich hier? Niemand versteht mich hier. Die Pferde verachten mich und wollen nichts mit mir zu tun haben, die Kühe stoßen mich, wenn ich mich ihnen nähere, der große Hund beißt mich in die Beine, und Knechte und Mägde kennen kein größeres Vergnügen, als mich zu prügeln und zur Arbeit anzutreiben. Da such' ich mir lieber einen andern Platz.

Wirklich – es war kaum Nacht geworden, Nebel lag über den Wiesen, und aus den Fenstern des Herrenhauses leuchtete bereits Licht – da nahm Peter Grau einen Anlauf, als wäre ein Wolf hinter ihm – niemand hatte ihn je so laufen sehen – und setzte mit gewaltigem Sprung über den Graben.

Was schadete es, daß er mit den Hinterbeinen ins Wasser platschte? Er kam hinüber, kletterte auf der andern Seite eilends aus dem Wasser und trabte mit einem vergnügten I – a! die Landstraße hinunter.

Jetzt heißt es Beine machen! Sonst ist der Kleinknecht imstande und holt mich morgen früh wieder, dachte der Esel. Aber da soll er lange suchen!

Die Landstraße lag still und einsam. Nur der Nachtwind rauschte in den Bäumen. Nach der Hitze des Tages war es kühl und luftig geworden, und vergnügt trabte der Esel dahin. Fern auf den Gehöften bellten die Hunde, und hier und dort brüllte auf den Wiesen eine Kuh.

Wenn ich so weiter trabe, bin ich bei Tagesanbruch so weit, daß der Kleinknecht sich die Beine ablaufen kann, um mich wiederzukriegen. Der Großknecht wird ihm eine Ohrfeige geben, daß er nicht auf mich aufgepaßt hat, und die gönne ich ihm von Herzen, iah! – iah! – von Herzen!

Vergnügt schlug er sich mit seiner Schwanzquaste die Weichen und dachte: Laß die Mägde zusehen, wie sie morgen früh die Milch von der Weide nach Hause bringen! Die werden Augen machen! Ich höre schon, wie die Großmagd ruft: Peterchen! Peterchen!

Jawohl! Mahlzeit! Peterchen ist dann längst über alle Berge und hat auf Nimmerwiederkommen »Ade!« gesagt. Damit hob er seinen Schwanz wie eine Siegesfahne steil in die Luft, trabte mit lustigen Sprüngen weiter und hielt nicht eher im Laufen inne, bis der Tag zu grauen begann.

Er war längst von der Straße abgebogen und in einen Feldweg geraten, der über Wiesen und grüne Äcker zu einem Walde führte. Auf der Landstraße war es am hellichten Tage nicht geheuer.

Man könnte auf mich aufmerksam werden, mich mit »Wohin?« und »Woher?« belästigen, und es ist besser, wenn man allzu neugierigen Fragen aus dem Wege geht, dachte der Esel und schritt mit gespitzten Ohren seinen Weg weiter. Drüben im Walde werde ich mich unter einen schattigen Baum ins Gras legen und mich ausruhen. Nach dem langen Marsch wird mir das ausgezeichnet gut bekommen. Da kann ich liegen und an Klein-Groschnowitz denken, wo man jetzt bald anfangen wird, mich zu vermissen. Oh, man wird schon einsehen, was man an mir verloren hat! Vielleicht wird die Kleinmagd doch ein wenig zur Einsicht kommen und denken: Hätte ich ihn nur etwas freundlicher behandelt! Er war doch ein fleißiger Kerl, der Peter Grau!

Ganz in seine Gedanken vertieft, war er bereits nahe an den Wald gekommen, als er sich plötzlich angerufen hörte: »Schönes Wetter, nicht wahr? Warum so eilig, alter Freund?«

Dem Esel fuhr der Schreck über die unvermutete Anrede dermaßen in die Beine, daß er wie angegossen stehenblieb. Aber im nächsten Augenblicke beruhigte er sich. Es war nur ein Pferd, das am Wegrande gegrast und ihn unvermutet angesprochen hatte.

»Guten Morgen,« antwortete er. »Wirklich, es scheint ein schöner Tag zu werden.« Damit wollte er sich an ihm vorbeidrücken, um in den Wald zu kommen. Besser war besser.

Aber das Pferd ließ ihn nicht so schnell weiter. »Wo bist du zu Hause?« fragte es und kaute ein paar Kornhalme, die es am Rande des Roggenfeldes abgepflückt hatte, langsam in sich hinein.

Wirklich leutselig von dem Pferde, sich nach meinen Verhältnissen zu erkundigen, dachte der Esel. Was waren die Pferde aus Klein-Groschnowitz dagegen für hochnäsige Gäste. Freilich, das waren Rassepferde! Die sollten alle noch einmal auf die Rennbahn und »Karriere« machen! »Na,« sagte der Esel, »von meiner Heimat ist nicht allzuviel Rühmens zu machen. Am besten – man spricht nicht von solch unerquicklichen Dingen und spart sich den Ärger!«

»Trübe Erfahrungen?« fragte das Pferd.

»Durchaus!« antwortete der Esel und nickte traurig mit dem Kopfe.

»Schade!« sagte das Pferd.

»Nicht wahr?« seufzte der Esel.

Eine Pause entstand. Verlegen pflückte auch der Esel ein paar Kornähren und kaute sie.

»Mein Name ist Mustopf,« begann das Pferd wieder.

»Ein schöner Name,« antwortete der Esel. »Er hat so etwas Sattes in seinem Klang, so etwas Behagliches, Freundliches, Gewinnendes. Wirklich, ich wüßte keinen Namen, der eine bessere Empfehlung wäre.«

»Ja,« sagte das Pferd. »Und dazu kommt, daß es ein Name mit einer vornehmen Vergangenheit ist!«

»Wirklich?« fragte der Esel.

»Eigentlich heiße ich nämlich gar nicht Mustopf. Mustopf ist nur eine Abkürzung. Mein richtiger Name ist Mustapha. Aber man nennt mich allgemein Mustopf. Jimmy nennt mich niemals anders, Bumpy schon gar nicht, und der Herr sagt auch am liebsten Mustopf. Nur in den Zeitungen nennt man mich Mustapha. Mein Herr behauptet, daß das vornehmer klingt.«

»Ach,« sagte der Esel, »was für Leistungen müssen Sie hinter sich haben, Herr Mustopf, wenn in den Zeitungen von Ihnen die Rede ist!«

»Ja,« sagte das Pferd. »Mein Name wird in großen Buchstaben an Scheunen und Häusern angeklebt, und das auf so große Papierbogen, daß man eine gute Mahlzeit Heu darin einwickeln könnte. Allenthalben, wohin wir kommen, geschieht das, damit die Leute Bescheid wissen, wann ich auftrete.«

»Ah,« sagte der Esel, »Sie treten auf?« Und seine Sympathie für Mustopf sank ein wenig, denn er dachte an die Pferde auf Klein-Groschnowitz, die weiter nichts verstanden, als sich aufzuspielen und vornehm zu tun.

»Ja, mein Herr läßt uns allesamt auftreten,« fuhr das Pferd fort, »in jeder Vorstellung, Jimmy, Fifi, Kuno, Bumpy und mich, aber ich bin die Hauptnummer!«

»Wer sind denn Jimmy und Bumpy?« fragte der Esel, der nicht recht verstand, was das Pferd ihm erzählte.

»Wenn Sie Lust haben, mitzukommen?« fragte das Pferd. »Drüben am Waldrande werden Sie Gelegenheit haben, meine Freunde kennen zu lernen. Es sind hochgebildete Leute, wirklich!«

Da der Esel denselben Weg hatte, trabte er mit dem Pferde dem Walde zu. Am Rande desselben bot sich ihm ein sonderbarer Anblick.

Ein großer vierrädriger Karren, eine richtige kleine fahrbare Stube stand dort, mit niedlichen kleinen Fenstern und Gardinen dahinter. Sogar ein Schornstein saß auf dem Dache des Wagens, aus dem blauer Rauch in die stille Morgenluft stieg.

»Mein Gott,« schrie der Esel plötzlich, blieb zitternd stehen und starrte entsetzt auf einen braunen Bären, der an einer Kette unter dem Wagen gelegen hatte und nun brummend und leise mit der Kette klirrend darunter hervorkam.

»Mein Freund Bumpy!« erklärte das Pferd. »Sie brauchen sich durchaus keine Angst zu machen. Herr – Herr – wie ist Ihr Name doch?«

»Peter,« sagte der Esel, noch immer zitternd. »Peter Grau, wenn's gefällig ist –!«

»Herr Peter Grau,« stellte das Pferd den Esel vor, und der Bär erhob sich artig auf seine Hinterbeine und watschelte auf den Esel zu, als wollte er ihn umarmen.

Zitternd wich der Esel zurück. »Nein,« sagte er »nach so kurzer Bekanntschaft möchte ich doch nicht –«

»Bumpy,« sagte das Pferd, »man fürchtet sich vor dir!«

Worauf der Bär eine gekränkte Miene machte und sagte, daß er durchaus nicht beabsichtige, irgendwie lästig zu fallen, und sich beleidigt auf seinen Platz unter dem Wagen zurückzog.

»Sie haben ihn beleidigt,« sagte das Pferd mit deutlichem Vorwurf in der Stimme.

»Wirklich?« sagte der Esel. »Dann bitte ich tausendmal um Verzeihung!«

»Es würde am besten sein, keine Verstimmung aufkommen zu lassen,« meinte das Pferd, und laut rief es dem Bären zu: »Bumpy, Herr Grau bittet Sie um Verzeihung, wenn er Sie beleidigt hat.«

Der Bär antwortete: »Wenn ich nicht wüßte, daß der Herr ein Esel ist und augenscheinlich noch nicht so weit in der Welt herumgekommen ist wie wir, würde ich ihm gram sein, aber – die Sache ist wirklich nicht wert, noch weiter Aufhebens von ihr zu machen!«

»Der Herr wird Ihre Bekanntschaft noch schätzen lernen, Bumpy,« antwortete das Pferd.

»Gewiß, durchaus meine Meinung,« stotterte der Esel.

Dem Esel war es unheimlich geworden. Am liebsten wäre er mit einem Seitensprung in den Wald getrabt. Aber das Pferd ließ ihn nicht so ohne weiteres los, und er wollte nicht noch ungebildeter erscheinen als vorhin und französisch Abschied nehmen. So blieb er stehen und ließ sich nacheinander Kuno, den Ziegenbock, Fifi, die Hündin, die ihn neugierig beschnupperte, und Jimmy, den Affen, vorstellen, der in einem blauen Soldatenröckchen auf dem Rande einer alten Trommel saß und ihm nach der Begrüßung mit einem Satz auf den Rücken sprang und ihm zärtlich in der Mähne kraulte, was dem Esel ein großes Vergnügen machte.

»Wirklich, ich freue mich, unerwartet so gediegene Bekanntschaften zu machen,« sagte er, nach allen Seiten seinen Kopf neigend, wobei seine Ohren auf und nieder klappten.

»Alles weitgereiste Leute,« sagte das Pferd. »Sie werden es nicht bereuen, wirklich nicht! Sie können im Umgang mit uns Ihre Kenntnisse auf eine leichte und angenehme Art vermehren, und ich bin überzeugt, daß Sie allezeit mit wahrem Vergnügen an uns zurückdenken werden!«

»Davon bin ich ohne weiteres überzeugt,« entgegnete der Esel, »denn, um die Wahrheit zu sagen, ich höre nichts lieber als Reisegeschichten, zumal da ich selbst gerade im Begriff bin, eine weite Reise anzutreten. Mißliche häusliche Umstände veranlaßten mich, meinen Wunsch, endlich einmal die Welt kennen zu lernen, in die Tat umzusetzen.«

»Wie lange sind Sie schon unterwegs?« fragte der Ziegenbock, seine Nase neugierig in die Höhe hebend.

»Seit gestern abend,« antwortete der Esel.

»Wirklich, eine weite Reise!« rief der Affe; und weil das ein Witz sein sollte (der Affe war groß darin, Witze zu machen, und der anerkannte Spaßmacher unter den Tieren), brachen alle in ein lautes Gelächter aus. Das Pferd wieherte vor Vergnügen, die Ziege meckerte, die Hündin bellte, und nur der Bär lag beleidigt unter dem Wagen und sog an seinen Vordertatzen.

Verwundert über den Lärm steckte in diesem Augenblick der Besitzer des Wagens und der Tiere den Kopf aus dem Fenster, und als er den Esel erblickte, kam er sogleich heraus, faßte den Esel an seinem Halfter, den er von Klein-Groschnowitz her noch trug und vergeblich abzustreifen versucht hatte, klopfte ihm vertraulich den Hals, als hätte er einen alten Bekannten in ihm zu begrüßen, und sagte: »Wirklich, du kommst wie gerufen, mein Freund! Der Wagen ist für Mustapha allein reichlich schwer, und er wird mir dankbar sein, wenn ich dir erlaube, ihm ziehen zu helfen.«

Der Esel war so überrascht, daß er nichts weiter wie i-ah! sagen konnte.

»Gut, daß du einverstanden bist,« sagte der Marktbezieher und band ihn an seinem Karren fest.

»Frauchen,« rief er dann aufgeregt in den Wagen, »komm mal heraus! Wir haben Zuwachs gekriegt!«

»Das wäre!« rief eine helle Stimme aus dem Wagen, und eine junge Frau kam die kleine Treppe herunter, die von dem Wagen auf die Erde führte. »Woher kommst du denn, Grauchen?« fragte sie und kraulte dem Esel den Kopf.

Der Esel war noch ziemlich verblüfft, wieder in Gefangenschaft geraten zu sein. Aber er tröstete sich bald mit dem Gedanken, daß er so außerordentlich angenehme Gesellschaft gefunden habe. Vielleicht war es wirklich besser so, sagte er sich, und wenn ich es recht überlege, habe ich riesig Glück. Wenn ich allein geblieben wäre, wäre ich jedenfalls allerhand Verfolgungen ausgesetzt gewesen, denen ich jetzt auf die natürlichste Weise entgehe.

Die Hauptsache ist ja schließlich, daß man anständig behandelt wird, und wenn ich von Bumpy absehe, der mich etwas reichlich brummig aufgenommen hat, kann ich wirklich nicht klagen. Mustopf und Kuno, Jimmy und Fifi sind wirklich reizende Gesellschafter!

Er ergab sich also in sein Schicksal, das ihm, je länger er überlegte, immer rosiger erschien, und wartete geduldig den Aufbruch der Gesellschaft ab, der denn auch bald genug vor sich ging.

Der Zirkusdirektor – denn so nannte sich der Besitzer der Tiere – spannte Mustopf neben dem Esel vor den Wagen, setzte den Affen in seinen Kasten, band die Ziege hinter den Wagen und ließ Bumpy an kurzer Kette unter dem Wagen mitlaufen, während Fifi frei nebenher lief und zur Feier des Aufbruchs laut bellend voraussprang.

Humpelnd und pumpelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung, und der Esel merkte bald, daß es keine angenehme Aufgabe sei, den Wagen auf den sandigen Wegen vorwärts zu bringen, und wenn Mustopf nicht gewesen und unverdrossen neben ihm hergeschritten wäre, würde er bald genug der neuen Aufgabe überdrüssig gewesen sein. So versuchte er, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und dachte: Ach was, vielleicht kommen bald schönere Stunden.

Endlich wurde haltgemacht. Peter und Mustopf wurden ausgespannt und durften mit der Ziege das duftige Gras am Wegrande zum Mittagmahl teilen.

Auch die übrigen Tiere wurden gefüttert. Und dann wurde Probe abgehalten, und die neuen Freunde des Esels zeigten ihm ihre Künste.

Zuerst kam der Bär daran, der unter dem Wagen hervorgeholt wurde und nach dem Klange der Trommel tanzen mußte. Brummend erhob er sich auf seine Hinterbeine und begann seine Künste. Neugierig sah der Esel zu. So etwas hatte er sein Lebtag noch nicht gesehen.

»Vorwärts, Bumpy!« kommandierte der Wagenführer und ließ dem Bären seine Peitsche um die Ohren sausen, sobald er Miene machte, sich wieder auf den Erdboden niederzulassen, worauf sich Bumpy von neuem erhob und seinen Tanz fortsetzte.

Danach war die Ziege an der Reihe. Sie stieg auf einer Leiter auf und ab, und zuletzt mußte sie auf die höchste Spitze steigen, wo sie mit allen vieren auf einem Teller stand, der nicht größer war als die silberne Münze, die die Frau des Bärenführers an einer Kette um den Hals trug.

Werde ich auch solche Kunststücke lernen? dachte der Esel und wiegte bedenklich seinen Kopf.

»Das war großartig, Kuno,« sagte er, als die Ziege wieder von ihrem Gestell herunter war.

»Nun sollst du mich einmal sehen,« sagte Jimmy und sprang mit einem Satz auf den Rücken des Hundes, der wie ein Zirkuspferd im Kreise lief, und der Affe saß wie ein Soldat darauf. Er legte die Hand zum Gruß an die Mütze, die ihm sein Herr aufgesetzt hatte, schoß eine Pistole ab und sprang dann durch einen Reifen, wie ein Kunstreiter.

»Wirklich, ihr habt was gelernt, das muß man sagen,« sagte der Esel. Bei sich aber dachte er: Wann werde ich drankommen? Werde ich auch durch einen Reifen springen, wie ein Soldat gekleidet werden und eine Pistole abschießen?

Zuletzt mußte Mustopf vortreten.

Er war das klügste der Tiere und verstand die unglaublichsten Sachen. Er rechnete 7 und 2 zusammen, nahm 6 von 10 ab und gab seine Antworten durch Scharren mit dem Fuße so deutlich zu verstehen, daß der Esel vor Verwunderung nicht wußte, was er sagen sollte. Dann erhob er seine Vorderbeine in die Luft und tänzelte über die Straße, als sei das sein natürlicher Gang, und nur ein Notbehelf von ihm, wenn er sich zur übrigen Zeit herablasse, auf allen vieren zu gehen.

»Was fangen wir aber mit dem Esel an?« rief da der Besitzer der Tiere seiner Frau zu, und die antwortete: »Ja, das wird wohl seine Not haben!«

»Komm mal!« rief der Herr, und der Esel, der begierig war, Ähnliches zu lernen, kam so schnell gelaufen, daß er mit den Hinterbeinen hoch in die Luft schlug.

Der Herr lachte, klopfte ihm den Hals und sagte: »Zunächst mußt du einen anständigen Namen haben, einen Namen von Klang. Wir werden dich Ibrahim nennen. Das ist ein türkischer Name, und türkische Namen klingen gut. – Also Ibrahim, paß auf. Ich spanne hier eine Schnur über die Straße. Siehst du? Es wäre nett von dir, wenn du einmal versuchen wolltest, hinüberzuspringen.«

Aber solche Sachen waren dem Esel zu wenig. Er hatte auf feinere Kunststücke gerechnet, und so oft Fifi auch hinübersprang, um es ihm vorzumachen, er weigerte sich, es ihr nachzutun. Bockbeinig blieb er jedesmal vor dem Strick stehen und schlug mit den Hinterfüßen hintenaus, daß die Frau laut lachte.

»Das ist ja famos!« rief sie ihrem Manne zu. »Da haben wir gleich eine neue Nummer: Ibrahim in seinen unübertroffenen Leistungen als dummer August!«

Der Mann lachte und sagte: »Gut! Mag's dabei bleiben! Da haben wir keine große Mühe mit ihm, und die Zuschauer haben was zu lachen!«

Was soll ich darstellen? fragte sich der Esel. Einen dummen August? Das ist gewiß ganz was besonders Feines. Leise fragte er Mustapha darum.

»Ja,« sagte der, »wir haben schon immer nach einem dummen August ausgeschaut, aber keinen gekriegt! Da mußt du nun kommen! Das ist ein Feld, auf dem du es weit bringen kannst! Ohne einen dummen August kommt ein richtiger Zirkus nicht aus!«

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Da war der Esel noch stolzer als vorhin und dachte: Ich wußte es ja immer, daß ich zu großen Dingen geboren bin!

Nach mehrstündiger Rast setzte sich die Truppe von neuem in Bewegung und zog langsam weiter auf Klein-Groschnowitz zu. Aber der Esel merkte nicht, daß er sich seiner Heimat von neuem näherte. Denn er war niemals vom Hofe weggekommen und kannte die Gegend, die er letzte Nacht durchlaufen hatte, nicht wieder. Gegen Abend machte man im Dorfe Groschnowitz, das zur Herrschaft Klein-Groschnowitz gehörte, Halt, und während von allen Seiten die Leute zusammenliefen, schickte sich der Bärenführer an, Bumpys Künste vorzuführen.

Bei dem Klang seiner Trommel und dem Klirren des Tamburins, das die Frau schlug, strömten immer mehr Leute zusammen und umdrängten den Platz.

Oh, wie sich Peter, der Esel, nun fühlte! Wie stolz er war, von allen Seiten angegafft zu werden!

»Ob der Esel auch Kunststücke machen muß?« fragte ein Kind.

Du wirst schon sehen, was ich kann! dachte der Esel und freute sich schon darauf, welchen Eindruck es machen würde, wenn er mit den Hinterbeinen in die Luft schlagen und sich weigern würde, über das Tau zu springen.

Aber erst mußte Kuno seine Künste vorführen, und Jimmy mußte auf Fifi reiten, und Mustapha mußte seine Rechenkunststücke vormachen. Da plötzlich zog ihn der Bärenführer hervor, und kaum hatte er begonnen zu rufen: »Nun, meine Herrschaften, habe ich das Vergnügen, Ihnen vorzuführen Ibrahim in seinen unübertrefflichen Leistungen als dummer August!«, als eine Stimme aus dem Kreise der Zuschauer heraus rief: »Ich will mich hängen lassen, wenn das nicht Peter, unser Ausreißer, ist!«

Dem armen Esel fuhr ein eisiger Schrecken durch die Glieder. Er hatte die Stimme des Kleinknechts auf Klein-Groschnowitz erkannt, der vom Gutshause hergelaufen war, um bei der Vorstellung zusehen zu können.

Im selben Augenblick rief auch die Kleinmagd, die mit ihm gekommen war: »Ja, das ist niemand anders als unser Peter Grau.«

Und nun half alle Verstellung nichts mehr. Die Leute waren aufmerksam geworden, und der Gemeindevorsteher, der unter den Zuschauern war, verhörte den Zirkusdirektor und Bärenführer, wie er zu dem Esel gekommen sei, und der gestand nun nach anfänglichem Leugnen, daß ihm das Tier als herrenlos zugelaufen sei, daß er ihn erst seit heute früh besitze und ganz gewiß nichts andres vorgehabt habe, als ihn bei der nächsten Amtsperson als »gefunden« abzuliefern.

Der Kleinknecht hatte den Esel an seinem Halfter und außerdem an einem Brandzeichen auf dem Hinterschenkel sofort wiedererkannt. Damit hatte er ihn einmal aus Spaß gezeichnet, als die jungen Pferde ihr Brandzeichen bekommen hatten, das auf Klein-Groschnowitz in jedem Herbst den Füllen ins Fell gedrückt wurde. Sonst wäre es nicht so leicht gewesen, nachzuweisen, daß der Esel des Zirkusdirektors der Esel von Klein-Groschnowitz war, da ja ein Esel wie der andre aussieht.

Lachend zog der Kleinknecht mit ihm ab, und auf Klein-Groschnowitz lief das ganze Gesinde zusammen, um Peter, den Ausreißer, wiederzusehen. »Ja, er ist ein richtiger Esel,« rief der Großknecht lachend, als er die Geschichte gehört hatte, band ihm einen Strick um die Hinterfüße, damit ihm das Fortlaufen abgewöhnt werde, und jagte ihn mit ein paar Stockhieben wieder zu den Kühen auf die Weide hinaus.

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