Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Die Puppenspielerin

In der Bodenkammer eines alten Landhauses stand ein altes, verstaubtes Puppentheater. Der Vorhang war noch aufgezogen, als wäre das Spiel noch nicht beendet. Wenn man einen Blick in den kleinen Raum hineinwarf, der die Bühne darstellte, sah man in einen düsteren Wald, in dem die letzte Szene wohl gespielt worden war. Einige Puppen hingen noch an ihren Drähten, und im Vordergrunde lag ein Mädchen, als sei es dort im fünften Akt unter einem Dolchstoße zusammengebrochen. Der Mond schien durch das kleine Fenster gerade auf diese Stelle, und die weißseidene Robe der kleinen Puppe erglänzte in seinem Lichte.

Man mußte einmal alles eilig und schnell fortgeräumt haben. Auch die übrigen Puppen des Spieles, der Edelmann, der Mönch und eine andre Dame, die ein köstliches Mieder trug, das mit kleinen Glasperlen zierlich besetzt war, schienen eilig aus der Hand gelegt zu sein. Sie lagen übereinander im Hintergrunde, und nur die Nonne stand noch, von ihren Drähten gehalten, vornübergebeugt, an einer der Kulissen, als spreche sie noch ein Gebet für die Unglückliche, die im Vordergrunde mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken lag und in das Mondlicht starrte.

Ringsherum stand und lag allerhand Gerümpel. Geblasene Glaskugeln für den Christbaum glänzten nachlässig in Watte verpackt aus einer offenen Schachtel, ein halbzerbrochener Stuhl stand dort und ein alter Blumentisch, auf dem noch einige trockene Zweige und Blätter lagen. Ein Haufen alter Zeitungen lag in einer Ecke, und an den Wänden lehnten ein paar alte, fleckige Stahlstiche in schadhaften Rahmen.

Trotz dem Staube, der sich allenthalben gelagert hatte und nun silbergrau im Mondlicht flimmerte, sah in dem kleinen Theater noch alles so lebendig aus, als sei der Puppenspieler nur auf einige Minuten davongegangen, als müßten sich die Puppen jeden Augenblick wieder erheben und ihre Verse aufsagen, Verse voll sanfter Innigkeit und schwingendem Wohllaut lebendig und schwermütig zugleich.

Dabei war es totenstill. Nicht einmal eine Maus hörte man mit den kleinen weißen Zähnen an dem alten, wurmstichigen Holze nagen, mit behenden Füßen hinter der abgesprungenen Tapete rascheln.

»Nein!« rief der Edelmann aus dem Hintergrunde. »Es ist wirklich eine prosaische Zeit! Wie lange warten wir hier nun schon auf unsre Auferstehung! Aber kein Mensch verirrt sich herauf zu uns. Man hat uns gründlich vergessen hier oben!«

»Ach ja!« seufzte die kleine Dame, die bisher wie eine Tote dagelegen hatte. Sie richtete sich ein wenig auf und sah starr zu den andern hinüber.

»Seitdem die alte Dame gestorben ist, hat man uns hier in diese alte, muffige, staubige Bodenkammer verbannt. Wenn sie geahnt hätte, daß man uns einmal so verächtlich behandeln würde!« entrüstete sich der Mönch, und die kleine Puppe mit den Glasperlen auf dem Mieder begann sich den Schlaf aus den Augen zu reiben und trat zu den übrigen, die in einem Kreise zusammen auf der Bühne standen, als wollten sie das unterbrochene Spiel fortsetzen.

»Es bleibt uns nichts andres als unsre Erinnerungen,« sagte der Edelmann und lächelte schmerzlich. »Es geht uns heute, wie es einst der alten Dame ergangen ist. Auch sie lebte ihren Erinnerungen, wenn sie uns des Abends spät, sobald die beiden Kammerjungfern schlafen gegangen waren, aus unsern Kästen hervornahm, den kleinen Vorhang vor unserm Theater in die Höhe zog, die Kerzen anzündete und mit uns das Spiel begann.«

»Ja,« rief der Mönch, »sie war zu alt geworden für die Bühne! Ihre Hände zitterten, wenn sie uns an den Drähten über die Bühne führte und unsre Garderobe ordnete.«

»Das war es!« sagte die Dame mit dem Perlenmieder. »Ihr Gesicht hatte Runzeln bekommen, und die will man auf der Bühne nicht sehen, darum hatte sie sich in dieses alte Landhaus zurückgezogen, wo sie ihren Erinnerungen lebte.«

»Sie konnte nicht ohne Theater sein! Wie oft hat sie es uns zugeflüstert, ehe sie das Spiel begann,« rief der Edelmann aus. »Dabei war alles an ihr alt und gebrechlich, nur die Haare waren noch dunkel und voll. Sie trug sie in die Stirn gekämmt, wie es vor Zeiten einmal Mode war.«

»Es war die Pariser Mode,« rief die Dame mit dem Perlenmieder.

»Nur ihre Stimme schien jung geblieben zu sein; es war Musik, wenn sie sprach!« rief der Edelmann begeistert aus. »Wenn sie die Verse begann, die sie früher auf der Bühne gesprochen hatte, war es mir immer, als wenn mir ein lebendiger Strom durch alle Glieder fuhr. Ich glaube bestimmt, ich hätte mich nicht mit der Eleganz bewegen können, wenn sie nicht dazu die Verse gesprochen hätte. Sie waren Musik, Tanz, Leben, Bewegung!«

»Ja, das ist wahr,« sagte die kleine Dame aus dem Vordergrunde nachdenklich. »Ihre Stimme machte uns lebendig. Ich zitterte immer vor Ungeduld in meiner Kiste, daß der Abend kommen sollte, die Kerzen angezündet würden und unser Spiel wieder beginnen könne!«

»Sie konnte das Theater nicht vergessen, ihren Ruhm nicht, die Kränze und Blumen nicht, die man ihr einst gespendet hatte,« rief der Mönch. »Darum setzte sie stets eine Reihe von Stühlen vor unsre Bühne, als wenn sich ein Auditorium vor uns befände. Und doch sollte nie jemand zugegen sein, wenn wir zusammen Komödie spielten. Und jedesmal verschloß sie erst die Türen, ehe sie begann.«

»Einen Abend vergesse ich nie wieder!« sagte der Edelmann leise. »Sie hatte rote, volle Rosen in ihr braunes Haar gesteckt und schon das Spiel begonnen, als sie plötzlich mitten im Spiel ungeduldig wurde, weil wir zu steif und ungelenk waren, die Drähte losließ und nun im Zimmer selbst zu spielen begann; die Verse stürzten ihr von den Lippen, unaufhaltsam, und sie stand da, mitten im Saal vor den Stuhlreihen im Schein der Kerzen und lächelte zu dem Klang ihrer Verse. Ach, ihre Stimme war göttlich schön! Es war in dem Stück, in dem ich die Verse sprach:

Durch die Nacht zieht leises Sehnen,
Philomele weint am Bach,
dir, Geliebte, gilt mein Sehnen,
träumend folge ich dir nach.«

»O ja!« rief die kleine Dame mit dem Perlenmieder, »ich trug in dem Stück ein Kleid aus rosa Atlas. Ich spielte die Isabella und wollte dich nicht erhören.«

»Richtig,« sagte der Mönch. »Unsre Herrin liebte das Stück, und wir haben es oft gespielt!«

»Wißt ihr noch,« fuhr der Edelmann leise mit flüsternder Stimme fort, »wie sie dann mitten im Zimmer zusammenbrach und herzbrechend schluchzte? Sie weinte leise in sich hinein, und wir waren die ganze Nacht bekümmert und wußten nicht, was ihr geschehen war.«

»Ja, wir erinnern uns noch ganz gut,« riefen die übrigen leise.

»Einige Tage später starb sie,« fuhr der Edelmann fort. »Die Zimmer wurden verhängt, die Türen geschlossen, und niemand kümmerte sich um unsern Schmerz. Einige Wochen später wurden die Sachen ausgeräumt und die Vorhänge und Bilder abgenommen. Neugierige drängten sich in dem Zimmer herum. Oh, ich habe alles deutlich gesehen. Die Kiste stand ein wenig offen, in der wir lagen. Auch uns wollte man ja versteigern, aber niemand bot. Man lachte und schüttelte die Köpfe, als uns der Mann mit dem Hammer hervorzog und den Leuten zeigte. Besitzen wollte uns niemand. Am Abend wurden wir dann auf diese Bodenkammer gestellt, und da stehen wir nun noch und wissen nicht, was wir hier sollen!«

»Es liebt uns keiner mehr!« sagte die kleine Dame und sah bekümmert die übrigen an.

»Nein, man liebt uns nicht!« wiederholte der Edelmann, »und darum stehen wir hier oben und verstauben! Ja, meine Lieben, wir verstauben hier, das ist gar keine Frage! Es ist eine stumpfe, dumpfe Zeit! Es hat niemand mehr ein Verständnis für uns und für die Kunst! Man kennt keine rechte Freude mehr, keine Genüsse, keine heitere Unterhaltung – – man jagt und hastet und hat für uns keine Zeit mehr! Es hat niemand mehr Zeit und Liebe für uns, wie die alte Dame, die bei uns ihren Erinnerungen lebte und ihre göttlich schönen Verse noch genoß, als niemand anders sie mehr hören wollte.«

Die beiden kleinen Frauenzimmer begannen bei diesen Worten des Edelmanns leise zu schluchzen, und die übrigen blickten finster zur Seite. Die Nonne schien ein Gebet zu sprechen.

Da fiel der erste Strahl des Morgens durch das kleine eiserne Fenster in die Kammer. Die Fabrik, die man vor einigen Wochen in dem großen Garten errichtet hatte, wo er die Landstraße berührte, stieß einen gellenden Pfiff aus, der wie ein Dolchstoß in die Morgenstille drang. Verschlafen schüttelten die Vögel in den Zweigen der alten Bäume ihr Gefieder, und während die Sonne stark und voll von neuem Glanz über die Erde heraufstieg und die Maschinen in der Fabrik sich zu drehen begannen, sank unablässig der feine graue Staub auf das kleine Theater und die kleinen Puppen nieder, die wieder auf ihren Plätzen lagen, steif, mit starren Augen, als hätten sie sich nie gerührt.

.


 << zurück weiter >>