Johann Gaudenz v. Salis-Seewis
Gedichte - Ausgabe letzter Hand
Johann Gaudenz v. Salis-Seewis

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Gesang an die Melodie.

                Melodie! du Laut aus höherm Leben!
Deiner Ätherschwingen reinstes Streben
Würde zum Unendlichen sich heben;
Doch ein Schall, der flüchtige, vertönt;
Hallt kein beß'rer Wohllaut uns von Innen
Der, was hier verklang an äußern Sinnen,
Dauernder zum Geistigen verschönt!

Durch des Lebens Kränz' und seine Flittern
Stürmt das Schicksal oft aus Nachtgewittern,
Und die bang' verscheuchten Tön' erzittern,
Wie verwehter Freuden Blüthenhauch
Alles Schöne muß verblüht entschweben;
Die Empfindung flieht, es flieht das Leben,
Und des Wohllauts Strom entrinnet auch. 157

Soll die Fülle seiner Harmonien,
Leuchtend durch des Lebens Thale ziehen,
Darf die Glut der Rührung nie verglühen,
Die der Geister Sonn auf ihn ergoß.
Wie vom Engel, der die Wolken theilte,
Spät noch Licht auf jenem Teiche weilte,
Und die Heilungskraft die ihm entfloß.

Nicht dem Ohre schmeichelnd nur zu kosen, –
Zur Erquickung dem Erquickungslosen,
Flößt das Öl aus deinen Himmelsrosen
Holdes Labsal in des Menschen Herz! –
In der Töne zarten Knospen liegen
Leise Wehmuth, rührendes Vergnügen,
Und der Sehnsucht wonnevoller Schmerz.

Hellas Tochter! holdeste Aöde!
Dort in Chören sang dir der Tragöde,
Dort beseeltest du der Suada Rede,
Schwebtest auf der Dichtung reichem Strom;
Schwandest dann, verklärter zu erscheinen,
Stiegst in Hymnen christlicher Gemeinen
Durch des Tempels Dom zum Sternendom! 158

Heil'ge Andacht, tief und doch erhaben,
Nährtest du des Glaubens Himmelsgaben,
Märtyrer im Todeskampf zu laben,
Lichte Hoffnung, frommes Gottvertrau'n;
Gabst Choral und Psalm die höchsten Weihen,
Und erhellst mit leisen Litaneien
Sterbenden des offnen Grabes Grau'n.

Täuschung wärest du, und bald entflohen,
Was den Muth erhebt, wo Stürme drohen?
Was die Heere stärkt, und die Heroen
Zart zu schonen – kühn zu sterben drang?
Was, wie Sparta's Helden, edle Streiter
In die Schlachten führet freudig heiter,
Ihr Gedächtniß feiert im Gesang? –

Woll' auch uns nicht wirkungslos entschwinden:
Immer sollst du offne Herzen finden,
Und zu schönen Zwecken sie verbinden,
Die Gemüther stimmen rein und klar!
Und des Vaterlandes edle Söhne,
Seiner sanften Töchter Seelentöne,
Bringen dir ein würdig Opfer dar! 159

Sanft entström' aus weiblich milder Kehle,
Mit Gedanken einer Engelsseele!
Ausdruckvoller selbst als Philomele
Töne was ein fühlend Herz erfuhr!
Unsern Busen lindernd zu erweitern,
Sende du, die Seufzer zu begleiten,
Stimmen sanfter Töchter der Natur!

Jedem Sennenhorn auf Tannenhöhen,
Dem bekränzten Kahn auf Alpenseen
Müssen reine Jubel nur entwehen!
Kühner Sinn veredle jedes Lied!
Reine Freiheit höre rein sich grüßen,
Künde weit im Land zu unsern Füßen,
Daß sie nie aus edeln Herzen schied!

Tön' aus jeder Brust im Vollergusse,
Und entzieh uns flüchtigem Genusse;
Stärke dann zu heiligem Entschlusse;
Rüste jeden Laut mit Kraft und Geist!
Weih' uns, fest das Schicksal zu ertragen,
Und das Höchste für die Pflicht zu wagen,
Und den Aufschwung, der von Staub entreißt! 160

Einst zerfallen dir des Raumes Schranken;
Ewige melodische Gedanken
Steigen, wenn des Kerkers Decken sanken,
Aus der Erdentöne Hüll' empor;
Wie des Schwanes Lied, wenn mit Gesange
Er zum Himmel stieg, im Sphärenklange
Schwindend, sich, ein Geisteslaut, verlor. 161

 


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