Johann Gaudenz v. Salis-Seewis
Gedichte - Ausgabe letzter Hand
Johann Gaudenz v. Salis-Seewis

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bild des Lebens.

            Auf des Erdenlebens Steige
Fällt der Freude Silberlicht
Flüchtig, wie durch rege Zweige
Bleiches Mondgeflimmer bricht;
Wie sich Glanz und Nacht verdrängen,
Wo der Tag verlischt im Hain,
Wechseln auf des Schicksals Gängen,
Dunkle Sorg' und Wonneschein.

Wenn der Strauch am Kirchhofswege
Blütchen auf den Brautzug streut,
Neigt das grünende Gehäge
Bald sich auf ein Grabgeleit.
Ulmen, unter deren Blätter
Oft die Nachtigall sich barg,
Leihen bald des Stammes Breter
Zu der Dorfbewohner Sarg. 104

Jener West, der auf dem Waizen
Wonnetaumelnd Wogen schlägt,
Flüstert bang an Denkmalskreuzen,
Wenn ihr dürrer Kranz sich regt;
Heute weht er Regenschauer,
Morgen Goldgewölke fort.
Hebet hier den Flor der Trauer,
Und entblättert Rosen dort.

Wenn, des Reigens Platz zu hellen,
Sich das Abendgold ergießt,
Dringt es auch in Gitterzellen,
Wo sich scheuer Gram verschließt.
Wenn das Meer im Frühroth schimmert,
Färbt sich auch die Klippenbank,
Wo, vom Nachtorkann zertrümmert,
Das bemannte Schiff versank.

Wandrer, der am Strom der Zeiten,
Mit gesenktem Blicke ruht,
Sieh! auf seiner Fluth entgleiten
Wolken-Schatten, Rosen-Glut. 105
Die Natur in ihren Bildern,
Steten Laufs, doch wandelbar,
Heißt den Schmerz durch Hoffnung mildern,
Mahnt den Leichtsinn an Gefahr

Aus dem Schutte feuchter Hallen
Keimt die Steinlevkoje bald;
Heiter, neben Urnen, wallen
Nymphen im Zypressenwald,
Auf der Wahlstatt singt die rasche
Ahnungslose Schnitterin,
Hüpft auf der vergeßnen Asche
Manches Heldenjünglings hin.

Horch was dir des Teiers Leier,
Gleims und Flaccus Muse räth:
Weise, wer der Zukunft Schleier
Nur bekränzt, und nie durchspäht!
Trag' ein Herz, den Freuden offen,
Doch zum Leidenskampf bereit;
Lern' im Mißgeschicke hoffen:
Denk' des Sturms bei heitrer Zeit! 106

Zage nie: Den Kelch der Schmerzen
Würzt ein süßes Nachgefühl;
Hehrer Schauer hebt die Herzen
Im Orkan und Schlachtgewühl.
Hoher Muth und Kraft entquellen
Fest bestandener Gefahr;
Genien des Trosts gesellen
Sich zur Schwermuth unsichtbar.

Späh' nicht in des Stromes Bette,
Labe dich am Rasenbord;
Knüpfe neu der Freuden Kette,
Wenn ein Blumenglied verdorrt!
Donnerschläge, Waldgesänge
Wechseln neben deiner Bahn;
Wandle du durch Blumengänge
Ernst, durch Klippen froh hinan! 107

 


 << zurück weiter >>