Johann Gaudenz v. Salis-Seewis
Gedichte - Ausgabe letzter Hand
Johann Gaudenz v. Salis-Seewis

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Die stillende Mutter.

                Wo das Gebüsch geweihte Schatten streut,
Im Rasensitz, von Weiden überhüllet,
Ruht sie im Schmucke holder Weiblichkeit,
Die Mutter, die geheim den Säugling stillet.

Gesenkten Blicks, gleich einer Charitas;
Durch Demuth hehr, wie die Gebenedeite;
Sieh, wie sie sich im Wohlthun süß vergaß,
Ganz sich der Pflicht – ein Blüthenopfer – weihte.

Sieh, frommen Ernst mit Zärtlichkeit gemischt;
Der Jungfrau Reinheit bei der Gattin Treue;
Des Frohsinns Glanz durch Leiden halb verwischt;
Auf heitrer Stirn der Schmerzen erste Weihe:

Wie sie das Kind an ihren Busen drückt,
Mit holder Sorge zu ihm hingebogen,
Und wonnelächelnd auf den Sprößling blickt,
Den süße Müh' und zarte Angst erzogen. 143

Gleich einer Knospe, die ihr Dorn verletzt,
Zürnt nimmer sie der Ursach' ihrer Schmerzen;
Der stumme Dank im Blick des Kinds ersetzt
Die herbsten Leiden einem Mutterherzen.

Der ersten Freude mattes Morgenlicht,
Das sich auf ihres Kleinen Wangen neigte,
Verklärt im Wiederschein ihr Angesicht,
Wenn es auch thränenfeucht sich zu ihm neigte;

Wie Philomele rein und leiser lockt,
Den Fittig wärmend um ihr Nest verspreitet,
Wo sie, von Weißdornblüthen überstockt,
Der Mutter süßes Wiegenlied begleitet;

Wo häuslich eingekleidet, schlicht und rein,
Wie die geschloßne Lilie verschleiert
In leiser Dämmerung Verklärungsschein
Sie nach des Hauses treuen Sorgen feiert.

Der Abendstern ergeußt sein mildes Licht
Mit Wohlgefallen durch bethaute Zweige,
Doch milder, klarer leuchtet Hesper nicht,
Als jener Blick, der Mutterwürde Zeuge. 144

Die reine Grazie der Mutterhuld,
Die ernste Schwester jüng'rer Charitinnen,
Zart wie die Liebe, fest wie die Geduld,
Treu wie der heil'gen Flamme Hüterinnen,

Steht, als ihr Engel, schirmend hinter ihr,
Und wen der Unsichtbaren Glanz umleuchtet,
Flieht eitler Wunsch und sinnliche Begier,
Wo fromme Sehnsucht nur ihr Auge feuchtet.

Durch Liebe stark, vermag ein Mutterherz
Den schönen Kranz von ihren Jugendtagen,
Verlächelnd des Verblühens leisen Schmerz,
Auf den Altar der Treue froh zu tragen.

Nicht fragend, ob verdienten Dankes Spur
Im jungen Sinn sich löschte oder bliebe,
Sie spendet wie die gütige Natur;
Ihr Zweck ist Wohlthun und ihr Wesen Liebe.

Wohl uns, es knüpft des Weltenlenkers Hand,
Wie an den Pappelstamm die Glockenwinden,
Uns an der Mutterliebe zartes Band,
Eh' wir den Sturm des Schicksals noch empfinden. 145

 


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