Johann Gaudenz v. Salis-Seewis
Gedichte - Ausgabe letzter Hand
Johann Gaudenz v. Salis-Seewis

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Andenken an die Abwesenden.

        Wenn sich durch der Entfernung dichten Schleier
Uns euer Bild, ihr Trautesten, verhüllt,
Und unser Blick, gesenkt zu stiller Feier,
Wie Thau zerfließt, der dunkle Blumen füllt –
Wie beim Verstummen der entlegnen Leier
Ein Klang aus gleichgestimmten Saiten quillt,
Erhallt im Busen uns mit geist'gem Laute
Das Wort, das euer Herz uns einst vertraute.

Doch dämmernd, wie durch vorgesunkne Flöre,
Ein magisches, verblichnes Luftgesicht,
Zu zart, daß es den Sinnen angehöre,
Schwimmt euer Blick in der Erinn'rung Licht.
So hinter Wolken hellt die Atmosphäre
Der Mond; man sieht den Schein, fern Antlitz nicht,
Und wähnt, sein Schimmer zittre auf den Wellen,
Die des Entschwundnen Blicke noch erhellen. 130

Um unsern Sinn in Prüfungsglut zu läutern,
Reißt das Geschick uns oft von Freundes Hand;
Da, wo die fremden Flächen sich erweitern,
Zieht Sehnsucht enger noch ihr Seelenband,
Nur Schatten des Vergangnen zu Begleitern,
Durchwandelt Psyche der Verbannung Land,
Daß die Verlaßne, tief in öder Ferne,
Die Liebe zu dem Unsichtbaren lerne.

Sieh, Amor hat sich ihrem Blick entzogen,
Denn ihm gebot des Schicksals ernster Schluß,
Doch unsichtbar zieht er mit ihr, den Bogen
Zum Schuß gespannt – ein mildrer Genius;
Ihr Leitgestirn bleibt auch durch Sturm und Wogen
Des Gottes Fackel; rein wie Geisterkuß
Umweht sein Hauch ihr kühlend Stirn und Wangen,
Und übersinnlich glüht nun ihr Verlangen.

Auch jene Schatten, die uns treu geleiten,
Wo unser Pfad in Wüsten sich verwebt,
Sind rein, gleich den von Erdenstoff Befreiten,
Sind lauter Geist, an dem kein Staub mehr klebt. 131
Hier lernt man unsrer Sehnsucht Zweck zu deuten,
Die stets der engen Gegenwart entstrebt;
So lang des Daseins Dämm'rungsstunden währen,
Kann nur Entferntes sich für uns verklären.

Oft wenn der Trennung Seelenwunden bluten,
Wenn Sorglichkeit und Ahnung uns bedrängt,
Weil nur noch von entflohenen Minuten
Die Gegenwart den dürft'gen Trost empfängt –
Ach! nur ein ungesichertes Vermuthen,
Was jetzt das Schicksal über sie verhängt,
Ein Echo, hergeweht aus ihrem Leben,
Kann nur von dem Vergangnen Kunde geben.

Kann Sehnsucht nie der Seelen Kraft erhöhen?
Wenn reines Streben unsern Geist erhebt,
Verkündet oft ein ahnungsvolles Wehen,
Daß ein verwandtes Wesen uns umschwebt.
Auch Amor braucht das Äußre nicht zu sehen,
Ein Bild genügt, das tief im Herzen lebt;
Ein Traum von den Geliebten, kurz und flüchtig,
Ist schönen Seelen immer süß und wichtig. 132

Aus Morgenthau und Blüthenkelchen ziehen
Die Bienen ihre zarte, süße Kost;
Auch Sehnsucht hängt am Kelch der Phantasien
Und saugt aus Thränenthau den süßen Trost;
Die Blumen, aus der Geisterwelt entliehen,
Versenget nie des kalten Daseins Frost;
Erinn'rung malt ihr, wie auf klaren Teichen,
Ein holdres Bild, als das, was wir erreichen.

Das Schönste, was hienieden uns erscheinet,
Ist immer noch mit rohem Stoff umwebt.
Ihr, die nach dem, was ewig uns vereinet,
Nach Freundschaft, die unendlich dauert, strebt,
Nach einem Wiederfinden all' der Seinen,
Die man vor uns und einst nach uns begräbt,
Durchdringt die Wolke, die das Grab umdüstert:
Die Edeln bleiben ewig sich verschwistert.

Getrost! es hüllt, wie Duft die niedern Auen,
Auch unser Herz noch oft der Schwermuth Flor:
Der Hoffnung Glanz im nassen Auge, schauen
Wir zu des ew'gen Aufgangs Höh' empor; 133
Hoch über Sternen kennet das Vertrauen
Den Sammelplatz deß, was sich hier verlor;
Nichts trennt die Geister – Eine hehre Halle,
Die Welt des Herrn, faßt und umfängt uns Alle. 134

 


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