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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Ein neuer Anfang

In diesem Augenblick trat John Orange in die Kajüte, nahm die Mütze ab und fragte mit sehr unterthänigem Gesicht, ob er seinen alten Posten als Steward wieder übernehmen oder ob er nach vorn gehen und Matrosenarbeit thun solle.

»Wir brauchen jemand hier achtern,« antwortete Richard, »besonders jetzt, wo ich mich allein gar nicht behelfen kann. Aber wie steht es mit Ihren Launen? Glauben Sie wohl, daß Sie lernen können, ein freundliches Gesicht zu machen, wenn ich Sie Ihre frühere Stellung wieder einnehmen lasse?«

»Es ist mir ganz neu, daß ich Launen haben soll,« erwiderte Orange. Es wäre für ihn ebenso unmöglich gewesen, in sein saures Gesicht einen freundlichen Ausdruck zu legen, als ob man es unternehmen wollte, die Früchte des Zitronenbaumes dadurch süß zu machen, daß man die Wurzeln mit Syrup bestreicht. »Da das Geschehene vergessen sein soll, Kapitän, werde ich mein Bestes thun. Meine Pflichten als Steward kenne ich und bin besser an die Kajüten- als an die Deckarbeit gewöhnt.«

»Nun gut,« meinte Richard, »Sie können Ihren alten Dienst wieder antreten. Dort ist die Pantry; schlafen müssen Sie aber vorn.«

»Darauf kommt es nicht an, Herr,« antwortete der Bursche, offenbar sehr froh darüber, wieder in seinem alten Berufe beschäftigt zu sein. »Soll ich das Frühstück gleich klar machen?«

Richard bejahte und Orange begab sich in die kleine Pantry, wo wir ihn gleich darauf zwischen den Schüsseln und Tellern herumhantieren hörten.

Mein Mann bat mich, an Deck zu gehen, um zu sehen, was die Leute thäten und Herrn Short mitzuteilen, daß er ihn zu sprechen wünsche. Der Zimmermann stand am Großdeck und starrte umher wie ein Mann, der ein neues Schiff gekauft hat und nun sehen will, ob er auch nicht damit betrogen ist. Ich richtete Richards Bestellung aus, worauf er an die Mütze griff – eine Höflichkeit, die er mir an Bord der ›Aurora‹ niemals erzeigt hatte – und sofort in die Kajüte ging.

Spence stand noch immer am Ruder, und ich sagte ihm einige anerkennende Worte, worüber der arme Junge ganz gerührt und verlegen wurde. Dann beobachtete ich, wie die Leute das große Boot der ›Aurora‹ aufhißten und hatte eben eine Unterhaltung mit Dan Cock, dem Mulatten, angeknüpft, als der Steward mich unterbrach und mir meldete, daß das Frühstück angerichtet sei.

Als ich in die Kajüte trat, kam James Snow gerade heraus und grüßte mich im Vorbeigehen sehr ehrerbietig. Der Steward hatte die Tafel sehr reich besetzt; am besten gefiel mir aber das Aussehen meines Mannes. Wie durch Zauberei hatte er plötzlich den sorgenvollen, fast abgehärmten Zug im Gesicht verloren. Eine leichte Röte bedeckte seine Wangen und seine Augen glänzten. Wenn auch bei jedem Versuch, Kopf und Schultern in eine andere Lage zu bringen, ein Ausdruck von Schmerz und Ungeduld in seinen Zügen sichtbar wurde, so hatte ich ihn doch seit der ersten Woche unserer Reise noch nicht wieder so sehr als den alten gesehen wie jetzt.

»Jessie, mein Schatz,« rief er, »jetzt kannst du dir die Sache leicht machen. Nimm den Hut ab, setz dich und frühstücke recht ordentlich. Dann mußt du dich hinlegen und den Rest des Tages schlafen. Du bedarfst dringend der Ruhe, du kleines, schwer arbeitendes Frauchen.«

»Dein Aussehen thut mir wohler als Ruhe, Richard,« sagte ich. »Erst vor vierundzwanzig Stunden hat dich der Unfall betroffen und du siehst jetzt schon besser aus wie seit langer Zeit. Das spricht doch dafür, daß wir von dem Knochenbruch nichts mehr zu fürchten haben.«

»Wenn ich danach urteilen kann, wie ich mich fühle, gewiß nicht,« antwortete er. »Ich bin so munter wie nur jemals. Diese plötzliche Bemannung der Brigg hat mir sehr wohl gethan. Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie es mich erleichtert, die Stimmen der Leute an Deck zu hören und zu wissen, daß mein Liebling sich jetzt nach seinen edlen Thaten ausruhen kann.«

»St!« rief ich. »Ich habe nichts besonderes Edles gethan –«

»Glaubst du nicht?« unterbrach er mich. »Dann warte nur ab, bis ich die Geschichte an Land erzähle und den Leuten beschreibe, wie du ganz allein an Deck in dunkler Nacht am Ruder gestanden hast, während dein Mann hilflos in der Kajüte lag und sein Leben von deiner Liebe und Unerschrockenheit abhing. Daran, was andere darüber denken, wirst du ja sehen, ob man das, was du gethan hast, eine edle Handlung nennt oder nicht. Aber nimm deinen Hut ab, Schatz, und laß uns frühstücken. Ich bin so hungrig wie ein Wolf.«

Während wir frühstückten, erzählte mir Richard, was er als Ursache der Meuterei erfahren hatte: »Snow war eben bei mir; ich sah ihn vorübergehen und rief ihn herein. Ich sagte ihm, daß ich mich von Herzen freue, zu sehen, daß er und seine Kameraden ihre Handlungsweise bereuten und bat ihn, mir offen zu sagen, weshalb sie gegen einen Mann, der ihnen nichts zuleide gethan hatte, meuterten. Er antwortete, daß die Mannschaft schon sehr gegen diese Reise eingenommen war, als wir die Downs verließen. Man suchte nach einem Grunde, um die Arbeit verweigern zu können, und kam überein, daß er, Cock und Craig die Dummen spielen sollten. Heron hatte damit nichts zu thun. Als er es aber erfuhr, bestärkte er sie noch in ihrem Vorsatz aus Haß gegen mich. Er wollte mir noch soviel Unannehmlichkeiten wie möglich bereiten und mich schließlich zwingen, umzukehren, wodurch natürlich mein Ruf als Kapitän sehr gelitten haben würde. Auch der Zimmermann stimmte mit ein, und als die Leute sahen, daß beide Steuerleute ihre Partei nahmen, dauerte es natürlich nicht lange, bis sie ganz offen zu meutern anfingen. So erzählt Snow, und das glaube ich auch.«

»Es klingt sehr wahrscheinlich,« meinte ich. »Ich denke, wir können den Leuten jetzt trauen.«

»O ja; sie verlangen ebensosehr nach Hause wie wir. Auch wissen sie ganz gut, daß sie von mir nicht viel zu fürchten haben. Sie meuterten freilich, aber sie können mit Recht beschwören, daß ich ihnen verziehen hatte und daß sie ihren Schiffsdienst bis zu dem Augenblick verrichteten, wo das Schiff in Flammen stand. Ich zweifle, ob irgend etwas darauf folgen würde, wenn ich die Sache vor Gericht brächte.«

»Und nun, Richard,« fragte ich, als das Frühstück beendet war, »wie sollen wir es einrichten, daß du es etwas bequemer hast? Du kannst doch an Deck nicht immer auf der Matratze liegen?«

»Ich werde Short bitten, mir eine Art Tragbahre auf Ständern zu bauen, auf der ich bei Tage liegen kann. Des Abends können mich dann ein paar Mann samt der Matratze in die Koje legen. Das kann übrigens sogleich geschehen. Rufe mir den Steward, Jeß; er ist draußen an Deck.«

Orange erschien und Richard trug ihm auf, den Zimmermann zu bitten, in die Kajüte zu kommen, sobald er mit Segelsetzen fertig sei. Ein paar Minuten später trat Herr Short ein. Er stand verlegen in der Thür und drehte seine Mütze zwischen den Fingern herum. Es freute mich, zu sehen, daß auch dieser Schurke noch etwas Schamgefühl besaß. Es war wenigstens ein Beweis dafür, daß er trotz all seiner schlechten Eigenschaften ein Gewissen hatte.

»Nun, Herr Short,« sagte Richard, und sprach gerade so, als ob sie stets die besten Freunde von der Welt gewesen wären, »haben Sie alle Segel bei, die die Brigg vertragen kann?«

»Sie ist unter vollen Segeln,« antwortete Short. »Vertragen kann sie noch alle Leesegel, die an Bord sind; ich dachte aber, ich ließe die Leute lieber erst ausscheiden und frühstücken, ehe sie die Leesegelspieren ausschieben.«

»Ganz recht, und sehen Sie darauf, daß die Leute es sich in ihrem Deckhause so bequem machen, wie es die Umstände gestatten.« Ein kleiner Tisch ist ja wohl darin, und Teller und sonstige Sachen, die noch fehlen, können Sie aus der Kajüte bekommen. Achten Sie auch darauf, daß das Haus genügend gelüftet wird. Und nun, Herr Short, wollen Sie hier mit uns essen?«

Er zögerte, sah sich um und antwortete: »Ich bin damit einverstanden, in der Kajüte zu essen, wenn Sie und Ihre Frau Gemahlin gespeist haben; schlafen möchte ich lieber vorne mit den Leuten zusammen.«

»Gut,« sagte Richard, indem er mir einen bedeutungsvollen Blick zuwarf; »das Frühstück steht auf dem Tisch, dort ist die Theekanne. Ist Snow an Deck?«

»Jawohl, Herr!«

»Dann setzen Sie sich, Mann, und frühstücken Sie.« Herr Short ließ sich nicht nötigen, setzte sich und aß mit großem Appetit. »Herr Short,« fuhr Richard fort, »Sie sehen, in welcher Lage ich mich befinde. Wenn ich durch den Kopf geschossen wäre, könnte ich auch nicht hilfloser sein als jetzt.«

»Thut mir leid, Kapitän,« versetzte Short, mit beiden Backen kauend. »Hoffentlich wird es dem Beine nichts schaden, daß Sie so lange warten müssen, ehe es der Doktor behandeln kann.«

»Das weiß ich nicht; ich verstehe zu wenig von Chirurgie,« sagte Richard. Er behielt klugerweise immer denselben freundlichen Ton bei. »Aber ich wollte fragen, ob Sie mir nicht ein Gestell zurecht zimmern möchten, womit mich die Leute an Deck tragen könnten, wenn ich die Höhe nehmen oder frische Luft schnappen will. Es müßte aber hier in der Kajüte Platz haben, damit ich nicht immer in der Koje zu liegen brauche.«

»Wissen Sie vielleicht, ob Handwerkszeug an Bord ist, Herr?« fragte Short.

»Ja, eine ganze Kiste voll in dem oberen Deckhause.«

»Dann kann ich Ihnen in ein paar Stunden solch Ding machen, genau wie Sie's brauchen, Herr.«

Richard dankte ihm im voraus und meinte, er hege keinen Zweifel, daß Herrn Shorts Machwerk allen Ansprüchen genügen würde.

Es schien mir fast sonderbar, daß er sich so freundlich mit Short unterhielt, aber doch sah ich ein, daß mein Mann sehr weise handelte. Hätte er den vollen Gebrauch seiner Gliedmaßen gehabt, so würde er diesem Ungeheuer gegenüber wohl ganz anders aufgetreten sein, das gemeinschaftlich mit dem Steuermann ihm so viel Schaden zugefügt hatte, als es irgend konnte. Jetzt aber war er wehr- und hilflos; eigentlich hatte der Zimmermann das Kommando über die Brigg. So reuig die Mannschaft zu sein schien, trauen konnten wir den Leuten deshalb doch noch nicht. Wir mußten uns aber so anstellen, als hätten wir keine Abneigung gegen die Leute, als wäre jede Erinnerung an das Vergangene in uns erloschen durch die Freude, die Brigg wieder bemannt und auf dem Wege nach Hause zu sehen.

Herr Short war eifrig dabei, die Arbeit für Richard in Angriff zu nehmen. Nun konnte er ja zeigen, wie gut er es meinte. Er beeilte sich sehr mit dem Frühstück, sprang nach ein paar Minuten auf und verließ, ohne ein Wort zu reden, die Kajüte.

»Es freut ihn, daß er Gelegenheit hat, mir einen Gefallen zu thun,« meinte Richard mit leiser Stimme. »Das ist ein gutes Zeichen. Short steht nun ziemlich allein da und muß jetzt den Ehrlichen spielen, wenn er mich auch womöglich noch mehr haßt wie an Bord der ›Aurora‹.«

»Wenn die Leute erst einsehen,« bemerkte ich, »daß sie all ihre Sachen nur deshalb verloren haben, weil Heron und der Zimmermann ihnen keine Zeit ließen aus Furcht, wir könnten an Deck kommen, dann werden sie Herrn Short auch nicht gerade mit freundlicheren Augen ansehen.«

»Richtig, Jeß,« rief er lachend. »Ich sehe, du verstehst dich bereits auf Matrosen.«

Der Steward kam, um das Frühstücksgeschirr abzuräumen, und die nächste Viertelstunde brachte ich damit zu, für Richards Bequemlichkeit zu sorgen. Ich wusch sein Gesicht, legte ihm einen neuen Verband an und brachte ihm Papier, Karten und Bücher und alles, was er sonst noch verlangte, aus der Kapitänskammer.

Dann entschloß ich mich, mir etwas Ruhe zu gönnen. Zwei oder drei Stunden Schlaf, das fühlte ich, würden jetzt, wo sich unsere Aussichten so glücklich geändert hatten, genügen, mir meine ganze Kraft wiederzugeben. Der Steward hatte meine Matratze bereits in die Koje meiner Kammer gelegt; mit ein paar wollenen Decken, die den ganzen vergangenen Tag über der Sonne und dem Wind ausgesetzt, also gründlich ausgelüftet waren, bereitete ich mein Lager. Dann legte ich mich nieder und schlief auch sofort ein.

Als ich erwachte, war die Uhr halb zwölf. Der Schlaf hatte mich neu gestärkt; die Schmerzen in den Gliedern hatten nachgelassen und mein Kopf war klarer.

Zu meiner großen Ueberraschung sah ich meinen Mann, als ich aus der Kammer trat, bereits auf einer rohen, aber stark zusammengefügten Tragbahre liegen. Die Träger derselben ruhten auf Füßen, ungefähr drei Fuß hoch über dem Deck. Der Zimmermann hatte ein ausgezeichnetes Stück Arbeit geliefert. Der Boden der Bahre bestand aus straff darüber genageltem Segeltuch, und das Ganze schaukelte in dem Rahmen wie eine Hängematte.

Richard lachte, als ich das Ding anstaunte, und rief: »Wie gefällt dir das, Jeß? Könnte ich es wohl in einem Hospitalbett besser haben?«

»Vorzüglich,« antwortete ich. »Mit Hilfe von ein paar Leuten kannst du damit ebensogut umherwandern wie auf deinen Beinen.«

Er lachte und sagte: »Und das beste an der Geschichte ist jedenfalls, daß es Thomas Short sein mußte, der seine Erfindungskraft zu meinen Gunsten anstrengte! Die Welt ist rund und dreht sich und unerwarteterweise kommt man doch auch 'mal wieder obenauf. Haben dich die Leute auch nicht im Schlummer gestört, Jeß, als sie den Apparat hier aufstellten?«

»Ich habe nichts gehört,« konnte ich ihn beruhigen. »Ich bin eben erwacht und fühle mich nach dem Schlaf bedeutend besser.«

»Du siehst auch besser aus. In zehn Minuten werden sie mich an Deck tragen, damit ich mir die Sonne langen kann. Wenn dieser Wind anhält, können wir bald den Passat spüren, obgleich die Brigg, wie ich höre, gerade kein Klipper ist.«

»Klipper oder nicht; jedenfalls ist sie besser als ein offenes Boot.«

»Ja, mein Schatz, denn nun kannst du wieder die Ruhe haben, die du brauchst, und bist wieder eine Dame und nicht mehr ein armer Janmaat, der an den Tauen zieht und holt und aussingt. Diese Brigg wird uns nach Hause tragen und auch unsere Taschen füllen, Jeß!« – Damit ergriff er meine Hand, küßte sie und sah mich liebevoll an.

Nach einer Pause brachte ich meine neueste Sorge zur Sprache und sagte: »Richard, ich möchte etwas mit dir besprechen. Was soll ich in Bezug auf Kleider anfangen – ich meine Unterkleider, Wäsche? Ich habe nur, was ich auf dem Leibe trage. Wie soll ich damit auskommen, bis wir zu Hause sind?«

Er sah ziemlich ratlos aus und sagte: »Ja, was sollen wir thun? Könntest du nicht vielleicht ein paar von den Laken aus den Kojen in unseren Kammern verarbeiten?«

»Das ist eine Idee!« rief ich. »An die Laken habe ich noch gar nicht gedacht. Sie sind aus Kalliko, und wenn ich Nadel und Zwirn hätte, ließe sich das wohl machen.«

»Nadel und Zwirn! Wenn du das Schränkchen in der Kapitänskammer untersuchst, wirst du richtiges Seemanns-Nähzeug, Baumwolle, Zwirn, Nadeln und alles, was dazu gehört, finden. Es giebt nicht viele Seeleute, die ohne das in See gehen. Also in dem Schränkchen, wenn ich nicht irre, in der linken Ecke, dicht neben dem ledernen Geldbeutel. Ich wollte es dir schon geben, als ich es sah, und vergaß es nachher wieder.«

Nun hatte ich gleich Arbeit, um mich einige Tage hindurch zu beschäftigen. Obgleich die Laken nicht gerade aus dem Stoff bestanden, den ich im Laden zu diesem Zwecke gewählt haben würde, mußten sie doch als Notbehelf genügen.

Richard sah den Steward zur Kajütenthür hereintreten und rief ihm zu, er solle Herrn Short mitteilen, daß er ein paar Leute wünsche, um ihn an Deck zu tragen.

Gleich darauf erschienen Grey, Moore, Quill und der Zimmermann selber, dem ich gleich meinen besten Dank für die treffliche Sänfte aussprach, die er für meinen Mann gemacht hatte.

»Keine Ursache zum Dank, Madame,« sagte er. »Es ist nur rohe Arbeit, aber ich wollte den Kapitän nicht zu lange warten lassen. Wenn das Ding auch nicht gerade fein aussieht, garantiere ich doch dafür, daß es stark genug ist, um ein Haus zu tragen. Nun, Jungens, alle zugleich und vorsichtig.«

Die vier Leute trugen nun die Sänfte behutsam und ohne Erschütterung an Deck. Ich folgte mit dem Sextantenkasten unter dem Arme. Ich fürchtete schon, daß sie nicht durch die kleine Thür hindurch könnten. Das hatte Short aber auch berücksichtigt und danach die Breite der Sänfte genau bemessen. Die Leute trugen Richard um die Kajüte herum bis an die kleine, auf das Dach derselben führende Treppe. Mit großer Geschicklichkeit kamen sie auch über die Treppe hinweg. Dann holte einer den auf den Füßen ruhenden Rahmen, und gleich darauf saß Richard, von ein paar Kissen im Rücken unterstützt, aufrecht da, mit dem Sextanten am Auge und so bequem, wie man es unter solchen Umständen nur verlangen konnte.

Herr Short blieb in der Nähe und schien eifrig bemüht, sich nützlich zu machen. Sein Benehmen gab mir ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Wir waren zwar nicht ganz in seine Hand gegeben, denn ich hatte bemerkt, daß die Leute sich bemühten, das Vergangene wieder gut zu machen – die meisten wenigstens. Bei einigen, wie Quill und Cock, konnte man jedoch nie ganz sicher sein. Den Zimmermann hielt ich allerdings nicht für fähig, seine Missethaten zu bereuen; vielleicht hielt er es aber jetzt für klüger, wenigstens so zu thun. Er vermutete wahrscheinlich, daß ihm eine ziemlich schwere Strafe bevorstände, wenn Richard sein Betragen auf der ›Aurora‹ zur Sprache bringen würde, und suchte daher meinen Mann nach Kräften zu unterstützen, damit er wenigstens für die Reise auf der ›Bolama‹ ein ausgezeichnetes Zeugnis beanspruchen könne.

Es stimmte mich natürlich sehr froh, Richard wieder an Deck zu sehen, wo er die reine Luft atmen, seine Beobachtungen machen und die Brigg so gut navigieren konnte, als ob er hätte gehen können.

Ab und zu unterbrach er die Beobachtung der Sonne, schaute sich vergnügt ringsum und rief: »Das thut mir aber wohl, Jeß! Ich fühle mich wie neugeboren.«

In ein paar Minuten hatte die Sonne die Mittagshöhe erreicht und Richard machte acht Glas. Dann wurde er wieder in die Kajüte getragen, und zwar diesmal in seine Kammer, wo ich eine Weile bei ihm blieb und ihm Bücher, Karten und alles Nötige zureichte.

Ich schlug vor, wenn er meine Dienste augenblicklich nicht brauchte, so wäre es wohl gut, wenn ich, als seine Vertreterin, einmal nach vorn ginge und die Leute fragte, ob sie in ihrem Deckhause bequem untergebracht seien, ob Wasser und Proviant gut seien u. s. w.

»Ja, Jeß, das könntest du thun,« stimmte mir Richard bei. »Das erinnert mich übrigens daran, daß ich dem Zimmermann sagen muß, er möchte den Proviantraum untersuchen, damit wir wissen, wieviel Nahrungsmittel und Wasser wir eigentlich an Bord haben. Das kann aber auch noch bis nachmittag bleiben.«

Ich ging nach vorn und ließ ihn bei seinen Berechnungen zurück. Die Leute waren alle im Deckhause. Außer dem Manne am Ruder befand sich nur der Zimmermann an Deck, der den Ausguck während der Zeit übernommen hatte, wo Snow zu Mittag speiste. Ich zögerte ein wenig, als ich an die Thür des Deckhauses gekommen war und die Stimmen der Leute hörte. Fast wäre ich umgekehrt; der Zimmermann beobachtete mich jedoch vom Dach der Kajüte aus und ich fürchtete, er könne glauben, daß ich irgendwie spionieren wollte. Ich trat also in die Thür und blickte hinein. Das Haus war für ein so kleines Schiff ganz geräumig. An einer Seite befand sich ein mittelgroßer Klapptisch und an dem Querschott vorn eine Bank. Die Leute hatten einige zusammengerollte Segel aus der Segelkoje geholt und so gelegt, daß sie gleichzeitig als Sitze und als Betten dienten. Dort saßen sie, neun an der Zahl. Einige aßen ihr Mittagbrot; andere rauchten aus den wenigen vorhandenen Pfeifen gemeinschaftlich, indem sie sie herumgehen ließen wie die Indianer. Ein Mann schnitt Tabak zurecht, um die Pfeifen sofort wieder zu füllen.

Wenn ich an jene schweren Zeiten zurückdenke, werde ich mich stets an dieses eigentümliche Bild erinnern. Mitten auf dem Deck stand eine kleine, hölzerne Bütte, in der ein rauchendes Stück Pökelfleisch lag. Davon schnitten die Leute sich ihre Portionen mit ihren Scheidemessern ab, die sie fast alle bei sich trugen, als sie die Bark verließen. Neben der Bütte stand eine vierkantige Flasche mit in Essig eingelegten Zwiebeln, die nebst etwas Schiffszwieback die Mahlzeit vervollständigten.

Sie starrten mich an, als ich hineinsah, blieben aber ruhig sitzen und fuhren fort, zu rauchen und zu essen. Doch bemerkte ich, daß sie alle eine weniger nachlässige, ich möchte sagen, respektvollere Haltung annahmen.

»Kapitän Fowler hat mich hergeschickt,« sagte ich, »damit ich mich überzeuge, wie es Ihnen hier geht. Sie wissen ja, daß er selber nicht imstande ist, nachzusehen, ob Sie es sich so bequem gemacht haben, wie die Umstände es gestatten.«

»Es geht uns ganz ausgezeichnet,« antwortete Snow. »Ein gutes Teil besser als in dem großen Boot, nicht wahr, Kameraden?«

»Ja, darauf kannst du Gift nehmen, Jim,« meinte Craig.

»Ist der Proviant gut?« fragte ich.

»Ja, Madame, es ist alles gut,« sagte Craig. »Es ist ein wahrer Genuß, 'mal wieder ein ordentliches Stück Fleisch zu essen.«

»Es ist schade, daß Sie nicht mit Kleidern versehen sind,« meinte ich; »sonst, denke ich, könnten Sie sich hier ganz behaglich fühlen, wenn Sie auch nur Segel statt Matratzen haben.«

»Achtern im Proviantraum ist eine Slogkiste, Madame,« rief Spence.

»Um so besser,« sagte ich. »Ich werde es meinem Manne mitteilen, und er wird jedenfalls anordnen, daß die Sachen verteilt werden. Soll ich ihm sonst noch etwas bestellen? Oder kann ich irgendwie dazu beitragen, es Ihnen ein bißchen bequemer zu machen?«

Ich bemerkte, daß Quill sein Gesicht abwandte. Meine freundlichen Worte hatten also den Eindruck bewirkt, den ich beabsichtigt hatte. Es war sicherlich ein gutes Zeichen, daß der Rädelsführer der Meuterei soviel Schamgefühl und Reue zu empfinden schien, daß er mich nicht gerade ansehen konnte.

»Nein, Madame, wir danken schön; wir haben nichts weiter nötig,« sagte Snow nach einer kleinen Pause.

»Nur etwas, gnädige Frau,« rief Craig. »Daß Sie nämlich nicht glauben, daß auch nur ein Mann in diesem Hause ist, der seine Zustimmung dazu gegeben hätte, Sie und den Kapitän an Bord der Bark zurückzulassen, wenn der Steuermann nicht geschworen hätte, daß Sie beide tot wären und daß es unmöglich sei, vor Feuer und Rauch heranzukommen.«

»Ja, das ist die Wahrheit,« rief Quill, indem er sich plötzlich umwandte. »Die ganze faule Geschichte geschah nur, weil der Steuermann fortwährend trieb und schrie.«

»Mein Mann sagte Ihnen schon, daß er Ihnen glaubt,« versicherte ich. »Am besten ist es, wenn wir gar nicht mehr davon reden. Herr Heron ist tot und ich bin sicher, daß Sie alle Ihre Ansichten über Kapitän Fowler gründlich geändert haben und daß Sie ihm, der jetzt ein hilfloser Invalide ist, helfen werden, dies Schiff sicher nach England zu bringen.«

»Darauf können Sie sich verlassen,« rief Snow und schlug mit der flachen Hand auf das Knie. »Das thäten wir schon Ihretwegen, denn gegen Sie hat keiner von uns jemals etwas gehabt. Der junge Spence hat uns erzählt, wie Sie Wache gehalten und Matrosenarbeit verrichtet haben, als der Kapitän sich das Bein brach. Mit einer Frau, die sich so benommen hat, wo die meisten Damen in Ohnmacht gefallen wären, mit der kann man um die Welt segeln.«

Ein allgemeines Beifallsgemurmel folgte auf diese Rede, und da nichts weiter zu sagen war, nickte ich den Leuten zu und entfernte mich wieder.

Inzwischen war auch für uns die Zeit des Mittagsmahles herangekommen. Richard hatte seine Berechnungen beendet und den Schiffsort in die Karte eingetragen. In der Meinung, daß der augenblicklich wehende Wind bereits der Passat sei, hatte er dem Zimmermann aufgetragen, sobald die Leute gegessen hätten, die Raaen scharf anzubrassen, damit das Schiff imstande wäre, einen möglichst nördlichen Kurs zu machen.

»Ob es nun der Passat ist oder nicht,« meinte er, »so wollen wir ihn doch so benutzen, als ob er es wäre. Wir wollen nach Norden und nicht nach Westen, und ein einziger Breitegrad ist mehr wert für uns als sämtliche Längengrade.«

Snows Bemerkungen über mich und die Beistimmung der Leute gefielen ihm sehr, und er sagte, daß er die Anerkennung, die mein Benehmen bei ihnen gefunden hätte, für den besten Beweis ihrer guten Vorsätze hielte.

»Wenn sie uns auch betrogen haben,« fügte er hinzu, »es sind doch immer Seeleute, und wenn sie dich in ihr Herz geschlossen haben, werden sie auch treu bleiben.«

»Wirst du sie bestrafen lassen, wenn wir nach Hause kommen?«

»Nein, wenn ich nicht etwa von den Reedern der ›Aurora‹ dazu gezwungen werde. Selbst wenn ich sie gerichtlich verfolgen wollte, sehe ich nicht recht, weshalb. Soviel ich weiß, giebt es kein Gesetz, das der Mannschaft verbietet, ein brennendes Schiff zu verlassen, während der Schiffer und seine Frau schlafen. Auch habe ich kein Journal, das ich vorlegen könnte. Ferner müßte ich erklären, daß ich versprochen hatte, ihnen zu verzeihen, sobald sie wieder ihren Dienst verrichten würden, und daß sie das auch gethan haben, wenn auch mürrisch und widerwillig.«

»Dann würde ich aus der Not eine Tugend machen und ihnen deutlich zu verstehen geben, daß du von einer gerichtlichen Verfolgung Abstand nimmst.«

»Sie wissen es schon; ich habe es dem Zimmermann gesagt,« erwiderte er. »Er bat mich um Verzeihung und schwor, es sei alles nur Herons Schuld. Er hofft, wenn er und die anderen ihre Arbeit ordentlich und ehrlich verrichteten, würde ich sie ihrer Wege gehen lassen, wenn wir in den Hafen kämen. Eine Gefängnisstrafe – der Kerl hat die Seemannsordnung gelesen – würde ihn ruinieren.«

»Wenn du das versprochen hast, haben wir auch keine weiteren Schwierigkeiten zu fürchten.«

»Nein, darüber sei ruhig, Jessie. Wäre meine Verletzung nur leichter. Wenn ich das Bein bewege, ist der Schmerz gewaltig.«

»Thut es auch weh, wenn die Leute dich mit dem Gestell aufheben?«

»Gar nicht. Nur wenn ich vergesse, daß das Bein gebrochen ist und es herumdrehe. Wenn ich ganz ruhig liege, schmerzt es gar nicht, daher glaube ich auch, daß die von dir angelegten Schienen den gebrochenen Knochen wieder in die richtige Lage gebracht haben. Dann wird er auch gut zusammenwachsen und ich brauche später nicht mit einer kurzen und einer langen Spiere herumzulaufen.«

»Wie lange brauchen wir von jetzt an noch, um nach Hause zu kommen?«

»Nun,« meinte er, »wenn die Brigg nicht gerade ein alter Krebs ist, so müssen wir bei einigermaßen günstigem Wetter doch in sechs Wochen im Kanal sein.«

Sechs Wochen! Eine Ewigkeit, wenn ich bedachte, daß er noch immer Schmerzen erdulden mußte und vorher keine ärztliche Hilfe zu erlangen war. Doch wollte ich ihn nicht sehen lassen, wie diese Nachricht mich niederschlug. Wenn es jemals die Pflicht einer Frau war, durch zuversichtliches und mutiges Wesen ihren Mann aufzuheitern, so war es die meinige. Mein armer Schatz hatte ja niemand, um mit ihm zu reden, als mich. Beschäftigt mußte er aber werden, sonst hing er zu trüben Gedanken nach – nicht nur über seinen Unfall und alle die überstandenen Gefahren, sondern auch über den Verlust seiner Bark, der ihm mit vollem Recht die Stimmung verdüsterte, wenn er an die Aussichten in seinem Berufe für die Zukunft dachte.


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