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Siebzehntes Kapitel.
Meuterei

Ich begab mich an Deck und atmete die reine, frische Luft trotz der Kälte mit Vergnügen ein. Es war nichts in Sicht; ringsumher nichts als blitzender, silberner Sonnenschein und dunkelblaues Wasser. Trotz des schönen Wetters aber konnte ich meiner Befürchtungen doch nicht Herr werden. Ein förmlicher Druck lastete auf meiner Seele, den ich mit dem Gefühle eines eben aus dem Schlafe erwachenden Menschen vergleichen möchte, der weiß, daß ihn irgend eine Sorge oder ein Kummer drückt und sich doch nicht darauf besinnen kann, bis er wieder völlig wach ist.

Wenn man sich in solche Stimmung verrannt hat, wird durch einen schönen, heiteren Tag die Niedergeschlagenheit womöglich noch vergrößert.

Herr Short – als dienstthuender Offizier wurde er ›Herr‹ genannt – befand sich an Deck und ging breitbeinig zu Luward auf und ab, indem er fortwährend an einem großen Priem kaute. Um den Tabakssaft auszuspritzen ging er von Zeit zu Zeit hinüber an die Lereeling. Die Mannschaft war verschiedentlich an Deck oder in der Takelage beschäftigt und schien sehr ruhig zu arbeiten. Als ich sie betrachtete, dachte ich an das Volkslogis vorne unter der Barck und zerbrach mir den Kopf darüber, wie es dort wohl aussehen möge, auf welche Art die Leute ihre Zeit darin hinbrächten und so weiter.

Es wurde mir jedoch langweilig, immer allein herumzuwandern, und da ich aus Furcht, ich könnte Richard in dem ihm so notwendigen Schlummer stören, nicht hinuntergehen wollte, wendete ich mich Herrn Short zu, mit dem ich bis dahin noch nicht gesprochen hatte. Ich hoffte, daß seine Rauheit eben nur äußerlich sein würde und daß er mir irgend etwas über das Leben im Volkslogis erzählen oder sich mit mir in jener Seemannsweise unterhalten würde, in welcher einer der Hauptvorzüge des Charakters eines echten Seefahrers liegt.

Ich habe früher schon erzählt, daß die Gestalt dieses Mannes mir wie die eines verstümmelten Riesen vorkam. Dieser Gedanke wurde durch die Länge seiner Arme hervorgerufen. Seine Hände reichten fast bis zu den Knien herab. Es waren kolossale, knochige, braune Hände, die beim Gehen schlaff herunterhingen, ohne zu schlenkern. Die Finger waren gekrümmt, als ob sie ein Tau umspannten, und die Handflächen hatten durch Teer und harte Arbeit ein Aussehen erhalten, als ob sie mit Walnußsaft gefärbt wären. Einige Pockennarben auf seinem Gesicht vervollständigten noch die seltsam rauhe Erscheinung.

Bei dem Leben an Bord eines Schiffes gewöhnt man sich leicht und schnell auch an die merkwürdigsten Erscheinungen, und so machte auch Herr Short jetzt bei weitem nicht den Eindruck auf mich wie zuerst, wo mir seine Erscheinung besser für eine Schaubude auf einem Jahrmarkt, als für das Quarterdeck eines Schiffes zu passen schien.

Er bemerkte, daß ich ihn anzureden beabsichtigte und machte einige Finten, mir zu entgehen, indem er that, als ob er in den Kompaß schaute oder nach der anderen Seite hinübergehen wollte. Schließlich, als er mich herankommen sah, blieb er an den Besanwanten stehen und schien ganz plötzlich in die Betrachtung des Großmars versunken zu sein.

»Es ist merkwürdig,« sagte ich in einem so freundlichen Ton, wie er mir nur irgend möglich war, »daß wir bereits seit acht Tagen auf See sind, ohne bis jetzt miteinander gesprochen zu haben. Was halten Sie von der Bark, Herr Short? Entspricht sie Ihren Erwartungen?«

Er sah mich flüchtig an, offenbar in Verlegenheit darüber, mich eine Unterhaltung mit ihm anknüpfen zu sehen, ergriff mit der einen Hand eine Pardune und fing an, sich hin und her zu drehen und zu wenden, während er mit der andern Hand seine Pelzmütze erst über die Nase und dann wieder zurückschob. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich einen kolossal dicken Silberring an seinem Mittelfinger und ein rot und blau tättowiertes Armband auf seinem Handgelenk.

»Ja, sie entspricht meinen Erwartungen, Madam,« antwortete er. »Sie ist trocken und sie ist schnell und kann auch zu Luward aufkommen.«

»Ist das Volkslogis einigermaßen bequem?« fragte ich.

»Gut genug für Matrosen; ich bin nicht oft darin,« antwortete er, indem er sich abwandte.

»Meinen Sie, daß es nicht behaglich ist?«

»Ich meine, daß es gut genug für Matrosen ist, die ja doch nur zur See gehen, um wie die Hunde zu leben und nichts anderes erwarteten, als eine Hundehütte, um darin zu liegen.« Dabei erhob er seine Stimme, als ob er von dem am Ruder stehenden Matrosen gehört zu werden wünschte.

»Schlafen die Leute in Hängematten oder in Kojen?« fragte ich. Ich wußte kaum, wie ich das Gespräch fortsetzen sollte und stellte die Frage nur, um irgend etwas zu sagen. Dabei sah ich aber an dem eigentümlichen Blick, den er mir zuwarf, daß er irgend eine direkte Absicht bei meinen Fragen vermutete.

»Nun, da ist beides zu finden,« sagte er. »Sind Sie noch niemals in einem Volkslogis auf einem Schiffe gewesen?«

»Niemals.«

»Na, ich wünschte bloß, daß ich das auch sagen könnte,« rief er, indem er ein kurzes, rauhes Gelächter ausstieß und sich wieder nach dem Manne am Ruder umsah. »Meine Bekanntschaft mit den Patten und Kakerlaken (Schwaben) dürfte dann wohl nicht so ausgedehnt sein, und ich hätte mir ein gutes Teil Mühe sparen können und nicht so viele Maden aus dem verschimmelten Brot herauszuklauben brauchen, aus einer Sorte von Brot, das die Schweine nur beschnuppern und gerne den Matrosen überlassen würden.«

»Sicherlich ist es doch hier nicht so?« sagte ich.

»Nein, nein; der Proviant ist gut genug. Dagegen kann hier nichts gesagt werden. Sie fragten mich ja nach dem Volkslogis auf den Schiffen im allgemeinen, Madam. Und darauf antworte ich Ihnen eben.«

Ich dachte bei mir, wenn ich in der Unterhaltung mit diesem Manne fortführe, könnte er leicht irgend etwas sagen, worüber sich Richard ärgern würde, namentlich, wenn er hörte, daß ich das Gespräch angeregt habe. Ebensowenig mochte ich es aber so plötzlich abbrechen, und so sagte ich:

»Ich weiß, daß die Matrosen auf manchen Schiffen schlecht verpflegt und behandelt werden. Aber in einem guten, neuen Schiffe, das von einem wohlwollenden, tüchtigen Führer befehligt wird und mit so guten Lebensmitteln versehen ist, wie man überhaupt auf See findet, da kann es ihnen doch nicht so schlecht gehen.«

»Na, das kann es wohl nicht,« antwortete er, indem er sich wieder von mir abwandte, »das heißt, wenn Sie meinen, daß weiter nichts nötig ist, damit die Matrosen sich glücklich und behaglich fühlen. Da ich indessen nicht im Volkslogis wohne, kann ich Ihnen auch nicht sagen, was sie dort reden und treiben. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen – denn sehen Sie, das gehört nicht mit zu meinem Amt, daß ich mich um Sachen bekümmere, die mich nichts angehen. Und darin stimme ich mit Ihnen überein, Madam, daß unsere Leute mit dem Proviant und dem Schiff und dem wohlwollenden und tüchtigen Kapitän, der uns alle kommandiert, zufrieden sein können.«

Jetzt war ich entschlossen, das Gespräch nicht weiter fortzusetzen. Ich verließ ihn und nahm meinen Spaziergang wieder auf.

Short war ein Mann, der nicht ganz so schwer zu behandeln zu sein schien, wie Herr Heron. Unter den meisten Schiffsmannschaften giebt es irgend einen alten, fortwährend nörgelnden und fluchenden Seemann, der jeden ihm erteilten Befehl bekrittelt und die geringste Arbeit, die ihm von den Vorgesetzten aufgetragen wird, als persönliche Bosheit betrachtet. Ein solcher Mann war ohne Zweifel auch Short. Obgleich er sich jetzt in einer ähnlichen Stellung befand, wie die Leute, die er gehaßt haben würde, wenn er Matrose hier an Bord gewesen wäre, so änderte das doch nichts an der Sache. Auch wenn er als wachhabender Offizier das Kommando der Bark übernahm, geschah es mit denselben aufrührerischen Gedanken, die er gehabt hätte, wenn er Matrose gewesen wäre. Ich durchschaute ihn, wie ja die meisten Frauen mit offenen Augen und ohne Vorurteile im stande sind, die Männer zu durchschauen. Und doch sah ich noch nicht weit genug. Die meisten Meutereien werden durch derartige Hetzereien unter den Matrosen erregt und kommen nur dadurch zum Ausbruch, daß das Benehmen der Meuterer bis zum festgesetzten Augenblick durchaus keine Veranlassung zum Argwohn giebt.

Ich vermutete, daß es beinahe Mittagszeit sein müßte. Die Leute verließen ihre Arbeit und gingen in das Volkslogis zum Essen und mein Mann und Heron erschienen, jeder mit seinem Sextanten in der Hand, an Deck.

»Nun, Jeß,« fragte Richard, an mich herantretend, »wie ist es dir ergangen?«

»Ausgezeichnet,« antwortete ich, »aus Mangel an frischer Luft werde ich wohl nicht umkommen.«

»Bist du seit dem Frühstück an Deck gewesen?«

»Ja, ich habe Ausguck gehalten, während du schliefest.«

»Ist es dir auch nicht zu kalt, Schatz? Du mußt die Sache nicht übertreiben, Jeß. Vielleicht war aber die Gesellschaft nach deinem Geschmack.« Dabei blickte er zu Short hinüber. »Du hast doch wohl nicht mit jenem alten Knaben geliebäugelt, während ich schlummerte?«

»Sieht er aus, wie ein Mann, der einer Dame Artigkeiten sagen kann?« rief ich lachend. »Er ist ein Menschenfresser, Richard, und würde sich für die Weihnachts-Pantomimen im Tynetheater eignen. Diese beiden Steuerleute und der saure Herr John Orange müssen von irgend einem bösen Geiste eigens für die ›Aurora‹ ausgesucht sein.«

»Hat er dich etwa beleidigt?« fragte Richard schnell, während ein harter, finsterer Ausdruck seine Züge überflog.

»Nein, nein,« beeilte ich mich zu entgegnen. »Ich rede nur ganz im allgemeinen von seinem Benehmen.«

»Na, Jeß, kümmere dich nicht um ihn. Short ist kein Mann, der es – selbst dir gegenüber – jemals fertig bringen könnte, höflich zu sein. Er und Heron sind ein paar Seehunde, von denen der eine nur von etwas unreinerer Rasse ist als der andere, so eine Art Bastard. Ich denke mein möglichstes zu thun, daß sie mich satt bekommen, ehe wir noch in Sierra Leone eintreffen und dann werden wir hoffentlich unsere Kajüte und unser Quarterdeck mit etwas angenehmerer Gesellschaft ausstatten können.«

Damit schritt er hinüber auf die andere Seite, wo Heron stand und beobachtete die Sonne durch seinen Sextanten.

Inzwischen bemerkte ich, daß vorne in der Luke des Volkslogis ein Matrose stand, ein dunkelbärtiger, blasser Mann, nur mit dem Kopf daraus hervorragend. Ich nahm an, daß der Mann auf das Mittagessen wartete; aber auch, als die Leichtmatrosen die Mahlzeit bereits hinuntergetragen hatten, sah ich ihn noch immer dort stehen und uns fortwährend beobachten.

Herr Short hatte das Quarterdeck verlassen und spazierte hin und her an der Kombüse. Er näherte sich dabei zuweilen jenem Matrosen. Ob er mit ihm sprach, konnte ich nicht bemerken.

»Acht Glasen!« rief mein Mann, als die Sonne die Meridianhöhe erreicht hatte.

Der Zimmermann ging an die Glocke und schlug sie achtmal an. Es schien mehr die Folge eines verabredeten Zeichens als der Schiffsordnung zu sein, als mit dem letzten Glockenschlage der Mann, der bis dahin in der Luke gestanden hatte, an Deck trat. Ihm folgte die ganze Mannschaft, einer nach dem andern, wie bei dem Kommando: ›Alle Mann an Deck.‹

Richard sprach gerade mit mir. Er schaute überrascht auf die ungewöhnliche Bewegung vorne, als er zufällig den Blick dorthin richtete.

»Nun, was soll das bedeuten?« murmelte er vor sich hin. Er trat an das Oberlicht, legte seinen Sextanten nieder und blickte einige Augenblicke sehr scharf zu Herrn Heron hinüber, der sehr angelegentlich mit dem Ablesen seines Sextanten beschäftigt zu sein und die plötzliche Versammlung der Mannschaft gar nicht bemerkt zu haben schien.

Der Zimmermann trat, nachdem er die Glocke angeschlagen hatte, in seine Kammer und blieb unsichtbar. Es schien ziemlich klar, daß die Mannschaft sich zu irgend einem andern Zweck versammelt hatte, als um frische Lust zu schöpfen oder sich das Wetter anzusehen. Die Leute ließen uns jedoch noch eine Weile in Ungewißheit. Sie standen und sprachen miteinander und schauten mit einer gewissen Unentschlossenheit zu uns hinüber.

»Weshalb sind alle Mann an Deck? Was wollen die Leute, Herr Heron?« fragte Richard.

»Ich habe keine Ahnung, Herr,« antwortete der Steuermann.

»Wahrscheinlich wohl doch,« dachte ich bei mir selber.

»Was meintest du denn heute morgen damit, daß die Leute uns noch viel zu schaffen machen würden?«

Richard wartete eine zeitlang. Dann drehte er sich kurz um, offenbar in der Absicht, seinen Sextanten aufzunehmen und hinunterzugehen. Als die Leute dies bemerkten, setzten sie sich in Bewegung und kamen in geschlossener Kolonne nach achtern. Mein Mann stand neben dem Kajütenoberlicht, und die Mannschaft stellte sich etwas achterlich vom Leefallreep auf. Jetzt lag in ihrem Auftreten entschieden nichts Unentschlossenes mehr.

Zwei Leute, von denen ich schon früher sagte, daß sie mich an amerikanische Matrosen erinnerten, verliehen der Gesamtheit hauptsächlich einen bestimmten Ausdruck. Es waren ein paar hagere, kraftvolle Gestalten mit schmalen Hüften und dunkelbärtigen Gesichtern, geschmeidig wie Stahlklingen. Ihre dunkelblau gefärbten Drillichbeinkleider trugen sie in die halbhohen Stiefel hineingestopft. Die ganze Gesellschaft bestand aus sieben Personen, vier Vollmatrosen, zwei Leichtmatrosen und einem Schiffsjungen; der fünfte Vollmatrose stand am Ruder.

Wiederum trat eine Pause ein. Dort standen die Leute mit uns zugekehrten Gesichtern, einige mit übereinandergeschlagenen Armen, und bewegten ihre Kinnbacken, indem sie ihre offenbare Erregung durch heftiges Kauen von Primtabak zu verbergen suchten. Hier stand mein Mann, zwar etwas bleich, aber fest und entschlossen. Der dicht hinter ihm stehende Steuermann spielte mit seinem Sextanten und warf nur verstohlene Blicke hinüber. Zuweilen biß er sich auf die Unterlippe, so daß seine obere Zahnreihe sichtbar wurde. Alle seine Grimassen konnten jedoch den Ausdruck einer gewissen Genugthuung in seinem Gesicht nicht verbergen. Vorne steckte der Koch sein neugieriges Gesicht zur Kombüsenthür heraus und hinter ihm spähte der Steward um die Ecke, offenbar nicht wünschend, von uns in dieser lauschenden Stellung bemerkt zu werden.

»Was wollt ihr, Männer? Weshalb seid ihr nach achtern gekommen?« fragte Richard in seinem gewöhnlichen Tone, als er sah, daß die Leute noch immer nicht sprachen.

Einer der beiden Matrosen in den Halbstiefeln, Namens Isaak Quill, trat einen Schritt vor. Er ließ seine Arme, die er bis dahin auf der Brust gekreuzt hatte, fallen und sagte:

»Wir sind nach achtern gekommen, um uns zu beklagen, weil das Schiff ungenügend bemannt ist.«

»Wieso ungenügend bemannt?« rief Richard. »Nach der Musterrolle haben wir fünf Voll- und zwei Leichtmatrosen und einen Jungen. Dazu kommen noch zwei Freiwächter und ein arbeitender zweiter Steuermann. Wir sind im ganzen dreizehn Mann auf dieser kleinen Bark. Ist das nicht ausreichend? Ich verstehe nicht, was ihr damit sagen wollt, das Schiff sei ungenügend bemannt.«

»Das wäre ganz richtig,« erwiderte der Matrose trotzig »wenn die fünf als Vollmatrosen angemusterten Leute auch wirklich alle Vollmatrosen wären. Zwei von diesen können jedoch nicht mehr leisten als Jungens; außerdem haben wir einen zweiten Steuermann, der nicht mit nach oben geht, außer beim Reffen der Marssegel. Wenn aber ein Schiff von dieser Größe nur von drei Vollmatrosen bedient werden soll, dann sage ich als einer von den dreien: Hätte ich das vorher gewußt, so will ich verflucht sein, wenn ich mit dieser Bark in See gegangen wäre.«

»Ich auch!« erklärte der andere Yankee-Matrose.

»Welches sind die nicht genügenden Leute?« fragte Richard.

Es erfolgte keine Antwort.

»Hört mal, Leute!« rief mein Mann, indem eine leichte Röte sein Gesicht überflog. »Wenn ihr eine begründete Klage vorzubringen habt, werde ich euch anhören. Wenn ihr mir hier aber Flausen vormachen wollt, will ich euch nur mitteilen, daß ihr euch in dem unrechten Schiff für solche Possen befindet. Welches sind die nicht genügenden Leute?« wiederholte er mit erhobener Stimme.

»Nun, Jim Snow ist der eine,« versetzte der Sprecher der Leute.

»Snow, wollen Sie mir weißmachen, daß Sie nicht imstande sind, Ihre Schuldigkeit als Matrose zu thun?«

Der Mann antwortete finster: »Ich weiß nicht. Quill und die anderen behaupten es ja.«

»Haben Sie schon Gelegenheit zur Unzufriedenheit mit diesem Manne gehabt, Herr Heron?« fragte Richard den Steuermann.

»Er war der Mann, der damals im Nebel es unterließ, den Ewer zu melden.«

»Das weiß ich. Aber was ist sonst noch gegen ihn einzuwenden?«

»Bis jetzt ist wohl kaum Zeit dazu gewesen, das ausfindig zu machen.«

»Sie haben ebensoviel Zeit dazu gehabt wie die Leute. Und wenn Sie nichts bemerkt haben und ich nichts bemerkt habe, worüber sollen sich dann Quill und Cutter beklagen?« rief Richard. »Ruft mir Herrn Short hierher, einer von euch!«

Niemand rührte sich; nur der Schiffsjunge, ein großer, strammer, bärtiger Bengel von achtzehn bis neunzehn Jahren legte die Hand an den Mund und brüllte über das Deck hin: »Herr Short, Sie sollen zum Kapitän kommen!«

Der Zimmermann trat sofort aus seiner Behausung. Er kaute mit vollen Backen, als ob er plötzlich sein Mittagessen unterbrochen hätte, und zeigte nicht die geringste Ueberraschung beim Anblick der am Fallreep versammelten Mannschaft.

»Herr Short,« rief Richard, »die Leute beklagen sich darüber, daß einige unter ihnen wären, die ihre Arbeit nicht verständen. Quill behauptet, daß zwei von den fünf Vollmatrosen nichts taugen. So viel ich bemerken konnte, ist einer gerade so gut als der andere. Herr Heron erklärt, noch keine Zeit zu Entdeckungen auf diesem Gebiete gehabt zu haben. Was haben Sie wahrgenommen? Ist diese Klage begründet?«

Der Zimmermann blickte erst Herrn Heron und dann die Leute an und sagte: »Ich bin im Zweifel, ob einige von ihnen viel verstehen.«

»Nennen Sie die Namen,« sagte Richard.

»Jim Snow ist einer, nicht wahr, Jungens?« rief Short, indem er sich an die Leute wendete, »und dann ist da noch Dan Cock und Micky Craig.«

»Jawohl, Herr Short,« antworteten die Leute im Chor. Selbst diejenigen, denen der Vorwurf gemacht wurde, daß sie ihr Handwerk nicht verständen, stimmten mit ein.

An der Art, wie der Zimmermann die Namen nannte, konnte man sofort sehen, daß er sich im Einverständnis mit der Mannschaft befand. Ein noch schlimmeres Zeichen war es, daß zwei von den drei Männern – der dritte befand sich am Ruder –, die als untüchtige Matrosen bezeichnet wurden, sich diesen Vorwurf ruhig gefallen ließen, ohne dagegen Widerspruch zu erheben, gerade als ob sie ihre Rollen sorgfältig einstudiert hätten. Schon dies allein genügte, um den ganzen Vorgang als eine heimtückische Verschwörung zu kennzeichnen. Das Gefühl für die Standesehre ist unter den Matrosen ein so hohes, daß kein ehrlicher Mann, der sich bewußt ist, seine Schuldigkeit in vollem Maße thun zu können, es sich gefallen lassen würde, von seinen Schiffskameraden in seiner Gegenwart dem Kapitän gegenüber des Gegenteils beschuldigt zu werden, ohne erzürnt und unwillig darauf zu antworten.

Richard war sehr blaß geworden. Ein steinharter Ausdruck lagerte auf seinem Gesicht, und nichts als das leise Beben seiner Nasenflügel und das Feuer in seinen Augen verriet seinen Zorn.

»Wie die Sache angezettelt wurde,« sagte er, »weiß ich vorläufig noch nicht. Vielleicht mache ich es noch ausfindig. Aber ich durchschaue euch, und daher will ich auch kein Wort mehr darüber hören. So, nun geht nach vorn!«

Einer oder zwei von den Leuten machten eine Bewegung, als ob der gewohnte Gehorsam sich stärker zeigen wollte als diese meuterische Anwandlung; die übrigen blieben unbeweglich.

»Das ist keine Antwort auf unsere Klage,« sagte Quill. »Wir haben die Musterrolle für fünf Vollmatrosen unterschrieben, und jetzt stellt sich heraus, daß wir nur drei sind. Ich werde nicht in einer Wache arbeiten, wo ich der einzige ausgelernte Seemann bin, und da die ganze Geschichte faul ist, bin ich eben hier, um Ihnen sowohl für mich wie für die anderen zu sagen, daß wir die Arbeit verweigern werden, wenn wir nicht unser Recht erhalten.«

»Euer Recht!« schrie Richard. »Das soll euch werden, darauf verlaßt euch. Geht nach vorne jetzt, hört ihr?«

»Was ist Ihre Antwort?« fragte der Matrose Cutter.

»Ei, daß ihr eine Horde von lungernden Vagabunden seid, eine Gesellschaft von faulen Kanaillen, denen ich eine solche Lehre geben werde, daß ihr an Kapitän Fowler denken sollt, so lange ihr lebt. Das ist meine Antwort!« Richard schrie ihnen diese Worte zu und ballte die Fäuste, nicht im stande, seinen Zorn zu bemeistern. »Ich bin schon mit schlimmeren Männern gesegelt, wie ihr seid, und habe gesehen, daß sie den Kürzeren zogen. Ich werde auch mit Ihnen fertig werden. Quill! Ich durchschaue Sie!« Er machte eine Bewegung, als ob er sich auf ihn stürzen wollte.

»Sie mögen schimpfen und drohen, soviel Sie wollen,« antwortete Quill; »all solche Reden sind noch keine Antwort auf unsere Klage.«

»Was verlangt ihr denn von dem Kapitän?« fragte Heron, indem er sich zum erstenmal einmischte. Dabei sprach er aber mit völliger Gleichgültigkeit, die er auch gar nicht zu verbergen bemüht war.

»Wir wollen, daß die Bark ihre volle Arbeitsbesatzung erhält,« antwortete Quill.

»Nun, da müßt ihr warten, bis wir nach Sierra Leone kommen,« sagte der Steuermann, der offenbar auch eine Rolle einstudiert hatte.

»Nein, das wollen wir nicht,« sagte Cutter. »Wir wollen umkehren. Herr Short ist unser Zeuge, und noch ehe wir die englische Küste wieder in Sicht bekommen, werden Sie sehen, daß wir die Wahrheit gesprochen haben, Herr.«

»Von Umkehren kann keine Rede sein,« erklärte mein Mann zu meiner großen Beruhigung in gemäßigterem Tone. »Nach Sierra Leone sind wir bestimmt und dorthin werden wir auch gehen.«

»Dann kann die Kajüte das Schiff bedienen, denn verdammt will ich sein, wenn das Volkslogis es thut,« sagte Quill, indem er die Arme übereinander schlug und sich dem Schlingern des Schiffes entsprechend hin und her wiegte.

»Das sagen Sie! Wir werden ja sehen. Jetzt geht nach vorne!« rief Richard.

Cutter schien noch etwas sagen zu wollen.

»Geht nach vorne!« schrie mein Mann und faßte nach der Brusttasche seines Rockes.

Ob die Leute durch diese Bewegung eingeschüchtert wurden oder nicht, weiß ich nicht; mir kam sie entsetzlich bedeutungsvoll vor. Jedenfalls gehorchten sie diesesmal, gingen in geschlossener Kolonne nach vorne und verschwanden in der kleinen Luke vor der Back.

»Wer wird mich hier verfangen?« schrie der Mann am Ruder, ein Mulatte Namens Dan Cock.

»Bleiben Sie auf Ihrem Posten,« antwortete Richard, »sind Sie verrückt, Mann?«

»Nein, ich kann nicht auf Posten bleiben, ich bin einer von der Mannschaft. Wenn niemand kommt, muß ich das Rad loslassen. Ich muß, Herr! Acht Glasen sind vorbei. Mein Turn ist um. Mit so viel Luvruder fliegt sie recht im Wind, so gewiß ich hier stehe, und dann passen Sie auf die Spieren auf, Kapitän.« Indem er dies sagte, that er, als ob er das Rad loslassen wollte.

Ich stand dicht daneben und griff in der Meinung, daß er seinen Posten verlassen würde, in die Speichen. Er trat einen Schritt zurück und starrte mich mit offenem Munde an. Dann rannte er, so schnell er konnte, nach vorn und sprang in die Luke hinab, wie eine Wasserratte in einen Fluß.

Obgleich ich schon seit Jahren kein Steuerrad mehr gehalten hatte, so hatte ich doch früher auf meines Vaters Schiff oft zu meinem Vergnügen gesteuert, so daß es mir jetzt sehr leicht wurde. Ich brauchte jedoch nicht allzulange dort zu stehen; denn als der Mulatte ausriß, rief mein Mann den Steward herbei. Er kam aus der Kombüse und näherte sich sehr langsam und mit einem sehr sauern Gesicht.

»Geh'n Sie ans Ruder!«

»Es ist nicht meines Amtes, zu steuern,« rief der Steward; »dafür habe ich nicht gemustert. Von mir kann man keine Seemannschaft erwarten. Sie können mich nach oben schicken oder mit den Leuten arbeiten lassen, aber Sie können mich nicht zum Steuern zwingen.«

Ob er hierin recht hatte, weiß ich nicht. Mein Mann drehte sich um und sagte zu den Steuerleuten: »Darf ich irgend welche Unterstützung von Ihnen erwarten? Ich möchte darüber jetzt gleich ins klare kommen.«

»Sie haben keine Veranlassung, eine solche Frage zu stellen, Herr. Ich habe mich noch nicht geweigert, einen Befehl auszuführen,« antwortete Heron.

»Und Sie?« fragte Richard, sich an Short wendend.

»O,« antwortete dieser, indem er sich streckte, »ich habe gemustert, gewisse Arbeit zu thun, und die werde ich thun. Aber für diese Geschichte habe ich mich nicht verpflichtet, Kapitän, und die Arbeit einer ganzen Schiffsmannschaft werde ich nicht verrichten.«

»Dann gehen Sie und lösen die Dame am Ruder ab.«

Short überlegte einen Augenblick; dann drehte er sich kurz um und kam in gemächlichem Schritt auf das Steuerrad zu. Ich schloß mich meinem Manne an.

»Herr Heron,« sagte Richard, blaß und erregt, als überblickte er jetzt erst den ganzen Umfang und die etwaigen Folgen dieser Angelegenheit, »was für eine Rolle spielen Sie bei dieser Meuterei?«

»Gar keine Rolle,« erwiderte jener finster.

»Wenn Sie auf seiten der Leute stehen, sind Sie gegen mich. Verhält es sich so? Dann sagen Sie es mir gleich.«

Ich legte meine Hand auf seinen Arm, um ihn zu beruhigen, und fühlte ihn zittern wie vor Kälte.

»Sie haben kein Recht, so zu reden, Herr,« sagte der Steuermann mit leiser Stimme.

Mein Mann sah ihn ein paar Sekunden lang an, ohne zu sprechen; dann befahl er ihm mit veränderter Stimme, nach achtern zu gehen und die Nationalflagge mit der Union nach unten an der Gaffel aufzuhissen. Indem er diesen Befehl gab, bückte er sich, um unter dem Unterliek des Großsegels hindurch die See zu überblicken. Dann suchte er den Horizont zu Luward ab. Es war nichts in Sicht. Ich wagte nicht, ihn anzureden. Seine Unruhe und Sorge spiegelten sich so lebhaft in seinem Gesichte wieder, daß ich es kaum übers Herz brachte, ihn anzuschauen.

Richard wanderte nun in schnellem Tempo querschiffs über Deck auf und ab, nagte an seiner Unterlippe und zog die Brauen zusammen. Dann sprang er plötzlich nach vorne, zog den Deckel über die Luke des Volkslogis und versicherte ihn in einer Weise, daß niemand ihn von unten öffnen konnte. Auf diese Art wurde die ganze Mannschaft zu Gefangenen gemacht.

Als er zurückkam, guckte er in die Kombüse und richtete unter heftigen Armbewegungen einige Worte an den Koch. Dann trat er zu mir heran.

»Jetzt hab' ich sie,« sagte er. »Wilde Bestien werden gezähmt, indem man ihnen kein Wasser giebt. Die Schufte sollen dort liegen bleiben, bis der Durst sie zur Vernunft bringt. – Sehen Sie, was ich gethan habe?« rief er den Steuerleuten zu.

»Jawohl, Kapitän,« antwortete Heron.

»Verstehen Sie mich recht! Alle beide! Der Lukendeckel wird nicht angerührt ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«

Beide antworteten zugleich: »Sehr wohl, Kapitän.«

Nach einiger Zeit ging der Steuermann hinunter. Mein Mann ging noch unablässig querschiffs hin und her. Er hatte die Arme auf der Brust verschränkt, und ich stand neben dem Oberlichte und beobachtete ihn. Das eben Geschehene hatte mich sehr aufgeregt und ich zerbrach mir den Kopf darüber, was nun wohl geschehen würde. In diesem Augenblick fiel Richards Blick auf mich. Er hielt inne und sagte mit einem etwas gezwungenen Lächeln: »In deinen alten Träumen vom Seeleben kam eine solche Geschichte wohl niemals vor, Jeß?«

»Nein,« antwortete ich. »Wie ist dies alles nur gekommen, Richard?«

»Davon weiß ich nicht mehr als du. Ich zweifle nicht, daß die Steuerleute ursprünglich daran schuld sind. Die ganze Geschichte ist ein abgekartetes Spiel. Die Leute, die da behaupten, ihre Matrosenarbeit nicht zu verstehen, spielen einfach die ihnen zuerteilten Rollen.«

»Das merkte ich sofort,« entgegnete ich.

»Hast du das Benehmen der Steuerleute beobachtet? Short stellt sich ganz offen auf ihre Seite. Heron, der gewissenloseste von beiden, ist vorsichtiger. Aber verlaß dich darauf, er hat die Leute merken lassen, daß er ebensosehr gegen mich ist wie irgend ein anderer.«

»Es scheint so unvernünftig, so entsetzlich,« meinte ich, »daß eine ganze Mannschaft so früh schon sich gegen einen Kapitän erhebt, dem sie doch nichts vorzuwerfen hat. Selbst wenn es wahr wäre, daß einige von den Vollmatrosen schlechte Seeleute sind, könnte doch kein ehrlicher Mann dich dafür verantwortlich machen.«

»Wenn Seeleute einmal Schurken sind, dann giebt es keine schlimmeren. Dies ist nicht das erstemal, daß eine Schiffsmannschaft ohne gerechte Ursache gemeutert hat. – Ach, Jeß, ich wollte, du wärest zu Hause, du wärest sicher bei deinem Vater. Deine Gegenwart macht mich schwach. Die Rücksicht auf dein kostbares Leben nimmt mir die Festigkeit und Entschlossenheit, mit der ich jetzt handeln muß.« – Er fuhr fort, als ob er mit sich selbst spräche: »Beide Steuerleute gegen mich. Nicht ein lebendes Wesen in einer Gesellschaft von zwölf Männern, das ehrlich genug wäre, zuzugeben, daß man mir auf eine grausame Art mitspielt. Es ist unglaublich! Selbst unseres Lebens sind wir nicht sicher.« Dabei faßte er wieder nach der Brusttasche.

»Was hast du da?« fragte ich.

»Nichts, Jeß, nichts,« antwortete er und ließ die Hand sinken.

»Warum willst du es mir nicht sagen? Ist es ein Pistol?«

»Ja,« erwiderte er nach einigem Zögern.

»O, Richard,« rief ich händeringend; »um Gottes willen, trage nicht diese im Zorn so furchtbare Versuchung bei dir.«

»St!« machte er, indem er auf den am Ruder stehenden Zimmermann blickte. »Ich bin einer gegen zwölf und ich kenne meine Leute. Kein Wort mehr darüber, Jessie!«

Er sprach so bestimmt, daß die Bitte, die ich wiederholen wollte, mir auf den Lippen erstarb.

Zufällig blickte ich auf den Sextanten, der noch immer auf dem Oberlicht stand. Er nahm ihn sofort auf und sagte: »Ich muß hinunter gehen und die Breite bestimmen. Das hatte ich ganz vergessen. Bleibe an Deck, Jeß, bis ich zurückkomme, und sollte der Steward oder der Koch an jene kleine Luke dort unmittelbar vor dem Ankerspill herangehen, rufe mich durch das Oberlichtfenster.«

Damit verließ er mich und stieg hinunter, nachdem er zuvor an den Kompaß herangetreten war und etwas zu dem Zimmermann gesagt hatte. Er blickte dabei nach oben, als ob er über die große Segelfläche eine Bemerkung gemacht hätte. Dann sah er sich noch rings am Horizont genau um, um das Wetter zu beobachten, vielleicht auch, um zu sehen, ob ein Schiff in Sicht sei.

Ich bemerkte, daß Herr Short, der achtern am Rade stand, mit ziemlich finsterem Gesicht steuerte. So wenig ich ihm auch zugethan war, bildete ich mir doch ein, vielleicht irgend etwas durch ein nochmaliges Gespräch mit ihm zu erreichen. Da ich die Back vom Ruder aus ebenso gut beobachten konnte wie vom Oberlicht, ging ich nach achtern.

»Haben Sie schon jemals von einer Mannschaft gehört. Herr Short,« begann ich, »die so kurz nach Antritt der Reise gemeutert hätte, wie diese?«

»Ja,« erwiderte er, »Dutzende von Malen. Man hört ja fast täglich, daß Mannschaften sich weigern, das Spill zu bemannen, und das ist Meuterei schon vor Antritt der Reise.«

»Aber doch nicht ohne jeden Grund, der die Leute dazu berechtigen könnte?«

»O, wenn sie sich zu schwach glauben, ist das schon Grund genug, um zu meutern,« antwortete er mit einem häßlichen Lächeln. »Manche Matrosen würden unsere Leute noch für sehr geduldig halten, daß sie so lange gewartet haben, bis sie ihre Beschwerden nach achtern brachten.«

»Von Meuterei habe ich wohl schon gehört, aber noch nie eine erlebt,« sagte ich. »Und wenn ich die Leute schon in diesen Geschichten für toll gehalten habe, wie muß ich erst über die Wirklichkeit denken, wo ich dieses Schiff so gut wie verlassen, Wind und Wellen preisgegeben sehe?«

»Die ganze Mannschaft im Logis,« sprach ich entschlossen weiter, »eingeschlossen, wo die Leute umkommen müssen, wenn das Schiff zu Grunde gehen sollte; und doch scheinen sie ihr Leben so gering zu achten, daß sie, nur um uns alle in Gefahr zu bringen, irgend eine Beschwerde erfinden.«

»Nun, das sagen Sie,« versetzte er unverschämt. »Ich aber, der ich auch zu den Leuten da vorne gehöre, wenn ich hier auch zweiter Steuermann genannt werde, und der ich mehr über das Leben im Volkslogis weiß, als Sie jemals erfahren werden, kann die Leute nicht gleich für Lügner halten, weil sie hier achtern eine Beschwerde vorbringen. Ich bin nicht für sie, aber auch nicht gegen sie. Ich habe nichts damit zu thun. Wenn aber, wie Sie sagen, die Mannschaft lieber ihr Leben aufs Spiel setzt als das Schiff bedient, glauben Sie nicht, daß die Leute an Land dann annehmen werden, die Beschwerden dieser Matrosen müßten doch wohl begründet gewesen sein, da sie es sonst nicht vorgezogen haben würden, lieber zu ertrinken, als ihrem Vorgesetzten zu Willen zu sein?«

Wenn das, dachte ich, die Logik ist, die dieser See-Advokat in seiner Unterhaltung mit den Leuten anwendet, kann man sich nicht wundern, daß sie meutern.

Die hinter seinen Worten versteckte Meinung wurde mir allmählich immer klarer und ich war jetzt fest überzeugt, daß dieser unangenehme Vorfall größtenteils, wenn nicht ganz, den Steuerleuten zuzuschreiben sei. Sie hatten ausfindig gemacht, daß die Mannschaft, wie es leider oft bei Kauffahrtei-Seeleuten der Fall ist, zum Nörgeln und Murren hinneigte und dieselbe im geheimen noch in diesen Gelüsten bestärkt.

Das Geräusch heftigen Klopfens schreckte mich auf. Gleich darauf trat der Koch aus der Kombüse und rief mir zu, er lasse sich hängen, wenn die Leute nicht erstickten. Das Klopfen wiederholte sich, und ich rannte an das Oberlicht und rief nach Richard. Er kam sofort an Deck und brauchte nicht erst zu fragen, was los sei, da auch er das klopfende Geräusch deutlich vernahm.

»Aha,« rief er aus, »sie scheinen zur Vernunft zu kommen. Herr Heron,« rief er hinunter, »kommen Sie sofort an Deck und bringen Sie die Handschellen mit, die auf dem Tisch in meiner Kammer liegen.«

Der Steuermann kam sofort mit den Handschellen.

»Nun,« rief Richard, indem er die Handschellen an sich nahm und ihn scharf anblickte, »kann ich auf Ihre Unterstützung rechnen?«

»Gewiß,« antwortete Heron. Er war sehr blaß geworden, was mich nicht wunderte. In dem Wesen und Ton meines Mannes lag etwas, das darauf hindeutete, daß er zum äußersten entschlossen sei, so daß der feige, charakterlose Mensch dort vor ihm wohl mit Recht fürchten mochte, daß eine Zögerung ihm das Leben kosten könnte.

»Dann folgen Sie mir,« sagte Richard und ging schnell nach vorne; der Steuermann ging hinterher. Vor der Back angekommen, beugte sich Richard über die Luke, ohne sie zu öffnen, und rief: »Logis ahoy! Habt ihr schon genug? Seid ihr müde, die Sache weiter fortzusetzen?«

Die Antwort konnte ich nicht hören, aber es war eine erfolgt, denn Richard rief: »Ich kann es länger aushalten als ihr. Wollt ihr wieder an die Arbeit gehen? Das braucht ihr nur zu sagen, dann laß ich euch raus. Wenn nicht, bleibt ihr wo ihr seid, denn nach Sierra Leone gehen wir, und wenn ihr bis dorthin ohne Luft und Essen und Trinken aushalten könnt, soll's mir recht sein.«

Die Leute antworteten etwas, worauf mein Mann sagte:

»Gut, ich werde den Lukendeckel öffnen, aber Isaak Quill muß zuerst heraufkommen. Jeden andern Mann, der sich ohne meine Erlaubnis untersteht, ihm zu folgen, schieße ich nieder, sowie er den Kopf über Deck zeigt. Also danach richtet euch!« Der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen, daß er im Ernst sprach.

Darauf öffnete er den Schiebedeckel. Sowie Quill herausgestiegen war, schloß mein Mann schnell die Luke wieder, und ehe Quill, vom hellen Sonnenschein geblendet, noch ordentlich sehen konnte, war er bereits gefesselt und stand da wie ein Sträfling.

Mein Herz klopfte heftig. Ich konnte ja noch immer nicht wissen, was geschehen würde, welch schreckliches Trauerspiel durch Richards Verwegenheit und die entfesselten Leidenschaften der Leute herbeigeführt werden konnte.

Mein Mann sprach zum Steuermann, worauf dieser Quill am Hemdärmel faßte und ihn längs Deck führte. Ich bemerkte, daß Herons Lippen sich bewegten, als ob er mit leiser Stimme zu Quill spräche.

Wahrscheinlich sagte er etwas, um ihn zu ermutigen oder sich wegen der Rolle, die er spielte, zu entschuldigen. Sie gingen die Kajütentreppe hinab und ich bemerkte durch das Oberlicht, wie Heron die vom Steward bewohnte Kammer öffnete. Quill trat hinein. Der Steuermann verschloß die Thür und brachte den Schlüssel mit an Deck. Er ließ ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her baumeln, während er sich wieder nach vorn zu meinem Manne begab.

Inzwischen stand Richard neben der Luke, die Hand in der Brust, und wartete auf den Steuermann, ohne die Leute unten wieder anzureden. Als Herr Heron kam, nahm mein Mann den Schlüssel an sich und steckte ihn in die Tasche. Darauf beugte er sich über die Luke und rief: »Wenn ich euch in Freiheit setze, wollt ihr Eure Arbeit thun und mich kein Murren und keine Lügen von ungenügender Bemannung mehr hören lassen?«

Die Antwort war offenbar bejahend. Ohne ein weiteres Wort schob Richard den Deckel der Luke zurück und rief: »Gut also! Kommt herauf und geht an die Arbeit und damit ist die Sache erledigt! Das Geschehene soll vergessen sein. Der Mann, dessen Turn es ist, gehe nach achtern und verfange den zweiten Steuermann am Ruder.«

Darauf ging er mit dem Steuermann langsam nach achtern bis an die hinter dem Großmast stehende Winde, wo er sich nach den Leuten umdrehte.


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